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Statistik als Impfstoff gegen Fake News
Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung
Statistik ist teils stark negativ konnotiert. Erklärtes Ziel der Lehrveranstaltung ist für Statistik zu begeistern und als Werkzeug der Analysekompetenz und Information Literacy zu verstehen. Die Bedeutung von Statistik für das das eigene Leben soll greifbar werden. Das leitende Motiv ist das Aufbrechen binärer, einseitiger Denkweisen: Statistik soll zum kritischen Denken anregen. Anhand statistischer Problemstellungen sollen auch die Herausforderungen aufgezeigt werden, auf die aktuelle Forschung sowie die Kommunikation der Forschungsergebnisse stößt.
Kurzzusammenfassung des Projekts
Kritische Analysefähigkeit ist im Zeitalter der Informationsflut unverzichtbar. Statistik spielt dabei eine wesentliche Rolle. In der Lehrveranstaltung "Ausgewählte Kapitel der Informationstechnologien 2" lernen Studierende moderne statistische Methoden kennen. Statistik wird nicht nur als Mathematik sondern auch als Impfstoff gegen Fake News präsentiert: Sie wird in einen sozialen und gesellschaftspolitischen Kontext eingebettet und es wird gezeigt, wie sich ein Forschungsnarrativ auf die Modellerstellung und -interpretation auswirkt.
Das didaktische Konzept unterliegt einer innovativen Kombination aus Kriterien: Widersprüche werden herbeigeführt, Alltagswissen wird widerlegt und Themen nach Aktualität und Praxisrelevanz ausgewählt. Auf mathematische Herleitungen wird verzichtet: Statistik wird als Werkzeug verwendet und dessen Grenzen aufgezeigt. Auch wird der gesamte Lebenszyklus von Forschungsprojekten von der Hypothese bis zum Soundbite in sozialen Medien hinterfragt.
Die verwendeten Medien sind durchgehend interaktiv und laden zum selbständigen Experimentieren ein. Sie lassen Raum für Diskussionen und erlauben es, in Präsenzphasen situativ auf Fragen und Probleme einzugehen.
Die Prüfungsvorbereitung und abschließende Prüfung decken neben dem statistischen Kern auch den Forschungsprozess ab und unterstützen damit den Erwerb von Analysekompetenz. Persönliches Feedback wird gezielt eingesetzt, um Studierende zu motivieren und Lernherausforderungen zu meistern.
Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache
Analytic competence and information literacy is essential in the age of information overload. Statistics plays a big, often overlooked role. In this course students learn about modern statistical methods. They are presented as antidote to fake news: statistics is put into a sociopolitical context. Further, we show how the research narrative impacts choice of methods and interpretation of results.
The didactic concept observers an innovative mix of criteria: contradictions are actively sought, common knowledge is refuted, and topics are chosen by their timeliness and relevance for students and work life. Mathematical deep dives are entirely omitted: statistics is understood as means to an end with known limitations and surrounding conditions. We focus on the complete life cycle of research projects from hypotheses to soundbites in social media, and discuss implications of research communication.
Handouts, exercises, and other documentation uses interactive media so as to entice self-directed exploration and learning. Also, they leave room for spontaneous discussions, immediate feedback, and ad-hoc exercises.
The final exam focuses on the statistical core. In addition, it is given a social context in form of a research narrative and questions about contextual interpretation are posed as well. This way, analytic competence is evaluated too. Extensive, personalized feedback is given to students, in order to help master any challenges they encounter and to further motivate them.
Nähere Beschreibung des Projekts
Statistik hilft, Zusammenhänge in Daten zu erkennen, zu beschreiben und zu beurteilen. Im wissenschaftlichen Kontext und in der Forschung dient es dazu, Modelle für quantitative Daten zu erstellen und daraus induktiv Erkenntnisse zu gewinnen. Die Replikationskrise -- unter anderem der Sozialwissenschaften -- beruht zu einem Gutteil auf falsch angewandter Statistik und dem Fetisch statistischer Signifikanz.
Im Rahmen der Lehrveranstaltung "Ausgewählte Kapitel der Informationstechnologien 2" (AKIT2) werden aktuelle Forschungsergebnisse anhand moderner statistischer Methoden beleuchtet und kritisch hinterfragt. Erklärtes Ziel ist eine Kompetenzsteigerung in kritischer Analysefähigkeit, Forschungsmethoden, Information Literacy sowie eben in statistischen Methoden. Das informierte, kritische Denken soll dabei nicht nur auf andere Lehrveranstaltungen oder die eigene Abschlussarbeit transferiert werden, sondern auch auf das berufliche, gesellschaftliche und private Umfeld der Studierenden.
Einstieg in die Lehrveranstaltung
Statistik bzw. Mathematik im Allgemeinen sind bei Studierenden teils negativ konnotiert und ein sinnvoller Transfer auf die eigene Lebenssituation scheint zunächst unglaubwürdig. Hier setzt das Konzept zu Beginn an: Anhand persönlicher Erlebnisse der Studierenden wird ein einfaches statistisches Modell erstellt. Dabei wird auf die mathematische Herleitung verzichtet. Stattdessen werden die Ergebnisse des Modells und deren Implikationen im Kontext der eigenen Erfahrung diskutiert. Als Fallbeispiele dienen stark emotional besetzte Themen, wie beispielsweise die Dauer der Parkplatzsuche vor der Hochschule oder die Gruppenteilung und deren Auswirkung auf die Benotung in einer vorangegangen Lehrveranstaltung.
Die ersten Modelle sind so stark simplifiziert, dass einerseits die Ergebnisse unmittelbar interpretierbar sind und andererseits zu Widerspruch reizen. Diese kritischen Einwände von Studierenden werden unmittelbar aufgegriffen, diskutiert und in einen größeren Kontext gestellt. Diesen ersten Diskussionen wird viel Raum gegeben, da sie bereits einen Großteil der Fragen nach Wissenschaftlichkeit, Erkenntnisgewinn, Interpretationsspielraum und Grenzen der Modelle behandeln.
Kriterien des didaktischen Konzepts
In den folgenden Lehreinheiten werden stückweise weitere mathematische und statistische Bausteine eingeführt und die Modelle zunehmend komplexer. Das didaktische Konzept unterliegt dabei folgenden Kriterien:
* Praktische Relevanz: Die statistischen Methoden werden nach ihrer praktischen Relevanz für das Studium, insbesondere der Abschlussarbeit, sowie für ihre Anwendbarkeit im Beruf ausgewählt. Dieser Transfer ist ein wesentliches Ziel des Konzeptes.
* Vollständiger Lebenszyklus von Studien: Bei den verwendeten Beispielstudien wird der gesamte Zyklus von der Hypothese über die Durchführung des Experiments und der statischen Analyse bis hin zur Publikation vorgestellt und kritisch beleuchtet. Statistische Modelle stehen damit nicht isoliert als Naturereignisse da, sondern werden in einen sozialen, wissenschaftlichen Kontext eingebettet. Dadurch regt auch die Entstehungsgeschichte der Modelle bzw. ihre Position im Narrativ der Studie zu kritischem Denken an. Auch die nachfolgende Verwertung (Presse, Fernsehen, soziale Medien, wissenschaftliche Karriere) wird beleuchtet. Es wird so offengelegt, welche Anreize und Mechanismen dazu führen, dass letztlich kaum eine Behauptung, die mit einer wissenschaftlichen Studie begründet wird, einer genaueren Prüfung standhält.
* Visualisierung: Der Darstellung von Information und Ergebnissen kommt in der Praxis eine große Bedeutung zu: Art und Ausführung von Diagrammen entscheiden darüber, wie Fakten wahrgenommen werden. In der Lehrveranstaltung werden Ergebnis-Diagramme einerseits zur Lernunterstützung verwendet (um Modelle greifbarer zu machen); andererseits werden Diagramme aus Studien kritisch beleuchtet, ob sie vorwiegend dem Narrativ der Publikation dienen oder die Fakten möglichst unverfälscht wiedergeben.
* Sich widersprechende Studien bzw. Modelle: gezielt werden die Forschungs- und Analysekompotenz ausgebaut, in dem statistische Modelle vorgestellt werden, deren Ergebnisse sich widersprechen. Widersprüche dieser Art reizen zu Fragen der Validität, des Kontextes, der allgemeinen Aussagekraft und der Methodenwahl. In Folge wird binäres Denken (wahr/falsch) zunehmend aufgebrochen und weicht einer überlegten Einschätzung der Rahmenbedingungen und Grenzen. Widersprüche sind somit ein wesentlicher Baustein, der zu den übergeordneten Zielen des Kompetenzaufbaus beiträgt, in dem einseitige Darstellungen (wie häufig in populären Medien anzutreffen) vermieden werden.
* Keine mathematischen Herleitungen, sondern praktische Anwendung: Statistische Methoden werden als Werkzeuge betrachtet, deren Einsatzgebiete und Grenzen man kennen muss, nicht aber deren genaues Innenleben. Das Vorgehen entspricht damit der gelebten Realtität vieler universitärer und betrieblicher Forschungseinrichtungen.
