Lehrveranstaltung “Interdisziplinäre Fallarbeit” – eine Kooperation der Studiengänge Ergotherapie und Physiotherapie

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen im Gesundheitswesen ist unabdingbar, da nur dies ein ganzheitliches Verstehen und Behandeln von Patient*innen gewährleistet. Die Zusammenarbeit der Berufsgruppen Ergotherapie und Physiotherapie ist daher ein wichtiger Bestandteil in der Praxis. Durch die Koordination des Fachwissens, aber auch durch die gemeinsame Behandlung der Patient*innen, profitieren diese von einer hohen Qualität der Therapieleistung und das Gesundheitswesen profitiert von mehr Effizienz. Aus diesem Grund war es ein Anliegen, diese Lehrveranstaltung interdisziplinär abzuhalten. Bereits in der Ausbildung sollten Studierende die Möglichkeit haben, sich interdisziplinär auszutauschen und somit eine Awareness für diese Thematik zu bekommen.

Die Lehrveranstaltung „Interdisziplinäre Fallarbeit“ an der IMC Fachhochschule Krems ist in Form eines Workshops (Lehrveranstaltungstyp) curricular verankert und fand im April 2020 mit Studierenden aus den Studiengängen Ergotherapie und Physiotherapie sowie zwei Lehrenden aus beiden Berufsgruppen statt. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Studierenden bereits ihre Berufspraktika absolviert, sodass sie bereits auf Erfahrungen mit der interdisziplinären Arbeit zurückgreifen konnten. In dieser Lehrveranstaltung sollten Studierende ihre professionelle Identität Gesprächspartner*innen vermitteln können, ein Grundverständnis für den therapeutischen Zugang zum/zur Klient*in bzw. Patient*in aus interdisziplinärer Sicht zeigen, diese Perspektiven aus einem biopsychosozialen Therapieverständnis reflektieren und die gewonnenen Erkenntnisse in das ergotherapeutische sowie physiotherapeutische Denken integrieren.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Die Lehrveranstaltung “Interdisziplinäre Fallarbeit” fand im 6. Semester der Studiengänge Ergotherapie und Physiotherapie statt. Ziel war es, ein Grundverständnis für den therapeutischen Zugang zum/zur Klient*in bzw. Patient*in aus interdisziplinärer Sicht zu bekommen und die Interdisziplinarität zu erleben. Die Lehrveranstaltung wurde mit 82 Studierenden aus beiden Studiengängen als Virtual Classroom abgehalten. Die Innovation bestand darin, trotz physischer Distanz die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu leben und zu vermitteln, mit dem Anspruch, das Lernergebnis ohne Qualitätseinbußen zu erreichen. Dabei mussten die Studierenden in 12 gemischten Kleingruppen vorbereitete Fallbeispiele diskutieren und interdisziplinär lösen. Nach einer gemeinsamen Reflexion im Plenum bildete eine Ideenwand für eine erfolgreiche zukünftige interdisziplinäre Zusammenarbeit den Abschluss dieser Lehrveranstaltung.

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

The course "Interdisciplinary Casework", in the 6th semester of the occupational therapy and physiotherapy degree programs aimed at gaining a basic understanding of the respective therapeutic approaches from an interdisciplinary perspective and to foster interdisciplinarity. 82 Students from both programs participated in the virtual classroom. Despite the physical distance, due to the COVID-19 situation, students achieved the learning outcomes without compromising quality. Students discussed prepared case studies in 12 mixed small groups and solved them in an interdisciplinary manner. A joint reflection in the plenum as well as a wall of ideas for successful future interdisciplinary collaboration between occupational therapy and physiotherapy concluded the course.

Nähere Beschreibung des Projekts

Im Rahmen der zyklischen Curriculumsevaluierungen beider Studiengänge und aufgrund des Feedbacks aus der Praxis wurden die Curricula dahingehend verändert, die Lehrveranstaltung “Interdisziplinäre Fallarbeit” für beide Studiengänge im selben Semester (6. Semester, Sommersemester) zu verankern. Dies ermöglichte eine gemeinsame Durchführung der Lehrveranstaltung und somit eine interdisziplinäre Kooperation zwischen den Lehrenden und den Studierenden. Das Ziel beider Studiengänge war es, die Interdisziplinarität bereits während des Studiums zu fördern, um ein Grundverständnis unterschiedlicher Zugänge zum/zur Klienten/in bzw. Patienten/in aus interdisziplinärer Sicht zu zeigen sowie die gewonnenen Erkenntnisse hinsichtlich des berufsspezifischen Handelns umzusetzen.

 

Die didaktische Durchführung der Lehrveranstaltung “Interdisziplinäre Fallarbeit” wäre auch unter normalen (Anmerkung: die Zeit vor der COVID-19-Pandemie) Bedingungen eine Premiere gewesen, da zum ersten Mal eine Studiengangs-übergreifende Lehrveranstaltung mit Ergotherapie- und Physiotherapiestudierenden geplant wurde. Die Lehrveranstaltung wurde für insgesamt 82 Studierende, davon 34 aus dem Studiengang Ergotherapie und 48 aus dem Studiengang Physiotherapie ursprünglich als Präsenz-Lehrveranstaltung geplant.

 

Vor Beginn der Lehrveranstaltung wurde den Studierenden Literatur (Conneeley, 2004; Muzar, 2015; Voelker et al., 2011; WHO, 2010) zum Thema Interdisziplinarität ausgesendet, um bereits eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Thematik zu ermöglichen. Nach einer Einführung in das Thema im Plenum, war der Plan, die Studierenden in gemischten Kleingruppen von ca. 7 Personen (Ergo- und Physiotherapiestudierende) einzuteilen und ihnen die Gelegenheit zu geben, über die bereits in Ihren Berufspraktika erlebten interdisziplinären Zusammenarbeit auszutauschen. Dabei wurde jeweils ein Beispiel aus der Ergotherapie und der Physiotherapie ausgewählt, bei dem die interdisziplinäre Zusammenarbeit positiv erlebt wurde. Dazu wurden von den Lehrenden Fragen in Bezug auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit vorbereitet, um den Reflexionsprozess in den Kleingruppen zu gestalten (kurze Darstellung des Fallbeispiels (anonymisiert), involvierte Berufsgruppen, Beschreibung der erlebten interdisziplinären Zusammenarbeit sowie von diesbezüglich fördernden Faktoren inkl. Darstellung von Optimierungsmöglichkeiten). Diese Fragen dienten als Grundlage für die erste interdisziplinäre Diskussionsrunde.

 

Die Studierenden sollten in einem weiteren Schritt zwei Fallbeispiele gemeinsam bearbeiten und es aus interdisziplinärer Sicht reflektieren. Die Fragen für die zweite Diskussionsrunde regten die Studierenden dazu an, sich darüber zu unterhalten, wie eine optimale interdisziplinäre Zusammenarbeit aussehen könnte (Auswahl der ergotherapeutischen sowie physiotherapeutischen Assessments, Auswahl des gemeinsamen Therapieziels, Beschreibung von Ideen einer optimalen interdisziplinären Zusammenarbeit für die Erreichung des Therapieziels). Weitere Fragen beschäftigten die Studierenden damit, über die Vorteile der interdisziplinären Kooperation zu reflektieren (Nutzen für Patienten/in, Nutzen für Berufsangehörige, wirtschaftlicher Nutzen).

Die ersten beiden Diskussionsrunden in den Kleingruppen boten Raum für soziale Interaktion. Da die Gruppen aus max. 7 Personen formiert waren, kam jede/r Studierende mehrmals zu Wort.

 

In einem letzten Schritt sollte im Plenum gemeinsam darüber diskutiert werden, welche Strukturen und Rahmenbedingungen seitens der Ausbildungsstätten und des Gesundheitssystems in Österreich notwendig sind, um eine gelungene interdisziplinäre Zusammenarbeit in Zukunft gewährleisten zu können.

 

Adaptierte Planung und Durchführung der Lehrveranstaltung aufgrund der Maßnahmen in Bezug auf die COVID-19-Pandemie:

Als die IMC Fachhochschule Krems von Präsenz auf Distance Learning umstellte, musste die didaktische und methodische Vorgehensweise für diese Lehrveranstaltung überarbeitet werden. Dies war insofern eine große Herausforderung, da gerade für diese Lehrveranstaltung der kooperative Austausch zwischen den Studierenden essentiell war und auch trotz digitaler Umsetzung die Lernergebnisse sichergestellt werden mussten. Der Veranstaltungssaal wurde durch eine Microsoft Teams Gruppe ersetzt und die Tische für die Kleingruppen wurden zu 12 virtuellen Microsoft Teams Kanälen “transformiert”. Die Ergebnisse wurden anstatt auf Flipcharts über Microsoft Forms und Padlet zusammengetragen.

 

Outcome der Lehrveranstaltung:

Was im Rahmen der Lehrveranstaltung geschah, übertraf die Erwartungen der Lehrenden um ein Vielfaches. Die digitalen Tools konnten die Lehrveranstaltung ohne Zeitverzögerung unterstützen. Mittels Microsoft Forms und Padlet konnten die Ergebnisse eindrucksvoll zusammengefasst und visualisiert werden.

Aus Sicht der Studierenden gab es sehr positives Feedback in den Lehrveranstaltungsevaluierungen.

 

Quellen:

Conneeley, A. L. (2004). Interdisciplinary collaborative goal planning in a post-acute neurological setting: A qualitative study. British Journal of Occupational Therapy, 67(6), 248-255.

Muzar, N. (2015). Interdisziplinär oder/und multiprofessionell? physioaustria inform, 14-15.

Voelker, C., Becker, A., Becker, S., Buss, B., Edele, F., Göpfert, G., . . . Unger, A. (2011). Nutzen und Perspektiven interprofessioneller Kooperation. In C. Voelker (Ed.), Physiotherapie: Berufliches Selbstverständnis (pp. 138-143). Berlin: Cornelsen.

WHO. (2010). Framework for Action on Interprofessional Education & Collaborative Practice. Geneva: World Health Organisation.

 

Nutzen und Mehrwert

Eine Kooperative Lehrform mit Studierenden aus zwei Studiengängen (ca. 90 Studierende) auch im Distance Learning mit digitalen Lehrmethoden ist auch zukünftig möglich. Durch die digitale Umsetzung der Lehrveranstaltung ergibt sich Reduktion des Verwaltungsaufwandes (Raumbuchung ect.) inkl. eine Reduktion von benötigtem Lehrmaterial.

Durch die verwendeten digitalen Medien haben Studierende auch später Zugriff auf die Lernmaterialien und Ergebnisse ihrer Diskussionen.

Die Studierenden konnten im Rahmen dieser Lehrveranstaltung die Interdisziplinarität untereinander praktisch erleben und auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den Lehrenden beider Studiengänge beobachten. Weiters haben sie die Möglichkeit auch in Zukunft in Kontakt zu bleiben und autonom interdisziplinär zusammenzuarbeiten.

Da diese Lehrveranstaltung didaktisch sowohl in Präsenz als auch im Distance Learning geplant wurde, kann diese Planung für kommende Jahre übernommen und somit Zeit gespart werden.

Nachhaltigkeit

Diese Lehrveranstaltung wird aufgrund der positiven Resonanz im Sommersemester 2021 fortgesetzt und jährlich fortgeführt. Dieses Lehrkonzept wäre möglicherweise auch auf andere Lehrveranstaltungen im Ergo- und Physiotherapie Curriculum anwendbar. Eine Übertragung auf andere gesundheitswissenschaftliche Studiengänge im Falle von curricular verankerter Interdisziplinarität mit individuellen Änderungen wäre auch denkbar.

Aufwand

Im Vergleich zu einer herkömmlichen Lehrveranstaltung ergab sich ein zusätzlicher Zeitaufwand für die Koordination der Termine zwischen den Lehrenden. Insgesamt wurden rund 10 Stunden in gemeinsamen Besprechungen beider Lehrenden zur Planung und zur Nachbesprechung investiert. Individuell arbeiteten die Lehrenden auch noch jeweils ca. 5-10 Stunden an der Vor- und Nachbereitung der Lehrveranstaltung.

Die reine Vorlesungszeit für die Studierende betrug insgesamt 6 Einheiten.

Das Projekt hat weder für die Fachhochschule noch für die Studierenden zusätzliche Kosten verursacht.

Positionierung des Lehrangebots

Bachelor-Studiengang Ergotherapie und Bachelor-Studiengang Physiotherapie, jeweils 6. Semester

Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2021 nominiert.
Ars Docendi
2021
Kategorie: Kooperative Lehr- und Arbeitsformen
Ansprechperson
Larisa Baciu, MSc.
Department of Health Sciences, Institut Therapie- und Hebammenwissenschaften
+432732802779
Nominierte Person(en)
Larisa Baciu, MSc.
Department of Health Sciences, Institut Therapie- und Hebammenwissenschaften
Christian Paumann, MSPhT
Department of Health Sciences, Institut Therapie- und Hebammenwissenschaften
Themenfelder
  • Lehr- und Lernkonzepte
  • Kommunikation/Plattform für Lehrende
  • Erfahrungslernen
  • Prozess der Curriculagestaltung
  • Digitalisierung
Fachbereiche
  • Medizin und Gesundheitswissenschaften