Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
Innrain 52, 6020 Innsbruck
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Angewandte Personalforschung: Erfahrungslernen durch enge Verknüpfung von Wissenschaft und Praxis

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

Die Zielsetzung des portraitierten Projekts, das COVID-19 bedingt im Rahmen einer semi-virtuelle Lehrveranstaltung erfolgte, war eine über ein gesamtes Semester laufende Forschungs- und Lehrkooperation mit einem Praxispartner, der Raiffeisen Landesbanken Tirol. Dieses angewandte Personalforschungsprojekt reiht sich damit in eine seit 2018 erfolgreich durchgeführte Lehrveranstaltung ein, die jedes Semester abwechselnd mit unterschiedlichen Praxis-Kooperationspartner_innen durchgeführt wird.

Die hier skizzierte Kooperation ermöglichte es auch dieses Semester den Studierenden, an einem praktischen Projekt mitzuwirken. Damit konnten theoretische Grundlagen und qualitative Analyseverfahren realitätsnah erprobt werden und damit ein Mehrwert für Studierende (Anwendung von wissenschaftlichen Methoden auf ein konkretes Praxisbeispiel), Lehrende (Feedback zur Effektivität in der Vermittlung von Forschungsmethoden) sowie für die Kooperationspartnerin (Externer Input in Form von Handlungsempfehlungen durch den Beitrag der Studierenden sowie Kontaktanbahnung mit potentiellen Bewerber_innen für Einstiegsstellen) gezogen werden.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Homeoffice und Desksharing-Arbeitsmodelle sind nicht zuletzt durch Covid-19 gängige Praxis. Diese Arbeitsmischformen wird die Kooperationspartnerin, die Raiffeisen-Landesbank Tirol AG, auch nach dem Bau der neuen Firmenzentrale DAS RAIQA weiterführen. Um diese neuen Arbeitsformen näher zu erforschen, haben Studierende der Vertiefung Personal im Bachelor Wirtschaftswissenschaften die Mitarbeiter_innen befragt sowie die Interviewdaten analysiert und ausgewertet. Die Forschungsergebnisse wurden an die Personalabteilung, sowie Vertreter_innen des Betriebsrats kommuniziert. Damit wurde den Studierenden ermöglicht, wissenschaftliche Methoden auf ein konkretes Praxisbeispiel anzuwenden und aktiv den Forschungsprozess mitzugestalten.

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

Homeoffice and associated work schemes, such as desksharing, are frequently discussed nowadays, amplified by the recent challenges associated with COVID-19. The cooperation partner Raiffeisen-Landesbank Tirol AG is planning to implement new forms of working with its new office building named RAIQA. The presumed effects of new forms of working have been researched by students of the Bachelor studies Management & Economics, elected course Human Resource Management: During the project employees have been interviewed and the data have been analyzed to understand the effects of new working forms on employee motivation and communication. The results have been presented to the HR department, as well as other key stakeholders such as the Workers Council. Via this course, students were introduced to scientific methods and have used these to solve a practical issue. In addition, the students got the possibility to actively contribute to the unfolding of a research process.

Nähere Beschreibung des Projekts

Mit dem Lehreprojekt wird ein ganzheitlicher Ansatz zum Erwerb von Methodenkenntnissen in der Personal- und Organisationsentwicklung angestrebt: Als zugrundeliegende Forschungsmethodik wurde die auf Kurt Lewin basierende Aktionsforschung herangezogen.

 

Mit der Methodik der Aktionsforschung wurde den Studierenden die Möglichkeit gegeben, Forschungsmethoden praktisch anzuwenden und damit auch die Nützlichkeit von wissenschaftlichem Arbeiten für praktische Fragestellungen von den Studierenden beurteilbar und somit zugänglicher und erfahrbarer gemacht. Zitat einer Studierenden: „Denn das ist ein Punkt [Anmerkung: bezieht sich auf die Aktionsforschung], den bis dahin mir von keiner anderen LV in diesem Ausmaße geboten wurde.“ […] „Davor verkörperten theoretische Konzepte, die man an der Uni gelernt hat teilweise eher diese Gefühlsstimmung, die jeder und jede noch gut von der Schule kennt: "Wieso lerne ich das? Wann werde ich das bitte jemals brauchen? etc." (Feedback einer Studierenden).

 

Mit Hilfe der angewandten Aktionsforschung sollten die Studierenden ein Verständnis dafür entwickeln, wie Forschung und Praxis miteinander verzahnt werden können. Im Rahmen dessen wurden die Stärken, aber auch Hürden der Aktionsforschung kennengelernt, der persönliche Beitrag der Studierenden hervorgehoben, Herausforderungen besprochen und individuell in einer Abschlussarbeit reflektiert. Die Studierenden wurden aufgefordert, Analysemethoden für qualitatives Datenmaterial zu erarbeiten und selbständig auf die empirischen Daten anzuwenden. Die Didaktik des Kurses hat vorgesehen, dass die Studierenden eng in Kleingruppen arbeiten und so auch ihre sozialen Kompetenzen verbessern: „In einer Kleingruppe so intensiv zu kollaborieren, war für mich besonders exklusiv. Neben effizienteren Lernfortschritten konnte ich für mich auch die Bedeutung einer effektiven Gruppendynamik erkennen, welche die Erreichung unseres gemeinsamen Ziels begünstigt hat. Gerade in Kleingruppen kristallisieren sich unterschiedlichste Individuen sehr deutlich heraus. Dadurch konnten meine Kommiliton_innen und ich den Umgang mit Schwächen und Stärken von Gruppenmitgliedern besonders gut erproben sowie soziale Schlüsselkompetenzen für weiterführende Studien, aber insbesondere für das spätere Berufsleben weiterentwickeln.“ (Feedback einer Studierenden).

 

Der erforderliche Umstieg von Präsenz- auf ein Onlineformat wurde gut gemeistert, da die Studierenden auf Basis der vorgegebenen Struktur und Arbeitsaufträgen selbständig die Inhalte erarbeiten konnten. Anfängliche Hindernisse und Schwierigkeiten wurden durch den stark interaktiven Charakter aufgelöst; gegebenenfalls war es hilfreich, dass sich die Studierenden am Beginn des Semesters auch persönlich kennengelernt haben. Ein hybrides Lehre-Modell (Präsenzveranstaltung zum Beginn und Abschluss, eventuell ergänzt mit Online-Lehre) ist somit möglich, wenngleich ein klassisches Klassenraumsetting für dieses Format wünschenswert ist. Die Lehrperson verstand sich als Moderatorin und Impulsgeberin, die Ergebnisse wurden vollständig selbstorganisiert von den Studierenden erarbeitet: „Damit wurde für uns Studierende […] auch eine wichtige Situation simuliert. Wir mussten uns organisieren und zusammenarbeiten, wie später auch in einem Job. Dabei mussten wir auch die typischen damit einhergehenden Schwierigkeiten, Hindernisse, Kommunikationsprobleme etc. lösen, was eine wichtige Kompetenzbildung für das spätere Berufsleben in Gang gesetzt hat.“ (Feedback einer Studierenden)

 

Zum Praxisprojekt: Durch einen erforderlichen Neubau des Zentralgebäudes wird die Arbeitswelt von morgen geschaffen: Arbeitsplätze werden in Desksharing-Modelle umgewandelt und das flexible Arbeiten im Homeoffice wird von einer Ausnahme zum allgemeinen Standard. Diese Veränderung bietet für Mitarbeiter_innen als auch die Unternehmensleitung Chancen, aber auch Risiken. Um den Wechsel auf dieses neue Modell der Arbeitsmischformen bestmöglich für alle Akteur_innen zu gestalten, wurden von Studierenden des Bachelorstudiums Wirtschaft in der Vertiefung Angewandte Personalforschung im Rahmen eines Praxis-Semesterprojekts die Auswirkungen der avisierten Arbeitsmischformen auf die Mitarbeiter_innenzufriedenheit und die Kommunikationswege untersucht. Die aktuellen Gegebenheiten, bedingt durch die Restriktionen im Zuge der Covid-19 Pandemie, boten die Möglichkeit, die Mitarbeiter_innen schon heute zu ihren Erfahrungen zu befragen und Anregungen für eine erfolgreiche Umsetzung des Arbeitsmisch-Konzepts in der Zukunft zu sammeln. Die Studierenden führten dazu qualitative Interviews durch, die sie in weiterer Folge analysierten und auswerteten, um daraus Ergebnisse und Handlungsempfehlungen für die RLB Tirol abzuleiten.

 

Das Interesse an den Erkenntnissen und abgeleiteten Handlungsempfehlungen von Seiten der RLB Tirol war sehr groß. Für die Studierenden war es spannend, an einem ‚echten‘ Forschungsprojekt mitzuwirken und die Facetten eines tagesaktuellen Themas sowohl aus wissenschaftlicher als auch praktisch relevanter Sicht zu beleuchten.

Nutzen und Mehrwert

Erfahrungslernen aufgrund der engen Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis – die Studierenden melden zurück, dass sie aufgrund der Kooperation die enge Verbindung des erlernten Wissens im Studium mit den praktischen Herausforderungen in Betrieben verstanden haben. Sie nehmen auch dazu Stellung, dass aufgrund der Zusammenarbeit mit einer Praxispartnerin die Relevanz und Sinnhaftigkeit einer gut strukturierten Herangehensweise erkannt wurde. Zitat einer Studierenden: „Studierende bekamen die Möglichkeit, erlernte Theorie, die einem bis zu diesem Punkt als realitätsfern, wenn nicht sogar als "unnütz" vorgekommen ist, in die Realität zu transferieren. Es wurde aber von uns auch erkannt, wie weit weg unsere Vorstellungen teilweise von der Relität sind und jeder und jede von uns hat wahrscheinlich die Erkenntnis gewonnen, dass die Praxis und speziell ein Praxisprojekt aus vielen komplexen Schichten und Lagen besteht. Als Mehrwert sehe ich hier stark die Erkenntnis von Studierenden, dass eine gut fundierte theoretische Grundlage durchaus sinnhaft ist“ (Feedback einer Studierenden) und weiter: „Wir bekamen aber nicht nur einen Einblick ins strukturierte, wissenschaftliche Arbeiten, sondern durften auch firmeninterne Sichtweisen in Erfahrung bringen. Über diese LV hinaus erhielten wir zum einen den Hinweis auf aktuelle Stellenausschreibungen seitens unseres Praxispartners und zum anderen überlegten sich einige von uns Studierenden, ob für uns die spätere Arbeit in der Wissenschaft vorstellbar ist. Zu Beginn des Semesters gehörte der Praxisbezug zu den Erwartungen, die ich an diese LV gestellt habe. Diese LV hat meine Erwartungen völlig übertroffen, weshalb ich allen Studierenden nur ans Herz legen kann, diese LV zu belegen.“ (Feedback einer Studierenden)

Nachhaltigkeit

Das Lehrveranstaltungsdesign wird bereits seit einigen Semestern angewandt und kontinuierlich weiterentwickelt. Die nächste Kooperation (im Sommersemester 2021) wird mit den Adler Lacken (Schwaz) und im Wintersemester 2021/22 mit den Sparkassen Tirol (Innsbruck) durchgeführt.

Aufgrund der guten Kooperation mit Praxispartner_innen konnten bereits Lehrveranstaltungen in Kooperation mit folgenden namhaften Unternehmen durchgeführt werden:

 

WS 2020/21 RLB Tirol AG: Gemeinsam mit Studierenden führten wir eine qualitative Untersuchung der Auswirkungen von Arbeitsmischformen (Büro und Homeoffice) auf die Mitarbeiterzufriedenheit und die Kommunikationswege durch.

SS 2020 Stihl: Der Projektauftrag umfasste die Erarbeitung von Maßnahmen und Handlungsempfehlungen, um Alumnis von STIHL weiterhin an das Unternehmen zu binden.

WS 2019/20 Tirol Kliniken: Im Auftrag der Tirol Kliniken haben Studierende das Employer Branding untersucht und dazu mit Mitarbeiter_innen und potentiellen Kandidat_Innen Interviews durchgeführt und die Arbeitgeber-Marketingunterlagen analysiert und die Ergebnisse an das Unternehmen präsentiert.

SS 2019 MARC O'POLO: Gemeinsam mit Studierenden der Universität Innsbruck wurde die Bedeutung der Unternehmenskultur im Arbeitsalltag des internationalen Unternehmens bestimmt und ein Leitfaden für Bewerbungsgespräche entwickelt, der das Unternehmen beim Herausfinden des Person-Organization-Fit unterstützt.

SS 2018 Swarovski: Neben Einblicken in die vielfältigen Aktivitäten zur Sicherung des Fachkräftebedarfs, wurde an Ansätzen zur Verbesserung der Förderung von Mitarbeiterinnen mit akademischem Hintergrund gearbeitet.

 

Weitere Informationen finden sich unter:

www.uibk.ac.at/iol/hrm/teaching/

Aufwand

Das Projekt erfordert eine laufende Zusammenarbeit mit einem/einer Praxispartner_in. Die Abstimmung mit dem/ den Projektpartner_innen bedarf einer ca. einjährigen Vorlaufzeit und setzt damit eine längerfristige Planung voraus.

Es gibt einen organisatorischen Mehraufwand, da die Abstimmung mit dem/der Praxispartner_in über das gesamte Semester erfolgt. Exkursionen, insbesondere zum Start des Projekts und zum Projektabschluss, sind zu planen und können logistischen Mehraufwand bedeuten; insbesondere dann, wenn der/die Praxispartner_in außerhalb des Studienortes ansässig ist.

Positionierung des Lehrangebots

Bachelor (SBWL Vertiefung)

Links zu der/den Projektmitarbeiter/innen
Links zu Social Media-Kanälen
Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2021 nominiert.
Ars Docendi
2021
Kategorie: Qualitätsverbesserung von Lehre und Studierbarkeit
Ansprechperson
Martina Kohlberger, Mag. (FH)
Institut für Organisation und Lernen - Bereich Human Resource Management
+43 512 507-71452
Nominierte Person(en)
Martina Kohlberger, Mag. (FH)
Institut für Organisation und Lernen - Bereich Human Resource Management
Julia Brandl, Prof. Dr.,
Institut für Organisation und Lernen
Themenfelder
  • Lehr- und Lernkonzepte
  • Schnittstelle zum Arbeitsmarkt
  • Wissenschaftliche (Abschluss)Arbeiten
  • Erfahrungslernen
Fachbereiche
  • Wirtschaft und Recht