Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
Anton-von-Webern-Platz 1, 1030 Wien
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Straßenmusik autoethnographisch erforschen

Würdigung der Jury

Ausgezeichnet wird von der Jury ein Projekt, das in besonders überzeugender Manier wissenschaftliche Verfahren forschenden Studierens mit performativen Aktivitäten künstlerischer Provenienz in Einklang bringt. Eine fachlich und im Studienverlauf eher divers zusammengesetzte Gruppe Musikstudierender beschäftigt sich in einem kultursoziologisch ausgerichteten Seminar mit unterschiedlichen Facetten straßenmusikalischer Praxis und erwirbt dabei Kenntnisse und Erfahrungen in empirischen Forschungsmethoden. Welche das sind, hängt wesentlich von der thematischen Ausrichtung ab, die die Studierenden selbst für das Seminarprojekt favorisieren.

Im konkreten Fall des prämierten Lehrprojekts handelte es sich um Methoden autoethnographischer Forschung, da die Studierenden selbst in die Rolle von Straßenmusiker/innen schlüpften, wobei sie auch neue musikalische Kompetenzen erprobten. Sie beobachteten und bearbeiteten auf diese Weise Erfahrungen im öffentlichen Raum und in Konfrontation mit einem flüchtigen oder passantischen Publikum. Eruiert wurden dessen Reaktionen auf die für die meisten Studierenden ungewohnt niederschwelligen Performances, die wiederum Gegenstand der Selbst- und Gruppenbeobachtung waren; die Studierenden konfrontierten sich zudem mit den rechtlichen und administrativen Restriktionen, die den öffentlich Raum der Straßenmusik prägen.

Die von einem Austauschprozess begleitete Feldforschung wurde nicht allein von methodologischen Reflexionen begleitet, sondern schuf auch eine attraktive Grundlage, um sich mit den kulturhistorischen Aspekten der Straßenmusik, ihren regionalen Verflechtungen und mit Konflikten zu beschäftigen, die aus der Ökonomisierung innerstädtischer Plätze resultieren. In diesen seminaristischen Einheiten kam es sowohl zu wissenschaftlich einschlägigen Literaturstudien als auch zu simulierenden Antizipationen in Form eines Planspiels, um die divergenten Perspektiven auf Straßenmusik nicht nur soziologisch aufzuschlüsseln, sondern auch affektiv näherzubringen.

Insgesamt gelang es, mit einer deutlichen Partizipation der Teilnehmenden, im Rahmen des Projekts einen kompletten Forschungszyklus zu durchlaufen. Dass auch für Musikstudierende der Wechsel vom vergleichsweisen sicheren Raum der Bühne etwas ist, das Courage erfordert, zumal man dem unfreiwilligen Publikum unaufgefordert näher rückt, liegt auf der Hand. Insofern Erfahrungen von Nervosität und Unbehagen zwangsläufig die Aktionen begleiteten, zeugt es von sensibler Umsicht, Erlebnisse, Eindrücke und Reflexionen in seminarinternen Blogs zu artikulieren und in diesem Rahmen gemeinsam auszuwerten.

Für die Qualität des Lehrprojekts spricht aus Sicht der Jury, dass zwar die wissenschaftlichen Erfahrungen mit der Methode und dem Thema allgemein sehr positiv evaluiert wurden, dies aber nicht zu einer einseitigen Selbstfaszination führte. Vielmehr stellten sich für die teilnehmenden Studierenden die Perspektiven eigener Musikproduktion zwischen Marktplatz und Konzertsaal in der retrospektiven Reflexion ihrer Selbsterkenntnisse durchaus differenziert dar.

Univ.-Prof. Dr. Michael Kämper-van den Boogaart
Humboldt-Universität zu Berlin

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

Straßenmusik adressiert eine Alltagserfahrung, die im Rahmen von Forschung und Lehre eher selten behandelt wird. Meine wissenschaftliche Beschäftigung mit Straßenmusik reicht bis in das Jahr 2015 zurück. Im Sinne der integralen Verknüpfung von Forschung und Lehre biete ich seither in den Sommersemestern (die Pandemie-Jahre ausgenommen) entsprechende Seminare zum Thema für Musikstudierende mit ersten wissenschaftlichen Vorerfahrungen an.

