Neighbours with a Go-Between

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

Ziel war die Verknüpfung der praxisorientierten Lehre mit thematisch motivierter Internationalisierung. Literarisches Übersetzen, Thema der LV, setzt voraus, dass sich die Studierenden der Verwobenheit von Text und kulturellem, historischem und biographischem Kontext bewusstwerden und diese Bezogenheit bei der Erstellung der zielsprachlichen Fassung berücksichtigen lernen, einschließlich der eigenen Involviertheit als Übersetzende.

 

Ziel war weiters die Begründung bzw. Stärkung von Beziehungen zur Nachbaruniversität in Ljubljana/Slowenien im Sinne interkultureller Begegnungen professioneller Natur.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Neighbours with a Go-Between

 

Slowenische Lyrik des 20. Jahrhunderts wird von Studierenden der Nachbar-Universitäten Ljubljana und Klagenfurt in einem kollaborativem Workshop über das Englische als Mittlersprache ins Deutsche übersetzt und in Ljubljana öffentlich an ausgewählten Orten, die einen Bezug zu Dichtern oder Themen der Texte aufweisen, mehrsprachig inszeniert.

 

Dabei werden Problematik wie auch Vorzüge des intermediären Übersetzens ebenso erfahren wie die Vorteile kooperativer Arbeitsformen beim Übersetzen. Durch den Einsatz des Englischen als Arbeits- und als Kontaktsprache werden darüber hinaus Begegnungen zwischen den Studierenden der beiden Universitäten ermöglicht, wodurch eine rasche Überwindung der traditionell reservierten Haltung gegenüber dem anderssprachigen Nachbarn erfolgt.

 

Am Projekt beteiligt sind Lehrende von beiden Universitäten und Studierende aus beiden Ländern, erweitert um internationale Studierende aus Drittstaaten; zur Aufführung gelangen Texte in beiden Sprachen, ergänzt um weitere Bildungs- und Erstsprachen der Studierenden und um eine kärntnerisch-dialektale Fassung; die Arbeit erfolgt in der neutral-äquidistanten Drittsprache Englisch.

 

Mehrdimensionale Internationalität ist somit ein Merkmal auf den Ebenen der Lerninhalte, der persönlichen Begegnungen von Studierenden und Lehrenden, des Lernorts und der Arbeitssprache.

 

Für Bilder siehe unten, Link 1

Nähere Beschreibung des Projekts

Neighbours with a Go-Between

(Für Bilder siehe unten, Link 1)

 

0) Motto

France Prešeren

Trinkspruch

 

Žive naj vsi narodi

ki hrepene do?akat' dan,

da koder sonce hodi,

prepir iz sveta bo pregnan,

da rojak

prost bo vsak,

ne vrag, le sosed bo mejak!

 

Die Völker alle leben hoch,

die voller Sehnsucht warten auf den Tag,

da unter allem Sonnenschein

der Streit die Welt verlassen mag,

da jedermann

ein freier Mann;

nicht Feind, ein Freund sei uns der Nachbar dann!

 

(Slow. Nationalhymne; Übertragung GC und MK im Rahmen des Workshops; Hervorhebung durch die ÜbersetzerInnen)

 

1) Projektablauf

1.1 Erstkontakt der LV-LeiterInnen Gregor Chudoba und Monika Kavalir bei der Alpen-Adria-Anglistics Konferenz an der AAU im September 2015

 

1.2 Konzeptentwicklung und LV-Vorbereitung; Koordinationstreffen, Quartierauswahl und -reservierung: Sept. 2015-Sept. 2016

 

1.3 Vorarbeiten in den LV Literary Translation (Klagenfurter Studierende, KLU; LV-Ltg. Chudoba) und Language in Use 2 (Laibacher Studierende, LJU; LV-Ltg. Kavalir, Šporcic, Krevel): Theorie und Praxis des literarischen Übersetzens (KLU und LJU); Auswahl geeigneter Lyrik und Übersetzung ins Englische, Bestimmung dazugehöriger Orte (LJU); studentische Beteiligung an Exkursions¬administration (KLU): Okt.-Nov. 2016

 

