Zuletzt aktualisiert am 15.05.2025
Künstliche Intelligenz im Deutschunterricht – Chancen und Herausforderungen
Bei dem Projekt handelt es sich um ein neues Projekt / eine wiederholte Einreichung
Ars Docendi Kategorie
Lernergebnisorientierte Prüfungs- und Lehrkultur
Ars Docendi Kriterien
- Digitale Transformation
- Innovative Hochschuldidaktik
- Studierenden- und Kompetenzorientierung
- Partizipation und Mitgestaltung
Gruppengröße
20-49
Anreißer (Teaser)
Im Pro-Seminar „KI im Deutschunterricht“ förderten innovative Konzepte die Reflexion über KI. Forschungsbasiertes Lernen und kritische Analyse von KI-Tools, unterstützt durch eine praxisnahe Lern- und Prüfungskultur, schulten KI-Kompetenzen der Studierenden.
Kurzzusammenfassung des Projekts
Das im WS 23/24 durchgeführte Pro-Seminar Fachdidaktik Deutsch zum Thema KI im Deutschunterricht orientierte sich an zwei übergeordneten Zielen: Zum einen ging es darum, den entstehenden Diskurs um KI in der Deutschdidaktik gemeinsam zu kartieren, um ausgehend davon mögliche Veränderungen des Deutschunterrichts zu reflektieren. Zum anderen wurde der Prozess des wissenschaftlichen Arbeitens selbst, seine Veränderungen durch KI-Tools und Potentiale sowie Limitationen ihres Einsatzes in den Mittelpunkt gerückt.
Um diese Ziele zu erreichen, kam ein breites Repertoire an methodischen Konzepten zum Einsatz, deren Auswahl vor allem an der Selbstbestimmungstheorie (Ryan und Deci 2018) orientiert war. Studierende sollten eigenaktiv, kompetenzorientiert und sozial eingebunden arbeiten und forschen, was sich in dem Design der LV widerspiegelte. So lag ein Fokus auf lernergebnisorientiertem kollaborativem Arbeiten (gemeinsame Wissensbasis sowie Richtlinien für Umgang mit KI in der LV im Etherpad, Kartierung im Padlet), formativem Assessment durch intensives Feedback sowohl durch Studierende als auch durch die LV-Leitung und auf dem reflektierten Gebrauch von KI-Tools und dessen Dokumentation in schriftlichen Reflexionen sowie persönlichen Feedbackgesprächen. Zentrale Prüfungsleistung und Lernergebnis stellten dann die PS-Arbeiten dar, die kriteriengeleitet beurteilt wurden und eine ausführliche schriftliche (im Anhang) und mündliche (Feedbackgespräche) Reflexion des Prozesses umfassten.
Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache
The Pro-Seminar in German Didactics on the topic of AI in education, conducted in the winter semester of 2023/2024, was guided by two overarching objectives: Firstly, it aimed to collectively map the emerging discourse on AI within the field of German didactics, in order to reflect on potential changes to German instruction from this basis. Secondly, the seminar placed a focus on the process of academic work itself, including the alterations introduced by AI tools and the potentials and limitations of their use.
To achieve these goals, a broad repertoire of methodological concepts was employed, with the selection primarily oriented around the Self-Determination Theory. Students were encouraged to engage in autonomous, competency-oriented, and socially integrated work and research, a principle that was reflected in the design of the course. This included an emphasis on outcome-oriented collaborative work (a common knowledge base and guidelines for dealing with AI in the course on Etherpad, mapping on Padlet), formative assessment through intensive feedback by both students and course leadership, and on the reflective use of AI tools and its documentation in written reflections as well as personal feedback discussions. The central examination performance and learning outcome were the seminar papers, which were assessed based on set criteria and included a detailed written (in the appendix) and oral (feedback discussions) reflection of the process.
Nähere Beschreibung des Projekts
Die schnelle Verbreitung von Machine-Learning-Technologien, besonders Large Language Models, hat nicht nur eine gesellschaftliche Debatte entfacht, sondern stellt den Bildungssektor (Kasneci et al. 2023), insbesondere den Deutschunterricht und seine Didaktik vor Herausforderungen. Die Fähigkeit dieser KI-Systeme, menschliche Sprache zu imitieren, erfordert eine dringende Auseinandersetzung mit deren Einfluss sowohl auf die universitäre Deutschlehrer/innenbildung als auch auf die Domänen des Deutschunterrichts. Diese Auseinandersetzung anzustoßen war das vorrangige Ziel des hier eingereichten Lehrprojekts, das als Pro-Seminar im Wintersemester 2023/24 an der Universität Wien am Institut für Germanistik abgehalten wurde. Curriculare Grundlage ist das „Teilcurriculum des Bachelorstudium Lehramt Deutsch“. Das dem „Abschlussmodul“ zugeordnete Pro-Seminar dient der „wissenschaftlichen Vertiefung im Bereich der Fachdidaktik“, Studierenden sollen „fachdidaktische Fragen in Verbindung mit fachbezogenen Schwerpunkten oder Querschnittsmaterien“ (u.a. digitale Bildung) bearbeiten (Universität Wien 2022, S. 8). Die besondere Ausgangslage für diese LV war zum einen das Fehlen eines etablierten Forschungsdiskurses zu KI und Deutschunterricht und zum anderen die Tatsache, dass generative KI und damit verbundene KI-Tools wissenschaftliches Arbeiten und Schreiben verändern (Limburg et al. 2023). Insbesondere Warnungen vor einem Effekt des De-Skillings (Reinmann 2023) – also das Verlernen von Kompetenzen aufgrund des unreflektierten Einsatzes von KI-Tools – machten es notwendig, mit hochschuldidaktisch innovativen Konzepten zu reagieren.
Wesentliche übergeordnete Ziele des Pro-Seminars waren – in Reaktion auf die Ausgangsbedingungen und curricularen Vorgaben – daher
- den entstehenden Diskurs zu generativer KI in der Deutschdidaktik gemeinsam mit den Studierenden zu kartieren und ausgehend davon mögliche Veränderungen des Deutschunterrichts zu reflektieren, sowie
- den Prozess des wissenschaftlichen Arbeitens selbst in den Fokus zu rücken und gute wissenschaftliche Praxis vor dem Hintergrund rasanter Entwicklungen im Bereich der KI-Tools zu reflektieren. Insbesondere deren Einsatz sollte proaktiv und im Sinne experimentierender Medienkompetenz angestoßen werden, mit dem Ziel einer AI-Literacy (siehe unten).
Studierende sollten in ihrer Eigenaktivität und Autonomie gefördert werden, wobei die Selbstbestimmungstheorie eine Rahmengebung für die Lernkultur bot (Ryan und Deci 2018). Die Prüfungskultur war stark an formativem Assessment und damit verbundener Prozessorientierung und dialogorientiertem Lehren und Lernen orientiert. Studierende sollten also im Prozess wissenschaftlichen Arbeitens engmaschig begleitet werden. Die dargelegten Ausgangsbedingungen und Ziele konkretisierten sich in mehreren handlungsleitenden didaktischen Konzepten, deren methodische Ausformung und deren konkrete Lern- und Prüfungsergebnisse kurz dargelegt werden.
Forschungsorientiertes Studieren – Eigenaktivität und Verantwortung (siehe Autonomie bei Ryan/Deci):
Das Fehlen eines bereits etablierten Diskurses zum Umgang mit KI im Deutschunterricht legte nahe, methodische Zugänge an der forschungsorientierten Didaktik auszurichten (Tremp 2020). Studierende sollten im Sinne der Eigenaktivität selbstständig arbeiten und damit Verantwortung für die Recherche, Aufbereitung und Darstellung von Wissen übernehmen. Dieses Prinzip der Verantwortung (Brommer et al. 2023) wurde insbesondere bei der Reflexion über das Verfassen der Pro-Seminararbeit und dem damit verbundenen Gebrauch von KI-Tools als Grundlage guter wissenschaftlicher Praxis hervorgehoben.
Teilprüfungsleistungen dieser prüfungsimmanenten LV waren kompetenzorientierte Aufgabenstellungen, die als Vorbereitung der Präsenzeinheiten dienten. Auch sie folgten der forschungsorientierten Didaktik: So wurde beispielsweise eine gemeinsame technische Wissensbasis zur KI zunächst durch eine individuelle Recherche angebahnt. In der anschließenden Präsenzeinheit wurde durch kritische Nachfragen überprüft, wie gut die Studierenden KI und ihre Funktionsweise bereits erklären konnten. Die vielen offenen Fragen aus der Präsenzeinheit wurden anschließend in einem kollaborativen Dokument gesammelt und unter gegenseitiger Bezugnahme von Studierenden beantwortet. So entstand eine lernergebnisorientierte und kollaborativ im Etherpad erarbeitete Wissenssammlung, die im Laufe des Seminars immer wieder als Quelle und Referenz diente.
Sich so ausführlich mit einem Thema auseinanderzusetzen, dass man es selbst unterrichten kann, war dann auch Ziel einer weiteren forschungsorientierten Aktivität: Bei einer Lehrer/innenfortbildung, die ich in Linz geleitet habe, wurden die Studierenden per Zoom-Video zugeschaltet, um den teilnehmenden Lehrer/innen einen Einblick in den gegenwärtigen fachdidaktischen Forschungsstand sowie mögliche Veränderungen des Deutschunterrichts durch KI zu geben. In diesem Dialog „Universität trifft Praxis“ übernahmen die Studierenden Verantwortung nicht nur für die Erarbeitung der Themen, sondern ebenso für die Kommunikation und Präsentation ihrer Forschungsergebnisse. Eine nachgelagerte schriftliche Feedback-Schleife durch die Lehrpersonen zeigte die Studierenden die Ergebnisse ihres Arbeitens und ob die Präsentationen bzw. darin entfalteten Argumentationen für die Lehrer/innen aus der Schulpraxis überzeugend waren.
Kompetenzen des wissenschaftlichen Arbeitens sollten vor allem durch das Prinzip des Scaffoldings (van de Pol et al. 2010) unterstützt werden. Im Sinne des Decoding-Ansatzes (Middendorf und Pace 2004), der vorsieht, Studierenden Einblick zu geben, wie Expert/innen Aufgaben bewältigen, versuchte ich in der Lehrveranstaltung sowohl mein eigenes wissenschaftliches Arbeiten (z.B. Suchen einer Forschungsfrage, Einsatz von Literaturverwaltungsprogrammen, etc.) als auch die Herangehensweisen von etablierten Wissenschaftler/innen an die in LV aufgeworfene Fragestellung sichtbar zu machen. So boten zwei für die LV organisierte Gastvorträge Studierenden die Möglichkeit auch in die Diskussion mit den eingeladenen Vortragenden zu treten und durch die Reflexion deren Vorgehens, Folgen der KI auf den Deutschunterricht abzuschätzen, auch für die eigenen Forschungsprojekte zu lernen.
Kollaboration, Partizipation und Feedback (siehe Soziale Eingebundenheit bei Ryan/Deci):
Die Tatsache, dass Motivation beim Lernen in hohem Maße von dem Gefühl der sozialen Eingebundenheit abhängt, legte nahe, methodisch so vorzugehen, dass Studierende im Laufe der Lehrveranstaltung eine Vielzahl an Austauschmöglichkeiten hatten, um einerseits gemeinsam zu arbeiten und andererseits Rückmeldung auf eigene Arbeiten zu bekommen. Lernergebnisse dieses kollaborativen Arbeitens waren schließlich gemeinsam verfasste Dokumente, die den Entstehungsprozess, Überarbeitungsschritte und gegenseitige Bezugnahme sichtbar machten: So entstanden die oben erwähnte Wissensgrundlage (Generative KI – Recherche), Richtlinien zum Umgang mit KI-Tools sowie eine ausführliche und detaillierte Kartierung des deutschdidaktischen Diskurses in Form einer digitalen Tafel (Padlet; alle Dokumente im Anhang). Diese Kartierung und Ergebnisdarstellung als Padlet diente außerdem als Ausgangspunkt die individuelle Wahl eines Themengebiets für die Prüfungsleistung Pro-Seminararbeit.
Mit dem Ziel „to develop the students’ capacity to make evaluative judgements both about their own work and that of others“ (Nicol 2013, S. 34) wurde auf unterschiedliche Methoden zurückgegriffen, die von spielerischen Formaten wie dem „Wissenschaftlichen Speeddating“ zur kurzen Erklärung des Forschungsvorhaben, über Diskussionsrunden und Fortschrittsberichte in der sogenannten Forschungswerkstatt (jeweils die letzte halbe Stunde der Präsenzeinheiten) bis hin zu ausführlichen Feedbackschleifen im LMS (Moodle Workshop-Tool) reichten. In dieser Peer-Feedbackphase tauschten Studierende gegenseitig ihre Exposés und erstellten ausführliche kritische Gutachten. Wiederholt und reflektiert wurden so die Kriterien für gelungene Forschungsfragen und Exposés. Die konsequente Weiterentwicklung der eigenen Forschungsvorhaben wurde nach dieser Phase mit begleiteten Aufgaben in Moodle (z.B. Zeitplanung mit KI-Tools erstellen) unterstützt.
Extensives Feedback wurde aber vor allem von mir als Lehrperson gegeben, sei es durch Audiofeedback im LMS auf unterschiedliche Aufgabenstellungen, Beratungsgespräche im Zuge der Forschungswerkstatt sowie am Ende der LV durch die kriteriale Beurteilung der Pro-Seminararbeiten, die aus zwei Phasen bestand. Neben der Rückmeldung und Kommentierung der eingereichten Arbeiten wurde mit jedem Studierenden/jeder Studierenden ein ca. 15-minütiges Feedbackgespräch geführt, in dem nicht nur die Stärken und Schwächen der Arbeit rückgemeldet wurden, sondern insbesondere der Gebrauch von KI-Tools reflektiert wurde. Das Ziel dieses methodischen Fokus auf Feedbackprozessen und formativem Assessment lag in der Ausbildung einer reflexiven Haltung gegenüber KI, die insbesondere für angehende Lehrpersonen essentiell ist.
Kompetenzen wissenschaftlichen Arbeitens, AI-Literacy und reflektierter Einsatz von KI-Tools (Kompetenzerleben bei Ryan/Deci)
Das didaktisch-methodische Design der LV war u.a. darauf ausgelegt, dass Studierende einen reflektierenden Umgang mit KI-Tools einüben. Man spricht daher von AI-Literacy: „a set of competencies that enables individuals to critically evaluate AI technologies; communicate and collaborate effectively with AI; and use AI as a tool online, at home, and in the workplace.“ (Long und Magerko 2020, S. 2) Im Sinne experimenteller Medienkompetenz (Wampfler 2020, S. 18), bei der es darum geht, dass man im Umgang mit Medien Erfahrungen sammelt und diese ausführlich reflektiert, stand von Anfang an der interaktive Gebrauch von KI-Tools (Recherche-Tools, Lese-Tools, Tutor-Systeme) und die anschließende Reflexion im Mittelpunkt der Arbeitsaufträge zur Vorbereitung der LV-Einheiten. Studierende sollten sich beispielsweise mit prompt engineering auseinandersetzen, um dann Lerngespräche mit Chatbots zu führen und das Ergebnis kritisch reflektieren. Bei der vorbereitenden Lektüre wurde beispielsweise auf ChatPDF zurückgegriffen, Studierende sollten abschätzen, ob sie die wissenschaftlichen Texte mittels Unterstützung durch Chatbots besser verstehen. Im Zuge der Planung für das Exposé sollten Studierende Chatbots für die detaillierte Zeitplanung des Schreibprozesses nutzen. All diese verschriftlichten Reflexionsprozesse dienten schließlich als wichtiger Einblick in die Arbeitsweise der Studierenden mit KI-Tools.
