Zuletzt aktualisiert am 07.02.2025
Mehrdimensionales Simulationstraining in der psychiatrischen Gesundheits- und Krankenpflege
Projektname des bereits eingereichten Projekts:
Ars Docendi Kategorie
Lernergebnisorientierte Lehr- und Prüfungskultur
Gruppengröße
< 20
Kurzzusammenfassung des Projekts
Mit den zunehmenden Herausforderungen des Gesundheitswesens, die auch durch die Coronapandemie in den Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit gerückt sind, und den damit einhergehenden Anforderungen an die Kompetenzen von Pflegepersonen, ist es nötig innovative Wege in der Ausbildung zu gehen.
Simulation als Lehr- und Lernmethode stellt Praxissituationen realitätsnah dar und ermöglicht das Training komplexer Situationen in sicherer und kontrollierter Umgebung.
In der psychiatrischen Pflegeausbildung wird Simulationstraining noch wenig angewandt, was die Entwicklung des vorliegenden didaktischen Konzeptes umso notwendiger macht.
Das Simulationstraining ist in die Pflegeausbildung in allen Semestern integriert. Das im Konzept dargestellte Set von inhaltlich aufeinander aufbauenden Szenarien bildet einen realistischen psychiatrischen Krankheits- und Betreuungsverlauf ab. Zentraler Patient ist Herr Mustermann, der in einer suizidalen Entwicklung von Studierenden des Bachelorstudiengangs Gesundheits- und Krankenpflege begleitet wird.
Das didaktische Konzept wurde durch ein anonymes online- Survey evaluiert und die Ergebnisse analysiert. Diese zeigen, dass vor Allem die sichere und strukturierte Lernumgebung für den Fachbereich der psychiatrischen Pflege besonders geeignet ist. Dadurch wird den Studierenden ein Setting geboten, das durch gegenseitig respektvollen Umgang gekennzeichnet ist, um so pflegerische und sozialkommunikative Interventionen weiterzuentwickeln.
Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache
The increasing complexities in health care, in cause of the pandemic focused by most of the society, and the resulting requirements in terms of competencies of health care workers, demand innovative approaches in educational planning.
Simulation as teaching and learning method presents a realistic approach to practical settings and enables training of complex situations in a safe and controlled environment.
For psychiatric nursing training, simulation is not often used. Therefore, the development of the present didactic concept is even more necessary.
Simulation training is implemented in all nursing semesters of undergraduate nurses’ education. The following description of a series of scenarios subsequently build on each other in terms of content. They showcase a possible psychiatric disease process and the resulting care planning and delivery. Mister Mustermann, the subject of the simulation scenarios, is cared for in his suicidal development by undergraduate nursing students.
This didactic concept training was evaluated and analysed through an anonymous online survey. The results show that the safe and structured learning environment is especially appropriate for teaching in psychiatric nursing care. The setting provides a respectful environment and enables the students to further develop nursing and social-communicative competencies.
Nähere Beschreibung des Projekts
Die psychiatrischen Pflegeinhalte werden am Studiengang Gesundheits- und Krankenpflege der FH JOANNEUM GmbH Graz, im 3. und im 4. Semester vermittelt. Die medizinischen Grundlagen werden begleitend dazu parallel gelehrt.
Hierbei wird auf bereits erlernte Kompetenzen (Kommunikation etc.) aus den vorangegangenen Semestern aufgebaut. Das vorliegende Konzept der Simulation wird nach der Vermittlung der theoretischen Inhalte umgesetzt und bieten die Möglichkeit für die Studierenden, neben den fachspezifischen Praktika, Gelerntes in einer sicheren Umgebung konkret anzuwenden und umzusetzen.
Das Modell der simulationsbasierten Lehre folgt einer Sequenz der Phasen
Briefing,
Actual Simulation und
Debriefing (Nyström, Dahlberg, Edelbring, Hult, & Abrandt Dahlgren, 2016).
Im „Briefing“ werden die Teilnehmer*innen in die technische Ausrüstung und inhaltlich in das durchzuführende Szenario bzw. die Fallvignette, eingeführt.
In der „Actual Simulation“ oder Performance wird das Szenario durchgeführt. Nicht aktiv Teilnehmende können mittels Livestreaming aktiv beobachten. Sie erhalten konkrete Beobachtungsaufträge: verbale Kommunikation, nonverbale Kommunikation, inhaltlich-fachliche Problemlösung
Die letzte Phase, das „Debriefing“, hat als Kernelement im Sinne des Erfahrungslernens einen besonderen Stellenwert und stellt eine kritisch reflektierende Auseinandersetzung dar.
Im Konzept des „mehrdimensionalen Simulationstrainings in der psychiatrischen Gesundheits- und Krankenpflege“ werden drei Szenarien in einem Set durchgeführt, wobei nach jedem Simulationsszenario ein von den Lehrenden geleitetes Debriefing stattfindet. Diese Szenarien sind so gestaltet, dass sie inhaltlich aufeinander aufbauen. So wird ein möglicher psychiatrischer Krankheits- und Betreuungsverlauf abgebildet (Abbildung 1 „Flow Chart“).
Szenario 1 "mobile Betreuung" - Depression erkennen und einschätzen - WHO 5
Szenario 2: "stationäre Versorgung" - Suizidalität einschätzen - BELLA, NGASR
Szenario 3: "Notfall" - CPR - ERC-Guidelines
(Abbildung 1 "Flow Chart – Szenarien Set")
Gestaltung der Szenarien, Ziele und Inhalte
Zentraler Patient für alle drei Szenarien ist Herr Mustermann, Softwareentwickler, verheiratet, mit zwei erwachsenen Kindern. Er leidet seit Jahren an wiederkehrenden depressiven Episoden im Zusammenhang mit stationären Aufenthalten an der psychiatrischen Klinik. Während solcher Phasen kam es zu zwei Suizidversuchen. Die langjährige Erkrankung hat die Paarbeziehung zu seiner Gattin belastet.
Seit dem letzten stationären Aufenthalt ist eine Betreuung durch die mobile sozialpsychiatrische Betreuung (MSB) gewährleistet. Durch den Wiedereinstieg in das Berufsleben wurde die Betreuungsintensität zuletzt reduziert.
Die Lebenssituation von Herrn Mustermann, sein Krankheitsbild und dessen Verlauf sind im Austausch mit psychiatrisch diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegepersonen entwickelt worden. Der Patient wird in den ersten beiden Szenarien auch von praxiserfahrenen psychiatrischen Fachpflegekräften dargestellt, die bereits Berührungspunkte mit simulationsgestützter Lehre haben.
Die Ausgangssituation:
Den Studierenden steht die vorbereitete Patientenakte zu Verfügung welche allgemeinen Patientendaten, Status, Krankheitsverlauf sowie die Ausgangposition im Szenario beinhalten.
Das erste Szenario ist in der mobilen sozial-psychiatrischen Versorgung angesiedelt. Der Patient wird derzeit einmal im Monat aktiv vom MSB nach Terminvereinbarung zu Hause aufgesucht. Die Studierenden sind in der Rolle der betreuenden Pflegeperson und haben einen Gesprächstermin vereinbart.
Der Patient imponiert antriebsreduziert, müde und klagt über die Belastungen im Beruf. Im Gespräch werden Symptome einer akuten Depression nur angedeutet, ohne klare Äußerungen, die auf ein Akutwerden der Erkrankung deuten können.
Ziel ist es, dass Studierende das Gefühl entwickeln hier nachzufragen und inhaltlich vertiefend in das Gespräch gehen, dass Gesprächsführung mit einer depressiven Person praktisch angewandt wird. Als valides Instrument zum Depressions-Screening soll die Anwendung des WHO-5 Well-being Index in diesem Szenario geübt werden (Topp, Østergaard, Søndergaard, & Bech, 2015).
Das vorliegende didaktische Konzept, mit Beginn des Szenarien-Sets in diesem Versorgungssetting ermöglicht nicht nur eine (akut) stationäre Betreuung zu (er)leben, es wird so auch den wachsenden Anforderungen an die extramurale, poststationäre Versorgung gerecht.
In weiterer Folge…
…wird das nächste Szenario im stationären Kontext angesiedelt, da sich Herr Mustermann mit dem/der Bezugsbetreuer*in (in Szenario 1) einigte, in stationäre Betreuung zu gehen. Die Ergebnisse des WHO-5-Wellbeing-Index aus dem ersten Szenario deuten auf eine erneute Manifestation der rezidivierenden depressiven Störung hin. Ein erstes Screening in der Aufnahme hat Herrn Mustermann als Risikopatient für Suizidalität identifiziert.
Ziel in Szenario 2 ist eine vertiefende und ausführliche Einschätzung des Suizidrisikos durch die Studierenden als Bezugspflegeperson mittels NGASR, Nurses´ Global Assessment of Suicide Risk (Kozel, Hegedüs, Dassen & Abderhalden, 2012).
Das vorliegende didaktische Konzept erlaubt dadurch einen realistischen Verlauf einer hochrelevanten Krankheit zu erleben.
Die weitere Entwicklung zum medizinischen Notfall…
Die Ausgangssituation im dritten Szenario schließt abermals inhaltlich an. Die Ergebnisse des Suizid-Assessments ergaben ein hohes Suizidrisiko, dies wurde im Team besprochen und es wurde Aufgrund dessen eine 1:1 Betreuung entschieden. Die Studierenden sollen Herr Mustermann observieren und zu einer Beschäftigung motivieren. Bei Betreten des Zimmers wird der Patient, in diesem Fall dargestellt von einem reanimierbaren Simulationsmannequin, nach erfolgtem Suizidversuch vorgefunden.
Wiederbelebungsmaßnahmen sind nach internationalen Leitlinien einzuleiten (ERC, 2015).
Das vorliegende didaktische Konzept berücksichtigt hier insbesondere die Aufarbeitung einer möglichen persönlichen Betroffenheit, mit der Fachpflegekräfte in der Berufspraxis konfrontiert sind.
Hervorzuheben ist der Einsatz eines Simulationspatienten für die Rolle des Herrn Mustermann. In der Rolle werden ausgebildete und erfahrene Fachpflegekräfte engagiert, wodurch es möglich wird, die Situation, die Gefühle und das individuelle Erleben der Situation des Herrn Mustermann möglichst realitätsnah darzustellen.
Die Fachexpertise kommt nicht nur in der Darstellung des Krankheitsbildes und -verlaufes zu tragen, sondern auch in der anschließenden Reflexion. Damit werden ein optimaler Theorie-Praxis und Praxis-Theorie Transfer sichergestellt.
Nutzen und Mehrwert
Simulationstraining bietet eine gute Möglichkeit, psychiatrische Pflegeinhalte und Interventionen im Undergraduate-Setting, in einer strukturierten und sicheren Lernumgebung zu (er)leben und zu festigen. Die sichere Lernumgebung, gekennzeichnet durch gegenseitigen respektvollen Umgang, ermöglicht es den Studierenden relevante pflegerische und psychiatrische Interventionen und Notfallinterventionen weiterzuentwickeln.
Besonders hervorzuheben ist die Möglichkeit, praxisrelevante Kommunikations- und Assessmentkompetenzen im Umgang mit psychiatrischen Patient*innen in unterschiedlichen Settings der Gesundheitsversorgung zu trainieren und zu festigen. Darüber hinaus ergibt sich die Möglichkeit in der Ausbildung vermittelte essenzielle Notfallkompetenzen wie die Anwendung von effektiver Herzdruckmassage und Beatmung in einem psychiatrischen Versorgungskontext anzuwenden und die Teamkompetenzen zu fördern.
Die aktive Auseinandersetzung mit psychiatrischen Lerninhalten zwischen Lehrenden und Studierenden ermöglicht im Rahmen der Simulation soziale und interaktive Lernprozesse. Gewonnene Rückschlüsse über die Qualität der abgehaltenen Simulation aufgrund der Evaluation der Studierenden konnten verwendet werden, um die Simulation weiterzuentwickeln.