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Zuletzt aktualisiert am 15.05.2025

Proseminar „Theaterwelten“ Leitung: Mag. Dr. Maria Piok Institut für Germanistik, Universität Innsbruck in Kooperation mit dem Forschungsinstitut Brenner-Archiv und dem Tiroler Landestheater

Bei dem Projekt handelt es sich um ein neues Projekt / eine wiederholte Einreichung

Ars Docendi Kategorie

Kooperative Lehr- und Arbeitsformen

Ars Docendi Kriterien

  • Innovative Hochschuldidaktik
  • Studierenden- und Kompetenzorientierung
  • Partizipation und Mitgestaltung

Gruppengröße

< 20

Anreißer (Teaser)

Literatur ist keine tote Materie: Besonders im Theater wird sie durch Gestaltungslust und Experiment zu einer lebendigen Instanz, die an- und aufregt, weil sie sich in gesellschaftliche Belange einbringt. Am besten erfahrbarwird das, wenn man selbst zur theatralen Literaturvermittler:in wird.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Studierende der Germanistik wurden dazu eingeladen, auf verschiedenen Ebenen in die Welt des Theaters einzutauchen: über eine theoretisch-literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Bühnenkonzepten und -texten, über einen buchstäblichen Blick hinter die Kulissen, in Gesprächen mit Theaterschaffenden, mit dem Besuch von Aufführungen und der gesamten Konzeption einer szenischen Lesung, die dann tatsächlich für ein breites Publikum veranstaltet wurde.

Ziel dabei war es, Literatur als dynamisches Medium erfahrbar zu machen, dass sich in seiner Publikumsorientiertheit in den gesellschaftlichen Diskurs einbringt. Aktives, autonomes Handeln, bei dem die Studierenden ihre individuellen Fähigkeiten einbringen konnten – etwa bei der Zusammenstellung der Texte und der selbstständigen Regieführung – wurde begleitet von offenen Diskussionen, in denen neben Publikumswirksamkeit und -relevanz vor allem die Repräsentation von kultureller Vielfalt und der Umgang mit sensiblen Themen reflektiert wurde. Die Inhalte der Gespräche waren dabei nicht festgelegt, sondern entstanden im Laufe der praktischen Theaterarbeit. Im interaktiven Lernraum wurde dabei das Potential von kollaborativem Arbeiten ohne Vorgaben und hierarchischen Strukturen erprobt, und das abschließende Feedback gab – der Anlage der Lehrveranstaltung entsprechend – nicht die LV-Leitung, sondern ein bunt gemischtes Publikums, das dank des Engagements der Studierenden in den Genuss einer gelungenen Aufführung kamen.

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

Students of German studies were invited to immerse themselves in the world of theatre on various levels: through a theoretical and literary examination of stage concepts and texts, through a literal look behind the scenes, in discussions with theatre professionals, by attending performances and the entire conception of a staged reading, which was then actually staged for a wide audience.

The aim was to make it possible to experience literature as a dynamic medium that, in its audience-orientation, contributes to social discourse. Active, autonomous action, in which the students were able to contribute their individual skills - for example in compiling the texts and directing independently - was accompanied by open discussions in which, in addition to audience impact and relevance, the representation of cultural diversity and the handling of sensitive topics were reflected upon. The content of the discussions was not fixed, but emerged in the course of the practical theatre work. In the interactive learning space, the potential of collaborative work without guidelines and hierarchical structures was tested, and the final feedback was not given by the course leader - in line with the structure of the course - but by a colourful audience who, thanks to the commitment of the students, were able to enjoy a successful performance.

Nähere Beschreibung des Projekts

Die Welt des Theaters – als wichtige Instanz der unterhaltenden Literaturvermittlung, als offener Raum für Spielfreude und Experiment, vor allem aber auch als Medium, das gesellschaftliche Prozesse reflektiert und sich in den öffentlichen Diskurs einbringt: Diese sollte für die Studierenden erfahrbar gemacht werden. Über die Verbindung von Theorie, Reflexion und Praxis konnten Vermittlungskompetenzen erworben und Fähigkeiten zur kritischen Analyse von Inszenierungen, kulturelles Verständnis, Sensibilität für intersektionelle Fragen und das Bewusstsein für die komplexen Wechselwirkungen zwischen Bühne und Publikum geschult werden.

