Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
Innrain 52, 6020 Innsbruck
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Vorlesung „Metaphysik Grundlagen“ samt OLAT-Lernumgebung

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

Metaphysik hinterfragt die meist stillschweigend vorausgesetzten Grundstrukturen der Wirklichkeit sowie unsere Aussichten, diese auch erkennen zu können. Als Lehrfach ist die Metaphysik-Einführung mehrfach herausfordernd: Der Anfang der Philosophieausbildung ist für viele Studierende schon per se schwierig; das Wort „Metaphysik“ weckt bei manchen Assoziationen zur Esoterik, andere haben gehört, dass das Thema doch seit Immanuel Kant erledigt sei, und sogar in der Theologie kursiert Habermas’ Stichwort vom nachmetaphysischen Zeitalter. Im Kern geht es um Grundzüge unseres Weltbildes, die so selbstverständlich sind, dass ihre Herausarbeitung zwar geistige Mühe abfordert, aber das Ergebnis banal erscheinen mag. Das ändert sich, wo diese Banalität plötzlich ins Wanken kommt: Wenn etwa in der Teilchenphysik unsere Vorstellungen von „unterscheidbaren Objekten“ und „Ursache/Wirkung“ nicht mehr zu greifen scheinen, oder wenn neue medizinische Möglichkeiten die Grenzen der Identität als „derselbe Mensch“ in Frage stellen.

Meist werden diese Fragen primär philosophiehistorisch abgehandelt, als Einführung in das einschlägige Traditionsgut (vor allem die aristotelische Metaphysik). Das muss die Vorlesung zwar nebenbei auch bieten (die christliche und islamische Theologie wäre ohne diese Hintergründe kaum verständlich!), es darf dabei aber nicht bleiben: Denn das würden den falschen Eindruck fördern, es ginge hier um historisch vielleicht interessante, aber austauschbare und praktisch belanglose Theorieangebote.

Die Vorlesung bietet daher durchgehend systematische, inhaltsorientierte Philosophie und arbeitet den Sitz im Leben der metaphysischen Begriffe und Unterscheidungen heraus, angefangen etwa bei alltäglichen Situationen am Frühstückstisch oder der Hilfeleistung in einem unklaren medizinischen Störungsfall. Solche Situationen eignen sich, die stillschweigenden Voraussetzungen ans Licht zu heben und zu benennen, die unser Denken und Handeln leiten. Erst im zweiten Schritt wird die Rückbindung an eine Auswahl einschlägiger klassischer Texte gesucht, besonders an die Metaphysik des Aristoteles und ihren Weg, Grundzüge unseres Weltbildes zur Sprache zu bringen. Der Zugang von der Analyse der eigenen Erfahrung erleichtert es, diese Gehalte nicht krampfhaft auswendig lernen zu müssen, sondern sie zwanglos präsent zu halten. Außerdem weist die Vorlesung auf die Relevanz weltbildhafter Voraussetzungen in den einzelnen Wissenschaften hin; und sogar Kants Metaphysik-Kritik (Thema des vorletzten Kapitels) lässt sich als Versuch lesen, bestimmten weltbildhaften Voraussetzungen Geltung zu verschaffen bzw. problematische weltanschauliche Spekulationen abzuweisen. Der Zugang über die lebensweltliche Relevanz der Metaphysik schafft Interesse für klassische Texte, erleichtert es, ihre strukturellen Inhalte auch hinter abweichenden Terminologien wiederzuerkennen, und will die gewichtige kulturelle Leistung zu schätzen lehren, die hinter diesem Denken steht.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Einführungsvorlesung in die Metaphysik für Bachelorstudierende, die besonderen Wert auf die bleibende Relevanz metaphysischer Begriffe für das Verständnis unserer Lebenswelt, der einzelnen Wissenschaften und unserer Problemlösungsstrategien in verschiedenen Feldern legt. Das nötige Ausmaß an Vermittlung philosophiehistorischer Gehalte wird vorbereitet und begleitet durch den Hinweis auf Fälle, wo sich strukturgleiche Voraussetzungen im wissenschaftlichen und alltäglichen Denken, Entscheiden und Handeln aufzeigen lassen.

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

Introductory classes for bachelor students to the basics of classical metaphysics which lays a special emphasis on the ongoing relevance of metaphysical notions for an understanding of our life-world, of the various scholarly disciplines and of our strategies of problem-solving on various fields. The necessary introductions to content from the history of philosophy is prepared and accompanied by reference to structurally isomorphic cases in our scientific and all-day thinking, deciding and acting.

Nähere Beschreibung des Projekts

Dem LV-Format VO und dem ECTS-Load von 3,5 ECTS bei 2 SWS geschuldet, ist der Kern der LV eine stark diskussionsorientierte Vorlesung, die durch eine ca. 120-seitige PowerPoint-Präsentation, eine Auswahl von Basistexten, eine lange Liste von Kontroll-, Wiederholungs- und „Weiterdenk-“ bzw. Anwendungsfragen sowie weitere Vertiefungstexte und ein Diskussionsforum im Lernmanagement¬system OLAT ergänzt wird. Die Diskussionskomponente wird dabei einerseits durch regelmäßige Rückfragen des Lehrenden, andererseits aber auch durch die ausdrückliche Einladung zu jederzeit möglichen Fragen seitens der Studierenden geschaffen.

Die PowerPoint-Präsentation (sie enthält thesenartige Punkte zum VO-Inhalt, Grundlagentexte, Zusammenfassungen und Anwendungsbeispiele) erfüllt dabei die Doppelfunktion eines (lehrenden-seitigen) Leitfadens für den Unterricht und (studierenden-seitigen) Thesenskriptums mit Platz für Notizen (ein Lehrbuch, das genau die Inhalte der VO auch mit Blick auf die Bedürfnisse von Theologie¬studierenden abdecken würde, gibt es meines Wissens nicht). Diese Doppelfunktion bedingt, dass auf die Identität der Projektionen im Saal bzw. im Virtuellen Klassenzimmer und den Unterlagen der Studierenden geachtet wird, um keine Ablenkungen bzw. Konfusionen zu erzeugen. Die Zahl der Folien ist so bemessen und die Textierung meist so stichwortartig gehalten, dass das unbeliebte und für das Lernen ineffiziente „Folienherunterlesen“ im Unterricht vermieden werden kann und den Studierenden Zeit für die eigene Aneignungs- und Verarbeitungsleistung des Gesagten bleibt.

Die PowerPoint-Präsentation ist ab Semesteranfang im Lernmanagementsystem OLAT verfügbar, den Studierenden wird aber klar kommuniziert, (1) dass sie sich unbedingt ihre persönlichen Notizen – in der ihnen persönlich zusagenden Form – machen sollten (2) sich nicht allzu viel der Präsentation im Voraus ausdrucken sollten, da der Lehrende permanent an kleinen Optimierungen arbeitet. (Diese Ansagen sollen übrigens mehr sein als ein technisch-administrativer Hinweis: Sie unterstreichen nochmals, dass eine Vorlesung im Bereich Metaphysik nicht primär einen abgeschlossenen, ein für alle Mal fertigen und von den Studierenden „abholbaren“ Inhalt mitteilt, sondern die immer noch optimierbare Kompetenz vermitteln soll, den stillschweigend vorausgesetzten und angewandten Inhalten der Metaphysik im wissenschaftlichen und alltäglichen Denken auf die Spur zu kommen. Diese Offenheit auf Kompetenzoptimierung betrifft übrigens genauso gut die Lehrenden.)

Ein weiteres Unterrichtsprinzip ist der durchgängige Verweis auf metaphysische Denkstrukturen in anderen Wissenschaften (beispielsweise sind gewisse Vorstellungen von abgrenzbaren Forschungsobjekten, ihren Eigenschaften und ihren Einbettungen in Ursachen- und Begründungszusammenhänge die Voraussetzung jeder Wissenschaft, sie werden dort aber meist stillschweigend vorausgesetzt); dieser interdisziplinäre Aspekt ist u.a. deshalb wichtig, weil die VO mitunter auch von Studierenden anderer Fakultäten besucht wird. Ergänzend zur Vorlesung gibt es einige vertiefende Texte im System OLAT, mit Blick auf die ECTS-Wertigkeit der Lehrveranstaltung wird hier aber auf Maß geachtet: der Anschein einer quasi-Verpflichtung zur Lektüre soll vermieden werden.

Die Prüfung erfolgte in früheren Jahren schriftlich, positive Erfahrungen aus der Zeit der Corona-Pandemie haben mich jedoch auf primär mündliche Prüfungen – präsentisch oder online – umschwenken lassen: Dem kompetenzorientierten Lernziel der LV wird besser gedient, wenn man auch bei der Prüfung trotz des dort herrschenden Zeitdrucks auch die erwähnte Relevanzfrage der vermittelten Inhalte thematisieren kann. Bei schriftlichen Prüfungen sind die Studierenden allerdings auf sich allein gestellt, was die Gefahr schafft, dass bei eher offenen Fragen ein zeitraubender falscher Weg eingeschlagen wird. Die mündliche Prüfungsform erlaubt es dagegen, Studierende, die „falsch abbiegen“ würden, rechtzeitig auf den Fehler hinzuweisen, zum Thema zurückzuführen und daraus zu lernen. Als Vorbereitung der Prüfung dienen vor allem auch die Wiederholungsfragen; den Studierenden wird dazu als Begleitbotschaft vermittelt, dass die Prüfungsfragen zwar nicht wörtlich aus den Wiederholungsfragen genommen sind, dass sie aber bestens vorbereitet sind, wenn sie zu allen Fragen etwas zu sagen wüssten. Maxime für den Prüfungsbetrieb ist, dass es nicht um das (negative) Aufspüren von Kenntnismängeln geht, sondern eher um den (positiven) Versuch, die eigenen Fertigkeiten anzuwenden; damit sehe ich – meinen eigenen Erfahrungen als Student folgend – die Prüfung als letzten Akt meiner pädagogischen Bemühungen und eine bevorzugte Gelegenheit für Studierende, Zusammenhänge besser zu verstehen.

Nutzen und Mehrwert

Lernerleichterung für Studierende, Orientierung in einem Kernfach, für das es zwar viele historisch orientierte Einführungen und extrem diffizile systematische Darstellungen auf dem Buchmarkt gibt, aber keine wirklich brauchbare Buchpublikation, die genau die an einer theologischen Fakultät erforderlichen Inhalte bietet und dabei Qualität mit Niederschwelligkeit im ersten Zugang verbindet. Die bestehende PowerPoint-Präsentation bietet dafür den Kern eines Ersatzes. Pro futuro bietet das bestehende Grundgerüst der Lernumgebung für den Lehrenden eine erhebliche Zeitersparnis. Im Falle erneut notwendig werdender Online-Lehre oder bei vorübergehenden Auswärtsaufenthalten des Lehrenden (etwa Kongressbesuchen) kann die Vorlesung ohne jedes Umstellungsproblem im OLAT online vom jeweiligen Aufenthaltsort aus weiter gehalten werden.

Nachhaltigkeit

Die Vorlesung geht in ihrer heutigen Gestalt auf immer wieder überarbeitete Vorformen seit dem Wintersemester 2000/01 zurück, die teils auch an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen erprobt wurden. Einen besonderen Schub hat die Weiterentwicklung der Vorlesung durch den plötzlichen Umstieg auf distance teaching während der Corona-Pandemie erhalten. Für die Zukunft kann das Grundgerüst der Lernumgebung semesterweise wieder übernommen und weiter optimiert werden.

Dissemination/Transfer

Eine ähnliche Strukturierung (und qualitative Weiterentwicklung durch das distance teaching der Corona-Zeit) haben u.a. die Lernumgebungen zu meinen Vorlesungen „Philosophische Gotteslehre“ und „Wissenschaftstheorie und interdisziplinäres Lernen“ erhalten, außerdem auch einige Gastvorlesungen an der Universität Zagreb / Fakultät für Philosophie und Religionswissenschaften.

Institutionelle Unterstützung

Benützung der hochschulinternen Infrastruktur, besonders der Lernumgebung OLAT.

Positionierung des Lehrangebots

Bachelorstudium / 1. Studienabschnitt Diplomstudium der Studienrichtungen Fachtheologie, Philosophie an der Kath.-Theol. Fakultät und Katholische Religionspädagogik

Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2023 nominiert.
Ars Docendi
2023
Kategorie: Lernergebnisorientierte Lehr- und Prüfungskultur
Ansprechperson
Winfried Löffler, Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Dr.
Institut für Christliche Philosophie
0512 / 507-8525 oder -8521 (Sekretariat)
Nominierte Person(en)
Winfried Löffler, Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Dr.
Institut für Christliche Philosophie
Themenfelder
  • Erfahrungslernen
  • Infrastruktur/Lehrmaterialien
  • Lehr- und Lernkonzepte
  • Rund ums Prüfen
Fachbereiche
  • Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften