Pädagogische Hochschule Wien
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Masterseminar FD: Schöne neue (digitale) Welt - Konzepte zum Distance-Learning im Deutschunterricht (2021S)

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

Als am 15. März 2020 alle Schulen in den Lockdown gingen, war nicht abzusehen, dass ich ein Jahr danach ein forschungspraktisches Seminar abhalten werde, das den dadurch verursachten Veränderungen in Bezug auf den Deutschunterricht nachgehen wird. Noch weniger war abzusehen, dass dieses Seminar selbst in weitere Phasen teilweisen Lockdowns fallen würde. Als medienaffiner Fachdidaktiker, der bis zu diesem Zeitpunkt mit allem Nachdruck seinen Studierenden zu vermitteln versuchte, dass die Beschäftigung mit und der Einsatz von digitalen Medien im Deutschunterricht nicht nur unvermeidbar, sondern auch didaktisch sinnvoll sei, stand ich staunend vor den widersprüchlichen Meldungen bzw. Meinungen aus Presse und Einzelzeugenberichten in Bezug auf das (Nicht)Funktionieren des Distance-Learning-Unterrichts. Die Neugier war geweckt: Diesem Phänomen wollte ich zusammen mit meinen Studierenden des Masterseminars für Fachdidaktik Deutsch im Sommersemester 2021 genauer auf den Grund gehen.

 

Beschreibung der LV (gekürzt):

Noch vor einem Jahr waren Distance-Learning-Formate in der Regelschule als didaktische Option eine unter vielen. […] Doch mit den coronabedingten Lockdowns in den Jahren 2020/21 wurde in Österreich der „Fernunterricht“ plötzlich zur einzig verbleibenden Möglichkeit, Schule sowie Unterricht aufrecht erhalten zu können. Doch welche didaktischen Möglichkeiten habe ich als Lehrende*r überhaupt in dieser Situation? Und wie stellt sich der Deutschunterricht tatsächlich unter diesen veränderten Rahmenbedingungen an Österreichs Schulen dar? Über welche konkreten Schwierigkeiten und Lösungen berichten Deutschlehrer*innen selbst? Auf welche didaktischen Konzepte greifen sie in den unterschiedlichen Bereichen des Deutschunterrichts zurück? Und haben sich diese bzw. wie haben sich diese über das letzte Jahr hinweg verändert?

Auf diese und viele weitere Fragen versuchen wir im Seminar unter Auslotung der Möglichkeiten didaktischer Forschung plausible Antworten zu finden und praktische Ableitungen für den Unterricht zu treffen. Die Ergebnisse sollen am Ende des Semesters auszugsweise zusammengefasst und online publiziert werden.

 

Folgende Lernziele werden im Rahmen des Seminars verfolgt:

- Vertiefung inhaltlicher Auseinandersetzung im Rahmen fachdidaktischer Forschung

- Vertiefung in die methodischen Belange fachdidaktischer Forschung: Gütekriterien, Erhebungs- und Auswertungsverfahren, Unterschiede qualitativer und quantitativer Forschungsfragen, Erstellung von Untersuchungsdesigns

- Abfassung einer Arbeit (vorwiegend mit empirischem Ansatz)

- Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in den Unterricht

 

Methoden: Lerner*innenzentrierte Ausrichtung der LV, in der die individuelle, forschende Begegnung der Lernenden mit dem Thema im Mittelpunkt steht.

Das Unterrichtskonzept leitet sich aus theoretischen und praktischen Überlegungen zu folgenden (hoch)schuldidaktischen Modellen ab: Forschendes Lernen, Dialogisches Lernen, Flipped Classroom

Kurzzusammenfassung des Projekts

Dieses fachdidaktische Masterseminar im Lehramtsstudium Deutsch widmet sich einem aktuellen, berufsfeldbezogenen Thema, das mit Studierenden gemeinsam erforscht wird. Es geht um die didaktischen Auswirkungen des „Distance-Learnings“ im Deutschunterricht in Zeiten der COVID-19-Pandemie.

Das Konzept des Seminars ist entlang der theoretischen Lehr- und Lernkonzepte von „Forschendem Lernen“, „Dialogischem Lernen“, „Flipped Classroom“ und „Constructive Alignment“ strukturiert.

Die Lehrveranstaltung verlangt von Studierenden eine hohe Eigenständigkeit, Kooperationsbereitschaft und ein reflektiertes, methodisches Herangehen an selbst gewählte Themen und selbst erstellte Forschungsfragen und begleitet sie unterstützend bei ihrer seminaristischen Forschung.

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

This subject-didactic master seminar in the teacher training German is dedicated to a current, job-related topic which is investigated together with the students. To be precise, the didactic consequences of distance learning in German lessons during the covid-19 pandemic is thoroughly examined.

The idea of this seminar is based on the theoretical teaching and learning concept of ‘exploratory learning’, ‘dialogic learning’, ‘flipped classroom’ and ‘constructive alignment’.

In this lecture the students have to find their own topics and create a research question. Thus, they are accompanied in a supportive and advisory way since the seminar demands high independence, the willingness to cooperate and a reflected, methodical approach.

Nähere Beschreibung des Projekts

Mein methodischer Ansatz der Lehre ist oben mit folgenden Stichworten bereits kurz skizziert:

 

• Forschendes Lernen: Gerade im Bereich der Hochschulbildung sind forschungspraktische Konzepte in fachdidaktischen Seminaren naheliegend. Dadurch erhalten Studierende einerseits einen Einblick in Konzepte und Methoden fachdidaktischer Forschung und andererseits setzen sie sich in wissenschaftlich reflektierter Form mit Themen ihres zukünftigen Berufsfeldes auseinander.

• Dialogisches Lernen: Dieses Konzept nach Ruf/Gallin (1991 ff.) verfolgt konsequent ein Lernarrangement, das Lernenden über die Kernidee (s. LV-Beschreibung oben) zu einem dialogischen Angebot einlädt und von dort aus eine konsequente und reflektierte, weitgehend eigenverantwortliche Auseinandersetzung mit einem Thema verfolgt.

• Flipped Classroom: Der Einsatz dieses Konzeptes führt allgemein dazu, dass Aufgabenstellungen im Vorfeld zur eigentlichen Lehrveranstaltung von Lernenden individuell bearbeitet werden und dann zum Termin der Lehrveranstaltung die Reflexion abgehalten und das Feedback zu diesen Themen bzw. zu dieser Arbeit gegeben wird.

• Constructive Alignment: Nach John Biggs (1996) geht es bei diesem didaktischen Konzept vor allem darum, Aufgabenstellungen im Unterricht entlang klar definierter Ziele und finaler Assessments stimmig zu gestalten und so die tatsächlich gewünschten Lernaktivitäten zu evozieren.

 

Zur Verwirklichung dieses mehrdimensionalen methodischen Ansatzes wähle ich grundsätzlich ein Blendend-Learning-Setting, das auf Moodle aufbaut und meist – je nach Erfordernis – durch weitere digitale Unterrichtstools (Mahara, Padlet, Mindmeister, Etherpad etc.) erweitert wird.

 

Ablauf:

 

1. Ziele und Rahmenbedingungen der Lehrveranstaltung, Einführung in das Thema und Forschungsmethoden

 

Zunächst werden im Seminar alle technischen Rahmenbedingungen zum Ablauf und die genauen Ziele und Anforderungen der Lehrveranstaltung besprochen. Diese Informationen finden sich zur Nachlese für die Studierenden immer auch im Moodle-Kurs der LV.

Der Einstieg in das Thema geht in meinen Lehrveranstaltungen üblicherweise von den persönlichen Erfahrungen der Studierenden aus. In diesem Fall wurden die studentischen Erfahrungen (als Masterstudierende stehen sie zum Teil ja selbst im Unterricht) via Breakout-Sessions in Zoom und einem Padlet zum Thema „Distance-Learnig“ in Zeiten von Corona abgefragt. So werden erstmals die individuellen Sichtweisen und die thematischen Überschneidungen der Seminarteilnehmer*innen deutlich gemacht.

Eine vorbereitete Mindmap zu Forschungsmethoden und Themen fachdidaktischer Forschung kontrastiert in der Folge das erste Brainstorming und die Studierenden überlegen grundsätzlich einmal, wohin ihre „Reise“ in diesem Semester gehen könnte. Die Kernidee und das dialogische Moment für das „Du“ im Lernprozess (Dialogisches Lernen, s.o.) sind damit eingeführt.

Die Aufgabenstellung bis zur nächsten Einheit besteht darin, sich zum jeweiligen Interessensgebiet einen ersten Überblick durch Recherche zu verschaffen und sich zu überlegen, welche Aspekte in diesem Bereich für einen selbst von besonderer Bedeutung sind. Ergänzend sollen dazu bereits erste Fragen und Alltagshypothesen formuliert werden.

In der Folge müssen diese Überlegungen ins Forum auf Moodle gestellt und Beiträge von Mitstudierenden gesichtet und kommentiert werden. So ergeben sich erste konkrete Themencluster und konkrete Fragestellungen dazu. Mit den Ergebnissen wird in der nächsten Seminarstunden in Gruppenarbeiten/Breakout-Sessions weitergearbeitet (Flipped Classroom, s.o.).

 

2. Erarbeitung eines individuellen Forschungsthemas mittels Ausarbeitung einer Forschungsfrage

 

In dieser Arbeitsphase geht es darum, die Fragestellungen einzugrenzen und zu präzisieren. Besonders gut eignet sich dazu ein „Triangel-Modell“ (adaptiert nach Judith Wolfsberger 2021). Hier geht es darum, die potenzielle Forschungsfrage einerseits mit dem möglichen Datenmaterial und andererseits mit der beabsichtigten Forschungsmethode abzugleichen. An diesem Punkt entwickelt sich im Seminar immer eine höchst intensive Auseinandersetzung mit den sprachlichen Hürden einer zulässigen Fragestellung, den methodischen Möglichkeiten fachdidaktischer Forschung sowie Fragen zum Datenmaterial (Erhebungs- und Auswertungsformen). Dieser Prozess wird begleitet durch Lektüreaufgaben zu fachdidaktischen Forschungsmethoden und einer intensiven Diskussion zu Gütekriterien von Forschung allgemein. Ebenso werden in dieser Phase die Limitationen „seminaristischer Forschung“ erarbeitet.

Am Ende des Prozesses wird über Moodle das seminaristische Forschungsthema, bestehend aus Forschungsfrage, Beschreibung der Forschungsmethode und dem (zu erhebenden) Datenmaterial eingereicht. Aufgrund der hohen Relevanz dieses Arbeitsschrittes erhalten alle Einreichungen von mir ein schriftliches Feedback und es werden in dieser Phase auch zusätzliche Sprechstundentermine angeboten.

 

3. Reflektierte Forschungspraxis

 

In dieser Phase bereiten die Studierenden ihre Forschung weiter vor (Befassung und Vorbereitung von Erhebungsinstrumenten und Auswertungsmethoden) und erheben danach in der Regel (wenn sie einen empirischen Ansatz verfolgen) Daten im schulischen Umfeld. Im Anschluss werten sie diese Daten aus, wobei in diesem Seminar Studierenden mit qualitativen Ansätzen auch MAXQDA-Lizenzen zur Verfügung gestellt wurden.

Seminaristisch begleitet wird dieser Prozess durch Kurzpräsentationen (Pecha Kuchas) im Seminar, die sich aber deutlich von konventionellen „Endlospowerpoints“ in Seminaren unterscheiden sollen. Einerseits ist die Dauer der Pecha Kuchas auf max. 15x 30 Sekunden (pro Folie mit automatischen Folienwechsel) festgelegt und andererseits ist das Ziel einen konkreten Einblick in den Stand der jeweiligen Forschungspraxis der Studierenden zu erhalten, diesen im Seminar zu diskutieren und dadurch weitere Klarheit über die eigene Forschungspraxis zu erhalten. Das zeitliche Verhältnis von Präsentation zu Diskussion ist in diesen Einheiten 1/3 zu 2/3!

 

4. Verfassung und Beurteilung der Arbeit, Feedbackangebote

 

Parallel dazu wird mit dem Schreiben der Seminararbeit begonnen. Dadurch dass thematisch „Forschungscluster“ gebildet wurden, wird auch Peerfeedback stärker angeregt und manche Studierende finden sich schlussendlich zu einem gemeinsamen Themenkomplex mit einer gemeinsamen Arbeitshypothese zusammen. Im Zuge dessen werden Teile der Forschungsarbeit gemeinschaftlich entwickelt (z.B. gemeinsame Erarbeitung von Leitfragen für Interviews, technische Vorbereitungen zur Erhebung). In dieser Phase stehen selbstverständlich Sprechstundentermine für die Studierenden zur Verfügung, um individuell Feedback auf ihren Forschungsprozess einholen zu können. Auch für die ausführliche Besprechung der bereits beurteilten Arbeit werden individuelle Sprechstundentermine im Folgesemester angeboten.

 

5. Teilveröffentlichung – „Schaufenster zur Lehre“

 

Ein besonderer Aspekt meiner Lehrveranstaltungen ist immer auch, dass ich aus schreibdidaktischen Überlegungen heraus versuche, mit einem „Schaufenster zur Lehre“ für die Studierenden „echte Adressat*innen“ außerhalb des Seminarraums zu finden. In diesem Fall bestand die Aufgabe für die Studierenden darin, mit einem abschließenden Formblatt eine Art Abstract zu ihrer seminaristischen Forschung und eine Kurzreflexion zum Seminar selbst zu verfassen. Diese persönlichen Reflexionen zum Seminar sind für mich ein wichtiger Anhaltspunkt für die zukünftige Ausrichtung meiner eigenen Lehrveranstaltungen, die die offiziellen Evaluationsinstrumente der Universität perfekt ergänzen.

Zusätzlich möchte ich mit diesen „Schaufenstern zur Lehre“ aber auch bewusst die Tür zu meinem seminaristischen Arbeiten aufmachen und Kolleg*innen einladen, mit mir Lehre als Unterricht weiterzuentwickeln.

Nutzen und Mehrwert

Den größten Mehrwert der Lehrveranstaltung sehe ich in der Verknüpfung von Theorie und Praxis (forschungsgeleitete Praxis trifft auf Unterrichtsentwicklung). Die Studierenden erhalten durch das seminaristische Design einen konkreten und wissenschaftlich reflektierten Einblick in didaktische Fragestellungen ihrer Berufspraxis, die ihre Arbeit in der Schule und ihre Professionalisierung nachhaltig beeinflussen wird. In ihren Reflexionen zur Lehrveranstaltung (s. Schaufenster zur Lehre) heben Studierende zudem die individuellen Freiräume bei Themenwahl und Fragestellung sowie die klare Strukturierung bzw. das sichtbare Konzept der Lehrveranstaltung positiv hervor. Besonders schätzen sie den strukturierten Austausch, der auch Möglichkeiten zur gemeinsamen Arbeit an einem Thema bietet.

 

Auf Seite der Lehrenden gilt festzuhalten, dass Lehrveranstaltungen, in denen man sich ernsthaft mit Studierenden gemeinsam auf den Weg macht, um konkrete Fragestellungen zu erforschen, immer eine Möglichkeit darstellen, auch von seinen Studierenden zu lernen.

Nachhaltigkeit

Die Übertragbarkeit des Konzeptes sehe ich insofern gegeben, als dass ich dieses methodische Setting mehrfach in meinen Lehrveranstaltungen durchgeführt habe und das evaluative Feedback der Studierenden immer ähnlich positiv ausfällt.

Ebenfalls wiederholt bestätigt wurde von den Studierenden die Nachhaltigkeit dieses Konzepts im Sinne dessen, dass dieses Seminar ihren Blick auf die wissenschaftliche, aber auch auf ihre berufliche Praxis zu schärfen vermochte.

Aufwand

Der zeitliche Aufwand kann aufgrund der Möglichkeiten vieler individueller Feedbackphasen etwas höher ausfallen. In der Regel greifen aber Studierende auf diese Möglichkeit aber wirklich nur dann zurück, wenn sie diese auch brauchen bzw. wollen und damit ist der zeitliche Mehraufwand aus meiner Sicht absolut gerechtfertigt und sinnvoll.

Positionierung des Lehrangebots

Masterstudium: Lehramt Deutsch / Sekundarstufe (Studium im Verbund Nordost)

Links zum Projekt
Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2022 nominiert.
Ars Docendi
2022
Kategorie: Forschungsbezogene bzw. kunstgeleitete Lehre
Ansprechperson
HS-Prof. Mag. Dr. Christian Aspalter
Institut für übergreifende Bildungsschwerpunkte der PH Wien (IBS)
+436641839288
Nominierte Person(en)
HS-Prof. Mag. Dr. Christian Aspalter
Institut für übergreifende Bildungsschwerpunkte der PH Wien (IBS)
Themenfelder
  • Digitalisierung
  • Forschung/EEK geleitete Lehre
  • Lehr- und Lernkonzepte
  • Rund ums Evaluieren der Lehre
  • Wissenschaftliche (Abschluss)Arbeiten
Fachbereiche
  • Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften