FHWien der Wirtschaftskammer Wien
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Spielend lernen - Betriebswirtschaft spielend erleben und verstehen.

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

Der Bereich „Produktion“ ist ein zentraler Bereich der Betriebswirtschaftslehre und die Studierenden haben selten Kontakt zu Fertigungsbetrieben bzw. zu Fragestellung der Produktion. Zahlreiche theoreti-sche Überlegungen zeigen die unterschiedliche Wege Produktionsprozesse zu optimieren. Für Studie-rende sind allerdings diese Konzepte abstrakt und schwierig zu verstehen. Ziel der Lehrveranstaltung ist es daher, dass Studierende nach Besuch der LV in konkreten Situationen der Produktion auf Basis theoretischer Konzepte betriebswirtschaftlich fundiert handeln.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Das Modul besteht aus 8 Terminen (6 x á 4 LE, 2 x á 2 LE) von denen 5 Termine als Spiel-Einheiten abgehalten werden. Zwei weitere Einheiten wurden von mir als vorbereitende Selbstlerneinheiten mit über 50 Lernpaketen mit fast 100 selbstgedrehten Videos gestaltet. In der letzten Einheit vor der Ab-schlussprüfung erfolgt eine klassische Wiederholungs- und Fragestunde (2 LE als synchrone DL-Einheit).

Um Verständnis für die Probleme und Aufgabenstellungen der Fertigung zu erzeugen, spielen die Teil-nehmer*innen in 5 Einheiten Spiele. Die Spiele sind so aufgebaut, dass sie automatisch mit den typi-schen Tagesproblemen der Fertigung Logistik und Qualitätsmanagement konfrontiert werden und den Produktionsprozess aktiv erleben können.

Die Leistungsfeststellung erfolgt durch eine anwendungsorientierte open book Prüfung mit typischen Entscheidungssituationen aus der Praxis. Reine Theorie-Antworten ohne Bezug zum konkreten Fall, erzielen (so wie in der betrieblichen Praxis) keine Punkte, nur wenn die Student*innen es schaffen die Theorie auch auf die Problemsituation anzuwenden, bekommen sie Punkte.

Spielend Lernen bedeutet kein Vortrag, sondern eine offene und freie Lernsituation. Spaß, Freude und spielerische Hektik erzeugt Neugier und Motivation für theoretische Ansätze. Im Grunde ist es eine Um-kehrung der Lehrsituation. Es wird nicht zuerst vorgetragen und dann geübt sondern zuerst gehandelt und darauf aufbauend verstanden. 

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

The module consists of 8 units (6 x á 4 LE, 2 x á 2 LE) and in 5 units the students play games. Two further units were designed as preparatory self-learning units with more than 50 learning packages with almost 100 self-made videos. In the remaining unit, a review lesson was held.

To generate understanding of the problems and tasks of manufacturing, the participants simulate pro-duction processes. These games are designed in such a way that they are automatically confronted with the typical daily problems of manufacturing, logistics and quality management and can actively experience the production process.

The assessment is done by an application-oriented open book exam with typical decision situations from the practice. Pure theory answers without reference to the concrete case do not score any points (just like in business practice), only if the students manage to apply the theory to the problem situation, they get points.

Playful learning does not mean a lecture, but an open and free learning situation. Fun, joy and playful hecticness generates curiosity and motivation for theoretical approaches. Basically it is a reversal of the traditional teaching situation. There is not the presentation of content first, but the experience of the game and this leads automatically back to the theoretical content.

Nähere Beschreibung des Projekts

Spielend lernen - Betriebswirtschaft spielend erleben und verstehen.

Im Rahmen des Moduls Produktion sollen den Studierenden die Funktionen der Supply Chain, der Produktionsprozesse sowie logistische Zusammenhänge vermittelt werden. Das Modul besteht aus 8 Einheiten von denen 5 Einheiten als „Spiel-Einheiten“ abgehalten wurden. Zwei weitere Einheiten wurden als vorbereitende Selbstlerneinheiten gestaltet. In der verbleibenden Einheit wird eine Wiederholungs-stunde abgehalten.

In der Regel haben die Teilnehmer*innen vor dem Besuch dieser LV keinen Kontakt zu Fertigungsbetrieben gehabt. Ihr Wissen ist somit ausschließlich von theoretisch vermittelten Inhalten geprägt, zu denen sie keinen praktischen Bezug haben. Um Verständnis für die Zusammenhänge, Aufgabenstellungen und Probleme der Fertigung zu erzeugen, wurde nach einer Lehrmethode gesucht, die Produktionsprozesse anschaulich macht. Die Teilnehmer*innen spielen in 5 Einheiten Spiele die sie automatisch mit praktischen Problemen der Logistik, der Produktion und des Qualitäts- und Prozessmanagements konfrontieren. Diese Probleme stehen immer in Beziehung zum Lehrstoff der in den Selbstlerneinheiten bearbeitet wird.

Ausgangspunkt war für mich die Zuordnung der Lehrinhalte zu den Ziel-Kompetenzen (Erinnern&Verstehen; Anwenden; Analysieren&Diskutieren; Evaluieren&Vergleichen; Synthese) um entscheiden zu können, wo Studierende nur „Wissen“ müssen und wo sie „anwenden“ können müssen:

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Das „Wissen“ können sie im Selbststudium erlernen, Dazu habe ich über 50 Lernpaketen mit fast 100 selbstgedrehten Videos zusammengestellt. Die Studierenden haben orts- und zeitunabhängig Zugriff zu allen Unterlagen. Die Selbstlerneinheiten sind als Vorbereitung wichtig, damit die Student*innen die notwenigen Grundlagen besitzen. Daher müssen sie auch interessant und leicht verständlich aufgebaut sein. Nur so kann man die Student*innen dazu motivieren diese auch vorab durchzumachen.

Anwenden, kann man allerdings nur im Unterricht. Daher werden die Student*innen für die „Spiele-Einheiten in Gruppen geteilt und bekommen exakte Spielanweisungen. Nach einer Vorbereitungsphase beginnt das Spiel, das meist einen Wettbewerb zwischen den Gruppen erzeugt. Nach Abschluss des Spieles werden die Erfahrungen reflektiert und ausgewertet. So starten sie zu Beispiel eine Autoproduktion mit Lego-Teilen, organisieren eine Supply Chain eines Bierbrauers, bauen Papierschiffe in verschiedenen Fertigungsverfahren. Dabei sollen Aufgaben der innerbetrieblichen Logistik gelöst werden, Produktionskennzahlen berechnen, Wirkung von Arbeitsteilung und Produktionsmethoden erkannt, Erfahrungskurve verstanden, Reorganisation durchgeführt, Bedeutung von QM und Gefahr der Vernachlässigung von QM erkannt werden. Die Spielergebnisse werden gemeinsam reflektiert und der Bezug zur Theorie hergestellt. Für alle Themen sind zusätzliches Material und Links auf moodle verfügbar, auf das die Studierenden bei Bedarf zurückgreifen können um das Thema zu vertiefen (nicht verpflichten-des Zusatzmaterial).

Die Spiele und die darin behandelten Themengebiete sind:

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  • MIT Spiel „Beer Game” – Koordination der Supply Chain

Die Studierenden geben Bestellungen beim Vorlieferanten auf Basis ihres Lagers und ihrer Kundenbestellungen ab. Wie aus dem nichts entwickelt sich eine nicht optimal zusammenarbeitenden Supply Chain

  • Produktionsspiel Automobilindustrie – Wertschöpfung und Produktion

Die Student*innen bauen Autos aus Legosteinen und verstehen dadurch die Gestaltung von Produktionsprozessen, Organisation, Arbeitsaufteilung sowie die Gestaltung der Beziehung zu Kunden und Lieferanten.

  • Papier Schiffchen-Spiel – Prozess- und Versorgungssteuerung

Die Student*innen bauen Papierschiffe in verschiedenen Fertigungsverfahren – Einzelfertigung, Fließband mit und ohne Lager – und vergleichen diese mittels mehreren Produktionskennzahlen. Sie verstehen so die verschiedenen Produktionsverfahren und deren Vor- und Nachteile sowie die Konzepte Kanban und Just in Time und klassische Lagerfertigung, weil sie diese selbst umgesetzt haben. Es werden Durchlaufzeiten und Reaktionszeiten auf Kundenwünsche gemessen und verglichen.

  • Würfelspiel – Prozesssteuerung

In mehreren Runden werden die Auswirkung von Teilevielfalt, Variabilität und Prozessvielfalt auf Lagerstände und die erreichbaren Lieferbereitschaftsgrade aufgearbeitet. Dazu werden Spieljetons je nach gewürfelter Augen-zahl weitergegeben.

  • Qualitätsspiel „Bastelstunde“

Die Studierenden basteln Lesezeichen nach genauen Produktvorgaben und müssen Produktivitäs- und SixSigma-Qualitätskennzahlen errechnen und gegeneinander abwägen und Qualitätsinstrumente anwenden.

Anhand von vier Beispielen kann die Verknüpfung von Spiel – Theorie – Wirtschaftspraxis verdeutlich werden:

  • Organisation der innerbetrieblichen Produktionslogistik im Rahmen des Produktionsspiels: Die Studierenden starten einen Lego-Auto Produktionsprozess mit einer logistisch sehr unpraktikabel Ausgangslage. In mehreren Spielrunden können die Studierenden das logistische Layout verändern. Der Produktionsoutput wird nach jeder Runde verglichen. In der Nachbesprechung wird ein „Spaghetti-Diagramm“ der Ausgangssituation und eines der erfolgreichsten Endversion erstellt und verglichen. Als praktische Referenz zeige ich dann den Logistik-Wahnsinn von Airbus im Vergleich zu Boing.

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  • Errechnen von Produktivitätskennzahlen und Interpretation dieser Werte im Produktionsspiel: Für jede Runde wird die Personalproduktivität gemessen und die Verbesserung errechnet. Daraus wird die Erfahrungskurve abgeleitet und verdeutlicht, die Volkswirtschaftliche Bedeutung der Produktivitätssteigerung besprochen und die Beziehung zu Lohnkostensteigerungen hergestellt.

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  • Im Rahmen der Schiffchen Produktion werden verschiedene Fertigungssystem gespielt, Kennzahlen wie Durchsatz, Durchlaufzeit, Lagerstand in der Produktion und Engpass berechnet und die Zweckmäßigkeit der Fertigungssysteme in unterschiedlichen Situationen vergleichen.

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  • Im Würfelspiel wird die Prozess- und Teilevielfalt und deren Auswirkung auf den Lieferbereitschaftsgrad veranschaulicht. Spielsteine werden anhand der gewürfelten Augenzahl weitergegeben. Bei einer hohen Variabilität (1-6) ist der Lieferbereitschaftsgrad gering, Wir die Variabilität verringert (Würfel 1 und 2 = 2, 5 und 6 = 5, gleicher Durchschnitt, geringere Variabilität) er-höht sich der Lieferbereitschaftsgrad ebenso wie bei verkürzter Prozesskette.

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Im Zuge der kompetenzorientierten Umgestaltung der LV, wurde die Prüfung auf eine anwendungsorientierte open book Prüfung umgestellt. Der Fokus liegt auf den Kompetenzen und nicht auf Reproduzieren von Wissen. Daher besteht die Prüfung ausschließlich aus Anwendungsfragen eines konkreten Fallbeispiels aus der Lebenswelt des Berufsfeldes. Die Studierenden dürfen alle Unterlagen verwenden, die ihnen helfen die Anwendungsfragen zu lösen.

Die Spieleinheiten sind lustig und machen sichtlich allen Freude. Es entwickelt sich immer eine Konkurrenzdynamik zwischen den Gruppen, die gegeneinander antreten und sich in den zu erreichenden Kennzahlen übertreffen wollen. Es gibt eigentlich nie Student*innen, die nicht mitmachen und desinteressiert sind. Es ist für alle eine neue Lernerfahrung. Die Spiele habe ich nicht erfunden, allerdings für meine Lehrzwecke erweitert und umgestaltet.

Die Studierenden sind Teil des Geschehens und nicht passive Zuhörer. Es entsteht bei allen eine persönliche Betroffenheit, weil alle aktiv handeln müssen. Bei der Nachbesprechung sind die Studierenden oft erstaunt, wenn das, was sie intuitiv gemacht haben, in einen größeren und theoretischen Rahmen gestellt und diskutiert werden kann. Sie können dadurch betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge und Rahmenbedingungen mit ihren eigenen Überlegungen und Handlungen im Spiel in Verbindung bringen.

Verwendung neuer Medien

Im Rahmen der Präsenzeinheiten werden eine Reihe von digitalen didaktischen Hilfsmittel eingesetzt:

Poll Everywhere um online Abstimmungen und Reihung von Vorschlägen durchführen zu können. Z.B.: https://PollEv.com/multiple_choice_polls/faLNzm8dags5AM0Jll6jR/respond. Hier sind schon weit über 100 Befragungen aktiv. Beispiele für die Auswertung: https://moodle.fh-wien.ac.at/moodle/mod/resource/view.php?id=519824

Mind Map tools um online gemeinsam auf einem Whiteboard - miro.com - arbeiten zu können. Hier ein Beispiel: https://moodle.fh-wien.ac.at/moodle/mod/resource/view.php?id=522039

Internetrecherchen: Alle Fallstudien sind so angelegt, dass die Studierenden aktiv Zusatzinformationen im Internet recherchieren sollten. Dazu sind teilweise auch schon Einstiegslinks vorgegeben und die Fallstudien als WebQuest aufgebaut.

Link zum Projekt:

moodle.fh-wien.ac.at/moodle/course/view.php

moodle.fh-wien.ac.at/moodle/course/view.php

Nutzen und Mehrwert

Diese Art der Lehrveranstaltung hat sowohl für Lehrende als auch für Studierende große Vorteile. Für Lehrende wird der Prozess der Lehre durch den direkten Kontakt und die offene Diskussion mit den Studierenden spannender und lohnender. Die Beteiligung und das Interesse der Studierenden ist we-sentlich höher als bei traditionellen Veranstaltungen und das fördert auch den Kompetenzerwerb der Studierenden. Die Studierenden sind am Lehrprozess aktiv beteiligt und habe Spaß und Freude an den Interaktionen mit den Kolleg*innen. Sie sind dadurch auch besser auf die Leistungsfeststellung vorbe-reitet und erzielen bessere Resultate.

Ich bin überzeugt, dass die Studierenden mehr von derartiger Stoffvermittlung haben als von einem Frontalvortrag. Wenn ich den Student*innen beispielsweise vortrage, dass Qualitätsmanagement oft zugunsten höherer Produktivität vernachlässigt wird, dann schreiben sie es sich auf und lernen die Aussage auswendig. Gegebenenfalls kommentieren sie dies mit „böse Kapitalisten“. Wenn sie aber selbst die QM Stelle gestrichen haben, um im Wettbewerb mehr Autos produzieren zu können, dann hat diese Erkenntnis eine komplett andere Tragweite für sie.

Nachhaltigkeit

Das Modul ist das Produkt einer langjährigen Entwicklung und wird laufend adaptiert. Auch das The-mengebiet – Qualitätsmanagement – das bis 2022 noch mit Hausübungen bearbeitet wurde, wird 2023 auf ein Spiel umgestellt.

Für die Studierenden, die in der moodle-Vielfalt die Orientierung verlieren, muss ein strukturiertes Vor-gehen angeboten, ein roter Faden bereitgestellt werden, an dem sie sich vorarbeiten können.

Dissemination/Transfer

Das Konzept kann auf viele andere Lehrveranstaltungen bzw. Lehrsituationen übertragbar. Nach der Definition der Selbstlerninhalten müssen entsprechende Lernpakete (Unterlagen, Literatur, Videos, Möglichkeiten zur formative Leistungsüberprüfung, etc.) erstellt werden. Auf Basis, der zur erreichenden Kompetenzen müssen dann Anweisungen erstellt werden, die die Studierenden dann gemeinschaftlich ausführen können. Innerhalb der FHWien wird ein Video über diese Lehrveranstaltung erstellt (Didaktik Espresso) und im Rahmen von internen Veranstaltungen (Didaktik Tea Time) vorgestellt.

In anderen von mir angebotenen Lehrveranstaltungen an der FH der WKW und an der BOKU, die ande-re Themenschwerpunkte haben, beginne ich ebenfalls die Spiele-Methode einzubauen. Die folgende Darstellung zeigt die bereits mit Spielen bearbeiteten Themengebiete meiner Lehrveranstaltungen und Themen, die sich ebenso eignen würden (grau):

Institutionelle Unterstützung

Die Spiele sind so gestaltet, dass sie keine großen Investitionen in Spielmaterial benötigen. Daher war keine finanzielle Unterstützung notwendig. Spiele benötigen mehr Platz und daher benötigt man große und flexible Räume, die ich immer erhalten habe. Der Beginn des Projekts war auch ein Risiko, nie-mand wusste, wie erfolgreich das Konzept sein wird. Die Fachhochschule hat mich durch ihr Bemühen um moderne und alternative Unterrichtsmethoden immer motiviert und unterstützt und stand auch den Versuch der open book Prüfung positiv gegenüber. Ohne diese Offenheit, wäre das Projekt nicht so erfolgreich verlaufen.

Positionierung des Lehrangebots

Pflichtlehrveranstaltung im 2. Semester des Bachelor Studiengangs Finanz-, Rechnungs- & Steuerwesen zum Thema Produktion

Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2023 nominiert.
Ars Docendi
2023
Kategorie: Kooperative Lehr- und Arbeitsformen
Ansprechperson
FH-Prof. Mag. Michael Mair
Senior Advisor Academic Teaching
+43 1 476 77-5872
Nominierte Person(en)
Mag. Dr. Hermann Kunesch
Department of Management
Themenfelder
  • Erfahrungslernen
  • Flexibel Studieren
  • Kooperationen in der Lehre
  • Lehr- und Lernkonzepte
Fachbereiche
  • Wirtschaft und Recht