Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
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Musikdidaktik PLUS

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

Der österreichische Lehrplan für Musikerziehung führt das unmittelbare Erlebnis von Musikaufführungen, die Begegnung mit Künstlerinnen und Künstlern sowie schulische und außerschulische Projekte zur Anregung künstlerischer Tätigkeit als didaktische Grundsätze an. Dies sei ein wesentlicher Beitrag zur kulturellen Allgemeinbildung und rege Schüler:innen zu eigener künstlerischer Tätigkeit an. Für Kulturinstitutionen wiederum bieten Kooperationen einen Ansatzpunkt, jene gesamtgesellschaftliche Relevanz zu entfalten, die von ihren Akteur:innen allenthalben lautstark behauptet und kulturpolitisch in immer stärkerem Ausmaß eingefordert wird, um kulturelle Teilhabe und Teilgabe zu ermöglichen.

 

Die Motive und Ziele hinter der eingereichten kooperativen Lehrveranstaltung sind vielfältig:

 

- Studierende erwerben als zukünftige Musiklehrer_innen Kompetenzen im Hinblick auf Kooperationsprojekte mit Kulturinstitutionen. Diese umfassen vor allem inhaltliche Kompetenzen, also Fragen nach der didaktischen und methodischen Umsetzung. Darüber hinaus erlernen die Studierenden aber auch soziale Skills im Bereich des Team-Teachings und Projektmanagement Skills im Hinblick auf kooperative Projektarbeit.

- Die Studierenden lernen die Kulturinstitutionen und deren Arbeit kennen und erhalten die Möglichkeit, im Sinne eines experiental learning (David Kolb) bzw. eines learning as doing (Etienne Wenger) Theorie und Praxis miteinander zu verbinden. Eine grundlegende theoretische Fundierung und Begleitung erfolgt durch die LV-Leitung während des Seminars, die Entwicklung und Erprobung eigener Konzepte eröffnet den Studierenden Möglichkeiten des praktischen Probierens und Experimentierens.

- Die Schüler_innen haben die Möglichkeit, begleitende Workshops mit den Studierenden zu erleben und darauf aufbauend eine Aufführung beim Kulturpartner zu besuchen.

- Die Lehrenden (LV-Leiter und Kooperationspartner) können alle Vorteile eines Team Teachings ausnützen, indem sie mit unterschiedlichen Expertisen in die gemeinsame Arbeit gehen. Die gesamte Planung und Durchführung und Reflexion / Evaluierung der Lehrveranstaltung erfolgt kollaborativ.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Musikdidaktik PLUS ist ein musikdidaktisches Seminar im Bachelor Musikerziehung und verbindet musikdidaktische Theorie und Praxis in Form einer Kooperation mit Kulturinstitutionen. Im Studienjahr 2021/22 ist die Kooperationspartnerin die Wiener Staatsoper. Das Seminar wird von Axel Petri-Preis (mdw) in Kooperation mit Krysztina Winkel (Wiener Staatsoper) geplant und durchgeführt. Gastimpulse kommen von Priska Seidl (mdw) und Nikolaus Stenitzer (Wiener Staatsoper). Die LV widmet sich zentral einem musikalischen Werk und entwickelt dazu unterschiedliche Zugänge für den schulischen Musikunterricht. Theoretisch ist die LV durch Ansätze der konstruktivistischen Musikdidaktik fundiert, die den Fokus vom Lehren auf die Lernprozessen der Schüler_innen legt. In diesen Lernprozessen werden den Lernenden so viel Handlungsspielraum und so viele Konstruktionsmöglichkeiten wie möglich zugestanden. Dies gilt sowohl in der hochschuldidaktischen Umsetzung als auch in der Erarbeitung der Konzepte für die Schule. Die Studierenden erhalten zahlreiche unterschiedliche Impulse durch die LV-Leiter_innen und Gäste und erarbeiten im Lauf des Seminars eigene Konzepte für Schulworkshops, die sie im letzten Drittel des Seminars in einer Partnerschule praktisch erproben.

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

Music Didactics PLUS is a music didactic seminar in the Bachelor study Music Education and combines music didactic theory and practice in the form of a cooperation with cultural institutions. In the academic year 2021/22, the cooperation partner is the Vienna State Opera. The seminar is planned and conducted by Axel Petri-Preis (mdw) in cooperation with Krysztina Winkel (Vienna State Opera). Guest impulses are provided by Priska Seidl (mdw) and Nikolaus Stenitzer (Vienna State Opera). The course focuses centrally on one musical piece. Theoretically, it is based on the constructivist approach to music didactics, which shifts the focus from teaching to the learning processes of the pupils. In these learning processes, learners are given as much room for maneuver and as many possibilities for construction as possible. This is true both for higher education didacticical realization in the seminar and for the development of workshop concepts for the school. The students receive numerous different impulses from the course leaders and guests and develop their own concepts for school workshops in the course of the seminar, which they test practically in a partner school in the last third of the seminar.

Nähere Beschreibung des Projekts

Die Grundidee des Seminars besteht darin, den Theorie-Praxis-Gap zu überwinden, indem die Studierenden nicht nur eine theoretische didaktische Fundierung erhalten und eigene Konzepte entwickeln, sondern diese in Form von Workshops auch in einer Schulklasse erproben können. In der Kooperation mit einer Kulturinstitution haben sie überdies die Möglichkeit, Einblick in die künstlerische Produktion zu erhalten. Didaktisch ist das Seminar konstruktivistisch fundiert. Das bedeutet, dass die Studierenden Konzepte erarbeiten, die den Schüler_innen einen möglichst großen Handlungsspielraum eröffnen und eigenständiges Arbeiten ermöglichen. Ziel ist nicht Wissensvermittlung, sondern die Motivation zu eigenständigem künstlerischem Handeln.

 

Im ersten Drittel des Seminars werden die folgenden Inhalte behandelt:

 

1) Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Konstruktivistische Grundlagen, konstruktivistische Didaktik und Musikdidaktik in konstruktivistischer Perspektive:

Musikdidaktik unterschiedet sich in manchen Bereichen durch die spezifischen Anforderungen und Gegebenheiten des Faches Musikerziehung von der allgemeinen Didaktik. Denn im Zentrum steht der Umgang mit Musik(en) auf unterschiedliche Art und Weise: Rezeptiv (Musik hören), reflexiv (über Musik sprechen), produktiv (Musik erfinden), reproduktiv (Musik machen) und transformativ (Musik umwandeln in andere Kunstformen). Die konstruktivistische Musikdidaktik geht davon aus, dass Bedeutung nicht in der Musik selbst liegt, sondern ihr von den Subjekten zugewiesen wird. Wichtig ist es dabei, den Schüler_innen Möglichkeiten der Konstruktion anzubieten. Entsprechende Methoden werden in der Folge mit den Studierenden erarbeitet und erprobt.

 

2) Methoden der Szenischen Interpretation:

Die szenische Interpretation von Musik versteht sich als gemäßigt konstruktivistisch und bietet Schüler_innen in einer Vielfalt von Methoden die Möglichkeit der Annäherung an Musik. Erprobt werden Soziogramme, Standbilder, szenisches Spiel, Improvisationen und vieles mehr.

 

3) Gender Studies: In einem Impuls von Priska Seidl werden Gender-Themen der Oper Don Giovanni in den Blick genommen und bearbeitet. Vor allem geht es um das Frauenbild in der Oper und um sexualisierte Gewalt. Die Studierenden hören Teile der Oper, lesen Partiturausschnitte, vergleichen Synopsen, assoziieren, diskutieren und schreiben eigene Versionen von weiblichen Rollen in der Oper.

 

4) Das Regiekonzept:

Vom Dramaturgen der Wiener Staatsoper erhalten die Studierenden einen Einblick in die Ideenwelt der konkreten szenischen Umsetzung und haben die Möglichkeit, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Dies dient nicht nur dem vertieften Verständnis der Studierenden, sondern auch der Einbeziehung szenischer Ideen in die zu erarbeitenden Workshopkonzepte.

 

5) Experimentelles Musizieren und Improvisieren:

Ausgehend vom Gespräch mit dem Dramaturgen werden Elemente und Ansätze des Regiekonzepts in Form von experimentellen musikalischen Improvisationen thematisiert und bearbeitet. Im konkreten Fall geht es u.a. um die Frage, wie das für die Regie wichtige dionysische Prinzip musikalisch umgesetzt werden kann.

 

6) Entwicklung und Präsentation von Workshop-Konzepten:

Die Studierenden erarbeiten unter Supervision der LV-Leiter_innen eigene Konzepte für Vorbereitungs- und Nachbereitungsworkshops. An einem Blocktermin werden die Konzepte präsentiert und mit Hilfe des Critical Response Process von Liz Lerman befeedbackt. Dabei handelt es sich um einen aufwendigen Feedbackprozess, der sich besonders für künstlerisches work in progress eignet und konsequent den Feedbacknehmer_innen die Kontrolle über den Feedbackprozess gibt.

 

7) Umsetzung der Konzepte:

Die von den Studierenden erarbeiteten und präsentierten Konzepte werden in einer Partnerschule erprobt. Dabei arbeiten jeweils 3-4 Studierende in einer Gruppe zusammen und setzen einzelne Teile der Workshops um. Jene Studierenden, die nicht unterrichten, beobachten und notieren ihre Eindrücke.

 

8) Feedback und Reflexion:

In der letzten Einheit werden die Erfahrungen aus der Umsetzung der Workshops reflektiert und befeedbackt.

 

9) Portfolio:

Die Studierenden erarbeiten während des Seminars ein Portfolio. Darin integriert werden Hausübungen, die von einem Termin zum nächsten gegeben werden (zB ein kurzes Regiekonzept, ein Blitzkonzept zur szenischen Interpretation, ein Kommentar zu einem Text). Das Herzstück bilden die unterschiedlichen Stufen der Workshopplanung, vom ersten Entwurf über das fertige Konzept bis zur Reflexion.

Nutzen und Mehrwert

Folgender Mehrwert ergab sich aus dem Projekt:

 

1) Kollegialer Austausch und kollegiales Feedback durch das Team-Teaching. Die Planung des Seminars erfolgte ebenso wie die Durchführung im Team. Dies ermöglicht das Einbringen unterschiedlicher Perspektiven und Stärken sowie kollegiales Feedback zur Verbesserung der Praxis.

2) Praktische Anwendung theoretischen Wissens. Üblicherweise wird in Musikdidaktischen Seminaren theoretisches Wissen erworben, das zum Teil praktisch in Form von peer teaching innerhalb des Seminars erprobt wird. In unserem Seminar jedoch können die Studierenden ihre Konzepte tatsächlich im zukünftigen Berufsfeld erproben, was von den Studierenden sehr positiv hervorgehoben wird.

3) Einblick in den Kulturbetrieb. Die Kooperation mit der Wiener Staatsoper ermöglicht einen umfassenden Einblick in die Arbeitsweise eines renommierten Kulturbetriebes. Nicht zuletzt durch das Gespräch mit dem Dramaturgen und den Besuch der Aufführung (sowie optionale Angebote am Haus) nähern sich die Studierenden auch intensiv dem zentralen Werk des Seminars an.

Nachhaltigkeit

Das Projekt ist grundsätzlich auf andere (musik-)didaktische Lehrveranstaltungen anwendbar. Dieses Lehrprojekt wird fortgesetzt. Im Sommersemester ist der Kooperationspartner weiterhin die Wiener Staatsoper, für das kommende Studienjahr laufen bereits Gespräche. Priska Seidl, die als prae doc Universitätsassistentin am Seminar beteiligt war, konzipiert nun für das Sommersemester eine ähnliche Lehrveranstaltung.

Aufwand

Das Projekt verursachte keine zusätzlichen Kosten . Nicht zu unterschätzen ist der zeitlich Mehraufwand, der sich durch das Team Teaching und die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern (Staatsoper, Schule) ergibt. Dieser zeitliche Mehraufwand wird aber durch den großen Mehrwert der LV (siehe oben) aufgewogen.

Positionierung des Lehrangebots

Die Lehrveranstaltung ist eine Pflichtlehrveranstaltung im Bachelor des Studiums Musikerziehung.

Links zu der/den Projektmitarbeiter/innen
Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2022 nominiert.
Ars Docendi
2022
Kategorie: Kooperative Lehr- und Arbeitsformen
Ansprechperson
Axel Petri-Preis, PhD
Institut für musikpädagogische Forschung, Musikdidaktik und elementares Musizieren
0043 650 6064767
Nominierte Person(en)
Axel Petri-Preis, PhD
Institut für musikpädagogische Forschung, Musikdidaktik und elementares Musizieren
Themenfelder
  • Lehr- und Lernkonzepte
  • Erfahrungslernen
  • Schnittstelle zum Arbeitsmarkt
Fachbereiche
  • Kunst, Musik und Gestaltung