Theoretisch ist das Seminar im Feld der Musiksoziologie und der Sozialgeschichte der Musik verortet. Raumsoziologie und Stadtforschung bieten weitere wichtige theoretische Anknüpfungspunkte, ebenso Teilbereiche der Rechtswissenschaften, sobald es um rechtliche Rahmenbedingungen des Musizierens im öffentlichen Raum geht. Über die Vermittlung von aktuellen Erkenntnissen zum Thema Straßenmusik hinaus ist es ein zentrales Anliegen des Seminars, Möglichkeiten empirischer Forschung konkret aufzuzeigen, indem sie im Team in actu vollzogen wird. Indem die einzelnen methodischen Arbeitsschritte in einem empirischen Forschungsprojekt zunächst theoretisch vorgestellt und direkt im Anschluss kollektiv in die Praxis umgesetzt werden, können die Teilnehmer*innen den Ablauf eines solchen nach Absolvierung des Seminars ebenso realistisch und im Detail einschätzen wie den hierfür erforderlichen zeitlichen Aufwand, was im Hinblick auf selbständig zu bewältigende Abschlussarbeiten bedeutsam erscheint. Das Seminar bedient sich soziologischer und ethnologischer Forschungsmethoden, speziell im Bereich der autoethnographischen Forschung ist die Partizipative Aktionsforschung von Belang. Im Hinblick auf die kritische Reflexion des subjektiven Standpunkts im Forschungsprozess werden Anleihen an die diskriminierungskritische Bildungsarbeit genommen.

Für Musikstudierende ist das Thema Straßenmusik, speziell in Kombination mit autoethnographischer Forschung, auch deshalb hochattraktiv, weil es eine integrale Verbindung ihres Primärinteresses – Musik und künstlerische Praxis – mit wissenschaftlicher Forschung erlaubt und sie ihre künstlerischen Kompetenzen produktiv in den Forschungsprozess einbringen können. Das Seminar erweitert außerdem ihren künstlerischen Erfahrungshorizont insofern, als dass sie die spezifische Musikaufführungspraxis von Straßenmusik häufig noch nicht kennen wie auch die Musikaufführungsräume – Straßen und öffentliche Plätze – und die dort geltenden Regeln noch erkundet werden wollen. Die Themensetzung und Konzeption des Seminars ist darüber hinaus durchaus auch gesellschaftspolitisch motiviert: Die Studierenden sollen zur aktiven Mitgestaltung der Straße als Teil des öffentlichen Raums ermutigt und eingeladen werden. Das Seminar bietet den Teilnehmer*innen die Chance, die Straße als niederschwelligen gesellschaftlichen Dialograum kennenzulernen und als potentiellen künstlerischen Betätigungsraum, etwa für Aktionen mit Schulklassen oder Musikschüler*innen, ins Bewusstsein zu rücken.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Straßenmusiker/innen bespielen seit Jahrhunderten den öffentlichen Raum und leisten damit einen wesentlichen Beitrag zum Gesellschaftsleben. Was für sie auf den Straßen musikmöglich war und ist, wird im Rahmen dieses Seminars kritisch analysiert, unter besonderer Berücksichtigung der behördlichen Vorgaben, die das Musizieren im öffentlichen Raum gleichzeitig ermöglich(t)en und beschränk(t)en. Das im Fachgebiet Musiksoziologie angesiedelte Seminar gibt einen fundierten Einblick in den internationalen status quo der Forschung zum Thema, übt und festigt den reflektierten Umgang mit theoretischen Begriffen und Konzepten („Straßenmusik“, „öffentlicher Raum“, „creative cities“), bettet das Phänomen historisch ein und fördert die Entwicklung von Forschungsfragen, die sich empirisch bearbeiten und im Team umsetzen lassen. Dabei orientiert sich das Seminar bezüglich der methodischen Schwerpunktsetzung flexibel an den Interessen und Bedürfnissen der Studierenden, die sich im Sommersemester 2022 für eine autoethnographische Feldstudie entschieden. Ihr künstlerisches Potenzial für die Forschung fruchtbar machend, haben sie ihre Erfahrungen als Straßenmusiker/innen in Wien in einem Feldforschungstagebuch festgehalten und im Zuge einer inhaltsanalytischen Auswertung systematisiert. Des Weiteren wurde mit der Gestaltung eines (nicht-öffentlichen) Blogs auf mdw-moodle, der den Forschungsprozess fortlaufend dokumentiert, eine alternative Form der Wissensdokumentation und -vermittlung erprobt.

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

Street musicians have played in public spaces for centuries and thus made an essential contribution to social life. The conditions under which they pursued their art is subject of critical consideration in this seminar, focusing especially on the official regulations that have enabled and restricted music-making on the streets in the past and present. Anchored in the field of music sociology, the seminar provides a profound insight into the current international state of research on the topic of street music. Furthermore, a reflective use of theoretical terms and concepts (including “street music”, “public space” or “creative cities”) is practiced, as well as the phenomenon gets historically embedded. Moreover, the development of empirical research questions is encouraged. With regard to the specific methodical focus, the seminar flexibly orients itself to the interests and current needs of the students. In the summer semester of 2022, the music students decided to conduct an auto-ethnographic field study in the streets of Vienna. Making their artistic potential fruitful for research, they recorded their experiences as street musicians in a field research diary. In the course of evaluation, they systematized their observations (intersubjective content analysis coding). In the sense of an alternative form of documenting and communicating scientific knowledge, the students created a (non-public) blog on mdw-moodle, which continuously documents steps of the research process.

Nähere Beschreibung des Projekts

Die konkrete Umsetzung des Seminars vollzieht sich vor dem Hintergrund folgender curricularer Vorgaben: In den aktuellen Fassungen der mdw-Fachcurricula für die Unterrichtsfächer Musikerziehung und Instrumentalmusikerziehung (Masterstudium, 19W) wird u.a. vorgegeben, dass Absolvent/innen der entsprechenden Studiengänge in der Lage sein sollen, „sich mit den wirtschaftlichen, bildungs- kultur- und sozialpolitischen Bedingungen musikalischer Bildung in unserer Gesellschaft kritisch auseinanderzusetzen […]“. Im aktuellen mdw-Curriculum für das Bachelorstudium Instrumental(Gesang)Pädagogik (21W) werden als Lernziele für den Teilstudienbereich Wissenschaften formuliert, dass Studierende am Ende ihres Studiums in der Lage sein sollen, „ein kritisches und produktives Verhältnis zur Hybridität der vielfältigen Ausdruckformen der Musik der Gegenwart“ einzunehmen. Sie sollen „mit der Methodologie einer an der mdw vertretenen wissenschaftlichen Disziplin [hier: Musiksoziologie] […] und deren wesentlichen Forschungsansätzen fundiert“ umgehen können, wobei der Erwerb der Fähigkeit, „Methoden der empirischen Sozialforschung anzuwenden“ gesondert hervorgehoben wird.

Das Seminar „Straßenmusik mit Methoden der empirischen Sozialforschung untersuchen“ (im Sommersemester 2022 mit Fokus auf autoethnographischer Forschung) ist sehr gut geeignet, die genannten curricularen Ansprüche zu erfüllen. Über diese hinaus verfolgt das Seminar einige weitere Lernziele, die den Teilnehmer/innen zu Beginn des Seminars offen kommuniziert und ggf. durch geäußerte Wünsche der Studierenden ergänzt werden:

a) Ziel ist die gemeinsame, sukzessive Erarbeitung fundierten Wissens über die Praxis der Straßenmusik, gestern wie heute, an unterschiedlichen Orten der Welt, unter Berücksichtigung einschlägiger und aktueller internationaler Forschungsliteratur, wobei insbesondere die Komplexität, Heterogenität und Prozesshaftigkeit dieser musikalischen Praxis herausgearbeitet werden soll.

b) Anhand des gewählten Überthemas wird auf einer allgemeineren Ebene der reflektierte Umgang mit Alltagsbegriffen, die Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Terminologien, Theoriekonzepten und Diskursen kontinuierlich eingeübt.

c) In methodischer Hinsicht erlangen die Studierenden einen Einblick in unterschiedliche Methoden der empirischen Sozialforschung, können die jeweiligen Potenziale der verschiedenen empirischen Zugänge einschätzen und lernen, die für eine spezifische Forschungsfragestellung am besten geeignete Methode zu identifizieren. Sie sind in der Lage, geeignete Forschungsfragen zu entwickeln, überblicken die Stadien eines empirischen Forschungsprozesses und können den zu investierenden Zeitaufwand für ein empirisches Forschungsprojekt realistisch abschätzen.

d) Die Aneignung theoretischen und methodischen Wissens geht mit ihrer praktischen Umsetzung Hand in Hand. Absolvent/innen des Seminars sind daher mit allen Schritten einer ausgewählten empirischen Forschungstechnik theoretisch und praktisch vertraut, indem der Forschungsprozess komplett durchlaufen wird. Erzielte Forschungsergebnisse können angemessen in einem wissenschaftlichen Text dargelegt werden. 

e) Die Seminarteilnehmer/innen lernen, ihre Position und Wirksamkeit im Feld als Forscher/innen und Künstler/innen selbstkritisch zu reflektieren.

f) Die Musikstudierenden erschließen sich die Straße und öffentliche Plätze als Forschungsstätten ebenso wie als mögliche alternative Musikaufführungs- und gesellschaftliche Dialogräume, gestalten diese aktiv mit und übernehmen dadurch gesellschaftspolitische Verantwortung.

Die Umsetzung der formulierten Zielvorgaben vollzieht sich vor dem Hintergrund einschlägiger hochschuldidaktischer Empfehlungen, zum Beispiel den vom Team ProLehre der TU München ausgearbeiteten „Grundprinzipien und Erfolgsfaktoren guter Lehre“. Neueste Methoden der diskriminierungskritischen Bildungsarbeit, wie sie etwa Carmen Mörsch und Team zur Verfügung stellen, werden in der Konzeption des Seminars ebenso berücksichtigt wie „Aktivierende Methoden für Seminare und Übungen“ nach Gabi Dübbelde (Universität Gießen). 

Im Hinblick auf präferierte Lehr- und Lernmethoden bevorzuge ich einen kooperativen Lehrstil, der sich dadurch auszeichnet, dass „der Lernprozess gemeinsam mit den Studierenden gestaltet [wird]. Lehrende sind nun nicht nur Vermittler des Fachwissens, sondern beziehen die Studierenden durch Diskussionen und höhere Selbstständigkeit aktiv in den Lernprozess mit ein. Die Rolle der Lehrenden wird somit eher als Lernhelfer/in definiert, der/die die Studiereden unterstützt, ihr Wissen selbstständig zu erweitern und zu vertiefen.“ (Informationsportal Hochschullehre der Universität Bremen) Meine eigene Rolle sehe ich dementsprechend als Lernbegleiterin, die im Lernprozess als Input- und Impulsgeberin fungiert, notwendige Lerninhalte vor- und nachbereitet sowie Lernprozesse vororganisiert, dennoch aber als motivierende Prozessbegleiterin genügend zeitlichen Spielraum für spontane Ideen, Gruppenarbeiten, das selbständige Erarbeiten von Forschungsinhalten, für Recherchearbeiten im Team und die gemeinsame Aushandlung des konkreten empirischen Forschungsprojekts einplant und Studierende dadurch in ihrer wissenschaftlichen Handlungskompetenz stärkt.

Folgende Lehr- und Lernmethoden kommen im Rahmen dieses vierstündig teilgeblockten Seminars zum Einsatz:

1) Studierendenzentrierung – dezidierte Berücksichtigung von Vorerfahrungen, Kompetenzen und von Vorwissen der Studierenden: Zu Beginn des Seminars wird im Zuge einer Vorstellungsrunde vorhandenes Vorwissen erfragt, um in den Folgeeinheiten zielgenau am  Wissenstand der Teilnehmer/innen andocken zu können. Das Thema Straßenmusik betreffend sind dabei nicht nur Vorerfahrungen im Hinblick auf das Thema oder mit empirischer Sozialforschung relevant, sondern auch, welche künstlerischen Kompetenzen (im Hinblick auf Musikinstrumente, Repertoires, Genres) die Studierenden mitbringen und ob bereits praktische Erfahrungen mit Straßenmusik vorhanden sind.

2) Aktive Mitspracherechte der Studierenden im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung des Seminars: Wenngleich das Seminar einen grundlegenden Überblick über  Verfahren der qualitativen und quantitativen empirischen Sozialforschung bietet, obliegt die Entscheidung, welche Methode wir uns im Detail erarbeiten und praktisch erproben wollen, den Studierenden, die sich diesbezüglich untereinander abstimmen müssen. Diese Entscheidung wird getroffen, nachdem sich die Teilnehmer/innen in den ersten beiden Seminareinheiten mit dem Phänomen Straßenmusik grundsätzlich vertraut gemacht haben und erste Forschungsprobleme und -fragen formulieren können. Im Sommersemester 2022 fiel die Wahl der Studierenden auf ein autoethnographisches Forschungsprojekt. Wenngleich die Planung und Durchführung desselben durch methodische Inputs meinerseits flankiert wurde, oblag die Planung der konkreten Umsetzung weitgehend der Studierendengruppe. Dies betraf zum Beispiel die Vorbereitung der künstlerischen Performances, die auf der Straße dargeboten werden sollten: Musikensembles mussten gebildet, straßenmusiktaugliches Repertoire antizipiert und Programme eingeübt werden sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen abgeklärt werden, was die Studierenden eigenverantwortlich und selbständig bewältigten. Klug erwies sich ihre Idee, abwechselnd und in unterschiedlichen Formationen auf der Straße aufzutreten, so dass an einem Mai-Nachmittag im Jahr 2022 der Wiener Reumannplatz durchgängig bespielt werden konnte, die Studierenden aber dennoch zwischen Beobachter/innen-Rolle und Musiker/innen-Rolle flexibel hin- und herwechseln konnten.

Eine aktives Mitspracherecht wurde den Studierenden auch im Hinblick auf die Dissemination der Ergebnisse eingeräumt: Im Hinblick auf die zu erbringenden Prüfungsleistungen stellte ich den Student/innen im Sommersemester 2022 frei, ob sie eine Seminararbeit verfassen möchten, die den Forschungsprozess und seine Ergebnisse darstellt und diskutiert, oder ob sie im Sinne alternativer Wissensdokumentation gemeinsam einen Blog erstellen und pflegen wollen, wobei die Gruppe sich für die zweite Möglichkeit entschied. Auf Wunsch der Studierenden – viele hatten bis dato keine Vorerfahrungen, was die Gestaltung eines Wissenschaftsblogs angeht – verblieben die Blogeinträge aber im geschützten, der Öffentlichkeit nicht zugänglichen virtuellen mdw-moodle-Raum.

3) Direkte Anwendung und praktische Umsetzung des theoretisch Vermittelten, Vermeidung trägen Wissens: Die Erprobung und praktische Umsetzung der einzelnen methodischen Arbeitsschritte in ein konkretes empirisches Forschungsprojekt – von der Formulierung einer Forschungsfrage über die Auswahl einer geeigneten empirischen Methode, der gemeinsamen Entwicklung eines Datenerhebungsinstruments über die Durchführung des Projekts bis hin zur systematischen Auswertung der erhobenen Daten und ihrer Dissemination – fördert die wissenschaftliche Handlungskompetenz der Studierenden und befähigt sie zu selbständiger Forschungsarbeit.

4) Kontinuierliche Bindung von Aufmerksamkeit – Gestaltung eines abwechslungsreichen Unterrichts durch die Implementierung unterschiedlicher Lernimpulse: Einzelne Lerneinheit werden zeitlich überschaubar gefasst, wobei darauf geachtet wird, dass aufeinanderfolgende Abschnitte sich im Hinblick auf ihre formale Organisation und die Inhalte voneinander unterscheiden. So haben wir, ansetzend bei den Alltagserfahrungen der Teilnehmer/innen, im Zuge eines gemeinsamen Brainstormings zentrale Kennzeichen von Straßenmusik zusammengetragen. Vorab recherchierte Bild-, Video- und Klangmaterialien regen die Entdeckung weiterer zentraler Charakteristika an. Die anschließende Lektüre unterschiedlicher wissenschaftlicher Definitionsversuche zu Straßenmusik ergänzten und korrigierten (wo nötig) die bis dato gesammelten Eindrücke und erlaubten die Erstellung einer concept map, die die Komplexität des Themas greif- und sichtbar machte. Im Sinne eines Think-Pair-Share haben die Student/innen in einem weiteren Zeit-Slot die unterschiedlich rechtlichen Rahmenbedingungen von Gemeinden und Städten in Österreich recherchiert und entlang ausgewählter Kriterien (u.a. festgelegte Auftrittsorte, -zeiten und -dauer, erlaubte Ensemblegrößen und Musikinstrumente, entstehende Kosten) im Kollektiv ausgewertet. Im Zuge der Beschäftigung mit autoethnographischer Forschung bot den Studierenden ihr Forschungstagebuch, das uns ab der zweiten Seminareinheit kontinuierlich begleitete, Phasen der mentalen Entlastung, indem sie in den vorgesehen Zeitslots assoziativ und frei ihre Gedanken niederschreiben konnten. Impulsstatements (z. B. „Mein persönliches Verhältnis zu Straßenmusik würde ich aktuell wie folgt beschreiben“ oder „Wenn ich daran denke, dass wir mit den Seminarkolleg/innen bald auf der Straße auftreten werden, fühle ich/denke ich mir Folgendes“) dienten dabei im Sinne Konkreten Freewritings als Anregung.

Wie aus meinen Darlegungen hervorgeht, konnten im Zuge dieses Seminars zur Straßenmusik mit Fokus auf autoethnographischer Forschung das künstlerische Vermögen der Studierenden mit dem wissenschaftlich-kritischen Nachdenken über die Praxis der Straßenmusik und der praktischen Erprobung empirischer Methoden im „Feld“ miteinander verschränkt werden. Auf diese Weise werden heterogene Kompetenzen adressiert, gefördert und aufeinander bezogen, die in ihrem Zusammenspiel das Potenzial für unerwartete Erfahrungen und überraschende Einsichten in sich bergen.

Nutzen und Mehrwert

Die Konzeption dieses Seminars ist für mich als Lehrende vergleichsweise zeitaufwändig und erfordert, je nachdem, welche methodische Setzung die Studierenden wählen, in der Vorbereitung eine gewisse Flexibilität. Allerdings weiß ich aus Erfahrung, dass sich der Mehraufwand für meine Studierenden mehrfach auszahlt: Studierende erlangen im Seminar vertiefte Methodenkompetenz und sind durch den praktischen Vollzug einer spezifischen empirischen Methode sehr gut auf noch kommende empirische (Abschluss-)Arbeiten vorbereitet, wie auch die systematisch-wissenschaftliche Denkweise gefestigt wird. 

Im Hinblick auf ihre künstlerische Persönlichkeitsbildung bietet das Seminar mit seiner Themensetzung in Verbund mit autoethnographischer Forschung Gelegenheit, sich der eigenen, oft privilegierten Position innerhalb der Gesellschaft bewusst zu werden. Die mit einem solchen privilegierten Status einhergehenden, sich einschleifenden Werte, Haltungen und Routinen einer kritischen Sichtung zu unterziehen, ist auch ein Anliegen dieses Seminars. Ausdrücklich sollen die Student/innen dazu ermutigt werden, sich in die aktive Mitgestaltung des öffentlichen Raums jenseits bürgerlicher oder popmusikalischer Referenzrahmen einzubringen. Straßenmusik stellt eine besonders niedrigschwellige, im Hinblick auf die erforderlichen Mittel unaufwändige Möglichkeit dar, um mit einer breiteren Öffentlichkeit unkompliziert in Dialog zu treten, sich Feedback einzuholen, und eignet sich auch für Aktionen mit Schulklassen oder mit Musikschüler/innen, die Teil der künftigen Berufspraxis meiner Studierenden sein werden.

Nachhaltigkeit

Seit ich zum Thema Straßenmusik forsche, biete ich dieses mit je unterschiedlichen methodischen Schwerpunkten an. In den Jahren 2015 bzw. 2016  haben Musikstudierende der Universität Oldenburg (Deutschland) bzw. der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien mit Hilfe von qualitativen Leitfadeninterviews Straßenmusiker*innen in Oldenburg und Wien zur ihrem Lebens- und Berufsalltag befragt. Eine andere Gruppe mdw-Studierender hat im Sommersemester 2017 einen quantitativen Fragebogen konzipiert und via SPSS ausgewertet, der sich an das Straßenmusikpublikum richtete. Im Sommersemester folgte nach der Pandemie-Pause, in der es auf den Straßen still wurde, das hier näher beschriebene autoethnographische Forschungsprojekt. In näherer Zukunft möchte ich die autoethnographische Forschung gerne wieder aufgreifen, jedoch stärker in Richtung "Musik und Aktivismus" ausbauen, indem über die künstlerische Darbietungen, zum Beispiel zum Thema Klimaschutz, zu Klassismus oder Rassismus, bewusst-provokative Impulse im öffentlichen Raum gesetzt und die Publikumsreaktionen hierauf systematisch dokumentiert werden. Ferner denke ich aktuell darüber nach, wie sich die teils hochinteressanten Ergebnisse der Studierenden im Rahmen dieses Seminars gemeinsam mit ihnen publizieren ließen.

Dissemination/Transfer

Prinzipiell kann ich mir sehr gut eine Kooperation mit einer bildenden oder künstlerisch-angewandten Einrichtung vorstellen, so dass sich das Thema auf "Straßenkunst" erweitern ließe.

Institutionelle Unterstützung

Sofern benötigt, kann ich im Zuge empirischer Auswertungsprozesse auf spezielle Software zurückgreifen, die über die mdw zur Verfügung gestellt wird (etwa auf SPSS im Zuge quantitativer Projekte mit Studierenden), was sehr hilfreich ist. Auch mdw-moodle erweist sich als ein ausgezeichnetes und und nachhaltiges Tool, um Studierenden die für eine Einheit vorbereiteten Powerpoint-Präsentationen als auch Volltexte (theoretische und methodische Literatur), auf welchen die Seminareinheiten basieren, zur weiterführende Lektüre zur Verfügung zu stellen. Auch für die Einstellung von Links und gemeinsam erarbeiteten Materialien ist dieses Tool sehr gut geeignet. Die gemeinsame Pflege des internen Blogs zur Straßenmusik hat über mdw-moodle gut funktioniert, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, was die Darstellungsmöglichkeiten betrifft.

Links zu der/den Projektmitarbeiter/innen
Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2023 nominiert.
Ars Docendi
Gewinner 2023
Kategorie: Forschungsbezogene bzw. kunstgeleitete Lehre
Ansprechperson
Sarah Chaker, Ass.Prof.in Dr.in
Institut für Musiksoziologie
06507523242
Nominierte Person(en)
Sarah Chaker, Ass.Prof.in Dr.in
Institut für Musiksoziologie
Themenfelder
  • Diversität und Soziales
  • Lehr- und Lernkonzepte
  • Schnittstelle zum Arbeitsmarkt
  • Wissenschaftliche (Abschluss)Arbeiten
  • Forschung/EEK geleitete Lehre
  • Erfahrungslernen
  • Digitalisierung
Fachbereiche
  • Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften
  • Kunst, Musik und Gestaltung