Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
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Klassisches Ensemble für Inklusives Musizieren

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

2019 wurde amJoseph Hellmesberger Institut der mdw ein inklusives Kammermusikensemble gegründet. Dieses Ensemble, das gleichzeitig eine Lehrveranstaltung ist, welche aus Studierenden sowie aus Musiker*innen mit Behinderung und Lehrenden besteht, bietet angehenden Instrumentalpädagog*innen, Rhythmiker*innen sowie Musikerzieher*innen ein geschütztes Praxisfeld, um erste Erfahrungen im Musizieren, Üben und Zusammenspiel in einer fähigkeitsgemischten Gruppe zu erwerben.

Die Ratifizierung des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen zu gewährleisten. Um eine stärkere Inklusivität in die Gesellschaft hinein zu verwirklichen, vor allem eben in den Bildungsbereich, braucht es seitens der Studierenden innovative künstlerisch-pädagogische Fähigkeiten. Das Ziel ist, alle Musizierenden einer Gruppe, sei es in Schule, Musikschule, Stadtteilinitiative oder in Community Music-Settings, sinnvoll und ihrem momentanen Können entsprechend teilhaben zu lassen und sie zu fördern.

Die Lehrveranstaltung Klassisches Ensemble für inklusives Musizieren, die von Bachelor- und Masterstudierenden mit zwei Semesterwochenstunden besucht werden kann, findet wöchentlich statt, geleitet von Beate Hennenberg und Christoph Falschlunger. Hiroyo Watanabe organisiert als Studienassistentin organisatorische und kommunikative Belange mit den Musiker*innen mit Behinderung und deren Eltern oder Betreuer*innen. Helga Neira Zugasty ist Supervisorin. Wir Leiter*innen der Lehrveranstaltung setzen den Rahmen, stellen die fähigkeitsgemischte Gruppe nach verschiedenen Gesichtspunkten als kooperatives Kollektiv zusammen, entscheiden über das Repertoire und nehmen die Semesterplanungen mit je ein bis zwei Auftritten beziehungsweise Konzerten vor. Die wöchentlichen Themen werden vorgegeben, können aber jederzeit variiert werden, denn die Musiker*innen mit Behinderung haben nicht immer die gleiche Tagesverfassung. Trotz aller Unterschiede musikalisch-technischen Könnens, der Konzentrationsfähigkeit oder anderer divergierender Eigenschaften ist das Ziel des freudvollen gemeinsamen Musizierens erreichbar.

In diesem Setting wurde das Projekt der unten beschriebenen Gemeinschaftskomposition zusammen mit dem Contemporary-Art-Komponisten Jaime Wolfson Reyes erarbeitet.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Universitäten tragen gesellschaftliche Verantwortung in all ihren Leistungsbereichen. Die Third Mission besagt, breit in die Gesellschaft hineinzuwirken. Lehrveranstaltungen mit Inhalten rund Inklusion und Musikpädagogik werden an der mdw immer stärker nachgefragt. Dadurch erwerben Studierende eine Haltung, welche unterstützt, dass dass jeder Mensch bestmöglich gefördert werden sollte: Jedem, der bereit ist, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten für ein musikalisches Ziel zu engagieren, soll ein diskriminierungsfreies und niederschwelliges Angebot gemacht werden, um seine Neigungen und Begabungen zu entwickeln und auszubauen zu können.

Im Inklusiven Ensemble Classic All wird versucht, die künftigen Musikpädagog*innen so auszubilden, dass der mit ihnen musizierende Mensch mit seinen Bedürfnissen, Potenzialen und in seiner Subjekthaftigkeit im Mittelpunkt steht.

Im Seminar Klassisches Ensemble für Inklusives Musizieren planen, recherchieren, proben, analysieren, arrangieren, konzertieren und reflektieren wir Lehrenden gemeinsam mit Studierenden und musikbegeisterten Menschen, die mit einer Behinderung leben, seit vier Semestern wöchentlich zwei Stunden. Es werden dabei didaktische Kenntnisse verfeinert, in Binnendifferenzierung individuelle Notenschriften erprobt, Studierende leiten einzelne Settings.

Inklusion wird als Potenzial für die Neugewichtung pädagogischer Orientierungen verstanden.

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

Universities have social responsibility in all their service areas. The Third Mission means to have a broad impact on society. Seminars with content related to inclusion and music education are in increasing demand at the mdw. In this way, students acquire an attitude that supports the idea that every person should be encouraged as best as possible: Anyone who is willing to commit themselves to a musical goal within the scope of their possibilities should be given a non-discriminatory and low-threshold offer to develop their inclinations and talents to develop and expand.

The inclusive ensemble Classic All attempts to train future music teachers in such a way that the focus is on the person making music with them, with their needs, potential and subjectivity.

In the Classical Ensemble for Inclusive Music Making seminar, we teachers have been planning, researching, rehearsing, analyzing, arranging, performing and reflecting together with students and peoples who live with a disability, two hours a week for four semesters. Didactic knowledge is refined, individual notation is tested in internal differentiation, students lead individual settings.

Inclusion is understood as a potential for re-evaluating pedagogical orientations.

Nähere Beschreibung des Projekts

Allgemein

Im Rahmen der Lehrveranstaltung betreiben die Studierenden in separaten Settings, also unabhängig von den Ensembleproben, Literaturrecherche, setzen sich mit Bildungstheorien auseinander, reflektieren ihre Mitwirkungen wöchentlich und erhalten somit aus vielerlei Perspektiven Kenntnis über Inklusive Musizierpraxen. So erwerben sie Kompetenzen, welche befähigen, mit vielfältigen Zugängen und Wahrnehmungsqualitäten umzugehen.

Involviert in die Lehrveranstaltung und in die inkludierten Konzerte sind neben den semesterweise wechselnden, manchmal auch die Lehrveranstaltung mehrere Male belegende Studierenden auch oft Studierende anderer Kunstuniversitäten (zum Beispiel aktuell aus der Akademie der Bildenden Künste), die Musiker*innen des Ensembles mit Behinderung sowie deren Eltern und Unterstützer*innen sowie Lehrende der mdw und weitere Akteur*innen in Inklusionszusammenhängen wie etwa das Zentrum für Weiterbildung der mdw, welche um Kooperationen ansuchen.

 

Besonderes Projekt

Die Stabstelle Gleichstellung, Gender Studies und Diversität der mdw überreichte dem Ensemble Classic All 2022 den Gender I Queer I Diversitäts-Preis, durch den ermöglicht wurde, das wöchentliche gemeinschaftliche Musizieren in eine neuartige, zeitgenössische Komposition zu transformieren. Dabei gingen wir von der Tatsache aus, dass gemeinschaftliches Komponieren aus dem Gruppenmusizieren heraus eine besondere Form des sozialen Aushandlungsprozesses darstellt, bei dem Bildungsgerechtigkeit, Teilhabe und Selbstbestimmung auf Basis demokratischer Prinzipien eine zentrale Rolle spielen und als zutiefst humane Leitvorstellung zukunftsweisend sind.

Unser Gemeinschaftskompositions-Projekt sollte dabei als musikpädagogischer, sozialer und bildungspolitischer Ansatz für den konstruktiven Umgang mit Diversität verstanden werden. So probte das Ensemble über mehrere Tage mit dem zeitgenössischen Komponisten Jaime Wolfson Reyes, um das bestehende Repertoires mit neu gefundenen Klängen und Materialien, welche wiederum neuer Notationen bedurften, eine gemeinsame Komposition für die sehr heterogene Besetzung von Classic All zu erarbeiten, aufzunehmen und letztlich in einem öffentlichen Konzert im Konzerthaus anlässlich des 4. Inklusiven Soundfestivals zum Tag der offenen Tür aufzuführen.

 

Ausstrahlung

Das Ensemble Classic All war im Jänner 2023 eingeladen, anlässlich des vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung sowie dem Institut für Hochschulforschung an der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg veranstalteten Dialogs zur universitären Lehre: Gute Praxis der Lehr- und Lernentwicklung gemeinsam weiterdenken aufzutreten. Classic All trat als Best Practice Projekt von gelungener Hochschuldidaktik auf.