Am aufschlussreichsten war aber der Einsatz der KI-Tools bei den Pro-Seminararbeiten, der im Vorfeld des Verfassens durch kollaborativ erarbeitete Richtlinien und Zitiervorschläge vorbereitet und geregelt wurde. In der Auswertung der Pro-Seminararbeiten und den anschließenden persönlichen Feedbackgesprächen mit einzelnen Studierenden zeigten sich eine ganze Reihe von unterschiedlichen Kompetenzstufen. Diese Lernergebnisse werden für zukünftige Lehrveranstaltungen als Grundlage dienen, um spezifischer an KI-Kompetenzen zu arbeiten und die Arbeitsaufträge dementsprechend weiterzuentwickeln.
Überprüft wurden die relevanten Kompetenzen wissenschaftlichen Arbeitens vor allem durch die Abschlussarbeit, die als abschließendes Ergebnis der intensiven Auseinandersetzung stand. Ein eigens erstellter Kriterienrasters gab eine klare Orientierung, die u.a. im kollaborativen Prozess (siehe Richtlinien) mitgestaltet wurden. Die Leistung bei den Arbeiten wurde mit einem kurzen schriftlichen Gutachten sowie den 15-minütigen Feedbackgesprächen rückgemeldet. Da zu erwarten ist, dass summative und auf Reproduktion gerichtete Prüfungskultur durch den Einsatz von KI-Tools in Frage gestellt wird (Wilder 2023, S. 37), war das Bestreben dieser LV, den prüfungsorientierten Fokus eben v.a. auf Prozessbegleitung und Feedback zu legen.
Akzeptanz und Resonanz
Ziel der LV war es, Studierende durch intensive Prozessbegleitung und ausführliches Feedback in die Lage zu versetzen, sowohl die Auswirkungen von KI auf den Deutschunterricht als auch auf das eigene wissenschaftliche Arbeiten zu reflektieren und durch Bezug auf wissenschaftliche Literatur zu vertiefen.
Gerade die Lernprodukte in Form kollaborativer Dokumente, schriftlicher Arbeitsaufträge und schließlich der PS-Arbeit inklusive ausführlicher Dokumentation und Reflexion zum Gebrauch von KI-Tools, aber auch der dialogische Austausch mit Studierenden über den Verlauf der gesamten LV ermöglichten mir, einzuschätzen, ob die Studierenden die gesetzten Ziele erreichen, ob die Methoden dafür geeignet sind und wie KI-Tools tatsächlich verwendet werden. Diese schriftlichen Reflexionen stellten aufschlussreiche Einblicke in die Akzeptanz von KI-Tools, die Umgangsweisen aber auch die Fallstricke, die damit verbunden sind, dar. So reflektierten Studierende z.B. den Gebrauch von KI-Tools bei der Recherche, wie in den folgenden Auszügen sichtbar wird:
• „[…]mit einem gewissen Grundstock würde ich also durchaus Dinge von KIs nochmals erklären lassen. Überprüfen kann ich die Ergebnisse allerdings eben nur mit Vorwissen oder Nachrecherche.“
• „Es gibt bestimmt Grenzen von ChatGPT, aber wenn man noch nicht viel zu einem Thema weiß, ist diese Vorgehensweise (der Bot als Tutor) auf jeden Fall ergiebig und spannend. Es entsteht leider die starke Tendenz, die Infos nicht auf ihre Richtigkeit hin zu hinterfragen, weil die KI so schnell und sinnvoll antwortet.“)
Nachdem die kollaborativ erarbeiteten Richtlinien eine klare Fürsprache der Studierenden für den reflektierten Gebrauch der KI-Tools ergaben, waren die Reflexionen im Anhang der PS-Arbeiten aufschlussreich. Ein interessantes Ergebnis ist hier, dass Studierende oftmals bewusst keine KI-Tools verwendet haben, weil sie die wissenschaftliche Arbeit klar als ihre eigene verstanden wissen wollten. Stellvertretend für diese Position ein längerer Ausschnitt, der als Lernergebnis zeigt, dass das Ziel einer AI-Literacy und die damit verbundene Reflexion und Übernahme von Verantwortung erreicht wurde:
• „Obwohl ich KI dank dieses Proseminars nun besser verstehe und mich so mancher Einsatz im Laufe des Semesters auch positiv überrascht hat, muss ich dennoch gestehen, dass ich für wissenschaftliche Arbeiten aus Prinzip nicht darauf zurückgreifen möchte. Nicht nur, damit sich auch meine tatsächliche eigene Leistung zur Gänze im Text widerspiegelt, sondern auch, weil ich die Art und Weise, wie das Datenmaterial für solche Sprachmodelle zusammenkommt, nicht vertretbar finde.“
Eine umfassende systematische Evaluierung des Lehrprojekts fand vor der letzten Präsenzeinheit statt, diese Evaluierung war sowohl meinerseits (keine verpflichtende Evaluation durch Institut) als auch für die Studierenden freiwillig. Verwendet wurden die von der Qualitätssicherung der Universität Wien angebotenen Fragebögen. Die Auswertung dieser Evaluation sei hier in Rückbezug auf zentrale Ziele der LV kurz zusammengefasst. Sie lässt empirische Rückschlüsse in Hinblick auf die Akzeptanz des Lehrprojekts zu.
• Die Teilnehmenden bewerteten das Seminar überwiegend positiv, wobei insbesondere die innovative Thematik und die engagierte Lehre hervorgehoben wurden. Die Einführung neuer Technologien in den Deutschunterricht traf auf großes Interesse bei den Studierenden, was die Bedeutung und Aktualität des Seminars unterstreicht.
• Die Lehr- und Lernmethoden wurden als innovativ, originell und motivierend erlebt und die Möglichkeit zur aktiven Teilnahme wurde besonders geschätzt. Diese Aspekte trugen wesentlich zur Akzeptanz des Lehrprojekts bei. Studierende lobten die offene Diskussionskultur und meine Bereitschaft, auf Feedback einzugehen, was eine interaktive Lernumgebung schuf, die die individuellen Bedürfnisse und Interessen berücksichtigte.
• Wenig positiv wurde der Arbeitsaufwand bewertet, der jedoch zu Beginn der LV transparent gemacht wurde. Zu erklären ist dies u.a. durch die weitreichende Berufstätigkeit von Studierenden des Lehramts, die eben bereits vor Abschluss des Bachelors in Schulen arbeiten (2/3 der Befragten sind berufstätig, mehr als die Hälfte dieser Menge teilweise oder ganz im Schuldienst)
• Trotz der Herausforderungen des Arbeitsaufwands, betonten aber viele Teilnehmende den Mehrwert des Seminars für ihre persönliche und berufliche Entwicklung. So beschreiben einige Studierende, dass die praktische Anwendung von KI im Unterrichtskontext, verbunden mit theoretischen Grundlagen, eine gute Vorbereitung gewesen sei, digitale Innovationen kritisch zu reflektieren und in der zukünftigen pädagogischen Praxis zu nutzen.
Die positive Resonanz trotz der herausfordernden Arbeitsbelastung unterstreicht die Bereitschaft der Studierenden, sich auf neue, komplexe Themen aber auch Lehrmethoden einzulassen und dass KI-Tools das wissenschaftliche Arbeiten nicht ersetzen, sondern ergänzen können.
Nutzen und Mehrwert
Das Lehrprojekt zeigte vor allem,
• dass ein proaktiver Ansatz im Zusammenhang mit KI-Tools angesichts der Herausforderungen von De-Skilling und fehlender Motivation von Studierenden, Arbeiten selbst zu verfassen, zielführend ist. Insbesondere die Berücksichtigung sowohl der Bedürfnisse der Studierenden nach Autonomie, Kompetenzerleben und sozialer Eingebundenheit als auch nach partizipativer Mitgestaltung von Prozessen und Richtlinien ist ein klares Signal, universitäre Lehre stärker ko-konstruktiv und weniger transmissiv zu gestalten.
• dass die partizipierende Mitgestaltung der LV Studierenden Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglicht und dazu dient, das argumentative Positionieren einzuüben. Diese Kompetenz, sowohl den eigenen Technik-Gebrauch als auch die eigene argumentative Positionierung zu reflektieren und zu begründen, wird in einer Zeit, in der KI-Tools zwar viele Teilprozesse übernehmen können, immer wichtiger werden.
• dass die starke Einbindung der Studierenden in Prozesse der Aufbereitung, Darstellung, Reflexion und Kommunikation von Wissensbeständen – auch außeruniversitär – motivierend für die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema wirkt. Die Ergebnisse der Evaluation sowie der Lernergebnisse in Form von schriftlichen Reflexionen bestätigen dies klar.
• dass der angeleitete Gebrauch von KI-Tools und die intensive Reflexion, aber auch die Thematisierung guter wissenschaftlicher Praxis und die daraus folgende Partizipation der Studierenden bei der Erarbeitung von Richtlinien und Zitationsregeln für den Umgang mit KI einen umfassenden Perspektivenwechsel angestoßen hat und bei vielen das Lernziel einer AI-Literacy erreicht wurde.
Das Lehrprojekt hat vor allem in seinen Ergebnissen gezeigt, dass Studierende auch unter den Vorzeichen der KI motiviert werden können, diese Verantwortung zu übernehmen und sich auf den Prozess des wissenschaftlichen Arbeitens einzulassen.
Übertragbarkeit und Langlebigkeit
Das Projekt läuft seit 2023
Da es sich um ein thematisches Pro-SE handelte, ist eine Wiederholung grundsätzlich nicht vorgesehen bzw. von der weiteren Lehrplanung des Instituts abhängig.
Das Konzept der LV kann jedenfalls übertragen werden und v.a. die Beobachtung, dass ein hohes Maß an Autonomie und Partizipation bei Lernenden ein hohes Maß an Engagement und Involvierung bedingt, kann also als Prinzip der Gestaltung auch für andere Lehrveranstaltungen berücksichtigt werden.
Einzelne Elemente und methodische Konzepte sind in andere Lehrveranstaltungen integrierbar. Insbesondere der proaktive Gebrauch von KI-Tools, deren Verwendung beim wissenschaftlichen Arbeiten und vor allem die intensive Reflexion werden auch in zukünftigen LVs eine wichtige Rolle einnehmen.
In zukünftigen LVs ausgebaut werden soll vor allem die Vernetzung von Studierenden mit Lehrer:innen aus der Praxis. Dies hat sich als erfolgreich herausgestellt, auch dieses Konzept soll in Zukunft weiterentwickelt werden und kann zu sinnvollen Synergieeffekten bei der Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Praxis des Unterrichtens führen.
Zu guter Letzt hat sich gezeigt, dass eine offene Haltung gegenüber dem Einsatz von KI-Tools nicht zwangsweise dazu führt, dass Leistungen erschlichen werden, sondern dass Studierende durch eine experimentierende, offene Haltung und der eingehenden Reflexion der gemachten Erfahrungen AI-lLiteracy erwerben können, eine Kompetenz, die in Zukunft vermutlich immer wichtiger werden wird.
Institutionelle Unterstützung
Unterstützung vor allem durch Kolleg:innen im direkten Gespräch (Stefanie Schwandner, Jan Theurl), aber auch durch Weiterbildungen und die Möglichkeit, an der Universität Wien hochkarätige Forscher:innen zum Thema sprechen zu hören (siehe Ringvorlesung Machines that understand?). Insbesondere der Zertifikatskurs Teaching Competence Plus, angeboten vom CTL der Universität Wien, hat mich in vielen methodischen und didaktischen Entscheidungen bereichert und die dort vorgestellten Konzepte flossen in hohem Maße auch in die Erarbeitung und Durchführung dieses Lehrprojekts ein.
Vom hochschulinternen Qualitätsmanagement wurde durch die Evaluation und die dazugehörigen Fragebögen Gebrauch gemacht. Die Ergebnisse wurden ausführlich ausgewertet, übersichtlich dargestellt und dienten für mich in weiterer Folge als wichtige Orientierung für die eigene kritische Bewertung des Lehrprojekts und der Weiterentwicklung meiner Lehre.