Die Annäherung an das Phänomen Theater erfolgte dabei auf möglichst verschiedenen Ebenen – in einem ersten Schritt über die theoretische Auseinandersetzung mit Theaterkonzepten und deren historischer Entwicklung und der Lektüre und literaturwissenschaftlichen Analyse von Stücken. Das Hauptaugenmerk richtete sich hier bereits vor allem auf rezeptionsästhetische Aspekte, weshalb vor allem die Gattung Komödie in den Blick genommen wurde, die stärker als andere Formen auf unmittelbare Unterhaltungswirkung abzielt, diese aber gleichzeitig für soziale und politische Fragestellungen nutzbar macht. Ausführlich besprochen wurde – unter Einbeziehung der konkreten Lebensrealität der Studierenden – vor allem, inwiefern die jeweiligen Texte aktualisierbar sind: Die Gespräche adressierten dabei auch Themen wie interkulturelle Sensibilität und die Darstellung von inklusiver Vielfalt sowie Möglichkeiten, tagesaktuelle Probleme in eine Inszenierung mit aufzunehmen.

Dank einer Kooperation mit dem Tiroler Landestheater war es dann möglich, sich näher der Praxis zuzuwenden: Die Studierenden wurden zu einer Führung durch das gesamte Theaterhaus und zum Besuch zweier Aufführungen (Freiheit in Krähwinkel. Posse mit Gesang von Johann Nestroy. Regie: Moritz Franz Beichl; Als Wappenadler bin ich eine Schildkröte. Ein Otto-Grünmandl-Abend mit Musik von Franui. Regie: Alexander Kratzer) eingeladen. Zudem konnten sie einem Probevormittag für die Grünmandl-Aufführung beiwohnen und in Anschluss daran mit den Beteiligten in Kontakt treten. Zu Gesprächen in die Lehrveranstaltung eingeladen wurden die Dramaturgin Bettina Brunier und die Regisseurin Elisabeth Schack, wobei nicht nur Fragen der Studierenden beantwortet, sondern diese auch gezielt nach ihren Erwartungen an ein modernes Theater befragt, also als Dialogpartner:innen ernstgenommen und eingebunden wurden. Der aktiven Teilhabe war schließlich vor allem der letzte Teil der Lehrveranstaltung gewidmet, bei der die Studierenden eine szenische Lesung mit Grünmandl-Texten – von der Textauswahl bis hin zu Bewerbung und Regieführung – konzipierten: Das Tiroler Landestheater stellte hierfür zwei professionelle Schauspieler:innen des Ensembles zur Verfügung; die öffentliche Aufführung fand am 2. Februar 2024 im Literaturhaus am Inn statt.

Die Lehrveranstaltung war in mehrfacher Hinsicht an den Forschungs- und Arbeitsalltag der Lehrenden angebunden: Maria Piok, die sowohl wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut Brenner-Archiv ist sowie das dort angegliederte Literaturhaus am Inn leitet, konnte ihre Expertise sowohl im Bereich der Neueren Literaturwissenschaft als auch der Literaturvermittlung einbringen. In der interaktiven Lernumgebung galten die Studierenden aber gleichsam als Expert:innen – vor allem für die Publikumsperspektive: Sie übernahmen die Bespielung von verschiedenen Social Media-Kanälen, die sie selbst im Alltag nutzen, und berichteten von ihren Wünschen als junge Theatergänger:innen. Einmal mehr wurde hier darüber reflektiert, wie das Theater abseits seines klassischen Abonnentenpublikums neue Generationen und Schichten erreichen kann, um eine offene Einrichtung für alle und Teil des öffentlichen Diskurses zu bleiben.

Die Texte, aus denen die Studierenden eine Collage zusammenstellten, waren zum Großteil unveröffentlichte Bühnenmanuskripte aus dem Nachlass Otto Grünmandls, der im Forschungsinstitut Brenner-Archiv verwahrt wird. Die Studierenden arbeiteten also mit „echten“, auf die Theaterpraxis ausgerichteten Materialien: Sie enthalten Hinweise für die Bühnenrealisierung, die in Druckfassungen von Stücken in der Regel nicht vorkommen, handschriftliche Notizen, zum Teil auch fremder Hand, die von Anpassung an verschiedene Aufführungsorte und Settings zeugen, sind teilweise zerfleddert, nicht zuordenbar oder unvollständig erhalten. Die Materialität der Dokumente aus dem Nachlass kann den Blick auf Literatur verschieben: Es wird sichtbar, dass der Übergang vom literarischen Kunstwerk und Gebrauchstext fließend ist und dass insbesondere Bühnentexte Teil eines dynamischen Prozesses sind, bei dem sie immer wieder verändert werden können. Dieser Prozess wiederum wurde den Studierenden nicht in abstrakter Form beschrieben, sondern im direkten Umgang mit den Nachlassmaterialien erfahrbar gemacht.

Zum Erlebnis wird Literatur spätestens im Zuge der produktiven Rezeption: Die Aufgabe, die Texte für eine szenische Lesung aufzubereiten, erforderte von Anfang an eine andere Art der Lektüre, die nicht auf die (relativ alltagsferne) wissenschaftliche Analyse, sondern auf die Umsetzung auf der Bühne ausgerichtet war. In Reflexionsgesprächen bestätigten die Studierenden, dass sie die Texte genauer als sonst und mit neuen Blickwinkeln gelesen hatten: Der Fokus verschob sich hin auf Bühnenwirksamkeit, Techniken der Effekterzeugung und Fragen nach der Aktualität beziehungsweise Aktualisierbarkeit, die ansonsten meistens nur am Rande berührt werden. Das Publikum, das in der literaturwissenschaftlichen Lehre meist nur angesprochen wird, wurde nun zu einer zentralen Kategorie. Als produktive statt passive Rezipient:innen stellten die Studierenden außerdem Verbindungen zwischen ihrem Erfahrungshorizont und dem Text her, strichen Unzeitgemäßes und schafften durch ihre Textzusammenstellungen neue Spannungsbögen. Dieser relativ freie Umgang mit Textmaterial (der dankenswerterweise vom Rechteinhaber genehmigt wurde) führte wiederum zu einer Diskussion über die Bedeutung von Autor:innenintentionen und Möglichkeiten und Grenzen des Regietheaters. Nicht unwesentlich war dabei die unmittelbare Erfahrung, wie viele Codes und Kanäle bei einer Inszenierung von Belang und wie wichtig eine interdisziplinäre Herangehensweise ist. Im Literaturstudium, das sich hauptsächlich auf den (gedruckten) Text konzentriert, werden diese Aspekte normalerweise zwangsläufig vernachlässigt. Schon allein die Besichtigung der verschiedenen Räume im Theatergebäude – von der Maske bis hin zur Tischlerei – schärfte das Bewusstsein für die Bedeutung von Bühnenbild und Kostüm, Musik und Beleuchtung. Für die szenische Lesung besorgten die Studierenden selbst alle Requisiten, wobei spontan ein lustvoller Umgang mit dem Widerspruch zwischen Gesagtem und Gezeigten entstand. Auch hier erwuchsen aus der konkreten Praxis Überlegungen zur Zeitmäßigkeit der Darstellung, die eben nicht nur den Text, sondern alle Aspekte des Dramas betrifft (so wurde beispielsweise der Radetzky-Marsch, in Grünmandls Textvorlage als Auftrittsmusik vorgesehen, durch ein anderes Musikstück ersetzt, da die Studierenden Reminiszenzen an blutige Kriegshandlungen, an die der Radetzky-Marsch durch seinen Entstehungskontext geknüpft ist, vermeiden wollten).

Dass eine Inszenierung immer eine Interpretation mit bewusst getroffenen Entscheidungen ist, konnte so ganz konkret erlebt werden: Dies ermöglichte auch ein tieferes Verständnis für die Offenheit des literarischen Textes, der verschiedene Lesarten und Schwerpunktsetzungen zulässt. Dass die – im schulischen Alltag oft propagierte – Idee von der einen „richtigen“ Deutung eines literarischen Textes nicht haltbar ist, zeigte sich insbesondere bei der Arbeit mit den professionellen Schauspieler:innen: Diese probierten immer wieder verschiedene Arten des Vortrags aus, die nicht nur die Wirkung, sondern auch die Aussage auch ohne Eingriff in die Textvorlage veränderten. Als eigenständige Regisseur:innen erhielten die Studierenden dabei die Möglichkeit, ihre (durchaus divergierenden) Wünsche und Vorstellungen umsetzen zu lassen: Autonomie und Selbstbewusstsein der Lernenden sollte dadurch gestärkt werden; gleichzeitig wurde die Macht des Regieführenden in der eigenen Aufführung in Reflexionseinheiten kritisch hinterfragt. Als wesentlich erwies sich in diesem Kontext der Besuch einer Theaterprobe. Diese ging sehr dynamisch und auffallend partizipativ vonstatten – einerseits, weil sich die Schauspieler:innen aktiv in die Gestaltung der Szene einbrachten und ihre Einwände und Ideen vom Regieteam, das auch Unruhe und ungeordnete Diskussionen durchaus zuließ, sehr ernstgenommen wurde; andererseits, weil der Regisseur die Studierenden um ihre Einschätzungen bat. Daraus entwickelte sich in weiterer Folge im Unterricht und in den Gesprächen mit den eingeladenen Gästen eine Reflexion über Sinn und Unsinn von hierarchischen Strukturen und autoritären Führungsstilen am Theater – eine Diskussion, die an die Metoo-Debatte anknüpfte (und mit den Erfahrungsberichten der Theaterschaffenden jüngste Offenlegungen in der österreichischen Szene vorweggenommen hat). Dies veranlasste die Lehrveranstaltungsleiterin dazu, die Organisation der szenischen Lesung noch stärker als ursprünglich geplant den Studierenden zu überlassen: Ihnen wurden nur die zu erledigenden Aufgaben – von der Gestaltung von Werbematerial bis hin zur Textzusammenstellung und Einführungsmoderation – vermittelt; sie selbst teilten sich in Gruppen ein und bestimmte Rollen zu. Überraschend war das vielseitige Potential (sei es etwa in Hinblick auf graphische Fertigkeiten, schauspielerische Begabungen oder koordinatives Können), das die Studierenden individuell einbrachten: Unterschiedliche (Bildungs-)Biographien und Interessen konnten hier freiwillig für ein konkretes Ziel, nämlich dem Gelingen der Veranstaltung, fruchtbar gemacht werden. Überraschend aber vor allem auch der reibungslose Ablauf, den ein absolut kollegiales Verhalten aller Beteiligten gewährleistete. Die Vorstellung, dass Hierarchie und gezielte Steuerung der Leitung vonnöten sind, hat sich als obsolet erwiesen: In der anschließenden Reflexion bestätigten die Studierenden, dass sie die flache Struktur, Eigenverantwortung und die Möglichkeit, Aufgaben nach eigenen Vorlieben und Fähigkeiten auswählen zu können, motiviert hat.

Der Abschluss der Lehrveranstaltung – die Aufführung bei ungewöhnlich hohem Besucher:innenandrang im Literaturhaus am Inn – spiegelte in vielfältiger Weise Prozesse der anwendungsorientierten Lehrveranstaltung, was die Studierenden auch in ihrer einleitenden Reflexion dem Publikum mitteilten. Er ermöglichte auch eine für den akademischen Alltag ungewöhnliche Form des Feedbacks, nämlich Rückmeldungen einer breiteren Öffentlichkeit. Besonders erfreulich war, dass auch Theaterschaffende vom Tiroler Landestheater unter den Besucher:innen waren, die sich in Anschluss an die szenische Lesung sich noch auf intensive Gespräche mit den Studierenden einließen. Die positiven Reaktionen haben die Studierenden (die als Geisteswissenschaftler:innen wohl immer wieder Rechtfertigungszwängen ausgesetzt sind) hoffentlich in ihrem Bewusstsein gestärkt, dass sie sich als Expert:innen für Literatur nicht mit einer toten Materie beschäftigen, sondern mit einer Sparte der Kunst, die in ihrer Dynamik und Vielseitigkeit eine komplexe Welt reflektieren und dem Publikum etwas zu sagen vermag.

Institutionelle Unterstützung

Infrastruktur von Brennerarchiv (Archivmaterial) und Literaturhaus, Personal für Abendbetreuung (Literaturhaus)