Das Ensemble trat weiterhin auf zum Zweiten Fest der Inklusion der mdw im Juni 2022 sowie anlässlich der 16. Fachtagung für Inklusives Musizieren, auf der nicht nur wir Lehrenden über die Arbeitsweise des Ensembles referierten, sondern auch die Studierenden und zwei der Musiker mit Behinderung je eine Präsentation hielten.

 

Ausschnitte aus den Präsentationen zu Inklusiver Didaktik des Projekts (siehe auch nächste Seite):

B. Hennenberg: Inklusion als gesellschaftlich relevantes Thema in musikpädagogischen Lehrplänen an der mdw. Notwendigkeit und erfüllender Studieninhalt www.mdw.ac.at/upload/MDWeb/imp/downloads/16.Fachtagung.pdf

C. Falschlunger: Methodisch-idaktische Aspekte: www.mdw.ac.at/upload/MDWeb/imp/downloads/PPP_method.didakt.Asp._FalschlungerCh_28052021.pdf

H. Neira Zugasty: Entwicklungsdynamische Beobachtungen als didaktische Hilfe: www.mdw.ac.at/upload/MDWeb/imp/downloads/HNeiraZugastyAutismus.pdf

H. Watanabe: Arbeit als Studienassistentin bei Classic All: www.mdw.ac.at/upload/MDWeb/imp/downloads/Fachtagung2021_Hiroyo.pdf

K. Fabian: Differenzierung im gemeinsamen Musizieren: www.mdw.ac.at/upload/MDWeb/imp/downloads/Fachtagung_Fabian.pdf

V. Grundner: Verschiedene Notationsformen: www.mdw.ac.at/upload/MDWeb/imp/downloads/Grundner_VerschiedeneNotationsformen.pdf

Nutzen und Mehrwert

Je mehr Pädagogik-Studierende sich mit inklusiver Didaktik beschäftigen, mit Entwicklungslogik und der Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen unter Berücksichtigung der Heterogenität, desto besser kann Bildung in einer pluralistischen Gesellschaft gelingen.

Die meisten jungen Menschen hören in dieser Lehrveranstaltung erstmals vom Anspruch, musikalische und nichtmusikalische Lern- und Bildungsprozesse durch Binnendifferenzierung, durch Buchstabennotation, Kästchennotation und andere Differenzierungsmaßnahmen möglichst barrierefrei zu gestalten.

In jedem Semester übernehmen die Studierenden schritt- und probeweise ein Microteaching. Das soll keine Zeitersparnis für uns Lehrende bedeuten, sondern sie lernen die Phänomene der Ensemblearbeit und Gruppendynamik kennen, um sie im späteren Berufsleben gelingend anzuwenden.

Sie lernen auch, Gruppenprozesse bewusst wahrzunehmen und ihre eigene Rolle darin kritisch zu reflektieren. Etwas, auf das sie später im Berufsleben zurückgreifen können.

Classic All war auch ein gelungenes Praxisbeispiel im internationalen Kunst-Inklusions-Projekts ALIISA für unsere finnischen und litauischen und deutschen Fachkolleg*innen. Das Projekt läuft von 2020-2023. Die mdw ist hier österreichischer Partner:

www.mdw.ac.at/imp/internationale-vernetzung/

Nachhaltigkeit

Es ist absehbar, dass heterogene und fähigkeitsgemischte Klassen und Kurse an Schulen, Musik- und Kunstschulen, Tanzvereinen oder Volkshochschulen weitere Ausbreitung finden werden. Daher ist es notwendig, dass Studierende in pädagogischen Studienrichtungen unbedingt von Pädagogik der Vielfalt und von Inklusionstheorien und -praxen erfahren, um im späteren Berufsleben in diesem Sinne tätig zu werden.

Die 2010 an der mdw gegründete Rockgruppe All Stars inclusive war das erste inklusive Ensemble österreichweit an einer Universität! Darüber gaben der Institutsleiter Röbke und die Antragstellerin hier diese Studie heraus:

www.waxmann.com/waxmann-buecher/

Danach entstanden die Young All Stars Band und das Ensemble Ohrenklang, welches Texte behinderter Autor*inenn vertont, an der mdw.

Seit 2019 existiert Classic All. Wie unten geschrieben, gibt es Interesse zweier weiterer Institutsleiter, inklusive Ensemble an deren Instituten (Klavier in der Pädagogik, Chor) anzusiedeln.

Dissemination/Transfer

Das inklusive Ensemble Classic All ist das inzwischen vierte Ensemble an der mdw, in dem Studierende gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen musizieren. Das besondere dieses Ensembles Classic All ist die grundsätzliche Ausrichtung der musikalischen Werke auf die Epochen Barock und Klassik sowie auf die Streich- und Zupfinstrumente, der Ausrichtung des Instituts folgend. Was im Fall des modernen Kompositionsprojekts besonders farbige und interessante Spannungsbögen und Klangflächen ergab.

Die erste inklusive Musiziergruppe an österreichs Musikuniversitäten war die Band All Stars Inclusive. Seitdem sind wir daran interessiert, an immer mehr vor allem pädagogisch ausgerichteten Instituten inklusive Musizierensembles zur Ausbildung der Studierenden aufzubauen. Zwei weitere Abteilungsleiter haben bereits Interesse angekündigt.

Außerdem haben wir Austausch mit dem inzwischen installierten inklusiven Ensemble der Universität Mozarteum Salzburg und dem neuen Lehrgang Musik & Inklusion der Anton Bruckner Universität Linz.

Aus den zahlreichen Impulsen und Iniativen für inklusives Musizieren an universitären Bildungseinrichtungen entstand 2021 die Interessengemeinschaft Musik Inklusiv Österreich (IGMI, igmiat.wordpress.com/).

Institutionelle Unterstützung

Sehr.

Seit Beginn der Lehrveranstaltung konnte eine bezahlte Studienassistenz-Stelle eingerichtet werden für dieses Ensemble/ Lehrverabstaltung.

 

Dem Ensemble wurde für die Unterrichsabhaltung ein sehr repräsentativer Raum für die Proben zugewiesen.

 

Seitens der Institutsleitung wird das inklusiv musizierende Ensemble in jedem Semester eingeladen, zu den solistischen Klassenabenden oder gut besuchten Institutskonzerten aufzutreten. Mehrere Male wurde die Möglichkeit wahrgenommen.

 

Der Institutsleiter stellte dem Ensemble eine Website zur Verfügung. Die Lehrveranstaltungsleiter*innen können die Infrastruktur des Joseph Hellmesberger Instituts mitnutzen, wiewohl sie hauptsächlich je an einem anderen Institut eingesetzt sind.

 

Es wurden seitens der mdw neue Instrumente für das inklusive Erworben angekauft (2 Veehharfen, Gitarre, Djembe).

 

Positionierung des Lehrangebots

Belegung möglich im IGP-Bachelorstudium nach absolvierter Eingangsphase und im IGP-Masterstudium, 2 SSt

stufenweiser Eintritt möglich durch 01, 02, 03, 04, 05

Links zu Social Media-Kanälen
Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2023 nominiert.
Ars Docendi
2023
Kategorie: Kooperative Lehr- und Arbeitsformen
Ansprechperson
Ass.Prof. Dr. Beate Hennenberg
Inst. 12 und Inst. 17, mdw
01/ 71155 3721, +436769000798
Nominierte Person(en)
Mag.art. Christoph Falschlunger, BEd.
Inst. 13 und Inst. 17, mdw
LB Helga Neira Zugasty
Inst. 13, mdw, Ehrenmitglied
Hiroyo Watanabe BMus, BA
Inst. 17, mdw
Ass.Prof. Dr. Beate Hennenberg
Inst. 12 und Inst. 17, mdw
Themenfelder
  • Curriculagestaltung
  • Diversität und Soziales
  • Erfahrungslernen
  • Kooperationen in der Lehre
  • Lehr- und Lernkonzepte
  • Schnittstelle zum Arbeitsmarkt
Fachbereiche
  • Kunst, Musik und Gestaltung