Hygienefilm für Kliniker*innen

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

Wenn Arbeitsmediziner*innen bei einem Vortrag die Hygieneregeln an die Wand projizieren, könnte es durchaus sein, dass die Zuhörer*innen auf „Stand-by“ schalten. Deshalb haben sich Lehrende der Vetmeduni Vienna etwas einfallen lassen, um zukünftig ihr Publikum im „Live-Modus“ über häufige Hygienefehler zu informieren. Das Ergebnis dieses Projekts ist ein Lehrfilm, der das richtige Verhalten von Kliniker*innen bei der Personen- und Tierhygiene im Lehrspital der Vetmeduni Vienna in realen Alltagssituationen humorvoll-unterhaltsam und einprägsam-informativ veranschaulicht.

Das interdisziplinäre Projekt (interuniversitär bezogen auf Studierende künstlerischer und medizinischer Studiengänge und intrauniversitär bezogen auf Lehrende aus Klein-, Begleit- und Nutztiermedizin) fand im Rahmen der Lehrveranstaltung „Schauspieltraining“ unter Mitwirkung von Studierenden der Veterinärmedizin und der Filmakademie Wien statt.

Die Spielhandlung in Kürze: Das Filmprojekt zeigt zwei Regisseure, die sich beim Sichten von Casting-Videos zum Thema „Hygieneregeln“ über die Güte der Einsendungen und der gemachten Fehler in der Umsetzung der Hygieneregeln unterhalten.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Dieses innovative studierendenzentrierte und kompetenzorientierte Lehrprojekt macht sich die folgenden beiden didaktischen Prinzipien zunutze: Rollenspiel und Peer-Teaching. Im Rahmen eines interdisziplinären Lehr- und Lernsetting erarbeiten die Studierende der Veterinärmedzinischen Universität und der Filmakademie gemeinsam mit Klein-, Begleit- und Nutztiermediziner*innen einen Kurzfilm, der als E-Learning-Inhalt für die LV Klinische Ambulanz ab SS 2021 zur Verfügung stehen wird. Der Kurzfilm hat das Ziel, die Ersttagskompetenz Trainingsstandards zur Hygiene im Lehrspitals der Vetmeduni Vienna zu trainieren und zu dokumentieren. Die Zuschauer*innen (Studierende der Vetmeduni Vienna) werden durch humorvolle Übertreibungen zum Lernen (=Verhaltensänderung) animiert. Weiter wurde durch die Beteiligung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen für die Filmszenen-Beschriftung ein sichtbares Zeichen für Heterogenität geschaffen. Die LV bestand aus drei Webinaren in der gesamten Gruppe: Vorbesprechung für das Drehbuch, Verteilung der Rollen und Nachbesprechung. Nach der Verteilung der Rollen sendeten Studierende Selbstaufnahmen (Rollenspiel) ein und erhielten gegebenenfalls eine individuelle Nachschulung (Peer-Feedback) vor der erneuten Einsendung. Bemerkenswert war das besonders hohe Engagement aller Beteiligten, das es im wahrsten Sinn des Wortes spielerisch möglich machte, ein interdisziplinäres Projekt in kurzer Zeit und mit großer Freude am Tun umzusetzen.

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

This innovative student-centered and competence-orienteated teaching project applies the following two didactic principles: Role play and peer teaching. As part of an interdisciplinary teaching and learning setting, the attendees of the course Acting (students of Vetmeduni Vienna and The Film Academy) to gether with clinicians from Small, Companion and Herding Animal Medicine developed a short film that will be available as e-learning content for the course Clinical ambulance from summer semester 2021. The aim of the short film is to train and document the first-day competence training standards for hygiene in the teaching hospital of the Vetmeduni Vienna. The audience (students of the Vetmeduni Vienna) are encouraged to learn (= behavior change) through humorous exaggerations. Furthermore, through the participation of people with special needs for the film scene labeling, a visible sign of heterogeneity was created. The course consisted of three webinars in the entire group: preliminary briefing for the script, distribution of roles and debriefing. After the roles had been assigned, students sent in self-recordings (role play) and received individual follow-up training (peer feedback), if necessary, before resubmission of a second role play. Remarkable is the particularly high level of commitment of all those involved, which literally made it playfully possible to implement an interdisciplinary project in a short time and with great engagement in doing.

Nähere Beschreibung des Projekts

Einführung

Anhand der im Diplomstudium Veterinärmedizin eingerichteten Qualitätssicherungen (siehe Kompetenzcheck bzw. Lehrveranstaltungsevaluierungen) wurden fachübergreifende Mängel rund um das Wissen Hygiene identifiziert, dies wurde insbesondere durch den Umstand erschwert, dass am Campus voneinander abweichende Hygieneregeln implementiert waren. Dieses Evaluierungsergebnis stand der von der internationalen Akkreditierungsbehörde EAEVE gefordeten Ersttagskompetenz [=minimale Trainingsstandards, auch in Bezug auf Hygiene im Allgemeinen] gegenüber. Um diesen Mangel zu beheben, wurden unmittelbar zwei Maßnahmen umgesetzt: Erstellung eines campusweiten Hygienekonzepts und Implementierung der zentralen Aussagen des Hygienekonzepts in einer Lehrveranstaltung. Im Folgenden wird ausschließlich auf den innovativen Zugang bezüglich Hygiene-Lerninhalte eingegangen: Bei der Umsetzung des Projekts war den Lehrenden a) Studierendenzentrierung und b) nachhaltige Sicherung des Projektergebnisses wichtig. Daher wurden im Sinne der Studierendenzentrierung die Methoden Rollenspiel und Peer-Teaching ausgewählt, und im Sinne der Nachhaltigkeit wird das Ergebnis dieses Kurses als E-Learning-Inhalt in einer weiteren Lehrveranstaltung bereitstehen.

 

 

Planung der Lehrveranstaltung

Folgende Vorarbeiten wurden durch erfahrende Lehrende getätigt: Das Kernteam, bestehend aus drei Personen, hat zunächst 5 zentrale Elemente der Lehrspital-Hygiene identifiziert: Handhygiene, Schutzkleidung, Hundehaltung, Leichentransport und Entsorgung von (biologischem) Material. In der Folge wurden in einer gemeinsamen kreativen Sitzung vor Lehrveranstaltungsstart humorvolle Übertreibungen der jeweiligen Tätigkeit skizziert.

Das Projekt stellt auch einen Versuch dar, die zusätzlich notwendigen Hygienemaßnahmen im Sinne von COVID-19 mit Humor zu verarbeiten und den bitteren Geschmack von Gesichtern hinter Mund-Nasenschutz (wie auf einer Intensivstation) mit einer positiven Erfahrung zu verknüpfen. Neben den langfristig notwendigen Hygieneregeln galt es das zusätzliche epidemiologische Problem der Pandemie zu überwinden bzw. in diesen Hygienefilm bewusst in die neue Normalität des Lehr- und Lernalltag zu integrieren. Im Sinne der Dramaturgie wurde der Film daher als Casting im Film und für den Film angelegt: Studierende bewerben sich für potenzielle Rollen mit eingeschickten Aufnahmen und zwei Regisseur*innen vor Ort beurteilen die Güte der Szene; sie entscheiden damit letztlich über die Rollenvergabe. Diese Methode erlaubt es, die Grenze zwischen Casting für den Film und Umsetzung des Films spielerisch zu verklären, sowie auch gute und schlechte Beispiele für Hygiene im Film zu implementieren und kommentieren. Der Film ist damit neben der Veranschaulichung für zeitgemäße Hygieneregeln auch ein Zeitzeugnis für COVID-19 und soll uns nachhaltig an diese Herausforderung erinnern.

 

Durchführung der Lehrveranstaltung

Sammeltermin 1, online: Die Studierenden stellten sich vor und beschrieben ihre individuelle Motivation, am Film mitzuwirken. Danach gaben die Mitwirkenden Sprechproben vor der Gruppe ab. Wenige Mitwirkende haben sich bewusst auf organisatorische Unterstützung zurückgezogen. Den Lehrenden war wichtig, dass jede Person ihre/seine individuelle Rolle im Team fand.

Sammeltermin 2, online: Vorstellung des vorläufigen Drehbuchs und Besprechung von Rückmeldungen coram publicum. Formulierung der zu erwartenden Aufgaben und Abstimmung der Einsende- bzw. Drehtermine. Weiter wurde gemeinsam beschlossen, eine Tageswerkstätte mit Szenenbeschriftungen als Maßnahme für die Erweiterung der Heterogenität zu beschäftigen.

Einzeltermine, online: Coaching von Personen mit technischen oder inhaltlichen Problemen und Bereitstellung von speziellen Lösungsvorschlägen

Drehtermine, Präsenz: Drei Drehtage vor Ort unter COVID-19 Hygienemaßnahmen: Skills Lab, Operationssaal, Festsaal und Bewegungsraum dienten als Kulisse.

Sammeltermin 3, online: Nachbesprechung mit Darlegung der individuellen Aufgaben, Teilen von ausgewählten Filmszenen und Reflexion dieser; Evaluation der Lehrveranstaltung

 

Nachbereitung der Lehrveranstaltung

Die Lehrveranstaltung wurde mit Fragen, die die Prozesse Planen, Handeln und Fühlen kritisch betrachten in einer offenen Runde diskutiert. Diese Nachbereitung und die nachgeschaltete Evaluierung unterstrichen das Interesse an diesem Lehrprojekt; positiv angemerkt wurde das durch die Rollenspiele das Handlungsrepertoire erweitert wurde.

Die Veröffentlichung des Films wurde in drei Phasen einer Korrekturschleife unterzogen: Kerngruppe, Lehrveranstaltungsteilnehmer*innen und Sponsoren Zuletzt wurde der Film veröffentlicht und als E-Learning-Inhalt in der LV Klinische Ambulanz integriert.

 

Didaktische Prinzipien und deren Umsetzung in dieser Lehrveranstaltung

In dieser Lehrveranstaltung wurden zwei didaktische Prinzipien eingesetzt: Rollenspiel und Peer Teaching. Im Folgenden sollen diese kurz beschrieben werden und ihre Anwendung verdeutlicht werden.

Rollenspiel ist eine Form von Simulation. Simulation ist eine Methode, um reale Erfahrungen durch geführte Erfahrungen zu ersetzen oder zu verstärken, die wesentliche Aspekte der realen Welt auf vollständig interaktive Weise hervorrufen oder replizieren (Gaba 2004). Van Ments (1989) definiert Rollenspiel als „eine bestimmte Art von Simulation, die die Aufmerksamkeit auf die Interaktion von Menschen untereinander lenkt “. Ker und Bradley (2014) definieren Simulation als „eine Technik, mit der jedes Lernen erleichtert werden kann, sei es im kognitiven, psychomotorischen oder affektiven Bereich “. Sie betonen auch, dass die Simulation nicht durch die Verwendung einer Hoch- oder Niedrigtechnologie, die Konzentration auf Modelle oder Personen oder den physischen oder virtuellen Modus bestimmt wird. Woodhouse (2007) diskutiert verschiedene Vorteile des Rollenspiels:

• verbessert die Kommunikation; verbessert die zwischenmenschlichen Fähigkeiten

• Demonstriert, wie Menschen interagieren; erhöht das Einfühlungsvermögen

• hebt Stereotypen hervor; entwickelt kulturelle Kompetenz

• Kann verwendet werden, um tiefe persönliche Blockaden und Emotionen zu erkunden

• Kann mit Einzelpersonen oder in Gruppensituationen verwendet werden

• macht möglicherweise die eigenen Gefühle bewusster.

• unterstützt Emotionen anderen zu identifizieren

 

Das Prinzip des Rollenspiels wurde in der Lehrveranstaltung allen Teilnehmer*innen in Form eines Drehbuchs angeboten und von diesen vielfältig kreativ umgesetzt. Die beschriebenen Nachteile von etwaiger Unsicherheit oder Unbehagen wurden nicht beobachtet, da allen Teilnehmer*innen freigestellt wurde, ob Sie de facto spielen möchten oder die Dreharbeiten indirekt (Hilfe am Set, bei den Vor- oder Nachbereitungen, etc.) unterstützen möchten.

Für die gute Planung eines Rollenspiels werden sechs Stufen beschrieben: Vorbereitung, Einleitung, Ermöglichen, Beenden, Zusammenfassen, Evaluieren. Diese LV hat Stufe 2 (Ermöglichen) und 3 (Beenden) bei den meisten Teilnehmer*innen ausgelagert und damit den Untergruppen die Möglichkeit von Wiederholungen Ihrer Beiträge in einem entspannten Umfeld erlaubt. Wir haben in diesem Setting ausschließlich technische und keine persönlichen Einschränkungen erlebt.

 

Beim Peer teaching oder Lernen durch Lehren übernehmen Studierende die Rolle der Lehrenden. Lernende werden zu Lehrenden, werden von Empfangenden zu Produzierenden von Wissen. Duck (1993) erklärt das Prinzip wie folgt: „Peer Teaching kann das Lernen verbessern, indem es den Lernenden ermöglicht, Verantwortung für die Überprüfung, Organisation und Konsolidierung des vorhandenen Wissens und Materials zu übernehmen. Verständnis seiner Grundstruktur; Lücken füllen; zusätzliche Bedeutungen finden; und Neuformulierung des Wissens in neue konzeptionelle Rahmenbedingungen “. In diesem Lehrprojekt wurde Peer Teaching auf mehreren Ebenen angeboten: organisatorisch, technisch und inhaltlich. COVID-19 bedingt wurde dies auf epidemiologische Teams eingeschränkt. Interessanterweise wurden die vorbereiteten Feedbackbögen für Rückmeldungen im jeweiligen eLearning-Kurs von keinem Teilnehmenden eingesetzt; in einem nächsten Lehrprojekt dieser Art sollte hier noch spezielle Schulung erfolgen bzw. weniger Öffentlichkeit gewährleistet werden.

 

Literatur

Dueck, G. (1993). Picture Peer Partner Learning: Students Learning from and with Each Other: Instructional Strategies Series No. 10. Regina, Saskatchewan: Saskatchewan Professional Development Unit/Saskatchewan Instructional Development and Research Unit, University of Regina.

Gaba DM. (2004): The future vision of simulation in health care. Qual Saf Health Care. Suppl 1: i2-10.

Ker, J. & Bradley, P. (2014). Simulation in medical education. In T. Swanwick (Ed) Understanding Medical Education: Evidence, theory, and practice (pp. 175-92). Hoboken, NJ: Blackwell Publishing.

Woodhouse, J. (2007). Role play: A stage of learning. Strategies for healthcare education: How to teach in the 21st century, 71-80.

van Ments, M. (1989). The effective use of role play: A handbook for teachers and trainers. New York: Nichols Publishing.

Nutzen und Mehrwert

1. Lernerleichterung für Studierende der LV Klinische Ambulanz: Kurzfilme verbessern das lokale Verständnis für Hygieneregeln durch a) mehr Wissen und bessere Skills und b) der kompaktes Kompetenztraining

2. Zeitersparnis für Lehrende: Hygieneregeln müssen nicht redundant zu wiederholt werden.

3. COVID-19 wissenschaftshistorische Dokumentation

4. Die Integration von Menschen mit besonderen Bedürfnissen (= gemeinsam, aber nebeneinander) ist ein unkomplizierter und psychosozialer Mehrwert dieses Lehrprojekts. Infolge der problematischen Hygienebedingungen hätte Inklusion (= gemeinsam und miteinander = gemeinsames Drehen mit Menschen mit besonderen Bedürfnissen) den Projektrahmen gesprengt bzw. der Forderung der Regierung nach sozialer Ausdünnung widersprochen. Zukünftig (nach der Pandemie) könnten derartige Projekte dafür genützt werden, inklusive Didaktik umzusetzen.

5. Kritsch wurden die kurzen Reaktionszeiten zwischen der Ausstattung und dem Drehen angemerkt, die im übrigen Lehrbetrieb der Vetmeduni Vienna Ausnahmen darstellen und daher für die Studierenden gewöhnungsbedürftig waren. Jedoch wurde dadurch offensichtlich, dass die Arbeitsweisen anderer Disziplinen sich deutlich von den eigenen unterscheiden können und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit somit gegenseitiges Verständnis und mitunter auch Resilienz erfordert.

Nachhaltigkeit

Ja, die Schauspielgruppe der Vetmeduni Vienna möchte derartige Projekte wiederholen, um weitere Kurzfilme für eLearning-Inhalte zu erzeugen.

Aufwand

Die Dreharbeiten vor Ort wurden auf ein Minimum (3 Drehtage) reduziert. Die Schauspiellehre und Übungen wurden im virtuellen Raum umgesetzt. Ein Projekt von realen Drehverhältnissen zu einem „virtuellen“ Filmprojekt umzugestalten, war eine der großen Herausforderungen bedingt durch COVID-19. Die Kosten (EUR 12.000) wurden zum Großteil durch Sponsoren (Lieferanten für das Tier- und Lehrspital der Vetmeduni Vienna) getragen.

Positionierung des Lehrangebots

7. Semester und 8. Semester / 2. Studienabschnitt

Links zu der/den Projektmitarbeiter/innen
Links zu Social Media-Kanälen
Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2021 nominiert.
Ars Docendi
2021
Kategorie: Kooperative Lehr- und Arbeitsformen
Ansprechperson
VR-L Sibylle Kneissl
Nominierte Person(en)
Christine Aurich, A.o. Univ.-Prof. Dr., Dipl. ECAR
Besamung und Embryotransfer, Vetmeduni Vienna
Michael Leschnik, Priv.-Doz. Dr.
Klinische Abteilung für Interne Medizin Kleintiere, Vetmeduni Vienna
Mathias Eberspächer-Schweda, Dr.
Klinische Abteilung für Kleintierchirurgie, Vetmeduni Vienna
Christian Knecht, Mag.
Universitätsklinik für Schweine, Vetmeduni.ac.at
Andreas Liebhart, Mag.pharm.
Anstaltsapotheke, Vetmeduni Vienna
Dieter Liebhart, Assoz.Prof. Dr., Dipl. ECPVS
Universitätsklinik für Geflügel und Fische, Vetmeduni Vienna
Dominic Kubisch, Bakk.Art
Vizerektorat für Lehre, Vetmeduni Vienna
Themenfelder
  • Lehr- und Lernkonzepte
  • Curriculagestaltung
  • Erfahrungslernen
Fachbereiche
  • Medizin und Gesundheitswissenschaften