Zuletzt aktualisiert am 07.02.2025
Internationale und interdisziplinäre Fallstudie mit virtueller Mobilität
Projektname des bereits eingereichten Projekts:
Ars Docendi Kategorie
Kooperative Lehr- und Arbeitsformen
Gruppengröße
< 20
Kurzzusammenfassung des Projekts
In unserer heutigen globalisierten Welt sind internationale Kompetenzen und die Fähigkeit zur effektiven Kommunikation in globalen virtuellen Teams wichtige Anforderungen am Arbeitsplatz. Um Hochschulstudierenden eine Möglichkeit zur Internationalisierung im eigenen Land zu bieten (internationalisation@home) und ihnen gleichzeitig die Erfahrung der Arbeit in virtuellen Projektteams zu vermitteln, wurde an der FH Technikum Wien ein universell einsetzbares internationales Telekooperationsprojekt entwickelt. Bei diesem Lehransatz lösen weltweit verteilte Studierende verschiedener Universitäten und Fachrichtungen gemeinsam binnen zwei Wochen technische und ökonomische Problemstellungen in einer simulierten Unternehmensumgebung und präsentieren ihre Ergebnisse einer entfernten Lehrperson zur Benotung. Neben der Einarbeitung in Kommunikationskanäle mit bisher unbekannten Personen müssen sie in einer Fremdsprache über mehrere Zeitzonen hinweg in kulturell diversifizierten Teams zusammenarbeiten.
Die Auswertung der Pilotdurchführung im Sommersemester 2020 mit 140 Studierenden aus 26 Nationen zeigt, dass die Teilnehmenden die Schwierigkeiten, die bei der Arbeit in internationalen, interdisziplinären und geografisch verteilten Teams auftreten können, erkannt haben. Von 80% der Beteiligten als wertvolle Erfahrung bewertet, stellt das vorgestellte Online-Lernkonzept einen wichtigen Beitrag im tertiären Bildungssektor dar, insbesondere in Situationen wie der COVID-19-Pandemie.
Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache
In today’s globalized world, international competencies and the ability to communicate effectively in global virtual teams are key workplace requirements. To offer university students an opportunity for internationalization at home and simultaneously provide them with the experience of working in virtual project teams, a universally applicable international tele-cooperative project has been developed at UAS Technikum Wien. In this teaching approach, students from different universities and fields of study worldwide collectively solve technical and economic problems in a simulated business environment within two weeks and present their findings to a remote professor for grading. In addition to acquainting themselves with communication channels with previously unknown people, they must collaborate in a foreign language across multiple time zones in culturally diverse teams.
The analysis of the pilot testing in spring 2020 with 140 students from 26 nations indicates that the participants have recognized the difficulties that can occur when working in international, interdisciplinary, and geographically distributed teams. Rated as a valuable experience by 80% of the participants, the presented online educational concept constitutes an important contribution in the tertiary education sector, especially in situations such as the COVID-19 pandemic.
Nähere Beschreibung des Projekts
Das vorgestellte Lehrprojekt ist eine erfahrungsbasierte Lernaktivität. Das bedeutet, dass die Teilnehmer*innen durch die Erfahrungen lernen, die sie durch ihre Zusammenarbeit und die Reflexion über ihre Zusammenarbeit machen. Die Kooperation ähnelt jener in einer realen Arbeitsumgebung, wobei anstelle der Schaffung eines verwertbaren Ergebnisses oder des Erwerbs von spezifischem inhaltlichen Wissens die durch den Prozess gewonnene Erfahrung als vorrangig angesehen ist. Die Studierenden werden mit einem komplexen realen Problem konfrontiert und müssen ihr fachliches Wissen zur interdisziplinären Problemlösung einsetzen, was einen hohen Praxisbezug darstellt und für die Berufsausbildung äußerst relevant ist. Der virtuelle Ansatz macht das Projekt besonders kosten- und zeiteffektiv.
Das Besondere an der internationalen und interdisziplinären Fallstudie ist, dass diese nicht auf einzelne Fachrichtungen beschränkt ist. Sie lehrt den Studierenden, dass reale Probleme oft nicht nur in ihrer eigenen Domäne lösbar sind, sondern mehrere Dimensionen in anderen Fachrichtungen betrachtet werden müssen. Beispielsweise ist die technisch beste Lösung häufig nicht die günstigste oder nur schwierig vermarktbar. Durch das Projekt wird bei den Studierenden Bewusstsein für derartige Zusammenhänge geschaffen. Die Studierenden lernen, über digitale Kommunikationskanäle Kontakt zu Unbekannten in einer Fremdsprache herzustellen, Werkzeuge für die Zusammenarbeit zu definieren und zu nutzen und ein simples Projektmanagement für die Arbeit in einem virtuellen Team aufzubauen. Sie müssen ihren Kolleg*innen komplexe Themen aus ihrem Fachgebiet auf Englisch erklären, technische und strategische Aspekte der gestellten Aufgaben miteinander verbinden, gemeinsame Entscheidungen zu Geschäftsproblemen treffen und ihre Ergebnisse in einer Videokonferenz präsentieren. Sie lernen, in geografisch verteilten sowie disziplinär und kulturell diversifizierten Teams lösungsorientiert zusammenzuarbeiten und souverän mit internationalen und interkulturellen Dissonanzen umzugehen.
Der Ablauf der entwickelten Fallstudie sieht dabei wie folgt aus:
1) Internationale (Partner-)Hochschulen und Kurse werden von der veranstaltenden Hochschule (FH Technikum Wien) zur Teilnahme eingeladen. Es wird gemeinsam ein Durchführungszeitraum definiert und die interdisziplinären Aufgabenstellungen erarbeitet. Dabei werden neben den unterschiedlichen Fachrichtungen auch Gender- und Diversity-Aspekte integriert.
2) Die Lehrenden aller teilnehmenden Kurse senden Listen mit den Namen und E-Mail-Adressen der Studierenden an die FH Technikum Wien, um international gemischte Teams zusammenzustellen. Für jedes Team wird eine zufällig parametrisierte Fallbeschreibung und Musterlösung generiert.
3) Alle Teammitglieder erhalten ihre Zugangsdaten zum Online-System, mithilfe dessen die Fallstudie durchgeführt wird, per E-Mail und haben eine Woche lang Zeit, sich mit ihrem Team bekannt zu machen und Entscheidungen zu den Kommunikationskanälen zu treffen. Wie das Team kommuniziert, bleibt ihnen überlassen (Wichtiger Lerneffekt!).
4) Die Aufgabenstellungen werden für alle Teams gleichzeitig freigeschaltet. Während eines Zeitraums von zwei Wochen können die Studierendenteams an ihrem Fall arbeiten. Sie müssen gemeinsam diskutieren und Entscheidungen treffen, über Ländergrenzen und Zeitzonen hinweg.
5) Schließlich präsentieren die Teams während eines 15-minütigen Zeitfensters die Lösungen einer Lehrperson einer der teilnehmenden Universitäten mithilfe eines Online-Videopräsentationstools. Die Beurteilenden erhalten die Musterlösung für die Fallparameter der Teams im Voraus.
6) Die Bewertungsbögen aller Teams werden gesammelt und mit den Peer-Bewertungen aller Studierenden zusammengeführt. Eine Liste mit den Leistungen der einzelnen Studierenden wird den Lehrenden zugesandt, die sie nach eigenem Ermessen in ihre Abschlussnote integrieren können.
Um die Durchführung dieses kooperativen Lehrprojekts zu ermöglichen, wurde ein spezielles Informationsverarbeitungssystem entwickelt. Dieses besteht aus drei miteinander verbundenen Komponenten:
- Das zentrale Element des Systems ist die Datenbank, die alle Informationen verwaltet – Benutzer*innendaten, Aufgaben mit Zugriffsrechten und Musterlösungen, Abgaben der Studierenden, Zeitfenster für Präsentationen und die Antworten auf häufig gestellte Fragen.
- Ein Administrationstool ist die Schnittstelle zur Datenbank für die Projektorganisation. Es dient der Verwaltung von Benutzer*innendaten, Teams, Präsentationszeiten und häufig gestellten Fragen. Außerdem werden mit diesem Tool E-Mails an alle Teilnehmenden verschickt sowie Bewertungsbögen und Notenbücher erstellt und eingelesen.
- Das Online-System ist für die Benutzer*inneninteraktionen zuständig. Es handelt sich dabei um eine Webseite, die Informationen aus der Datenbank leicht verständlich für die Studierenden darstellt. In diesem System können sich die Teilnehmenden einloggen, erhalten Informationen und Ratschläge, können die Kontaktdaten ihres Teams einsehen, können Zeitfenster für die Abschlusspräsentation buchen, ihre Aufgabenstellungen abrufen bzw. Lösungen einreichen, und Feedback geben.
Die Aufgabenstellungen, die bei der erstmaligen Durchführung zu lösen waren, enthielten entsprechend der Lehrveranstaltungen der Teilnehmer*innen vor allem technische und wirtschaftliche Fragestellungen. Die Kombination von technischen Aufgabenstellungen mit wirtschaftlichen Überlegungen spiegelt den Alltag in vielen realen Unternehmen wider, lässt die Studierenden über den eigenen fachlichen Tellerrand hinausschauen und fördert interdisziplinäres Denken. Bei Entscheidungsprozessen verhandeln die Teammitglieder auf Englisch und sind gefordert, gemeinsam wirtschaftlich und technisch sinnvolle Kompromisse zu finden. Derartige Situationen und Prozesse können im Studium sonst meist nicht erprobt werden. Daher sind die meisten Studierenden unvorbereitet, wenn sie im Laufe ihrer Karriere zum ersten Mal damit konfrontiert werden.
Um eine realistische und unternehmensnahe Situation zu schaffen, wurde eine industrieorientierte Fallstudie als Grundlage für die Aufgaben gewählt. Die eher technischen Aufgabenstellungen befassen sich mit der Vergabe von IP-Adressen, Sicherheitsprotokollen und Input-/Output-Daten in einer Produktionsanlage. Weitere Problemstellungen enthalten einfache Berechnungen von Durchlaufzeiten, sowie Übungen zur Visualisierung von Daten, Durchführung einer Risikoanalyse sowie Überlegungen zu eServices und Marketing.
Die Fallstudie wurde erstmals von Mitte April bis Mitte Mai 2020 durchgeführt und an der FH Technikum Wien in das Curriculum des Bachelorstudiengangs Mechatronik/Robotik im 4. Semester integriert. An der Pilotierung waren rund 140 Studierende der folgenden internationalen Hochschulen und Kurse beteiligt:
- FH Technikum Wien (Österreich) - Mechatronik/Robotik
- Comenius-Universität Bratislava (Slowakei) - Managementinformationssysteme
- National Formosa University (Taiwan) - Studierende aus verschiedenen, eher technischen Studiengängen
- Universität Wien (Österreich) - eBusiness and Service Science
- University of Lodz (Polen) - Systems for Enterprises
Da die Kurse an zwei der Universitäten speziell für Incoming-Studierende angeboten wurden, waren insgesamt 26 verschiedene Nationen an der Pilotierung beteiligt. Die am häufigsten genannten Muttersprachen der Teilnehmenden waren Deutsch (42%), gefolgt von Chinesisch und Spanisch (je 13%), Polnisch und Französisch (je 7%) und Arabisch (3%).
Das vorgestellte Konzept hat sich in der Pilotierung bewährt und sowohl von den Lehrenden, als auch von den Studierenden sehr positiven Zuspruch erhalten, wie die quantitative Auswertung des Feedbacks zeigt. Nur etwa 40% der Teilnehmenden hatten bereits vor dem Projekt internationale Erfahrung, und nur 8% davon hatten diese Erfahrung durch eine berufliche Tätigkeit erworben. 85% der Studierenden gaben an, dass die Fallstudie eine wertvolle Erfahrung für sie gewesen sei und drei von vier Befragte sagten, dass sie die internationale Teamarbeit mochten. Knapp 80% der Teilnehmer*innen sind der Meinung, ihre internationale Erfahrung durch die Fallstudie erhöht zu haben und fühlen sich besser auf ihr Arbeitsleben vorbereitet.
Die Studierenden wurden auch gebeten, zu beschreiben, was die größte Herausforderung für sie gewesen sei. Ein Fünftel der Befragten gab an, dass dies die Kommunikation mit ihrem Team gewesen sei. Viele berichteten auch von Koordinationsschwierigkeiten und Problemen, die aufgrund der Kommunikation in englischer Sprache auftraten. Einige Studierende nannten als Hauptproblem mangelndes Wissen bezüglich der Lösung von technischen oder betriebswirtschaftlichen Problemstellungen. Dies resultiert aus dem interdisziplinären Charakter des Projekts und der Tatsache, dass die Studierenden es nicht gewohnt sind, mit Menschen aus anderen Fachbereichen zusammenzuarbeiten. Viele von ihnen arbeiteten durch dieses Projekt zum ersten Mal in einem interdisziplinären Umfeld. Die meisten Studierenden berichteten, dass sie sich nun der Wichtigkeit von guter Kommunikation stärker bewusst seien. Häufig wurde auch genannt, dass das Projekt ihnen geholfen habe, ihre Englischkenntnisse zu verbessern bzw. ihre Angst vor Kommunikation in einer Fremdsprache zu verringern, und dass sie viel über Teamarbeit (in internationalen Teams) gelernt hätten.
Diese Untersuchungen zeigen deutlich, dass das vorgestellte internationale und interdisziplinäre Telekooperationsprojekt als virtuelle Mobilitätsmaßnahme einen wesentlichen Mehrwert für Studierende bringt, der in gleicher Art und Weise in einem einzelnen, lokalen Kurs nicht erzielbar wäre.
Nutzen und Mehrwert
Das vorgestellte Projekt bietet den Studierenden eine einmalige Erfahrung, die in einem einzelnen lokalen Kurs nicht nachgestellt werden kann. Die Fallstudie bereitet sie dabei optimal auf ihren beruflichen Alltag vor. Sie können ihr Wissen praktisch anwenden, ihre Fremdsprachenkenntnisse verbessern, und realitätsnah mit Personen anderer Fachdisziplinen über digitale Kommunikationskanäle interagieren. Das kollaborative Lehrprojekt bietet ihnen die Möglichkeit, in einem „geschützten“ Umfeld internationale Zusammenarbeit zu üben.
Lehrende können durch die Teilnahme an dem Projekt internationale Faktoren und Abwechslung in ihre Lehrveranstaltungen bringen, die sie ohne internationale Partnerhochschulen nicht erreichen könnten. Die Online-Abschlusspräsentationen bieten den Lehrkräften ebenfalls die Möglichkeit, mit Personen anderer Kulturen zu interagieren und andere Arbeitsweisen kennenzulernen. Der Aufwand für die Lehrenden ist relativ gering, da die Organisation hauptsächlich bei einer der teilnehmenden Hochschulen liegt. Auch für die organisierende Hochschule ist der Aufwand aufgrund der entwickelten Informationsverarbeitungssysteme überschaubar. Dadurch, dass jede Lehrkraft selbst entscheiden kann, wie stark die Beurteilung des Projektes in die Gesamtbenotung der Lehrveranstaltung einfließt und die Veranstaltungsdauer nur wenige Wochen ist, ist eine sehr einfache Integration in bestehende Curricula möglich.
Für die beteiligten Hochschulen liegt der Mehrwert einerseits in der Schaffung neuer bzw. Intensivierung bestehender Partnerschaften zu anderen internationalen Hochschulen. Aus diesen ergeben sich häufig wiederum Synergien hinsichtlich Austauschprogrammen oder Double-Degree-Programmen. Andererseits stellt das vorgestellte Telekooperationsprojekt eine sehr gute Möglichkeit dar, die Internationalisierung von Curricula voranzutreiben. Die Fallstudie kann, wie oben beschrieben, mit geringem Aufwand in bestehende Lehrveranstaltungen integriert werden, wodurch mit minimalen organisatorischen Änderungen eine Erhöhung des internationalen Lehrangebots erreicht wird.