Karl-Franzens-Universität Graz
Universitätsplatz 3, 8010 Graz
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Lehrveranstaltungsbündel Organische Chemie: Fachverständnis aufbauen und Handlungskompetenz fördern

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

In der organischen Chemie sind Faktenwissen und theoriebasierte Modellvorstellungen eng mit praktischen Kompetenzen, wie etwa dem Formulieren von Reaktionsmechanismen oder dem Entwickeln von Synthesewegen, verflochten. Gute organische Chemiker*innen zeichnen sich dadurch aus, ihr theoretisches Grundlagenwissen auf vielfältige konkrete Problemstellungen anwenden zu können. Diese Fähigkeit innerhalb des Bachelorstudiums Chemie zu erwerben, stellt für Studierende eine große Herausforderung dar und kann nur gelingen, wenn alle Lehrangebote auf die Förderung der nötigen Handlungskompetenzen hin ausgerichtet sind. Genau das ist der Kerngedanke des Lehrveranstaltungsbündels Organische Chemie.

Die wichtigsten Lehrziele des Lehrveranstaltungsbündels wurden operationalisierbar ausformuliert:

  • Kennenlernen wichtiger organisch-chemischer Stoffklassen: Die Studierenden sollen über die Eigenschaften, das natürliche Vorkommen, die synthetische Herstellung und die Reaktivität wichtiger Stoffklassen Bescheid wissen.
  • Fachterminologie: Die Studierenden sollen in der Lage sein, Moleküle systematisch zu benennen und Molekül- bzw. Reaktionseigenschaften terminologisch exakt zu beschreiben.
  • Basiskonzepte: Die Studierenden sollen organisch-chemische Reaktionen anhand modellhafter Basiskonzepte (z.B. Nukleophilie/Elektrophilie, Acidität/Basizität, Thermodynamik, Kinetik) analysieren können.
  • Mechanistisches Verständnis: Die Studierenden sollen den detaillierten Ablauf wichtiger organisch-chemischer Reaktionen anhand von arrow-pushing-Reaktionsmechanismen diskutieren können.
  • Synthesekompetenz: Die Studierenden sollen in der Lage sein, einfache mehrstufige Synthesen (2–3 Stufen) der diskutierten Verbindungen selbstständig zu planen.

Den größten Stellenwert nehmen die drei letzten Aspekte ein, die für das weitere Studium und die spätere berufliche Tätigkeit von großer Bedeutung sind. Bereits unmittelbar nach der erfolgreichen Absolvierung des Lehrveranstaltungsbündels bringen die Studierenden in der Laborübungen aus organischer Chemie ihre erworbenen Fähigkeiten praktisch zur Anwendung, indem sie für jedes hergestellte Präparat einen detaillierten Reaktionsmechanismus formulieren und eine dreistufige Synthese auf Basis von Primärliteratur selbstständig planen und durchführen. Die im Lehrveranstaltungsbündel erworbene Handlungskompetenz bildet damit auch die Grundlage für sicheres und kompetentes Experimentieren der Studierenden im Labor.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Die organische Chemie stellt mit ihrem großen Stoffumfang und ihrer intensiven Verflechtung von Theorie und Praxis für viele Studierende eine enorme Herausforderung dar. In dem Lehrveranstaltungsbündel, das aus zwei Vorlesungen, einem Tutorium und einer Übung im Bachelorstudium Chemie besteht, werden die Grundlagen der organischen Chemie kompetenzorientiert vermittelt. Die Studierenden lernen, die umfangreichen fachlichen Inhalte anhand verallgemeinerbarer Modellvorstellungen zu strukturieren und zu erklären und ihre Kenntnisse auf konkrete wissenschaftliche Problemstellungen anzuwenden.

Um das zu erreichen, verbinden die vier Lehrveranstaltungen die folgenden Grundprinzipien:

  1. Fokus auf den Aufbau von Handlungskompetenz durch Einflechten von Übungsaufgaben direkt in den Vorlesungen, enge Abstimmung der Vorlesungen mit Tutorium und Übungen, und verstärkte Überprüfung der praktischen Kompetenzen im Rahmen der Vorlesungsprüfung.
  2. Förderung von Fachverständnis durch häufige inhaltliche Querverweise, Schritt-für-Schritt-Erklärungen komplexer Zusammenhänge, kritisches Durchleuchten von Modellvorstellungen und Einflechten von Praxisbeispielen.
  3. Medial vielfältige, aber inhaltlich kongruente Gestaltung der Vorlesungen mit Powerpoint, Tafelbild, Handouts, Videoaufzeichnungen und Lehrvideos, Verweisen auf Originalliteratur und spielerischen Lernanreizen (Gamification).

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

Organic chemistry is an extensive subject and intertwines theoretical and practical aspects in a way that presents a challenge for many students. In this bundle of courses from the Bachelor programme of chemistry, which consists of two lectures, a tutorial, and an exercise course, basic organic chemistry is taught in a skill-oriented way. Students learn to structure and explain factual information in the field using generalisable models and to apply their knowledge to practical scientific problems.

To achieve this, the four courses adhere to the following principles:

  1. Focus on building practical skills by integrating exercises directly into the lectures, by coordinating the lectures with the tutorial and the exercise course, and by assessing the acquired skills in the lectures’ final exams.
  2. Fostering deep knowledge and insight by frequent cross references, step-by-step explanations of complex interrelations, critical analysis of scientific models, and integration of practical examples.
  3. Design of lectures using diverse media but congruent content, involving Powerpoint, blackboard drawings, handouts, video recordings and instructional films, references to primary literature, and educational games.

Nähere Beschreibung des Projekts

Die beiden Vorlesungen, das Tutorium und die Übungen des Lehrveranstaltungsbündels verfolgen das gemeinsame Ziel, den Studierenden ein solides Verständnis der wichtigsten Grundprinzipien der organischen Chemie zu vermitteln, und sie in die Lage zu versetzen, ihre Fachkenntnisse auf konkrete, praxisrelevante Aufgabenstellungen anzuwenden. Lehrinhalte, Lehrmethoden und die Prüfungsgestaltung sind auf dieses Ziel hin abgestimmt:

Inhaltlich wird der Vermittlung von breit anwendbaren Erklärungsmodellen und dem Herstellen von Querbeziehungen zwischen Teilgebieten des Fachs deutlich mehr Raum gegeben als dem reinen Erwerb von Faktenwissen. Die Studierenden lernen nicht nur, wie sich organische Moleküle verhalten, sondern vor allem warum sie sich so verhalten.

Die Methodik zeichnet sich dadurch aus, dass komplexe praktische Fertigkeiten (z.B. das Zeichnen von Reaktionsmechanismen) Schritt für Schritt erläutert werden, um für die Studierenden nachvollziehbar zu werden, und dass schon in den Vorlesungen regelmäßig Übungsaufgaben eingeflochten werden, bei denen die Teilnehmer*innen die erworbenen Kenntnisse direkt auf praktische Beispiele anwenden können. Im Tutorium und den Übungen zu den Vorlesungen wird dieser Transfer in die Praxis intensiv gefördert.

Im Zuge der Vorlesungsprüfungen stellen die Studierenden ihre Problemlösekompetenz anhand von Fragetypen unter Beweis, die aus den Übungsaufgaben bekannt sind, aber einen Transfer auf neue Beispiele erfordern. Reine Wissensfragen kommen zwar vor, der Fokus liegt aber auf Anwendungsaufgaben, bei denen die Studierenden Strukturen zeichnen, Zusammenhänge erläutern und Synthesewege vorschlagen – es wird also bewusst der Fokus auf höhere Ebenen der Bloom’schen Taxonomie gelegt.

Besonders zentrale Aspekte dieses didaktischen Ansatzes werden im Folgenden näher dargestellt. In einem online abrufbaren PDF-Dokument (s. static.uni-graz.at/fileadmin/lehr-studienservices/Lehrpreis/ars-docendi2023_OC_anhang.pdf ) werden einige davon zusätzlich durch Beispiele illustriert.

  • Einbetten von Einzelinhalten in verallgemeinerbare Erklärungsmodelle: Das Stoffgebiet der organischen Chemie ist ausgesprochen umfangreich. Über 100 Millionen organische Verbindungen und tausende Reaktionen für deren Umwandlung ineinander sind bekannt, so dass Auswendiglernen von Faktenwissen unweigerlich zur Überforderung führen würde. Glücklicherweise lässt sich die Struktur und Reaktivität organischer Moleküle aber auf eine recht begrenzte Anzahl an verallgemeinerbaren Erklärungsmodellen zurückführen. Den Studierenden diese Modelle näherzubringen und sie dahingehend zu trainieren, das für die aktuelle Fragestellung geeignetste Modell auszuwählen, sind zentrale Anliegen der beiden Vorlesungen im LV-Bündel. Der Ablauf der besprochenen chemischen Reaktionen wird Schritt für Schritt an der Tafel diskutiert und empirische Beobachtungen, z.B. zu Reaktionsgeschwindigkeit oder Produktverteilung, werden anhand theoretischer Grundprinzipien untermauert. Wenn für einen Sachverhalt mehrere alternative Erklärungsmodelle denkbar sind, werden diese nebeneinandergestellt und ihre Vor- und Nachteile herausgearbeitet.
  • Konsequente Einbindung von Übungsaufgaben: Das solide Fachverständnis, das die Studierenden in den Vorlesungen erwerben sollen, bildet die Grundlage für das erfolgreiche Bearbeiten praxisrelevanter Problemstellungen. Gleichzeitig ist es aber unerlässlich, die praktischen Fertigkeiten, die zur Problemlösung nötig sind, konsequent zu trainieren. Der erste Schritt dahin erfolgt schon in den Vorlesungen selbst, indem zu jedem Themenbereich kurze Übungsaufgaben (10–15 min inkl. Diskussion der Ergebnisse) direkt in der Vorlesungseinheit einzeln oder in Gruppen bearbeitet werden. So gelingt ein unmittelbarer Transfer theoretischer Inhalte in ihre praktische Anwendung. Eine intensivere Herausbildung der praktischen Kompetenzen erfolgt im Tutorium und der Übungs-LV, die mit den Vorlesungen assoziiert sind. Die Studierenden bearbeiten zu Hause (oder in selbst organisierten Lerngruppen) Übungsaufgaben, stellen dann in der Lehrveranstaltung die erarbeiteten Lösungsvorschläge an der Tafel vor, und diskutieren etwaige Fragen und Unklarheiten mit den Übungsleiter*innen und den anderen Teilnehmer*innen. Im Tutorium zur ersten Vorlesung, das als freies Wahlfach angeboten wird, kommen dafür Arbeitsblätter (Worksheets) zum Einsatz, die alternativ auch mitsamt Lösungen über die Moodle-Seite der Vorlesung online abrufbar sind. Bei den Übungen zur zweiten Vorlesung, die als Pflichtfach im Curriculum verankert sind, erstellen die Übungsleiter*innen selbst die Arbeitsaufgaben, wobei sie sich eng mit dem Vortragenden der Vorlesung abstimmen. Dass die Übungen bzw. das Tutorium nicht vom Vortragenden der Vorlesung selbst abgehalten werden, ist eine bewusste didaktische Entscheidung, die es erlaubt, den Studierenden herausfordernde Inhalte durch mehrere Personen in unterschiedlichen Worten und aus mehreren Perspektiven zu vermitteln. Die inhaltlichen Anforderungen der Übungsaufgaben reichen von simplem Prozeduralwissen, wie etwa beim systematischen Benennen von Molekülen, bis hin zur kreativen Auseinandersetzung mit den zugrundeliegenden Reaktivitätseigenschaften, wie etwa beim Entwickeln von Synthesewegen für ein Zielmolekül. Häufig sind mehrere Lösungswege möglich, was bei der Besprechung der Aufgaben konsequent diskutiert wird. So ergibt sich durch die Beiträge aller Teilnehmer*innen für jede*n Einzelne*n ein Informations- und Verständnisgewinn.
  • Studierendenpartizipation: Weit über die Übungsaufgaben hinaus sind die Studierenden eingeladen, sich aktiv an den Lehrveranstaltungen zu beteiligen. Sie werden zu inhaltlichen Zwischenfragen während der Vorlesungen ermutigt oder durch die Vortragenden um Stellungnahme (Handzeichen oder kurze Wortmeldung) zu den gerade besprochenen Inhalten gebeten. Auf Moodle steht ein Forum für inhaltliche Fragen zur Verfügung, das auch genutzt wird, um Zwischenfragen, die in der Vorlesung nicht zufriedenstellend beantwortet werden konnten, nachträglich aufzulösen. Ebenfalls auf Moodle wurde im Sommersemester 2019 ein mitwachsendes Glossar ins Leben gerufen, das von den Studierenden mit selbst erarbeiteten Beiträgen befüllt und von den Lehrenden moderiert wird. So setzen sich die Studierenden nicht nur intensiver mit wichtigen Fachbegriffen auseinander und lernen diese präzise zu definieren, sie erwerben auch erste Kenntnisse in guter wissenschaftlicher Praxis, denn auf korrektes Zitieren wird im Glossar großer Wert gelegt. Die Beiträge zählen als Mitarbeitsleistung für Tutorium bzw. Seminar und stehen allen nachfolgenden Studierendengenerationen unter einer CC-BY-Lizenz zur Verfügung. Auch in der Lehrtätigkeit selbst spielt Studierendenpartizipation eine Rolle: Im Tutorium wurden in der Vergangenheit häufig PhD-Studierende eingebunden; in Zukunft wollen wir verstärkt auf Vorlesungsabsolvent*innen des Vor- bzw. Vorvorjahres setzen.
  • Mediendidaktisch vielfältige Lernmaterialien: Da die Lernanforderungen an die Studierenden so breit und deren Studien- und Lebenssituationen so heterogen sind, halten wir es im Sinne der Studierendenzentrierung für wichtig, die Lehrinhalte über vielfältige Kanäle anzubieten, aus denen sich die Studierenden den für sie passenden „Medienmix“ selbst zusammenstellen können. Kern der Wissensvermittlung ist die Präsenzvorlesung, wo Überblicksinhalte hauptsächlich mit Powerpoint-Folien, Detailinhalte hingegen durch Schritt-für-Schritt-Erklärungen an der Tafel erarbeitet werden. Für besonders wichtige Themenbereiche werden im Moodle-Kurs, der eine zentrale Anlaufstelle für die Studierenden darstellt, Zusatzmaterialien angeboten, die von ausformulierten Handouts über Überblicksgrafiken im Posterformat bis hin zu ausgewählten wissenschaftlichen Originalarbeiten reichen. Einige wenige Inhalte, bei denen Auswendiglernen unerlässlich ist, werden durch Gamification-Ansätze attraktiver gestaltet – so gibt es etwa ein Online-Quizlet zu Namensreaktionen und ein Kartenspiel zu Aciditätskonstanten.
  • Lebensnähe und Anwendungsbezug: Die organische Chemie bietet vielfältige Anknüpfungspunkte zu anderen Teildisziplinen der chemischen Wissenschaften (z.B. zur Biochemie und zur pharmazeutischen Chemie), zur Medizin und zu vielen Aspekten unseres täglichen Lebens. Dennoch ist gerade bei den theoretischen Basisinhalten der Anwendungsbezug für die Studierenden nicht immer unmittelbar evident. Um das intrinsische Interesse der Studierenden am Fach zu fördern und sie zu einer kritischen und tiefgehenden Auseinandersetzung mit den Inhalten zu motivieren, werden daher in jedem Themengebiet Informationen zur gesellschaftlichen Relevanz des gerade Besprochenen eingeflochten. Diese reichen von der Anwendung der diskutierten Reaktionen in der Herstellung medizinischer Wirkstoffe über Parallelen zum menschlichen Stoffwechsel bis hin zur Funktionsweise von Tränengas oder den chemischen Grundlagen der Dauerwelle. Bei konkreten Beispielen für die besprochenen Reaktionstypen wird häufig auf industriell wichtige Produkte zurückgegriffen oder auf solche, die die Student*innen in den Laborübungen aus organischer Chemie selbst herstellen werden. Dieser Anwendungsbezug setzt sich auch in den Übungsaufgaben und den Prüfungsbeispielen fort: Anstelle frei erfundener Strukturen kommen literaturbekannte Beispiele zum Einsatz, und jede Prüfung enthält eine Aufgabe, in der die Synthese einer gesellschaftlich relevanten Zielverbindung (z.B. ein Medikament oder ein Duftstoff) vervollständigt werden muss.
  • Flexibilität durch Videoaufzeichnungen: Von allen Einheiten der beiden Vorlesungen wurden durch das Zentrum für Digitales Lehren und Lernen (ZDLL) professionelle Videoaufzeichnungen erstellt, die als Open Educational Resources online zur Verfügung stehen. Wer nicht in die Präsenzeinheiten kommen kann oder möchte, kann sich die Vorlesungsinhalte ausschließlich auf Basis der Videos und der Materialien im Moodle-Kurs erarbeiten. Viele Studierende nutzen die Videoaufzeichnungen aber auch zur Wiederholung und Vertiefung des Gelernten im Zuge der Prüfungsvorbereitung. Auch für die Lehrenden bieten die Videos erhöhte Flexibilität: Im Wintersemester 2018/19 wurden zwei ausgewählte Vorlesungseinheiten im „Flipped Classroom“-Ansatz durchgeführt, wofür die Videoaufzeichnungen aus dem Vorjahr die Basis bildeten. Als im Sommersemester 2021 aufgrund der COVID-Pandemie gar keine Präsenzlehre möglich war, wurde sogar die gesamte Vorlesung in einem Online-„Flipped Classroom“-Format abgehalten, was von den Studierenden ausgesprochen positiv angenommen wurde.
  • Kompetenzorientierte Prüfungsgestaltung: Bei den Vorlesungsprüfungen bringen die Studierenden genau jenes Fachverständnis und jene praktischen Kompetenzen zum Einsatz, die durch das Lehrveranstaltungsbündel entwickelt werden sollen. Sie bearbeiten Aufgaben aus allen Themengebieten der Vorlesung, wobei aus Tutorium bzw. Übungen bekannte Fragetypen, aber überwiegend neue inhaltliche Beispiele zum Einsatz kommen. Um größtmögliche Fairness im Schwierigkeitsgrad und eine ausgeglichene Abdeckung der Inhalte zu gewährleisten, liegt den Klausuren ein detailliert ausformuliertes Prüfungskonzept zugrunde. Dieses legt Kerninhalte fest, die so wichtig sind, dass sie in jeder Klausur vorkommen, während weniger zentrale Aspekte variiert werden, und enthält konkrete Vorgaben zu Fragetypen (z.B. genau eine Mehrstufensynthese pro Prüfung). Das Prüfungskonzept wird den Studierenden offen kommuniziert, und auf Moodle stehen die Prüfungen und Musterlösungen sämtlicher vorangegangener Semester zum Download zur Verfügung. Am Ende jedes Semesters wird eine Fragestunde und auf Wunsch auch eine Probeklausur angeboten, und die statistische Analyse der Prüfungsergebnisse stellt sicher, dass die Klausuren über alle Jahrgänge hinweg ein gleichbleibendes Anspruchsniveau aufweisen.

Nutzen und Mehrwert

Der Mehrwert des Lehrprojekts für die Studierenden entsteht vor allem aus zwei Aspekten:

  1. Durch die enge inhaltliche Koordination der beiden Vorlesungen mit dem Tutorium und den Übungen entwickeln die Studierenden über das gesamte Semester hinweg die praktischen Kompetenzen, die für eine erfolgreiche Bewältigung der Vorlesungsprüfungen nötig sind. Sie wenden das erworbene Wissen zeitnah – direkt in der Vorlesung und kurz darauf erneut in Tutorium bzw. Übungen – auf konkrete Aufgaben an und verknüpfen so theoretische Inhalte mit praktischen wissenschaftlichen Fertigkeiten. Über das Semester hinweg wiederholen sich ähnliche Aufgabentypen mit unterschiedlichen Inhalten, so dass Querverbindungen zwischen Teilbereichen des Stoffgebiets hergestellt werden und die Studierenden in der Lage sind, sich inhaltlich neuen Aufgaben methodisch-systematisch zu nähern.
  2. Das umfangreiche Angebot an inhaltlich kongruenten aber mediendidaktisch vielfältigen Lernmaterialien (Folien, Videoaufzeichnungen & Lehrvideos, Handouts, Spiele) ermöglicht es den Studierenden, sich den für sie passendsten „Medienmix“ selbst zusammenzustellen und zeit- und ortsunabhängig zu lernen, womit den oft sehr heterogenen Lebens- und Studiensituationen der Studierenden Rechnung getragen wird.

Für die Lehrenden ergibt sich aus der Arbeit mit Übungsaufgaben eine kontinuierliche, formative Leistungsbeurteilung und damit die Chance, die für die Studierenden herausforderndsten Aspekte des umfangreichen Stoffgebiets zu erkennen und rechtzeitig zusätzliche Hilfestellung anzubieten. Die enge Koordination der Vorlesungen mit Tutorium bzw. Übungen ist dabei essentiell, denn in den Vorlesungen selbst lassen sich die Aufgaben nur in beschränktem Ausmaß einbauen. Aus den gemeinsamen Beiträgen aller beteiligten Lehrenden ergibt sich eine umfangreiche Sammlung an gut durchdachten Aufgabentypen, die beim Erstellen neuer Prüfungen und Übungsblätter den Neuaufwand in Grenzen hält.

Nachhaltigkeit

Das Lehrveranstaltungsbündel existiert in dieser Form seit 2017 und wird ständig weiterentwickelt. Beispielsweise waren die Videoaufzeichnungen der Vorlesungen ein Wunsch der Studierenden und wurden bei der jeweils zweiten Abhaltung erstellt. Von den Worksheets zur Vorlesung existierten zuerst nur die Aufgaben, die zugehörigen Lösungen wurden bei der ersten Abhaltung 2017 vom Tutor Stefan Payer handschriftlich erstellt und erst später in die heutige, digitalisierte Form gebracht. Das Glossar mit wichtigen Grundbegriffen, an dem die Studierenden selbst mitwirken, ist ein fortlaufendes Projekt und wird mit jedem Vorlesungsdurchlauf erweitert. Ebenfalls ständig aktualisiert wird die Sammlung an Altprüfungen inkl. zugehöriger Musterlösungen.

Der Weg der konsequenten Weiterentwicklung soll auch in Zukunft beschritten werden. Gemeinsam mit dem Zentrum für digitales Lehren und Lernen arbeiten wir beispielsweise gerade daran, den Studierenden detaillierte digitale 3D-Modelle wichtiger Moleküle zur Verfügung zu stellen, damit sie die mikroskopisch kleinen Hauptdarsteller der organisch-chemischen Reaktionen besser visualisieren können.

Dissemination/Transfer

Die konsequente inhaltliche und methodische Ausrichtung eines Lehrveranstaltungsbündels auf ein gemeinsam angestrebtes Lernergebnis ist – didaktische Kompetenz und Kommunikationsbereitschaft der beteiligten Lehrenden vorausgesetzt – auf vielfältige Lehrsituationen und curriculare Hintergründe übertragbar. Entscheidend ist hierbei vor allem das klare, operationalisierbare Ausformulieren der gemeinsamen Ziele und das Constructive Alignment dieser Ziele mit dem Lehrangebot und den Übungs- und Prüfungsaufgaben. Alle Wissenschaftsbereiche, in denen Handlungskompetenz eine Rolle spielt, können von diesem Ansatz profitieren.

Auch qualitativ gute Videoaufzeichnungen, visuell ansprechend gestaltete Handouts und Lernspiele sind in vielfältigen inhaltlichen Kontexten ein Gewinn. Zwar erfordern diese Materialien einen erheblichen Initialaufwand in der Erstellung, dafür sind sie aber auch langfristig einsetzbar und geben sowohl Studierenden als auch Lehrenden große Flexibilität, z.B. wenn Videos von den Studierenden zu Hause genutzt werden, oder wenn sie als Grundlage dafür dienen, ausgewählte Vorlesungseinheiten gemäß dem Flipped-Classroom-Ansatz „auf den Kopf zu stellen“.

Innerhalb der Universität Graz hat sich die Qualität der organisch-chemischen Ausbildung jedenfalls schon herumgesprochen: Dr. Schrittwieser erhält regelmäßig Anfragen von Studierenden anderer Fachrichtungen (z.B. Pharmazie, Molekularbiologie), die um Zugang zu seinen Unterlagen bitten. Chemie-Studierende nehmen mitunter freiwillig an den Übungen zur VO aus Organischer Chemie teil, obwohl sie die LV bereits einmal absolviert haben, weil sie die Übungen als zielgenaue Vorbereitung auf die Vorlesungsprüfung schätzen. Auch andere Lehrende sind auf die Qualität des Lehrprojekts aufmerksam geworden: Im gerade angelaufenen Sommersemester wird ein Kollege aus der anorganischen Chemie in der Vorlesung „Organische Chemie“ hospitieren, um sich Anregungen für seine eigenen Lehrveranstaltungen zu holen.

Institutionelle Unterstützung

Das Lehrprojekt wird seitens der Universität Graz auf vielfältige Weise unterstützt. Beispielsweise wurde für die Videoaufzeichnungen der Vorlesungen im Wintersemester 2017/18 und im Sommersemester 2019 durch das Zentrum für digitales Lehren und Lernen (ZDLL) der Universität qualifiziertes Fachpersonal zur Verfügung gestellt, um Videoaufnahmen durch einen Kameramann und eine professionelle Postproduktion zu ermöglichen. Dieser Service wurde durch den damaligen Vizerektor für Lehre, Prof. Martin Polaschek, aus Rektoratsmitteln finanziert. Ebenfalls 2017/18 wurde Dr. Jörg Schrittwieser durch das ZDLL ein Tablet (iPad Pro) zur Verfügung gestellt, mit dessen Hilfe er eine Serie von Lehrvideos produzieren konnte, die von den Studierenden begeistert angenommen wurden. Das mit der Zuerkennung des „E-Learning Champion 2017“ verbundene Preisgeld ermöglichte es Dr. Schrittwieser in der Folge, ein eigenes Tablet anzuschaffen, das seitdem zur Produktion weiterer Lehrvideos sowie in der synchronen Onlinelehre während der COVID-Pandemie zum Einsatz kam. In den Übungen zur VO aus Organischer Chemie wurden während der Pandemie durch das Institut für Chemie beschaffte Tablets eingesetzt. Darüber hinaus wurden durch das Institut mehrmals studentische Mitarbeiter*innen in der Lehre (STUMALs) finanziert, die am Tutorium zur VO Organische Chemie mitgewirkt haben. Auch im gerade angelaufenen Sommersemester hat das Institut wieder die Einbindung von zwei STUMALs ermöglicht.

Positionierung des Lehrangebots

Beim eingereichten Lehrangebot handelt es sich um ein Bündel von vier Lehrveranstaltungen (zwei Vorlesungen, ein Tutorium, eine Übung), die gemeinsam die theoretische Grundausbildung im Fach Organische Chemie für Studierende des Bachelorstudiums Chemie bilden. Schon in den beiden Vorlesungen „Organische Chemie“ (2. Semester, 3 ECTS) und „Organische Chemie I“ (3. Semester, 4 ECTS) werden regelmäßig Übungsaufgaben eingeflochten, um die Handlungskompetenz der Studierenden zu fördern und das erworbene Wissen direkt praktisch umzusetzen. Die so erworbene Fähigkeit der Studierenden, konkrete, praxisrelevante Fragestellungen zu bearbeiten, wird im „Tutorium zur VO Organische Chemie“ (2. Semester, freies Wahlfach, 2 ECTS) und in den „Übungen zur VO aus Organischer Chemie“ (3. Semester, Pflicht-LV, 1 ECTS) noch gezielt vertieft und weiterentwickelt.

Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2023 nominiert.
Ars Docendi
2023
Kategorie: Lernergebnisorientierte Lehr- und Prüfungskultur
Ansprechperson
Jörg Schrittwieser, Dr.
Institut für Chemie
+43 (0)316 380 5334
Nominierte Person(en)
Jörg Schrittwieser, Dr.
Institut für Chemie
Silvia Glück-Harter, Dr.
Institut für Chemie
Mélanie Hall, Ass.-Prof. Priv.-Doz. Dr.
Institut für Chemie
Stefan Payer, Dr.
Institut für Chemie
Christoph Winkler, Dr.
Institut für Chemie
Themenfelder
  • Infrastruktur/Lehrmaterialien
  • Lehr- und Lernkonzepte
  • Rund ums Prüfen
  • Digitalisierung
  • Prozess der Curriculagestaltung
  • Flexibel Studieren
  • Erfahrungslernen
Fachbereiche
  • Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik/Ingenieurwissenschaften