Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
Innrain 52, 6020 Innsbruck
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VU Angewandte Ethik: Entscheidungen im Spannungsfeld von Mensch – Tier – Maschine

Würdigung der Jury

Mit der Lehrveranstaltung „Angewandte Ethik: Entscheidungen im Spannungsfeld von Mensch – Tier – Maschine“ wird ein Lehrkonzept prämiert, das sich nicht nur einem Thema annimmt, dessen Aktualität und Brisanz für eine letztlich interdisziplinäre Forschung außer Frage stehen. Beeindruckt hat die Jury allerdings vor allem, in welch reflektierter und ausbalancierter Manier Claudia Paganini die Auseinandersetzung mit dieser Thematik für Studierende der Katholischen Fachtheologie, der Philosophie und der Katholischen Religionspädagogik ausgestaltet hat. Auf imponierende Weise wurden die Studierenden zunächst mit der kurrenten Forschung vertraut gemacht: Bereits diese Lektürephase wurde durch eine partizipatorische Perspektive geprägt, indem es den Studierenden durch umsichtige Vorabsprachen möglich gemacht wurde, die Autorinnen und Autoren der von ihnen rezipierten Schriften mit Nachfragen unmittelbar zu adressieren und dergestalt die Tore zur Scientific Community zu öffnen.
Dieser enkulturierende Ansatz setzte sich fort, indem die Studierenden als zukünftige Akteurinnen und Akteure einer Profession und als Forscherinnen und Forscher angesprochen wurden. In Kooperation mit dem Zentrum für Kanadastudien und der University of British Columbia fand am 04.12.2018 ein Austro Canadian Roboethics Workshop statt, der von den Studierenden mitvorbereitet, aktiv begleitet und kritisch in Essays ausgewertet wurde. Diese Einsichtnahme in wissenschaftliche Kommunikation ergänzten rollenspielartige und interaktionsträchtige Übungen, in denen die Studierenden, vorbereitet in Kleingruppen, die professionellen Perspektiven von Mitgliedern in Ethikkommissionen simulierten und in einem realistischen Setting Konflikte symbolisch auszuhandeln lernten. Im Fokus eines Übergangs zur professionellen Praxis stand ebenfalls ein Teilprojekt, das die Studierenden auf der Basis fiktiver Szenarios praktisch in die Arbeit von Gutachterinnen und Gutachtern einführte, wobei sie kennzeichnende Herausforderungen dieses Textgenres in selbstverantworteten Schreibprozessen kennenlernen konnten. Die konsequente Forschungsorientierung der Veranstaltung zeigte sich in der evaluativen Schlussphase, indem seitens der Studierenden registrierte Forschungsdesiderata festgehalten und in ihren Wissenskontexten skizziert wurden. Schließlich wurden die erzielten Kompetenzzuwächse der Teilnehmenden in einem Test ausgewertet, der auch auf die zunehmend kritisch zu kommentierende Lektüre maschinenethischer Fachartikel ausgerichtet war.
Claudia Paganini gibt mit ihrem Projekt ein ausgezeichnetes Beispiel, wie Studierenden von der wissenschaftlichen und professionellen Expertise ihrer Lehrenden aktiv handelnd profitieren können. Beeindruckend ist auch der praktische Nachweis, wie eine Orientierung auf Forschung und mithin auf die Identifikation problematischen Wissens mit simulativen Erprobungen professioneller Praktiken berufspropädeutisch einhergehen kann.

Auszug aus dem Gutachten von Univ.-Prof. Dr. Michael Kämper-van den Boogaart
Humboldt-Universität zu Berlin

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

Am Institut für Christliche Philosophie werden Studierende der philosophischen und theologischen Studienrichtungen auf einem hohen Niveau im Fachbereich Ethik ausgebildet, wobei neben aktuellen Problemen der angewandten Ethik (Bioethik, Medienethik, Maschinenethik, Tier- und Umweltethik etc.) hauptsächlich normative Grundlagenfragen behandelt und metaethische Voraussetzungen geklärt werden. Die Studierenden werden also zu Fachleuten ausgebildet. Was Ihnen bis jetzt jedoch gefehlt hat, war sowohl die Vorstellung von den Tätigkeiten als auch eine Praxis hinsichtlich der Tätigkeiten, die sie als Moralphilosophinnen und - philosophen oder Theologinnen und Theologen im künftigen Berufsalltag erwarten werden. Diese Lücke soll(te) durch das hier beschriebene Projekt geschlossen werden.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Im Rahmen des Projektes wird 1) ethisches Fachwissen vermittelt (50 %) und 2) ein besonderer Schwerpunkt auf die (spätere) berufliche Praxis gelegt (50 %). In beiden Fällen ist eine starke Forschungsbezogenheit gegeben.