* Überraschungselemente: Zur Steigerung von Motiviation und Interesse werden Themen und Modelle bevorzugt, deren Ergebnisse überraschend sind, die dem Alltagswissen widersprechen oder auf den ersten Blick wie ein Paradoxon wirken. Ein Beispiel ist der Placebo-Effekt, der schon statistisch durch das Forschungsdesign entstehen kann, völlig unabhängig vom psychologischen Effekt.
* Auf Augenhöhe: Der Vortragende zeigt auch eigene Studien, welche -- aus heutiger Sicht -- nicht allen Anforderungen genügen. Das öffentliche Eingestehen der eigenen Fehler zeigt, wie schwierig es trotz guter Absichten sein kann, einwandfreie Schlüsse im Rahmen einer Publikation zu ziehen. Damit begegnet der Vortragende Studierenden auf Augenhöhe, indem er sich selbst als Suchender passender Methoden und Modelle zeigt und auch eigene Unsicherheiten preisgibt.
* Emotionaler Bezug: Je stärker der Bezug zur Lebenswirklichkeit Studierender, um so mehr Interesse gibt es am Thema und den Ergebnissen. Selbst Erlebtem oder im persönlichen Umfeld Relevantem wird der Vorzug vor allgemeinen Themen gegeben; in der Lehrveranstaltung werden abstrakte mathematische Beispiele vollständig vermieden.
* Aktualität: wo möglich werden aktuelle Themen aufgegriffen, vom Dieselverbot bis zur Paleo-Diät. Als Basis dienen publizierte, statistische Studien, deren Datensätze verfügbar sind. Die Aktualität und die gesellschaftspolitische Relevanz der Themen verdeutlichen, dass statistische Forschungsergebnisse einen direkten Einfluss auf das eigene Leben haben.
Medien und Methoden
Das Ziel der Mitwirkung und aktiven Teilnahme der Studierenden bestimmt die Medien- und Methodenwahl. Nur wenn genügend Freiraum für Diskussionen, Fragen, Experimente und Irrwege vorhanden ist, kann eigenverantwortlich gelernt und Forschungskompetenz sowie Information Literacy ausgebaut werden.
Als elektronische Medien werden im Präsenzunterricht vor allem die -- am eigenen Computer berechneten -- Modelle und deren Ergebnisse und Diagramme verwendet. Vorbereitete Foliensätze gibt es keine. Damit bleibt für den Vortragenden viel Raum, um auf Details, Kontext und Methode am Whiteboard und Flipchart situativ einzugehen und unmittelbar auf Studierendenfragen und -feedback zu reagieren. Zudem sind diese "Medien" (Modelle, Ergebnisse, Diagramme) im unmittelbaren Wirkungs- und Einflussbereich der Studierenden und können -- bereits in der Lehrveranstaltung selbst -- eigenständig manipuliert, neu berechnet und interpretiert werden. Studierende erleben sich so als GestalterInnen, nicht als passive RezipientInnen.
Die Online-Phasen bzw. das Selbststudium werden durch folgenden Medien und Methoden unterstützt:
* Selbst berechenbare Unterlagen: Die Unterlagen, welche nochmals die Inhalte der Lehrveranstaltung in schriftlicher Form zusammenfassen, sind "Notebooks". Das heißt, dass die Modelle, Berechnungen und Diagramme nicht nur gelesen, sondern auch selbst editiert, neu berechnet und verändert werden können. Zudem ist der Quellcode der Berechnung offen zugänglich. Diese interaktiven Unterlagen fördern den spielerisch explorativen Umgang der Wissensaneignung, da kein Medienbruch entsteht.
* Übungen: Zur Verfestigung und Vertiefung des Wissens werden Übungen in unterschiedlicher Komplexität online zur Verfügung gestellt. Die Aufgabenstellungen sind dabei in Art und Formulierung möglichst praxisnah formuliert. Beispielsweise geben die Aufgaben nie eine bestimmte Berechnungsart oder ein bestimmtes Modell vor, sondern fordern Studierende auf, passende Berechnungen und Modelle selbst zu finden. Wo möglich, basieren die Übungen auf wissenschaftlichen Studien, womit auch bei den Übungen das didaktische Ziel verfolgt wird, die Einbettung der Berechnung in ein Forschungsnarrativ kritisch zu analysieren.
* Videos: Videos werden vor allem für den sozialen Kontext eingesetzt. Gezeigt werden Auftritte von WissenschaftlerInnen auf populären Konferenzen (TED), Beiträge semi-wissenschaftlicher Vlogger, sowie kurze Segmente aus Kultur und Fernsehen, in denen behandelte Studien erwähnt werden. Hier zeigt sich für Studierende deutlich, wie Modellergebnisse umgedeutet, überbewertet oder instrumentalisiert werden. In nachfolgenden Präsenzeinheiten wird dieses Spannungsfeld thematisiert. Zu einzelnen Themen, bei denen schon in der Lehrveranstaltung erhöhter Bedarf an Information bzw. Erklärung ersichtlich war, werden eigene Videos angefertigt, die den Inhalt schrittweise erklären oder die Lösungen zu Übungen vorzeigen.
* Diskussionforen und E-Mail: Der Vortragende gibt auf alle Fragen zeitnah (einige Stunden bzw. spätestens am nächsten Tag) eine detaillierte Antwort und zeigt -- für Interessierte -- auch weiterführende Themen auf. Die (unmittelbare) elektronische Erreichbarkeit ist ein wichtiger Bestandteil des Lehrkonzeptes, wenn es auch dem Vortragenden viel Engagement und zeitliche Flexibilität abverlangt. Der erzielte Effekt ist der gegenseitigen Respekts und dem Gefühl seitens Studierender, in ihren Anliegen ernst genommen und entsprechend begleitet zu werden.
Neben der Online-Unterstützung werden auch einige Präsenz-Übungsabende angeboten: an diesen Abenden können Studierende ihre Fragen mit dem Vortragenden besprechen und gemeinsam Aufgaben diskutieren und berechnen. Auch statistische Fragen bzw. Methodenfragen, die nicht Thema der Lehrveranstaltung sind, können hier besprochen werden. Der Raum für LV-fremde Inhalte betont die übergreifende Relevanz der LV-Inhalte und bietet eine erste Gelegenheit für den Transfer.
Prüfung
Die Lehrveranstaltung wird mit einer abschließenden Prüfung beurteilt. Der Kern der Prüfung ist die Erstellung, Berechnung und Interpretation eines statistischen Modells. Die Aufgabenstellung wird dabei in ein Forschungsnarrativ eingebettet. Die geforderte Interpretation umfasst nicht nur die mathematische Deutung des Modells, sondern auch die Darstellung und Argumentation im Kontext des Narrativs. Auch eine Beurteilung der praktischen Relevanz der Ergebnisse sowie möglicher Fehler im Forschungsdesign werden abgefragt. Die Prüfung umfasst damit alle Kompetenzziele und zeigt, dass Statistik nur in einem Kontext sinnvoll angewandt werden kann.
Im Rahmen der Prüfungsvorbereitung werden Beispielklausuren ausgegeben. Studierende erhalten -- sofern sie das wünschen -- ein detailliertes schriftliches und mündliches Feedback zu ihrer Lösung. Es zeigt sich, dass dieses persönliche Feedback für Studierende einerseits sehr motivierend ist, andererseits, dass es auch zum Lernerfolg entscheidend beiträgt. Zudem nimmt der Vortragende selbst wichtige Erkenntnisse aus dem Gespräch mit: aus den Studierendenfragen wird ersichtlich, welche Themen nochmal behandelt bzw. in geeigneterer Form behandelt werden sollten.
Transfer und Angebot außerhalb der Lehrveranstaltung
Das Angebot bei statistischen Fragen zu unterstützen geht auch über die Lehrveranstaltung hinaus: Studierende können sich für das Vorgehen bzw. die Modellwahl bei ihrer Abschlussarbeit beraten lassen bzw. ihre Entscheidungen mit dem Vortragen diskutieren. Auch BetreuerInnen von Abschlussarbeiten wird dieses Angebot unterbreitet. Erste Erfolge und Qualitätsverbesserungen stellen sich bereits ein.
Aktuell wird am Aufbau einer Peer Group gearbeitet. Sie soll das statistische Unterstützungsangebot nachhaltig an der Fachhochschule verankern und eigene interne Weiterbildungsangebote -- auch für nebenberufliche LektorInnen -- entwickeln.
Positionierung des Lehrangebots
Die Lehrveranstaltung "Ausgewählte Kapitel der Informationstechnologien 2" (AKIT2) findet im 2. Semester des Masterstudiengangs "Informationstechnologien und Wirtschaftsinformatik" statt.
Thematisch knüpft es an die im 1. Semester abgehaltende Lehrveranstaltung AKIT1 an. Schwerpunkt von AKIT1 sind Forschungsdesign und Forschungsmethoden. In AKIT2 werden einerseits moderne statistische Methoden gelernt, andererseits wird der Kreis zu AKIT1 geschlossen bzw. um Forschungsnarrative im gesellschaftspolitischen Kontext erweitert. Die Lehrveranstaltung dient auch als Vorbereitung auf die wissenschaftliche Abschlussarbeit, bei der viele Studierende quantitative Forschungsdesigns umsetzen.
- Lehr- und Lernkonzepte
- Digitalisierung
- Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik/Ingenieurwissenschaften