1.4 Begegnung in Ljubljana - Zusammenstellung der Teams von ca. je 3 LJU + 4 KLU Studierenden; in diesen Kleingruppen stellen LJU Autoren, Texte und Orte vor, informelle Stadtführung in Teams (LJU + KLU); Übersetzungen aus dem Englischen ins Deutsche (KLU); gemeinsame Redaktionsschleifen (LJU + KLU); Endkorrektur und Erstellung einer Broschüre mit Gedichten in drei Sprachen (LJU + KLU; Redaktionsschluss 21:30, Druck 22:00): 25.11.2016

 

1.5 Gemeinsamer Stadtrundgang in Großgruppe und inszenierter Vortrag der Gedichte in Slowenisch und Deutsch (und fallweise in Englisch, Albanisch, Französisch, Spanisch und Kärntnerisch) (LJU + KLU); Abschied und Rückreise: 26.11.2016

 

1.6 Berichte und Nachbesprechungen in den LV (KLU und LJU): Dez. 2016 – Jän. 2017

 

2) Diskussion

[Auszüge aus Berichten der KLU Studierenden werden zwischen Asterisken eingefügt.]

 

2.1 Entwicklungsplan und Internationalisierungsstrategie der AAU

Die Devise des Leitbilds im Entwicklungsplan der AAU lautet „Grenzen überwinden!“, heruntergebrochen auf „Neue Grenzen suchen“ im Bereich Forschung, „Grenzen verschieben“ im Bereich Lehre und „Gemeinsam Grenzen überspringen“ im Bereich Gesellschaft. Die damit zusammenhängende Internationali¬sierungs¬strategie der AAU nennt die besondere, „namengebende geopolitische Lage [der AAU] am Schnittpunkt dreier Kulturen“ als profilbildendes Element. (EP 2016-18, 1.1 und 1.2) Beide Aspekte waren maßgebend für Entwicklung und Durchführung des Projekts Neighbour with a Go-Between.

 

Übersetzen an sich ist prototypisches Überwinden von Grenzen. Neben der Überwindung von Sprachgrenzen wurden im Projekt aber drei weitere Grenzen überwunden: Die Grenze zwischen akademischer Theorie und translatorischer Praxis, die Grenze zwischen universitärer Zurückgezogenheit und öffentlichem Raum, und nicht zuletzt die politische Grenze zwischen Kärnten und Slowenien. Voraussetzung für all dies war die grenzübergreifende Kooperation zwischen den Anglistik-Instituten in Ljubljana und Klagenfurt.

 

Literarisches Übersetzen realitätsnah in einer universitären Lehrveranstaltung zu vermitteln, heißt, sich den Unschärfen einer Kunstform aussetzen und auf Sicherheitsversprechen in Form von Algorithmen zu verzichten. Was in der Abstraktion eines Modells noch stringent erscheint, wird in der Komplexität der Praxis diffus. Die entstehende Unsicherheit verlangt von Lehrenden und Lernenden ein ungewöhnliches Maß an Ambiguitätstoleranz. Als Lohn winkt jedoch, dass Studierende ein realistischeres Bild von literarischem Übersetzen gewinnen und professionellen Anforderungen besser gewappnet gegenübertreten können. Die Grenzüberschreitung zwischen sicherer Theorie und ungewisser Praxis bedeutet letztlich also einen markanten Kompetenzgewinn.

 

*Additionally, we asked ourselves if a text could possibly “survive” two translations, as every translation holds the danger of losing specific connotations or even single words that express a concept which cannot be translated. *(MF et al.)

 

Dass der Schritt in die Praxis auch ernsthaft gesetzt wird, setzt ein Publikum voraus, dessen Erwartungen von den ÜbersetzerInnen ernst genommen werden. Dieses Publikum wurde durch das Heraustreten aus dem geschützten Bereich des Lehrsaals gewonnen. Zwar bestand auch bei den Darbietungen in Ljubljana das Publikum großteils aus KollegInnen aus Klagenfurt und Ljubljana; die Aussicht auf Zufallsgäste verlieh dem Übersetzungsprozess aber zusätzlich Gewicht und Tiefe.

 

*As the grand finale of our excursion, we shared the fruits of our labor with our colleagues, professors, and, in some cases, with curious passersby. *(CPA et al.)

 

Last but definitely not least in der Reihe der Grenzüberwindungen: Der südliche Nachbar ist in Kärnten nach wie vor erstaunlich unbekannt, wenngleich das Verhältnis zwischen Kärnten und Slowenien mittlerweile weit entfernt ist vom Misstrauen der Nachkriegsjahrzehnte. Eine Mehrheit der Klagenfurter Studierenden kannte das nur 80 km entfernte Ljubljana vor der Exkursion jedoch nicht.

 

*Since we had never been to the capital of Slovenia before, we were overwhelmed by the beauty of the city and especially by the city centre which had been decorated so beautifully and creatively. *(CPI et al.)

 

Als Folge der Kontakte im Rahmen des Projekts ergab sich eine Neudefinition der Beziehungen: Aus Fremden wurden Freunde (Prešeren hätte es gefreut, vgl. Motto am Beginn dieses Berichts) und in manchen Fällen Titularverwandte.

 

*Our Slovenian “cousins” Karmen, Kristina, and Neža had already done an excellent job with the initial translation from Slovene to English. *(JM et al.)

Die Erfahrung des Vertraut-Fremden hatte auch Rückwirkungen auf die Deutung der eigenen sprachlichen Identität.

 

*For us, the Carinthian dialect literally acts as a bridge between the two languages, German and Slovene. This metaphor actually highlighted our impression that Austrian and Slovene cultures and mentalities are very close to each other. *(GHC et al.)

 

Die Ausdehnung der Grenzen in fachlicher, in kompetenzorientierter, in sozio-kultureller und in politischer Hinsicht hat als gelungene Internationalisierung einen bedeutenden Faktor des Projekts ausgemacht.

 

2.2 Lehrzugang des IAA: Transcending the Borders of the Classroom Setting … Non academia, sed vita

Ein grundsätzlicher, lehrveranstaltungsübergreifender Aspekt der Lehre am Institut für Anglistik und Amerikanistik lässt sich mit „Non academia“ (sic!) umschreiben. Unter diesem Motto wird nach Wegen der Öffnung von Lehrveranstaltungen für Begegnungen mit Lebenswelten außerhalb der Universität gesucht. Gelehrt wird nicht (nur) durch akademische Anleitung, sondern durch strukturierte und reflektierte Begegnung mit der außerakademischen Welt. Bezugnahme auf aktuelle politische Entwicklungen, Erarbeitung von Texten für außeruniversitäre NPO’s, Gestaltung von fremdsprachigen Videos und Webtexten für Serviceeinrichtungen der AAU, Organisation von Studierendenkonferenzen, Beforschung von schulischem Unterricht - die Liste von entsprechend ausgerichteten Lehrprojekten ist lange.

 

Für den Bereich der Sprachausbildung gibt die Grafik unter Link 2 die entsprechenden Überlegungen wieder. (s. dort)

 

1 - Traditionelle Formen des Unterrichts kennen Instruktion vom Lehrenden (teacher, T) ausgehend, mit dem Lernenden (learner, L) als Rezipienten. Der Unterricht erfolgt in einer Umgebung (classroom, blau), welche gegenüber der Außenwelt (outside world, O) abgetrennt ist.

 

5 - Ziel des Unterrichts ist aber stets eine „Situation danach“, in welcher die Lernenden diese abgegrenzte Umgebung (den classroom) verlassen haben und mit der Außenwelt (O) interagieren.

 

2 - Die übliche Erweiterung der classroom-Situation verfolgt als ersten Schritt eine Einbeziehung der Außenwelt durch authentische Texte.

 

3 - Kommunikativer Unterricht bemüht sich darüber hinaus um Interaktion zwischen den Lernenden, wobei die Rolle des Lehrenden sich vom Lehrer (T) zum Coach (C) wandelt. Diese Interaktion ist im Allgemeinen quasi-authentisch, da sie noch beschränkt ist auf den classroom.

 

4 - Authentische Interaktion verlangt daher die Öffnung des classrooms für direkte Interaktion mit der Außenwelt. Authentische Sprachverwendung setzt hier authentische Aufgaben voraus. „Non academiae sed vitae“ wird zu „non academia sed vita discimus“, der Dativ (für das Leben) zum Ablativ Instrumentalis (durch das Leben lernen wir). Die Lehrenden gestalten die Lernumgebung und begleiten den Lernprozess, stehen aber nicht mehr als Hauptquelle des Inputs in dessen Mittelpunkt.

 

Ziel authentischer Lehre ist es, den Anteil der Stufe 4 an der Lernzeit möglichst zu maximieren, da hier Stufe 5 (die Zeit nach Abschluss der Lehrbeziehung) am besten repräsentiert wird. Neighbours with a Go-Between folgt diesem Ziel, indem unter größtmöglicher Partizipation Lernziele gesetzt werden und die Lösungswege in Eigenarbeit der Lernenden gewählt und beschritten werden, mit dem Hauptgewicht der Aktivität außerhalb des Seminarraums bzw. des Lehrsaals.

 

Ein Beispiel für den partizipatorischen, auf größtmögliche Eigenständigkeit der Lernenden abzielenden Zugang bildet die dialogische Erarbeitung der Übersetzung zwischen Studierenden aus LJU und KLU in Widerspiegelung des Autor-Übersetzer-Verhältnisses.

 

2.3 Weitere Aspekte

Als innovativ-kreatives Element kann die Inszenierung der Übersetzungen betrachtet werden, bei der die Texte um darstellende Aspekte erweitert wurden. Einbeziehung der städtischen Kulisse, chorisches und dialogisches Sprechen, Gestik und Choreographie waren gestaltende Elemente, die die Studierenden nach nur kurzer Entwicklungszeit im Risikoraum der Öffentlichkeit einsetzten.

*In our case, we performed the poem in Tivoli Park where a statue of our author Edvard Kocbek sits on a bench, looking at a smaller version of himself situated on the arm rest. This was perfect for our performance as we read the poem with the author, who seemed to be genuinely interested in our translation. *(BBG et al.)

Erwähnenswert ist noch die symbolische Kraft der gewählten Unterkunft in Ljubljana, die auch als Seminarzentrum diente: Die transformative Potenz der Literatur, das Grenzen überwindende Element des Übersetzens wurde auch im Hostel Celica repräsentiert, das als Ikone der Transformation nach der Unabhängigkeit Sloweniens vom ehemaligen k. u. k. Militärgefängnis und politischen Gefängnis aus jugoslawischer Zeit zu Kulturzentrum und Jugendherberge mutierte. (s. www.hostelcelica.com)

 

3) Splitter – Übersetzungsbeispiel

 

Ivan Minatti

Nekoga moraš imeti rad - Du musst jemanden lieben (Auszug)

 

nekoga moraš imeti rad,

z nekom moraš v korak,

v isto sled -

o trave, reka, kamen, drevo,

molceci spremljevalci samotnežev in cudakov,

dobra, velika bitja,

ki spregovore samo,

kadar umolknejo ljudje.

 

you have to love someone,

you need someone to walk beside you,

on the same path –

oh meadows, river, stone, tree,

silent companions of the lonely and strange,

good, great beings

who only speak

when people fall silent.

 

du musst jemanden lieben,

du brauchst jemanden, der neben dir wandelt,

auf demselben Weg -

oh Wiesen, Fluss, Stein, Baum,

stille Gefährten der Einsamen und Andersartigen,

gute, große Geschöpfe,

die nur sprechen

wenn die Menschen verstummen.

 

Team members: Kristina Kotnik, Jacqueline Müller, Christina Maria Pachler, Neža Ržek, Julia Schalle, Samuel Vernaglione, Karmen Žnidaršic

Bericht slowenischer Studierender in Laibacher Institutszeitschrift unter Link 3

Weiterführende Informationen

Bilder aus dem Projekt: https://goo.gl/photos/fFzpJ7AdQW5Azmr7A
Grafik zum Lehrzugang am Inst. f. Anglistik und Amerikanistik: https://seafile.aau.at/f/01a6d8e2c6/
Bericht der Studierenden aus Ljubljana: https://seafile.aau.at/f/6a25f79d38/

Positionierung des Lehrangebots

Bachelor Studium, 3. Semester

Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2017 nominiert.
Ars Docendi
2017
Kategorie: Umsetzung hochschulischer Internationalisierungskonzepte in der Lehrveranstaltung
Ansprechperson
Gregor Chudoba, Senior Lecturer
Institut für Anglistik und Amerikanistik
+43 463 2700 2518
Nominierte Person(en)
Gregor Chudoba, Senior Lecturer
Institut für Anglistik und Amerikanistik
Monika Kavalir, PhD
Univerza v Ljublijani
Themenfelder
  • Lehr- und Lernkonzepte
  • Sonstiges
Fachbereiche
  • Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften