Fachhochschule Kärnten gemeinnützige Gesellschaft mbH
Europastraße 4, 9524 Villach
Weitere Beispiele der Hochschule

„Beginners coaching“ in der Elektrotechnik durch Studierende mit Vorkenntnissen

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

Vor allem für Anfängerinnen und Anfänger eines technischen Studiums erscheinen die Hürden in den einschlägigen Fächern wie der Elektrotechnik meist sehr hoch. Andererseits beginnen auch einige Studierende mit einschlägigen Vorkenntnissen das Studium, beispielsweise Absolventinnen und Absolventen von HTLs, die mit diesen Themen üblicherweise weniger Probleme haben. Insbesondere in Lehrveranstaltungen mit hohem Praxisanteil zeigt sich dieser Unterschied deutlich; die Bandbreite reicht von Überforderung bis Langeweile.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Fachhochschulen und Universitäten bieten in technischen Studien grundlegende Lehrveranstaltungen an, deren Inhalte zum Teil auch Absolventinnen und Absolventen von Höheren Technischen Lehrveranstaltungen (HTLs) bereits bekannt sind. Um das Know-how von solchen Studienanfängern mit Vorkenntnissen zu nutzen, können diese Lehrveranstaltungen nach dem „inverted classroom“-Modell (ICM) organisiert werden, wobei die Studierenden aus dieser speziellen Gruppe als Coaches für die anderen Studienanfänger eingesetzt werden können. Jeder Coach bildet mit seiner Gruppe eine Lerneinheit, in der auch Rechenübungen und Laborübungen durchgeführt werden können. Die Laborübungen werden mittels Online und Pocket Labs abgehalten, wobei sich besonders die Pocket Labs, also portable Mess- und Experimentierhardware für jeden einzelnen Studierenden, besonders gut für Gruppenarbeiten eignen.

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

Universities of Applied Sciences and Universities offer basic courses in technical studies, some of which are already known to graduates of technical high schools (HTLs). In order to use the expertise of those undergraduates with previous knowledge, these courses can be organized according to the inverted classroom model (ICM), whereby the students from this special group can be used as coaches for the other undergraduate students. Each coach and his group form a learning unit in which calculation exercises and laboratory exercises can be carried out. The lab exercises are accompanied by means of online and pocket labs, whereby the pocket labs, i.e. portable measuring and experimenting hardware for each individual student, are particularly suitable for group work.

Nähere Beschreibung des Projekts

Vor allem in Lehrveranstaltungen wie Elektrotechnik oder Elektronik ist der Unterschied von Vorkenntnissen der Studierenden deutlich sichtbar: Absolventinnen und Absolventen von österreichischen Höheren Technischen Lehranstalten (HTLs) besitzen bereits ein Grundwissen und Fertigkeiten der wesentlichen Techniken und Methoden der Elektrotechnik, wogegen Absolventinnen und Absolventen anderer höherer Schulen sich diese erst aneignen müssen. Dieser Umstand wird auch erkennbar im vielfach geäußerten Wunsch der HTLs, ein Anrechnungsmodell für ihre Absolventinnen und Absolventen anzubieten, was im Fall der Elektrotechnik – im Unterschied zu manch anderen Fächern – auch möglich erscheint. Allerdings würde bei einer reinen Anrechnung der Lehrveranstaltung das Wissen und das Know-how derjeniger verloren gehen, die in den Genuss einer solchen Anrechnung kommen; sinnvoller ist es sicherlich, darauf zurückzugreifen.

An der FH Kärnten wurde die Lehrveranstaltung „Grundlagen der Elektrotechnik“ (2 SWS, 2,5 ECTS) daher in diesem Sinne neu konzipiert. Wesentliche Grundlage für diese Umstrukturierung war unter anderem, dass unter den Studienanfängern und -anfängerinnen regelmäßig ein Anteil von Absolventinnen und Absolventen einer einschlägigen HTL zu finden war, der sich zwischen 20 und 40% bewegt. Die wesentlichen Merkmale der neuen Struktur sind:

• Die Lehrveranstaltung ist prinzipiell nach dem „inverted classroom“-Modell organisiert. Da das Hauptthema der Lehrveranstaltung die Methodik der Netzwerkanalyse ist, wurde diese Methodik in kurzen Videos aufgezeichnet und den Studierenden zur Verfügung gestellt. Die Videos sind kurz, zwischen fünf und zehn Minuten, und fassen die Vorgangsweise jeweils einer Methode knapp zusammen.

Die Vorteile bei der Verwendung solcher Videos sind bekannt: Die Studierenden können das Lerntempo selbst bestimmen, indem sie beispielsweise bereits bekannte Inhalte überspringen oder schneller abhandeln, oder unklare Themen wiederholen, auch in Kombination mit dem Rechnen von Übungsbeispielen.

In den Präsenzveranstaltungen wird das Wissen vertieft, in erster Linie durch das Berechnen von Beispielaufgaben. Ebenso werden Unklarheiten bei der Anwendung der Methoden diskutiert und Verständnisprobleme nach Möglichkeit ausgeräumt. Ein Teil dieser Präsenzveranstaltung wird von mir als Lehrveranstaltungsleiter inputorientiert mit dem gesamten Jahrgang gestaltet, ein anderer Teil wird zum vertiefenden Üben in kleinen Gruppen genutzt (ein Jahrgang besteht aus 20 bis 30 Studierenden).

• Die HTL-Absolventinnen und Absolventen werden dabei als Coaches eingesetzt. Sie übernehmen eine Gruppe von „Nicht-HTL-Absolventen und Absolventinnen“ und haben die Aufgabe, ihre Gruppenmitglieder tatkräftig zu unterstützen. Diese Gruppenstruktur kommt sowohl bei den Präsenzveranstaltungen als auch bei Aufgabenstellungen zum Tragen, die im Selbststudium gelöst werden müssen.

Die Coaches üben ihre Funktion freiwillig aus. Voraussetzung dafür ist der Abschluss einer einschlägigen HTL (mit einem wesentlichen Anteil an Elektrotechnik-Wochenstunden) sowie die Bereitschaft, eine Gruppe zu übernehmen und das gesamte Semester zu betreuen. Als „Gegenleistung“ werden den Coaches alle Leistungsüberprüfungen dieser Lehrveranstaltung erlassen; sie erhalten als Bewertung „mit Erfolg teilgenommen“ anstelle von „angerechnet“, da ihre Leistung ja in der Betreuung ihrer Gruppenmitglieder bestanden hat.

• Die Ergebnisse einiger, speziell definierter Rechenbeispiele können in die Lernplattform „Moodle“ eingegeben werden und bringen zusätzliche Punkte für den Abschluss der Lehrveranstaltung, wenn das eingegebene Ergebnis korrekt ist. Allerdings müssen die Studierenden bereit sein, die Beispiele, für die sie korrekte Ergebnisse eingegeben haben, im Rahmen von Präsenzveranstaltungen vorzurechnen (ähnlich einer „Kreuzerlübung“).

Auch hier können natürlich die Beispiele in der Gruppe unter Anleitung der Coaches vorbereitet werden. Das gemeinsame Erarbeiten einer Lösung in der Gruppe hat sich als äußerst effizient erwiesen, vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass alle Studierende sich bewusst sind, die Leistung auch alleine erbringen zu müssen; sowohl beim Vorrechnen der Übungsbeispiele als auch bei der abschließenden Prüfung.

• Weiter unterstützt wird der Lernfortschritt durch praktische Übungen, die als Pocket Labs beziehungsweise als Online Labs durchgeführt werden (siehe auch meine Einreichung „Moderne Laborkonzepte für die akademische Ingenieursausbildung“ vom vorigen Jahr). Dabei versteht man unter Online Labs Übungen, die über Internet-Fernzugriff von einem beliebigen Ort aus auf Laborinfrastruktur an einer Schule oder Hochschule durchgeführt werden können. Pocket Labs hingegen sind kleine, portable und kostengünstige Mess- und Experimentiereinrichtungen, die jedem einzelnen Studierenden mitgegeben werden können, um die Übungen an frei wählbaren Orten und zu – durch das Curriculum eingeschränkt – frei wählbaren Zeiten machen zu können.

Zu den erwähnten Vorteilen von Pocket Labs kommt noch, dass gerade sie sich hervorragend für die selbständige Erarbeitung von Ergebnissen in der Übungsgruppe eignen. Die ideale Vorgehensweise zur Durchführung der Laborübungen ist dabei, dass die Gruppe gemeinsam die Problemstellung bearbeiten soll, aber jedes Gruppenmitglied einzeln die gemeinsam erzielten Ergebnisse in einer Dokumentation (Messprotokoll) zur Bewertung abgeben muss; eine in Bezug auf das Erreichen der gewünschten Lernergebnisse ideale Kombination von Individual- und Gruppenarbeiten und -leistungen wird dadurch möglich.

Die Ergebnisse nach dem ersten Durchlauf der Lehrveranstaltung in der beschriebenen Organisationsform sind vielversprechend. Die Möglichkeit der Gruppenarbeit wurde sowohl in der berufsbegleitenden als auch in der Vollzeit-Organisationsform durchgehend genutzt und als innovatives Lehr- und Lernkonzept geschätzt. In zwei Evaluierungsrunden, eine ungefähr in der Mitte und eine am Ende des Semesters, wurde vor allem die Möglichkeit zur Erarbeitung von Ergebnissen in der Gruppe positiv herausgestrichen, auch wenn der Wunsch präsent bleibt, auf Standard-Frontalvortrag durch den Lehrenden nicht vollständig zu verzichten.

Verbesserungspotenzial gibt es sicherlich noch bei der Betreuung der Pocket und Online Labs. Es muss noch eine Lösung gefunden werden, wie den Studierenden ausreichend Feedback beim Einschlagen nicht zielführender Lösungswege gegeben werden kann. Die Erfahrungen haben aber gezeigt, dass der eingeschlagene Weg der richtige ist und sowohl die Ergebnisse als auch die Akzeptanz der Studierenden durch geeignete Maßnahmen noch verbessert werden können. Jedenfalls wird die Studierendenzentrierung beibehalten sowie im Rahmen der Kompetenz-orientierung weiter auf Vorkenntnisse von Absolventinnen und Absolventen einschlägiger höherer Schulen eingegangen werden.

Positionierung des Lehrangebots

Grundlagenausbildung im ersten Studienjahr des ingenieurwissenschaftlichen Bachelorstudiums.

Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2018 nominiert.
Ars Docendi
2018
Kategorie: Digitale Lehr- und Lernelemente in Verbindung mit traditionellen Vermittlungsformen
Ansprechperson
Dr. Thomas Klinger
Engineering & IT
0676 89015 2100
Nominierte Person(en)
Dr. Thomas Klinger
Engineering & IT
Themenfelder
  • Lehr- und Lernkonzepte
  • Digitalisierung
Fachbereiche
  • Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik/Ingenieurwissenschaften