Zuletzt aktualisiert am 07.02.2025
VIRTUAL PATIENT - Virtuelle Patient:innen in der medizinischen Lehre
Projektname des bereits eingereichten Projekts:
Ars Docendi Kategorie
Lehre und Digitale Transformation
Gruppengröße
< 20
Kurzzusammenfassung des Projekts
Unser Team hat für den Einsatz in der Lehre mehrere virtuelle Personen erstellt. Diese wurden mit modernsten digitalen Techniken, welche aus der Film- und Spieleindustrie bekannt sind (Motion Tracking, 3D-Animationen), erzeugt. Die Nachbildung realer Personen und Szenarien eröffnet gerade in der medizinischen Lehre eine Vielfalt an Einsatzmöglichkeiten. So kann den Studierenden die Interaktion zwischen Patient:innen und Ärzt:in nähergebracht werden.
Zu diesem Zweck wurde im Rahmen der Lehrveranstaltung „Block 27 – Innere Medizin“ die erste virtuelle Patientin erfolgreich in Fallpräsentationen eingesetzt. Sie präsentierte sich den Vortragenden mit bestimmten Erkrankungszeichen. Durch gezieltes Fragen, auf die die Patientin antwortete, wurde ein reales Anamnesegespräch - eines der wichtigsten Instrumente in der Medizin - simuliert.
Eine abschließende Umfrage zeigte eine hohe Akzeptanz des Projektes unter Studierenden und dass der Einsatz der neuen Technologie die Lehrveranstaltung bereicherte, sowie das generell der Einsatz von 3D Animationen zur Aufwertung der Lehre weiter ausgebaut werden sollte.
Realitätsnahe virtuelle Szenarien und Patient:innen können heutzutage mit vergleichsweise geringem Kostenaufwand erzeugt werden und bieten in der medizinischen Lehre einen hohen Mehrwert. Aufgrund dieser vielversprechenden Ergebnisse planen wir, die eingesetzten Techniken auch vermehrt in anderen Bereichen des medizinischen Curriculums einzusetzen.
Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache
Our team has created several virtual persons for use in teaching. These were created using the latest digital techniques known from the film and gaming industry (motion tracking, 3D animation). Virtual replicas of real persons and scenarios open up a variety of possible applications, particularly in medical education, where the reenactment of real interactions between patients and doctors is crucial.
For this purpose, the first virtual patient was successfully integrated in case presentations during the course "Block 27 - Internal Medicine". The patient presented herself to the lecturers with certain signs of illness. By asking specific questions to which the patient responded appropriately, a real anamnesis conversation - one of the most important instruments in medicine - was simulated.
A final survey showed a high level of acceptance of the project among students and that the use of the new technology enriched the class, as well as that the use of 3D animations in general should be further expanded to enhance teaching.
Realistic virtual scenarios and patients can nowadays be created at comparatively low cost and offer a high added value in medical teaching. Based on these promising results, we plan to use the techniques increasingly in other areas of the medical curriculum.
Nähere Beschreibung des Projekts
Die Erzeugung von virtuellen Welten und Charakteren nimmt in der Unterhaltungs-, Medien-, Flug- und Freizeitindustrie einen immer breiteren Raum ein. Neben Spielfilmen und Computerspielen kommt diese Technologie auch vermehrt in Dokumentarfilmen, sozialen Medien, Apps und Lehrprogrammen zum Einsatz. Auch wenn es in der medizinischen Lehre bereits erste Ansätze gibt, wird dieses Feld noch vernachlässigt. Dies liegt vor allem daran, dass besonders an nicht-technischen Hochschulen meist die Expertise fehlt und die Kosten für die Erzeugung derartiger Lehrmedien bisher zu hoch waren. In den letzten Jahren wurden in diesem Bereich jedoch große Fortschritte erzielt. Die entsprechende Software und Hardware sind inzwischen wesentlich einfacher bedienbar, vergleichsweise kostengünstig und dadurch zugänglicher geworden. Man kann sich die Expertise bereits autodidaktisch und ohne teure spezifische Ausbildung aneignen, da es im Internet viele frei verfügbare Ressourcen zum Erlernen gibt (YouTube, Communities, etc.).
Darüber hinaus haben Studierende durch ihren stetig steigenden Medienkonsum eine hohe Erwartungshaltung an die Qualität und das Format der digitalen Lehre.
Realitätsnahe Lehrinhalte wecken leichter Emotionen und sind dadurch einprägsamer (Tyng, C. M., Amin, H. U., Saad, M. N. M., & Malik, A. S., 2017. The influences of emotion on learning and memory. Frontiers in Psychology, 8, 1454. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2017.01454). Gerade in der Medizin bieten sich durch den Einsatz virtueller Charaktere, Umgebungen und Szenarien ungeahnte Möglichkeiten. Zum Beispiel kann einer unlimitierten Anzahl an Studierenden zeit- und ortsunabhängig praxis- und realitätsnahes Wissen vermittelt werden (Virtual Bedside Teaching).
Die Abteilung für Digitale Lehre des Teaching Centers der Medizinischen Universität Wien hat sich in der Zeit der COVID Pandemie entsprechende Fachkenntnisse angeeignet. In Kooperation mit der Klinik für Innere Medizin I wurde ein Projekt initiiert mit folgenden Zielen:
Ziele
- Die medizinische Lehre durch den Einsatz kostengünstiger, jedoch hochwertige 3D Charaktere und Szenarien realitätsnaher zu gestalten
- Virtuelle Patient:innen in das medizinische Curriculum zu integrieren
- Erfahrungen in den neuen technologischen Entwicklungen sammeln, Expertise an der Universität schaffen und diese weiterentwickeln.
Curriculare Anwendung
Die Lehrveranstaltung Block 27 - Innere Medizin findet jährlich im 7. Semester des Curriculums der Humanmedizin statt. Im Rahmen von Fallpräsentationen, die durch die Pandemie bedingt online per Webex für 647 Studierende abgehalten wurden, kam erstmals eine virtuelle Patientin auf Basis einer realen Person zu Lehrzwecken zum Einsatz. Diese Person wurde ihrem Krankheitsbild entsprechend realitätsnah dargestellt. Hierbei wurde besondere Aufmerksamkeit auf äußere Krankheitszeichen und krankheitsspezifische Bewegung und Gestik gelegt. Die Audioaufzeichnung eines simulierten Anamnesegesprächs wurde mittels Bewegungstracking (Motion Tracking) mit der virtuellen Person synchronisiert. Die Patientin antwortete auf Fragen in Form von kurzen Videoclips. Diese Videoclips wurden im Rahmen der Lehrveranstaltung interaktiv in Form eines Dialogs mit den Studierenden eingesetzt, um ein reales Gespräch zu simulieren. Den Studierenden ermöglichte diese Vorgangsweise, ein realitätsnahes Anamnesegespräch zu führen.
Der Fall
Die Patientin präsentiert sich mit Symptomen, welche die Diagnose eines Lungenkrebses nahelegen. In Wahrheit lag jedoch eine seltene Infektionskrankheit vor, welche durch Fledermäuse übertragen wird (Histoplasmose). Versteckte Informationen aus dem Anamnesegespräch, welche lediglich durch zielgerichtete Fragen aufgedeckt wurden, stellten einen wichtigen Beitrag zur Diagnosefindung dar. Es stellte sich heraus, dass die Patientin eine Fledermaushöhle in ihrem Urlaub besucht hatte und sich hier infizierte.
Die Studierenden sollen dadurch lernen, wie wichtig auch kleine Teilaspekte der Anamnese sind und dass diese in der Gesamtschau der Befunde zur Lösung des Falles beitragen.
Die virtuelle Patientin ermöglichte somit eine interaktive Lösung des Falles. Dieses Fallbeispiel zeigt nur eines von vielen möglichen Einsatzgebieten für virtuelle Patient:innen und Szenarien.
Umsetzung
Für die Realisierung des virtuellen Charakters wurden unterschiedlichste Hardware- und Softwareprodukte verwendet. Diese Anwendungen sind meist in kostenlosen Basisversionen verfügbar.
Unreal Engine:
Game Engine zur Erstellung von Spielen und Filmen
MetaHuman Creator:
Erweiterung zur Erstellung von virtuellen Menschen
https://metahuman.unrealengine.com/)
Modular Hospital Asset:
Krankenhausbezogene 3D Objekte
https://www.unrealengine.com/marketplace/en-US/product/modular-hospital
Live Link Face:
iOS App zur Erfassung Gesichtsanimation in Echtzeit
https://apps.apple.com/us/app/live-link-face/id1495370836
Move.ai:
Software zur Erfassung von Körperbewegung mithilfe von iPhones
DaVinci Resolve:
Videoschnittprogramm
https://www.blackmagicdesign.com/products/davinciresolve/
Mithilfe des MetaHuman Creators wurde eine Auswahl an Personen (MetaHumas) mit unterschiedlichem Aussehen (Hautton, Größe, Altersmerkmale, Physiognomie, etc.) in Absprache mit den Blockkoordinator:innen erstellt.
In Unreal Engine wurde mit Spital-Assets ein virtuelles Arztzimmer nachgestellt und der ausgewählte “MetaHuman” als Patientin eingefügt.
Für das Anamnesegespräch wurde ein Skript mit Fragen und Antworten in Anlehnung an das tatsächliche Anamnesegespräch erstellt. Das Skript wurde in Dialogform von einem Lehrenden in einem provisorisen Studio aufgezeichnet.
Mittels einer iPad-Kamera (Live Link Face) erfolgte parallel dazu die Erfassung und Umwandlung der Gesichtsmimik in Gesichtsanimationen (Beispiel siehe Website des Projekts). Reale Personen simulierten die Körperbewegungen, werlche mittels drei iPhones aufgezeichnet (Motion Tracking) und mithilfe von Move.ai in Animationen umgewandelt wurden. Die Gesichts- und Körperanimationen wurden in Unreal Engine auf den virtuellen Charakter übertragen und aufeinander abgestimmt.
Die einzelnen Antwortsequenzen wurden gerendert und in DaVinci Resolve mit den Tonaufnahmen synchronisiert und als separate Videoclips exportiert.
Die Videoclips wurden in die Fallpräsentation in Powerpoint eingebettet und schlussendlich im Rahmen der Lehrveranstaltung online per Webex präsentiert.
Nutzen und Mehrwert
Der Einsatz von virtullen Patient:innen hat einen potentiellen großen Nutzen in der medizinischen Lehre:
- Praxisnaher Unterricht für eine unbegrenzte Anzahl an Studierenden
- Orts- und zeitunabhängiger Zugang
- Vielseitige Einsatzmöglichkeiten (Prüfungen, Gamification, Lehrfilme)
- Darstellung von Personen, Orten und medizinischen Szenarien, welche anderweitig nicht realitätsnah dargestellt werden können
- Wiederverwendbarkeit bereits erstellter 3D Charaktere, Modelle, Umgebungen
- Potentieller Einsatz von virtuellen Charakteren bei Prüfungen
- Hoher didaktischer Mehrwert (Lernerleichterung durch Merkbarkeit und Emotionalisierung)
- Qualitätssteigerung in der Lehre
- Kostenersparnis gegenüber Simulationspatient:innen
- Hohe Flexibilität (Darstellung unterschiedlicher Krankheitszeichen, Szenarien, etc. )
- Keine datenschutzrechtlichen Probleme
- Hohes Weiterentwicklungspotential
- Positive Aussenwirkung
Institutionelle Unterstützung
Das Projekt wird seitens der Curriculumdirektion der Medizinischen Universität Wien sowohl inhaltlich, als auch finanziell unterstützt und gefördert.
Zudem wurde der Ausbau der hier eingesetzten Technologien als ein förderungswürdiges Projekt im Rahmen der Digitalisierungsoffensive an der Medizinischen Universität Wien nominiert.