 

1)Bei der Vermittlung von Kenntnissen in den Bereichen Tier- und Maschinenethik werden mit Ausnahme von kurzen Einführungseinheiten ausschließlich aktuelle Beiträge von Fachkollegen gelesen, erarbeitet und diskutiert.

 

2)Was die berufliche Praxis betrifft, sollen die Studierenden insbesondere mit drei Bereichen einer möglichen zukünftigen Tätigkeit vertraut gemacht werden und zwar mit der Tagungstätigkeit der Forscherin/des Forschers, der Mitarbeit in Ethikkommissionen und der Arbeit als Gutachterin/Gutachter. Die Einübung in die wissenschaftliche Teilnahme an Fachtagungen wurde über die gemeinsame Vorbereitung, Begleitung und Nachbereitung einer von der ehrveranstaltungsleiterin durchgeführten Tagung zur Roboterethik bewerkstelligt. Die Arbeit in Ethikkommissionen wurde interaktiv durch die Diskussion von fiktiven Problemstellungen nachempfunden. Als Mitglieder einer Ethikkommission übernahmen die Studierenden bestimmte Rollen (Vertreter der Industrie, der Vereins der besorgten Bürger usw.) und mussten aus ihren Rollen heraus die damit verbundenen Positionen argumentieren bzw. gemeinsam mit den anderen Kommissionsmitgliedern eine Entscheidung treffen. Zuletzt wurden über das Semester verteilt Ethik-Gutachten zu ebenfalls fiktiven Problemstellungen verfasst.

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

In this project, 1) ethical knowledge is taught (50%) and 2) special emphasis is laid on (later) professional practice (50%). In both cases there is a strong research orientation.

1) There are given short introductory units in the fields of animal and machine ethics. But mostly the students read, analyse and discuss current research contributions. 2) As far as professional practice is concerned, students should in particular be familiarized with three areas of possible future activity, namely the conference activity of the researcher, participation in ethics committees and work as reviewer.

Nähere Beschreibung des Projekts

Die Forschungsbezogenheit des oben skizzierten Projektes bezieht sich sowohl auf den klassischen, als auch auf den innovativen und praxisnahen Unterrichtsteil. In denjenigen 50 Prozent der Unterrichtseinheiten, die der konventionellen Vermittlung von Inhalten gewidmet waren, wurden gemeinsam mit den Studierenden aktuelle Forschungsbeiträge gelesen und erarbeitet. Dabei hatten die Studierenden nicht nur die Möglichkeit, Rückfragen unmittelbar an die Dozentin zu stellen bzw. gemeinsam zu diskutieren, sondern auch die Gelegenheit, mit den Autorinnen und Autoren selbst in Kontakt zu treten. Dies war deshalb möglich, weil seitens der LV-Leitung im Vorfeld sichergestellt worden war, dass die betreffenden Fachkolleginnen und -kollegen bereit sein würden, die wissenschaftlichen Anfragen der Studierenden zu beantworten. Auf diese Weise wurden die Studierenden angeleitet, die Fachliteratur zu aktuellen Forschungsfragen kritisch zu rezipieren, und sie wurden zugleich motiviert, den wissenschaftlichen Austausch mit denjenigen Personen zu suchen, die hinter den Autorinnen- und Autorennamen stehen. Dadurch erhielten sie einen lebendigen Eindruck von Forschung und bauten nach und nach ihre Hemmschwellen ab, sich aktiv am Forschungsdiskurs zu beteiligen.

 

In den verbleibenden 50 Prozent der Unterrichtseinheiten wurden verschiedene Maßnahmen getroffen, um die Studierenden auf eine mögliche spätere Forschungstätigkeit bzw. Berufspraxis als Ethikexpertinnen und -experten vorzubereiten. Was die Forschungsbezogenheit betrifft, so wurde die von der Dozentin und einem Fachkollegen (Dr. phil. habil. Georg Gasser) organisierte Tagung „Austro-Canadian Roboethics Workshop“ (https://www.uibk.ac.at/canada/events-zentrum/2018/austro-canadian-roboethics-workshop.html.de) gemeinsam inhaltlich vorbereitet. Die Studierenden bekamen dabei die Gelegenheit, sich in die im Rahmen der Tagung präsentierten Themen einzulesen, und nahmen an der Tagung teil. Ob sich die einzelnen aktiv durch Wortmeldung beteiligen wollten, blieb ihnen dabei selbst überlassen, de facto wurde diese Chance von den Studierenden aber gerne wahrgenommen. Im Anschluss an die Tagung fand eine gemeinsame Evaluierung und Nachbesprechung im Unterricht statt. Auch verfassten die Studierenden kurze Essays, um ihre Eindrücke festzuhalten und noch einmal zu reflektieren.

 

Ein weiterer Schwerpunkt des Projektes bestand in der Vorbereitung der Studierenden auf eine spätere Tätigkeit in Ethikkommissionen und als Gutachter/in. Dazu fanden kurze Einführungen statt, wobei die Dozentin auf ihre jahrelange Erfahrung in beiden Bereichen zurückgreifen konnte. Weiters wurden fiktive Problemstellungen entworfen und anschließend kreativ bearbeitet. Während es im Zusammenhang mit der GutachterInnentätigkeit primär um die Klärung von Kontext, Auftraggebern, Sachlage etc. ging und die Erstellung der Gutachten in Zweiergruppen bzw. allein außerhalb des Unterrichtes erfolgte, wurde die Situation der Ethikkommission in den Unterricht hineingenommen und gemeinsam nachgespielt. Den Studierenden wurden dabei klare Rollen zugewiesen, d.h. sie waren VertreterInnen bestimmter Interessensgruppen und mussten in deren Sinn argumentieren. Eine Interessensgruppe wurde üblicherweise mit drei bis vier Personen besetzt, sodass sich diese – noch bevor die „eigentliche“ Kommissionssitzung stattfand – über ihre Argumentation absprechen bzw. gemeinsame Strategien entwickeln mussten. In den Kommissionssitzungen selbst vertrat dann jeweils ein Sprecher/eine Sprecherin die jeweilige Interessensgruppe. Wie in der Praxis auch, waren die Sitzungen ergebnisorientiert, d.h. sie zielten auf eine abschließende Abstimmung bzw. Entscheidung sowie eine begründende Stellungnahme ab.

 

Um auch hier einen Forschungsbezug herzustellen, wurde in der abschließenden Evaluation u.a. erörtert, welche neuen Forschungsfragen sich aus den Diskussionen ergeben könnten, wo – nach Meinung der Studierenden – genügend Informationen zur Verfügung standen, um gut begründete und verantwortliche Entscheidungen zu treffen, und in welchen Bereichen, Rückfragen an die moralphilosophische Forschung gestellt werden müssten.

Positionierung des Lehrangebots

Diplomstudium Katholische Fachtheologie (2. Studienabschnitt)

Bachelorstudium Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät (Pflichtmodul Philosophische Ethik)

Masterstudium Katholische Religionspädagogik (Pflichtmodul Ethik und Gesellschaftslehre)

Interdisziplinäre und außerfachliche Kompetenzen für Bachelorstudien

Links zu der/den Projektmitarbeiter/innen
Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2019 nominiert.
Ars Docendi
Gewinner 2019
Kategorie: Forschungsbezogene bzw. kunstgeleitete Lehre
Ansprechperson
Claudia Paganini, Univ. Ass. Dr. phil. Habil.
Institut für Christliche Philosophie
0512 507 8521
Nominierte Person(en)
Claudia Paganini, Univ. Ass. Dr. phil. Habil.
Institut für Christliche Philosophie
Themenfelder
  • Erfahrungslernen
  • Karriererelevanz für das wissenschaftliche Personal
Fachbereiche
  • Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften