Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
Innrain 52, 6020 Innsbruck
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VL Spezielle Themen der Grundlagenforschung A/B: Forschungsmethoden in der Moralpsychologie

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

Bei der Gestaltung dieser Lehrveranstaltung wurde ich von verschiedenen didaktischen und fachlichen Zielen geleitet.

Zum ersten war es mir wichtig, trotz Einschränkungen durch die Corona-Pandemie interaktive und persönliche Lehre zu gestalten. Dabei war mir bewusst, dass in einer großen Gruppe von Studierenden unterschiedliche Vorlieben und Bedürfnisse vorherrschen. Daher gab ich den Teilnehmenden viel Mitsprachemöglichkeiten, was die äußere Gestaltung der Lehrveranstaltung betrifft. Dies wurde ermöglicht durch anonyme Umfragen und Abstimmungen zu Beginn des Semesters. So haben wir uns auf eine ausgeglichene Mischung von Videokonferenzen und asynchronen Einheiten geeinigt. Außerdem wurde den Studierenden freigestellt, in welcher Form sie ihre Präsentationen abhalten (Videokonferenz oder Aufnahme) und welche Gruppengröße sie dafür bevorzugen (alleine, zu zweit, zu dritt). Die Pandemie stellt Studierende vor zahlreiche Herausforderungen, die Rahmenbedingung dieser Lehrveranstaltung sollten nicht dazu gehören.

Des Weiteren lege ich in der Lehre Wert darauf, dass Studierende die gelernten Inhalte in ihrem Alltag und im Berufsleben anwenden können. Viele Studierende möchten später im Bereich der klinischen Psychologie/Psychotherapie arbeiten. Der Nutzen anderer (forschungsorientierter) Lehrveranstaltungen ist dafür für sie teilweise nicht offensichtlich. Themen der Moralpsychologie betreffen uns aber alle, da wir ständig, gewollt oder nicht, moralische Urteile und Entscheidungen treffen müssen. Hierfür ist es wichtig, die wichtigsten Mechanismen zu kennen, die hinter (un)moralischen Handlungen stecken. Daher wurden die Teilnehmenden dazu angehalten, die erarbeiteten theoretischen Erkenntnisse auf ihren Alltag zu übertragen und dabei kritische Selbstreflektion zu betreiben.

Zudem ist es wichtig, Studierende mit den aktuellen Geschehnissen in der eigenen Disziplin vertraut zu machen. Dafür müssen auch aktuelle, teilweise kontroverse Theorien und Modelle angesprochen werden und nicht nur auf Etabliertes zurückgegriffen werden. Daher war es mein Ziel, in der LV großteils Forschungsarbeiten aus den letzten Jahren zu erarbeiten.

Ein letztes fachliches Ziel war es zudem, die Studierenden an den Prozess der Erstellung einer Forschungsarbeit heranzuführen. Dabei konnten sie frei nach ihren Interessensgebieten ein Thema auswählen, den theoretischen Hintergrund dazu erarbeiten und ein Studiendesign dazu entwickeln. Dies wurde im Plenum präsentiert und diskutiert. Die Studierenden erhalten dazu sowohl von der Gruppe als auch von mir ausführliches Feedback. Als Abschlussarbeit erstellen sie eine Präregistrierung, eine mittlerweile verbreitete Methode in der (sozial)psychologischen Forschung. Diese erlernten Skills helfen den Studierenden bei der Erstellung ihrer Masterarbeiten und ggf. in ihrer weiteren Karriere als Forschende.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Es handelt sich um eine Vertiefungslehrveranstaltung, die aus einem Vorlesungs- und einem Seminarteil besteht. Im Vorlesungsteil wurden erst die gängigsten Ansätze der Moralpsychologie in chronologischem Ablauf dargestellt. Anschließend wurde darüber aufgeklärt, welche Forschungsbereiche bis jetzt wenig Beachtung gefunden haben. Daraufhin wurden unterschiedliche Forschungsmethoden anhand aktueller Artikel dargestellt und kritisch reflektiert. Dabei wurde auf neue Ansätze fokussiert. Des Weiteren wurde erarbeitet, welche Herausforderungen allgemein in der sozialpsychologischen Forschung herrschen und wie man diesen begegnen kann. Nach diesen inputreichen Einheiten hatten die Teilnehmenden die Aufgabe, selbst eine moralpsychologische Untersuchung zu gestalten und darzustellen, wie sie die den erarbeiteten Problemen im aktuellen Forschungsgeschehen praktisch und kreativ begegnen. Dabei konnten sie frei wählen, ob sie in einer Gruppe oder alleine arbeiten möchten. Die ersten Entwürfe wurden in kurzen Referaten (in der Videokonferenz oder aufgezeichnet) präsentiert und im Plenum diskutiert. Dabei wurde der Fokus darauf gelegt, tatsächlich durchführbare (wie z.B. für eine Masterarbeit) Studiendesigns zu entwickeln, die aktuelle Probleme in Forschung und Alltag aufgreifen. Als Abschlussarbeit erstellen die Studierenden ‚Präregistrierungen‘ ihrer Studien. Diese sind mittlerweile in der psychologischen Forschung weit verbreitet, werden allerdings im Studium nur wenig gelehrt.

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

This in-depth course consisted of a lecture and a seminar part. In the lecture part, I first presented the most common theories in moral psychology in a chronological order. Subsequently I explained which research areas have received little attention so far. Afterwards, that we talked about different research methods and reflected on them critically using current articles. We focussed on new, innovative approaches. Furthermore, it was elaborated which challenges prevail in social psychological research in general and how these can be met. After these input-rich units, the interactive seminar part followed. The students had to design a study in the field of moral psychology themselves. Their task was to present possibilities of practically and creatively counter the problems in current research we had identified in the first part. They were free to choose whether to work in a group or alone. The first drafts were presented in short talks (in the video conference or recorded) and discussed with their fellow students. The aim was to develop actually feasible study designs (e.g., for a master thesis) that address current problems in research and everyday life. As a final project, students generate ‘preregistrations’ of their studies. These are now widely used in psychological research but are not yet talked about in courses.

Nähere Beschreibung des Projekts

Didaktische Methoden: Durch die Corona-Pandemie konnte die LV nicht in Präsenz abgehalten werden, aber es wurde versucht, aus der Not eine Tugend zu machen. Statt die Veranstaltung eins zu eins auf den Onlinekontext zu übertragen ist es zielführend, andere Gestaltungsmöglichkeiten und Medien zu integrieren.

Auch wenn der erste Teil der LV als ‚Vorlesung‘ bezeichnet wird, wurde ein Fokus auf Interaktion gelegt. Dies gelang durch die Verwendung von Umfragetools während der Vorlesung, der Nutzung eines interaktiven Whiteboards und vielen offenen Diskussionsfragen. Um hier auch zurückhaltenden Studierenden die Beteiligung zu ermöglichen, hatten alle die freie Auswahl zwischen der Nutzung des Chats und Wortbeiträgen. Etwa die Hälft der Vorlesungseinheiten wurde asynchron aufgebaut, unter der Nutzung der Lernplattform OLAT. Hier wurde Wert auf abwechslungsreiche Gestaltung gelegt. Statt nur wissenschaftliche Paper lesen zu lassen, wurden diese in kurzen Lernvideos zusammengefasst und die Inhalte mit anderen Medien (Ted Talks, YouTube) aufgefrischt. Zu jeder Einheit gab es interaktive Aufgaben, Forumsdiskussionen oder Ideensammlungen auf dem Whiteboard. Der Kurs ist unter dem unten genannten Link aufrufbar, aus urheberrechtlichen Gründen sind allerdings jetzt nicht alle Bereiche zugänglich. Des Weiteren hatten wir einen Gastbeitrag eines Forschenden, der offene Fragen zu seinem aktuellsten Paper beantwortet hat, das wir vorher in der LV erarbeitet haben. So hatten die Studierenden die Möglichkeit, Zweifel, Kritik und Lob direkt und auf konstruktive Art und Weise zu äußern und ihr Verständnis zu vertiefen.

Auch im ‚Seminarteil‘ hatten die Studierenden viele Mitwirkungsmöglichkeiten. Sie konnten ihre Gruppengröße selbst wählen und auch das Thema der Abschlussarbeit. Es musste nur einen Bezug zur Moralpsychologie haben. So wurden die unterschiedlichen Interessen und Kenntnisse der Studierenden berücksichtigt. Ziel war es, ihr Wissen aus anderen Bereichen der Psychologie zu verknüpfen und integrieren. Auch den Modus ihrer Präsentationen konnten sie frei wählen (‚live‘ in der Videokonferenz oder aufgezeichnet), um unterschiedliche Vorlieben und technische Ausstattung zu berücksichtigen.

Um den unterschiedlichen Stärken und Schwächen der Studierenden Rechnung zu tragen, setzt sich die Gesamtnote aus vier Teilen zusammen: Mitarbeit (asynchron und in Videokonferenz), Klausur, Präsentation und Abschlussarbeit. Die Kriterien dafür wurden zu Beginn der LV bekanntgegeben. Die Studierenden erhalten transparentes und ausführliches Feedback zu den einzelnen Teilen.

 

Fachlich: In der Moralpsychologie als Disziplin gab es in den letzten 20 Jahren viel Diskussion und neue Ansätze. Da es sich hier um einen Master-Kurs handelt, war es mir wichtig, nicht nur die ‚klassischen‘ Theorien oberflächlich zu bearbeiten, sondern aktuelle Kontroversen aufzugreifen. Über den Semesterverlauf war die LV aufgebaut wie der Verlauf eines Forschungsprojekts, erst haben wir gemeinsam die grundlegenden Theorien erarbeitet, anschließend unterschiedliche Methoden und ihre Stärken/Schwächen besprochen. Darauf aufbauend erarbeiteten die Teilnehmenden eigenständig eigene Studiendesigns. Hier konnten sie ihre Vorlieben und Vorkenntnisse einbauen, so wurden Studiendesigns zur Arbeits-/Organisationspsychologie, der klinischen Psychologie, zu Corona, zu Forschungsmethoden etc. erstellt. Die Diskussion im Plenum und Forum war einerseits eine Übung für die Studierenden, ihre Kritik und Vorschläge konstruktiv zu formulieren. Andererseits war es ein Training für die präsentierenden Gruppen, ihre Gedankengänge zu argumentieren, bei unangebrachter Kritik zu verteidigen und bei angemessener Kritik zu überarbeiten. Für die Abschlussarbeit habe ich mich bewusst gegen eine klassische Seminararbeit entschieden, da dieses Format im Laufe des Semesters ausgiebig geübt wird. Eine Präregistrierung hingegen war für viele Studierende eine Neuheit, die sie allerdings im Laufe ihrer Forschungskarrieren anwenden werden. Dabei müssen alle Punkte einer psychologischen Forschung durchdacht werden (Hypothesen, Messmethoden, Stichprobengröße, Auswertungsmethoden). Somit müssen auch Kenntnisse zu Statistik etc. integriert werden. Zudem wurde darauf Wert gelegt, dass die Studien auch mit wenig Mitteln durchführbar sind. So könnte das Design, wenn gewünscht, auch als Masterarbeit umgesetzt werden.

Nutzen und Mehrwert

Eine Mischung aus Videokonferenzen und asynchronen Einheiten bringt Erleichterungen für Studierende und Lehrende. Die asynchronen Inhalte können zeitlich flexibel erstellt werden und zeit-/ortsunabhängig von den Studierenden erarbeitet werden. Dies hilft besonders Eltern und berufstätigen Studierenden. Besonders im Master sind diese zahlreicher anzutreffen. Interaktionsmöglichkeiten z.B. in Foren von Lernplattformen oder digitalen Whiteboards wie miro geben auch zurückhaltenden Studierenden die Möglichkeit, sich aktiv zu beteiligen. Durch die längere Bedenkzeit und die schriftliche Form entstehen konstruktive Diskussionen, an denen sich mehr unterschiedliche Studierende beteiligen als in den Videokonferenzen.

Regelmäßige Videokonferenzen helfen den Studierenden bei der zeitlichen Strukturierung ihres Alltags und dem Knüpfen von Kontakten. Zudem senkt das persönlichere Format die Hemmschwelle, Fragen zu stellen.

Auch die Verwendung von online Klausuren hat Vorteile für Studierende und Lehrende. Durch das open book Format ist es sinnvoll, keine reinen Wissensfragen zu stellen, sondern Anwendungsbeispiele und Verknüpfungen abzufragen. Dies ist der Anwendung des Gelernten ‚im echten Leben‘ näher als das Abfragen von auswendig gelerntem Detailwissen. Die Auswertung der Klausuren erfolgt zudem anonym, so kann Objektivität sichergestellt werden. Außerdem müssen keine Papierstapel gelagert werden, da die Klausur online gespeichert wird.

Nachhaltigkeit

Das didaktische Konzept mit synchronen und asynchronen Anteilen ist leicht umsetzbar und auf die Bedürfnisse der jeweiligen Veranstaltungsteilnehmenden anwendbar. Die Gestaltung der asynchronen Inhalte (Videos) ist leicht erlernbar und benötigt nur unwesentlich mehr Zeit, als den Vortrag live zu halten. Einmal erstellt, können diese auch in anderen Veranstaltungen flexibel eingesetzt werden.

Regelmäßig anonymes Feedback von den Studierenden zum äußeren Rahmen der LV einzuholen ist auch bei Präsenzveranstaltungen sinnvoll. Durch die Partizipationsmöglichkeiten fühlen sich die Teilnehmenden ernst genommen und der LV mehr verpflichtet. Transparente Kommunikation von Entscheidungen erhöht das Verständnis und die Bereitschaft der Teilnehmenden, diesen zu folgen.

Das Konzept dieser Lehrveranstaltung ist also sowohl in Präsenz als auch in der Fernlehre leicht umsetzbar, verursacht keinen zusätzlichen Aufwand und zeigt positive Auswirkungen auf die Zufriedenheit der Studierenden.

 

Aufwand

Es wurde kein zusätzlicher Aufwand verursacht.

Positionierung des Lehrangebots

Master/wird empfohlen für erstes Semester, kann aber auch in höheren Semestern absolviert werden

Links zu der/den Projektmitarbeiter/innen
Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2022 nominiert.
Ars Docendi
2022
Kategorie: Forschungsbezogene bzw. kunstgeleitete Lehre
Ansprechperson
Verena Aignesberger, MSc.
Institut für Psychologie
0512 507 56033
Nominierte Person(en)
Verena Aignesberger, MSc.
Institut für Psychologie
Themenfelder
  • Digitalisierung
  • Erfahrungslernen
  • Forschung/EEK geleitete Lehre
  • Lehr- und Lernkonzepte
  • Rund ums Prüfen
  • Wissenschaftliche (Abschluss)Arbeiten
Fachbereiche
  • Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften