Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
Innrain 52, 6020 Innsbruck
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Innovative Professionalisierungsprozesse im Kontext Inklusiver Bildung

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

Mit der Verabschiedung des Lehrer*innenbildungsgesetzes (Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich 2013) wurde die bisherige Ausbildung der Sonderschullehrer*innen durch die Spezialisierung Inklusive Pädagogik ersetzt, welche im Primar- wie im Sekundarstufenlehramt mit einem vierjährigen Bachelorstudium und einem anschließenden 1,5-2-jährigen Masterstudium absolviert werden kann (vgl. Biewer & Proyer 2018). An der Universität Innsbruck ergreifen infolgedessen seit dem Studienjahr 2015/16 Lehramtsstudierende die Möglichkeit, die Spezialisierung Inklusive Pädagogik als ein zweites Unterrichtsfach zu studieren. Der Studiengang

„tritt teilweise an die Stelle der älteren Sonderpädagogik, weist aber zugleich deutlich über diese hinaus, insofern Inklusive Pädagogik nicht nur auf die Realisierung der Bildungs- und Erziehungsansprüche von behinderten und sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen abzielt, sondern die gleichberechtigte Teilhabe, Anerkennung und Wertschätzung aller Schüler*innen und deren Vielfalt in den Blick nimmt“ (Hoffmann 2023).

Diese grundlegenden systemischen Veränderungen sind auch vor dem Hintergrund der Ratifizierung Österreichs der UN-Behindertenrechtskonvention (2008) zu betrachten. Gerade das bedeutet für angehende Lehrer*innen, dass sie einen grundlegenden Paradigmenwechsel bewältigen müssen und diesen an der Institution Schule als Junglehrer*innen aktiv mitgestalten. Vor dem Hintergrund dieser gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen verändert sich das Berufsbild von Lehrer*innen auch dahingehend, dass vernetztes und kooperatives Arbeiten von allen „education professionals“ (European Agency for Special Needs and Inclusive Education 2022, S. 18) von zentraler Bedeutung ist, um dem oben skizzierten Anspruch Inklusiver Pädagogik Rechnung zu tragen.

„Teachers do not work in isolation, nor do they work in homogeneous groups of teachers. Inclusive practice is performed by teams of diverse professionals. Therefore, a broader perspective is needed to prepare and support school staff and school professional networks to implement and sustain inclusive practice” (ebd., S. 18).

Das Lehrekonzept verortet sich in diesem international ausgerichteten Rahmen. Nach intensiver mehrjähriger Entwicklungsphase ermöglicht das Lehrprojekt, bei angehenden Inklusionspädagog*innen Kompetenzen aufzubauen, die ein fachlich und theoretisch fundiertes Wissen umfassen und sie zugleich in ihrer Persönlichkeitsentwicklung dabei unterstützt, inklusive Praktiken in inter- und/oder multiprofessionellen Teams zu entwickeln und umzusetzen. Dies stellt insofern eine große Herausforderung für die Studierenden dar, weil sie in einem auf Selektion ausgerichteten Schulsystem sozialisiert wurden und es neben dem Aufbau von Wissen und Können Inklusiver Kompetenzen um eine starke individuelle Auseinandersetzung der eigenen Bildungsbiographie und langfristigen Bewusstseinsentwicklung geht.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Das Projekt „Innovative Professionalisierungsprozesse im Kontext Inklusiver Bildung“ ist im Rahmen einer Lehrveranstaltung der Universität Innsbruck an der Fakultät für LehrerInnenbildung verortet. Im Rahmen eines Pflichtseminars der Spezialisierung Inklusive Pädagogik ist seit dem Sommersemester 2019 ein sich stetig weiterentwickelndes Lehrkonzept entstanden, welches sich den besonderen Herausforderungen angehender Inklusionspädagog*innen vor dem Hintergrund grundlegender systemischer Veränderungen infolge der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (2008) annimmt. Im Rahmen dieses Lehrkonzepts werden, gestützt auf internationale Konzepte, die Persönlichkeitsentwicklung als auch die Entwicklung zentraler fachlicher Kompetenzen für Inklusive Bildung angebahnt und vermittelt. Dies geschieht in Form eines forschungsorientierten Lehrkonzepts, welches über klassische Lehr-Lernmethoden hinaus auch Lernmethoden einbezieht, die zur Bewusstseinsentwicklung der Studierenden beitragen, die eine konkrete Verzahnung mit Akteuren des Schulsystems ermöglicht und dies in den Kontext einer alternativen Leistungsüberprüfung stellt. Zentral ist dem Lehrkonzept die kontinuierliche Arbeit mit Lerntagebüchern. Aus diesen geht eine breite Akzeptanz und Anerkennung des Lehrkonzepts von Seiten der Studierenden hervor. Insgesamt ist dem Lehrkonzept ein Potential immanent, welches für Professionalisierungsprozesse innerhalb der Lehrer*innenbildung wegweisend erscheint.

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

The project "Innovative professionalization processes in the context of inclusive education" is part of a course at the Faculty for Teacher Education at the University of Innsbruck. It is situated within the specialization of Inclusive Education that can be studied as part of a degree in teaching. The project represents a continuously developing teaching concept that has been developing since 2019. It addresses the explicit challenges that future inclusive educators face against the background of fundamental systemic changes as a result of the implementation of the UN Convention on the Rights of Persons with Disabilities (2008). The framework of this teaching concept seeks to engage students with their own personality development and the development of central professional competencies for inclusive education. This takes place in the form of a research-oriented teaching concept that includes learning methods that contribute to the development of students' awareness, enabling them to interact and critically engage with different professionals of the Tyrolean school system. It is a project that works with alternative performance assessment as it continuously draws on learning diaries with which students document and process their learning growth. They also provide insights into the ways that students appreciated the content of the project. Overall, this teaching concept has the potential to serve as a role model for professionalization processes in teacher education.

Nähere Beschreibung des Projekts

Die Ausbildung angehender Lehrer*innen sieht sich konfrontiert mit der Herausforderung die UN-Behindertenrechtskonvention, wie sie 2008 von Österreich ratifiziert wurde (Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz 2016), auch im Bereich Bildung umzusetzen. Die Lehramtsstudierenden sehen sich ebenfalls verpflichtet, diesen Anforderungen zu entsprechen und stoßen dabei auf ein Schulsystem, welches sich mitten im Transitionsprozess befindet. Der damit einhergehende Paradigmenwechsel innerhalb der Lehrer*innenausbildung ist deshalb von großer Bedeutung, weil es innerhalb eines inklusiven Schulsystems teamfähige kooperierende Pädagog*innen braucht, die sich nicht (mehr) in die Rolle der/des Einzelkämpfer/s begeben. Insofern wurde ein Lehrmodell entwickelt, welches versucht eine neue Lehrer*innenpersönlichkeit für die gegenwärtigen Herausforderungen zu bilden. Im Fokus steht die Etablierung eines professionellen Ethos, der die Kooperation mit unterschiedlichen Akteuren im Schulsystem als bereichernd und gewinnbringend erachtet, um den vielfältigen Bedürfnissen der Schüler*innenschaft professionell begegnen zu können. Das Lehrkonzept impliziert eine enge Kooperation mit unterschiedlichen Akteuren der Bildungslandschaft (Fachbereich für Inklusion, Diversität und Sonderpädagogik der Bildungsdirektion Tirol, Inklusionspädagog*innen, Beratungslehrer*innen). Darüber hinaus bietet das Konzept eine Fülle an Möglichkeiten der persönlichen Auseinandersetzung, welches im Rahmen eines seminarbegleitenden Lerntagebuchs die Grundlage zum selbstreflexiven Lernen der Studierenden anregt.

Die Lehr-Lernmethode zeichnet sich durch eine stringente Lernergebnisorientierung aus. Ziel ist die notwendige Persönlichkeitsentwicklung im Rahmen der neuen Lehramtsausbildung, die nicht mehr mit herkömmlichen Methoden wie dem Verfassen von Hausarbeiten, Präsentationen oder konventioneller Leistungskontrolle einzulösen ist. Bei der sich im Prozess befindlichen Lehrveranstaltung wird der Auftrag gemäß der UN-BRK nachgegangen und ein selbstreflektierendes Modell erprobt, welches für die gesamte Lehrer*innenbildung als ein zukünftiges Modell herangezogen und für den noch “jungen” Studiengang der Inklusiven Pädagogik als wegweisendes Lehrmodell gelten kann. Im Fokus steht eine innovative Qualität des Lehramtsstudiums im Sinne einer menschenrechtsorientierten Lehrer*innenbildung.

Bei dem Lehrkonzept handelt es sich um ein Proseminar mit dem Titel “Vernetzung und Arbeit in multiprofessionellen Teams”, das als Blockveranstaltung mit sieben Einheiten jeweils im Sommersemester angeboten wird.

Vor Beginn der Lehrveranstaltung werden die Studierenden per Email begrüßt, es wird auf die vorbereitete Online-Lernplattform OLAT hingewiesen und eine thematische Vorbereitung anhand eines Videos bzw. Interviews (Open Educational Resources) empfohlen. Die erste Sitzung beginnt mit dem Anknüpfen an den individuellen Bildungsbiografien und bereits erworbenen Wissens- und Erfahrungsbeständen der Studierenden in interaktiver kooperativer Form. Im nächsten Schritt werden die zentralen Inhalte und der Aufbau des Proseminars dargelegt und zur Transparenz die Lernziele bzw. das Kompetenzprofil erläutert. Ergänzend werden die vielfältigen Methoden, welche im Verlaufe der Lehrveranstaltung zum Einsatz kommen, vorgestellt: Diese sind

  • neben klassischen Lehr-Lernmethoden (Impulsvorträge, Literaturstudien, Seminargespräche, Diskussionen und Gruppenarbeiten) auch
  • Lehrmethoden, die insbesondere zur Persönlichkeitsentwicklung der Studierenden beitragen (Arbeit mit dem Lerntagebuch),
  • Lehrmethoden, die eine konkrete Verzahnung von wissenschaftlichen Theorien mit der Berufspraxis (Arbeitsphasen mit Akteuren aus der Bildungslandschaft) ermöglichen als auch
  • Lehrmethoden, die forschungsorientiert (Qualitative Interviews in Form von Gruppendiskussionen, Qualitative Auswertung der Lerntagebücher) sind und eine wichtige Verbindung von Lehre und Forschung darstellen.

Zur Zieltransparenz wird der Prüfungsmodus vorgestellt. Des Weiteren wird den Studierenden das Konzept des Lerntagebuchs, welches in Anlehnung an Bräuer 2016 für die Inhalte des Proseminars adaptiert wurde, vorgestellt. Ziel der Lerntagebücher ist, die Studierenden durch einen kontinuierlichen Reflexionsprozess zum “deep learning” (Bräuer 2016, S. 22) anzuregen. Durch die regelmäßige schriftliche Nachbereitung und Reflexion sollen einerseits vertiefte Einsichten in die behandelten Seminarinhalte ermöglicht werden. Andererseits schafft dieses Vorgehen auch Gelegenheiten, den individuellen Lernprozess herauszuarbeiten und zu reflektieren. Insofern bilden “diese “Wissensbestände [...] eine Grundlage für die Ausbildung von für die Berufspraxis relevanten Schemata und Skripts” (vgl. te Poel, Schlag, Lischka-Schmidt, Wittek, Hartung-Beck & Bauer 2022, S. 125). Im Fokus stehen dabei vor allem Aspekte, die subjektiv für die Studierenden bedeutsam sind. Jeder Lerntagebucheintrag umfasst vier Ebenen der Reflexion (Sachliche Ebene, Persönliche Ebene, Emotionale Ebene & Selbstreflexion). Den Studierenden wird für jede Reflexionsebene eine Auswahl möglicher Reflexionsfragen zur Verfügung gestellt, um die Tiefe der Reflexion zu unterstützen. Diese erste Einheit schließt mit offenen Fragen und konkreten Konzeptionswünschen zur Lehrveranstaltung seitens der Studierenden.

Beim zweiten Termin stehen terminologische Grundlagen und der aktuelle Stand der Forschung im Fokus. Ersteres ist insofern von großer Relevanz, da sich vor allem auch im schulischen Alltag terminologische Unschärfen und vielfach synonyme Verwendungen finden lassen. Die Studierenden sind mittels Literaturstudium vorbereitet und erarbeiten sich kooperativ zentrale Begriffe und deren geltende Definitionen. Diese werden zusammenfassend im Plenum gesammelt, offen gebliebene Fragen geklärt und Bezüge zur schulischen Realität hergestellt. Es folgt ein Input seitens der Lehrveranstaltungsleitung über empirische Forschungsarbeiten. Es werden einzelne Modelle zur Kooperation von Lehrer*innen aufgegriffen, um sie auf die Erfahrungen und Wissensbestände der Studierenden anzuwenden. Hier wird eine erste theoretische Perspektive vermittelt, mit der sich die Studierenden zukünftige Kooperationsformen in den Praxisphasen nähern können.

Mit dem Fokus auf die vielfältigen Berufsgruppen im Kontext Inklusiver Bildung startet der dritte Block mit der Relevanz von (multiprofessioneller) Kooperation in schulischer Inklusion. Herangezogen werden internationale Konzepte (Booth & Ainscow 2019; European Agency for Special Needs and Inclusive Education 2012) mit der Fragestellung, wie dort multiprofessionelle Kooperation verankert ist. In einem weiteren Schritt stehen die konkreten Akteure und Institutionen der Bildungslandschaft im Bundesland Tirol im Fokus und ein Expert*innengespräch mit der Leitung des Fachbereichs Inklusion, Diversität und Sonderpädagogik der Bildungsregion Schwaz (Bildungsdirektion Tirol) findet statt. Diese gibt einen Einblick in die Strukturen und die konkrete Arbeit und die Studierenden können ihre individuellen Fragen und Sichtweisen konstruktiv einbringen. Als Nachbereitung fertigen die Studierenden in Kleingruppen eine grafisch gestaltete Landkarte der multiprofessionellen Kooperation im Bundesland Tirol (oder ihrer Herkunftsregion wie bspw. Südtirol, Vorarlberg) an. Als Hilfestellung ist auf der Online-Lernplattform OLAT eine Linkliste relevanter Akteure vorzufinden. Die Arbeitsergebnisse werden ebenfalls in der Lernplattform hochgeladen und die Lehrveranstaltungsleitung kann den Gruppen direkt ein digitales Feedback und gegebenenfalls Überarbeitungshinweise geben.

Der daran anschließende vierte Themenblock stellt die Zusammenarbeit von Lehrer*innen mit Schulassistent*innen im schulischen Alltag in den Mittelpunkt. Es wird davon ausgegangen, dass die Rolle der Schulassistenz Auswirkungen auf die Lehrer*innenrolle hat und dadurch auch Wechselwirkungen für die individuellen Bedürfnissen der Schüler*innen entstehen. Obwohl Zuständigkeiten in einem rechtlich-formalen Rahmen gefasst sind, treten Unklarheiten in den Rollen und den Aufgabenzuschreibungen in vielen Fällen zutage. Die ausstehende Rollenaushandlung soll den Studierenden durch erfahrungsbasiertes Lernen ermöglicht werden. Diesem Aspekt wird sich über eine Sequenzanalytische Fallarbeit, die für die Bearbeitung in Inklusiven Bildungskontexten entwickelt wurde (Lübeck & Demmer 2021), genähert. In Kleingruppen wird ein konkreter Fall, der in einzelne Sinn- oder Handlungsabschnitte gegliedert ist, Abschnittsweise zugänglich gemacht und in der Gruppe interpretiert. Die Studierenden arbeiten sich Schritt für Schritt durch die Passagen und stellen mögliche anschlussfähige Lesarten auf (vgl. Lübeck & Demmer 2021). In einer abschließenden Reflexion werden die unterschiedlichen Erfahrungen und Interpretationsergebnisse gesammelt, um Rückschlüsse auf die Kooperationssituation und die dort verhandelten Rollenbilder zu ermöglichen.

Vertiefend wird sich dem Aspekt der Rollenklärungsprozesse in der folgenden fünften Sitzung gewidmet. Dabei wird methodisch auf einen Rollenspiel-Film zurückgegriffen, welcher bei den Studierenden Reflexionsprozesse hinsichtlich der eigenen Professionalisierung für Kooperation initiieren soll (vgl. Hopmann, Lütje-Klose & Urban 2018). Die Studierenden bekommen nach dem Prinzip der Think-Pair-Share-Methode (Green und Green 2012) einen Auftrag zum Film. Zur Weiterarbeit mit diesen Arbeitsergebnissen wird in die Theorie integrativer Prozesse (Reiser, Klein, Kreie & Kron 1986) eingeführt, welche kooperative Strukturen und Prozesse auf verschiedenen Ebenen verortet. Im nächsten Schritt können die Studierenden ihre Arbeitsergebnisse auf das theoretische Konstrukt anwenden. Ziel ist ein Kompetenzaufbau der Studierenden dahingehend, dass sie um zentrale Faktoren wissen, die das Gelingen (multiprofessioneller) Zusammenarbeit auf den verschiedenen Ebenen beeinflussen und sie wiederum als Reflexionshandwerk für ihre zukünftige Arbeit kennenlernen.

Die sechste Einheit beginnt mit einer Übung aus der Organisationsentwicklung: „Projektarbeit Teamteaching an der Mittelschule“. Anhand der Durchführung und der gemeinsamen Reflexion gelingt es, die Studierenden zentrale Aspekte gelingender Teamarbeit exemplarisch erleben zu lassen. In einem weiteren Schritt wird eine Passage aus einer Gruppendiskussion von Studierenden in verteilten Rollen gelesen, in der eine Situation aus dem Praktikum mit Teamteaching in der Mittelschule diskutiert wird. Die Passage wird unter Bezugnahme auf zwei Grundlagentexte herangezogen, um tiefer in den Themenschwerpunkt „Gemeinsam unterrichten im Co-Teaching“ einzusteigen.

Vorbereitend für den Besuch einer externen Expertin (Inklusionspädagogin und Beratungslehrerin) zum Themenschwerpunkt „Konflikte im Team“ (siebter Termin) bekommen die Studierenden literaturgestützt vorab die Möglichkeit, Fragen an die Expertin zu formulieren. Dies geschieht über eine digitale Pinnwand, auf die alle Studierenden im Vorfeld Zugriff haben. Die Studierenden können dort Fragen, Gedanken und Anregungen einstellen. Auf dieses Tool wird dann im Verlaufe des Gesprächs mit der Expertin zurückgegriffen und dient als Gesprächsgrundlage.

Zum Abschluss der Lehrveranstaltung wird mittels selbst moderierten Gruppendiskussionen in Kleingruppen erhoben, welches Verständnis die Studierenden im Verlaufe der Lehrveranstaltung von (multiprofessioneller) Kooperation entwickelt haben und wie sie sich gelungene Kooperationssituationen im schulischen Alltag vorstellen. Die Audioaufnahmen können für die Leistungsbewertung ausgewertet werden und stehen anstelle einer abschließenden schriftlichen Überprüfung. Darüber hinaus können diese Daten anonymisiert für weitere Forschungsprojekte genutzt werden, als auch für die weitere Entwicklung des Lehrkonzepts.

Nutzen und Mehrwert

Durch die reflexiven Anteile ergibt sich ein großer Mehrwert für die Studierenden, da fachtheoretische Aspekte mit den individuellen Vorerfahrungen verbunden werden. Durch eine regelmäßige Bearbeitung und Reflexion der Studieninhalte und persönlichen Kompetenzen wird ein kontinuierlicher Lernprozess gewährleistet.

Zudem wurde in mehreren Lerntagebüchern von den Studierenden der Mehrwert dieser Lehrveranstaltung dahingehend geschildert, dass sie das erworbene Wissen direkt auf ihre Arbeitstechniken im Studium anwenden können: “Mir wird bewusst, dass ich die drei Punkte: Gemeinsame Ziele, Autonomie und Vertrauen auch auf die Gruppenarbeiten, die ich in meinem Studium mache, anwenden kann.” (LT 02_2022, S. 4).

Die Studierenden berichten von der positiven Erfahrung, eine Situationen aus mehreren Perspektiven zu betrachten: “Die sequenzanalytische Interpretationsanalyse war für mich sehr spannend, denn man bekommt einen Einblick, wie viele Interpretationen bei so einem kleinen Teil eines Satzes möglich sind. Ich erhoffe mir, dass ich mir diese Übung im Laufe meines Studiums und später im Berufsleben immer wieder ins Gedächtnis rufe, um Missverständnisse und Konflikte besser zu verstehen. Denn ich war wirklich etwas geschockt, wie verschieden eine so kleine Sequenz bei den verschiedenen Personen ankommt.” (LT 09_2022, S. 8). Die Studierenden erwerben damit wichtige Grundlagen für einen Kompetenztransfer, wie er in multiprofessionellen Kontexten unabdingbar ist.

Die Studierenden erfahren Entlastung hinsichtlich ihrer ängstlich besorgten Haltung: “(…) jedoch gibt es zahlreiche Anlaufstellen, die einem zur Seite stehen. Durch die Auflistung der Berufsgruppen des pädagogischen Stammpersonals, der Berufsgruppen, welche temporär an den Schulen arbeiten und der weiteren Kooperationsbereiche wurde mir erst bewusst, wie vielfältig und breitgefächert ein Team sein kann.” (LT 03_2022, S. 5).

Nachhaltigkeit

Das Lehrprojekt wird jährlich im Sommersemester im Rahmen des BA-Studiums Lehramt Sekundarstufe (Allgemeinbildung) innerhalb der Spezialisierung Inklusive Pädagogik angeboten. Insbesondere aus den qualitativen Auswertungen der im Sommersemester 2022 verfassten Lerntagebücher und abschließenden Gruppendiskussionen gehen wertvolle Rückmeldungen und Impulse für die Überarbeitung der Lehrveranstaltung hervor, welche bereits als Grundlage für die Weiterentwicklung des Projekts im Sommersemester 2023 dienen konnten. Zudem wurden die verfassten Lerntagebücher der Studierenden einer ersten inhaltsanalytischen Analyse unterzogen (vgl. Sonntag & Wagner, 2024 in Vorbereitung) und werden zu Beginn des Sommersemesters 2023 innerhalb des Instituts für Lehrer*innenbildung und Schulform im Rahmen des regelmäßig stattfindenden Forschungskolloquiums vorgestellt und können mit den Kolleg*innen diskutiert werden. Im Weiteren ist geplant, das Projekt in einer Langzeitstudie zu verorten, wo die Studierenden zu zwei weiteren Zeitpunkten befragt werden (2. Zeitpunkt gegen Ende des BA-Studiums, 3. Zeitpunkt in der Induktionsphase).

Dissemination/Transfer

Das Lehrkonzept ist entstanden vor dem Hintergrund vielfältiger Erfahrungen seitens der Lehrveranstaltungsleitung auf den verschiedenen Ebenen europäischer Bildungssysteme. Dies sind Erfahrungen an verschiedenen Schulformen als examinierte Förderschullehrerin in Deutschland, aus der Tätigkeit als Leiterin des Pädagogischen Beratungszentrums Innsbruck Stadt, aus dem Hochschulsektor in Deutschland und Österreich sowie dem Lehrer*innenfortbildungsbereich in Österreich, Deutschland, Republik Moldau und der Ukraine sowie aus der Erfahrung der Curriculumsentwicklung im Rahmen der Pädagog*innenbildung NEU (für die Pädagogische Hochschule Tirol im Verbund West in der Arbeitsgruppe Inklusive Pädagogik Primarstufe). Gerade letzteres bietet Transfermöglichkeiten bis hinein in die Induktionsphase von Junglehrer*innen, wenn das hier vorgestellte Lehrkonzept perspektivisch erweitert wird und in eine kontinuierliche Reflexionsschleife an die Weiterentwicklung der Lehrer*innenbildung eingebunden wird.

Das Konzept ist grundsätzlich übertragbar bzw. eignet sich zur Verwendung in anderen Lehrsituationen. Das Lehrkonzept bietet wie skizziert vielfältige methodische Herangehensweisen, die auch als Anknüpfungspunkte für andere Projekte bzw. Lehrkonzepte innerhalb der Spezialisierung Inklusive Pädagogik, aber auch allgemein innerhalb der Lehrer*innenbildung, herangezogen werden können. Hier ist bspw. auch das Lehr-Lern-Labor für Inklusive Bildung am Institut für Lehrer*innenbildung und Schulforschung der Universität Innsbruck zu nennen. Hier werden gemeinsam mit Studierenden, Schüler*innen und Lehr*innen innovative und praxistaugliche Unterrichtskonzepte sowie didaktische Materialien für den inklusiven Unterricht entwickelt und beforscht (vgl. Hoffmann & Sonntag, 2023 in Vorbereitung).

Institutionelle Unterstützung

Für die Umsetzung ist bislang keine Unterstützung in Form von finanziellen Mitteln, Infrastruktur oder Personal vorhanden gewesen. Wünschenswert wären monetäre Mittel, um die Zusammenarbeit mit den Expert*innenen bzw. Akteuren aus der Bildungslandschaft zukünftig angemessen zu finanzieren. Ebenfalls wären für die Datenaufbereitung der forschungsorientierten Arbeiten studentische Hilfskräfte (bspw. u.a. für die Anfertigung von Transkripten) sehr hilfreich. Das Potential des Lehrkonzepts hinsichtlich der Forschungsorientierung könnte so genutzt werden und im Weiteren wären evidenzbasierte Aussagen in Bezug auf die Weiterentwicklung des noch jungen Studiengangs bzw. auch des Curriculums hilfreich, um die oben genannten Aspekte (Nachhaltigkeit, Transfer) eine solide Basis zu geben.

Positionierung des Lehrangebots

Das Projekt bezieht sich auf eine Lehrveranstaltung der Universität Innsbruck an der Fakultät für LehrerInnenbildung. Das Proseminar ist im Bachelorstudium des Lehramts Sekundarstufe (Allgemeinbildung) verortet, im Rahmen der Spezialisierung Inklusive Pädagogik. Die Lehrveranstaltung richtet sich als Pflichtseminar an alle Studierenden dieses Studiengangs und ist in Modul 4 “Schulentwicklung, Kooperation und professionelles Selbstverständnis” des Curriculums verankert. Die Lehrveranstaltung umfasst 2 Semesterwochenstunden mit 3 ECTS. Gemäß Studienverlaufsplan ist diese Lehrveranstaltung für Studierende im vierten Semester (BA) vorgesehen bzw. empfohlen. Die Zulassungsvoraussetzung ist das positiv abgeschlossene Modul 1, so dass die Studierenden i.d.R. auch schon ab dem 2. Semester bis kurz vor BA-Abschluss, daran teilnehmen können.

Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2023 nominiert.
Ars Docendi
2023
Kategorie: Lernergebnisorientierte Lehr- und Prüfungskultur
Ansprechperson
Miriam Sonntag, Universitätsassistentin
Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung, Arbeitsbereich Inklusive Pädagogik
+43 664 4300227
Nominierte Person(en)
Miriam Sonntag, Universitätsassistentin
Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung, Arbeitsbereich Inklusive Pädagogik
Themenfelder
  • Erfahrungslernen
  • Forschung/EEK geleitete Lehre
  • Kooperationen in der Lehre
  • Lehr- und Lernkonzepte
  • Diversität und Soziales
Fachbereiche
  • Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften