Entwicklung, Implementierung und Evaluierung des Seminars 'Sustainability Literacy for Business'

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

Das Ziel des Projektes ist die Entwicklung der Nachhaltigkeitskompetenz aller Studierenden zu fördern, um ihre wirtschaftliche Ausbildung in einen ganzheitlichen ökologischen und sozialen Kontext zu bringen.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Ab dem Wintersemester 2017/18 wird an der MU für alle Bakkalaureatsstudierenden ein neuer 4ECTS Kurs zum Thema „Sustainability Literacy for Business“ angeboten, der die Grundlagen der Ökologischen Ökonomik vermittelt und dabei die Herausforderungen und notwendigen Antworten im Nachhaltigkeitskontext diskutiert und den Bogen mit Implikationen für die Wirtschaft und deren AkteurInnen schließt. Der Kurs orientiert sich an innovativen Lehrmethoden, wie beispielsweise interaktive Visualisierungsmethoden, interaktive digitale Abstimmungstechniken, Simulation politischer Debatten, etc.

Folgende Lernziele wurden festgeschrieben:

Erfassung der studentischen Vorstellungen bzw. Visionen über eine lebenswerte Zukunft als Referenzmaß für die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung

Erforschung des globalen Zustands in Zusammenhang mit den Sustainable Development Goals (SDGs) unter Verwendung eines interaktiven Echtzeitabstimmungsverfahrens

Einführung in die Ökonomik bei gleichzeitiger Kritik der vorherrschenden Modelle und BIP als Maßzahl gesellschaftlicher Wohlfahrt und Diskussion alternativer Maßzahlen

Grenzen des Wachstums basierend auf den thermodynamischen Gesetzen, Tragfähigkeit der Erde und ökologischer Fußabdruck

Rolle des technischen Fortschritts und Optimismus

Nachhaltigkeitskonzepte, Institutionen und Wachstum, Pfadabhängigkeiten

Ungleichheit als Hindernis für gesellschaftliches Wohlbefinden, Effizienz und Demokratie

Auswirkungen auf Individuen und WirtschaftsakteurInnen

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

As of Fall 2017, all MU undergraduate students are required to complete a 4 ECTS course entitled Sustainability Literacy for Business. The need was identified through systematic measurement of student sustainability literacy over three years. The new course was collaboratively designed by the instructors with other faculty and committees, such that students explore the principles underlying ecological economics and the sustainability movement from their own perspective, using innovative teaching methods such as visualization techniques and mock political debates, while incorporating interactive digital technologies.

Learning outcomes include the ability to

•discuss global distributions of population, wellbeing, and resources in the context of the UN Sustainable Development Goals

•critique GDP as a measure of societal wellbeing and discuss viable alternative measures

•describe the concept of planetary boundaries, discuss ecological consequences of economic growth, and explain why perpetual economic growth is infeasible

•distinguish between scientific and non-scientific approaches (science and politics), and apply this understanding to the climate change debate

•distinguish between different conceptions of sustainability, and provide a critique

•evaluate the utility of various tools and business strategies for achieving sustainable outcomes

•recognize the importance of these global challenges and personally adopt responsibility for seeking desirable outcomes

Nähere Beschreibung des Projekts

Vorlesung „Sustainability Literacy“ – eine Einführung in Konzepte und Fragen nachhaltiger Entwicklung für Studierende ab dem ersten Semester (Bachelor). Pflichtvorlesung.

 

1. Vorgeschichte:

Im Jahre 2017 feierte die MODUL UNIVERSITY VIENNA (MU) ihr zehnjähriges Bestehen als Institution, die sich seit ihrer Gründung den Prinzipien Nachhaltiger Entwicklung verpflichtet versteht. In Übereinstimmung mit diesen Werten wurden in der MU Führungs- und Organisationsstrukturen geschaffen, die zu hoher Zufriedenheit unter Beschäftigten und Studierenden führten. Ferner wurden sehr anspruchsvolle Standards beim Energie- und Ressourcenverbrauch eingeführt, was der MU im UI GreenMetric World University Ranking 2017 den 68. Platz, in Österreich den 2.Platz einbrachte. Die MU ist sich der Bedeutung der Nachhaltigkeit in Lehre und Forschung bewusst.

Während der ersten zehn Jahre wurden Inhalte der Nachhaltigkeit und nachhaltigen Entwicklung nach Möglichkeit in alle Fachvorlesungen der Studienrichtungen integriert. So konnte zwar Wissen vermittelt werden, aber es blieb vage, wie weit dabei auch kognitive und affektive Lernziele erreicht werden können. Das Nachhaltigkeitskomitee der MU nahm sich 2014 vor, den Erfolg der angewandten Didaktik zu evaluieren, indem man alle neuen Studierenden sowie alle Absolventinnen und Absolventen dem international anerkannten Sustainability Literacy Test (www.sulitest.org/) unterzog. Die Auswertung der Daten ergab, dass die Absolventinnen und Absolventen nach drei Jahren Studium zwar über etwas mehr Wissen über Nachhaltigkeit verfügen als die Anfängerinnen und Anfänger, aber wesentliche Informationslücken bestehen. Die Studierenden waren zwar mit einigen Grundfragen der Nachhaltigkeit vertraut, aber die Dimension der globalen Problematik und Dringlichkeit nachhaltiger Entwicklung war ihnen keineswegs bewusst.

 

2. Aufgabenstellung:

Um eine ganzheitliche Bildung in Nachhaltigkeit zu forcieren, nahm sich das Nachhaltigkeitskomitee vor, die wirtschaftliche Ausbildung noch stärker in den Kontext unseres biophysischen und sozialen Umfelds einzubeziehen. In Kooperation wurden Lernziele definiert, die durch ein Seminar mit dem Titel „Sustainability Literacy for Business“ erreicht werden sollen. Damit erhoffte man, eine höhere Sozial- und Nachhaltigkeitskompetenz bei den ausgebildeten künftigen Businessleuten zu erzielen.

 

3. Kursinhalt und Didaktik:

Der Dekan und das Direktorium der MU griffen den Vorschlag auf: Alle Bachelor- Curricula wurden so überarbeitet, dass sie nunmehr das Pflichtseminar „Sustainability Literacy for Business“ im Umfang von 4 ECTS beinhalten. Der Seminarinhalt und die verschiedenen didaktischen und methodischen Ansätze wurden von den drei Lehrbeauftragten im Team erarbeitet. Im Wintersemester 2017/18 besuchten erstmals 117 Studierende, aufgeteilt in fünf Gruppen, das Seminar. Darin machten sich die Studierenden zunächst in Form eines Quiz über die SDGs mit dem Zustand der Welt vertraut, übten sich im Umgang mit einer Vielzahl von Fragen ökologischer Ökonomie, mit planetaren Grenzen und nachhaltigem Wirtschaften und erarbeiten schließlich eigene nachhaltige Business-Modelle. In der Folge werden die Lernziele, die entsprechenden Inhalte und die didaktischen Ansätze dargestellt.

Nachhaltigkeit ist ein normativer Begriff, der sich mit einer für die Menschheit wünschenswerten Zukunft und den Wegen dahin befasst (Dobson, 1999). Präskriptive Vermittlung der Nachhaltigkeitsziele (SDGs) der Vereinten Nationen bringt eine gewisse Gefahr in sich, dass damit befasste Individuen die Ziele nicht wirklich internalisieren beziehungsweise sie nicht mit ihren eigenen Werten übereinstimmen können. Ein theoretisches Erarbeiten ist dann abstrakt ohne persönliche Relevanz oder Identifizierung mit den Zielen. Um dies möglichst zu vermeiden, beginnt dieses Seminar mit einer Visualisierungsübung, bei der die Studierenden ihre eigenen Werte erkunden und ein Bild von der nach ihren Vorstellungen idealen Zukunft visualisieren. Darauf folgt eine mehr gelenkte Übung, in der die Studierenden darüber nach bestimmten sozialen, ökonomischen und die ökologischen Gesichtspunkten reflektieren. Diese reflektierten Visionen werden dann in der Gruppe mitgeteilt, um sowohl die Vielfalt als auch Übereinstimmungen aufzuzeigen. Es geht auch um Definition von Leitlinien für Nachhaltige Entwicklung und im weiteren um Gesichtspunkte für die Evaluierung und Analyse von Entwicklungsstrategien. Die gemeinsame Zieldefinierung in der Gruppe ermöglicht es, dass alle Studierenden ihre Ideen einbringen können. Dadurch wird ein affektiv besetztes Lernergebnis im Erkennen der Bedeutung globaler Herausforderungen und Wahrnehmen persönlicher Verantwortung bei der Suche nach Lösungen begünstigt.

Dann behandelt das Seminar Fragen und Untersuchungen des ökologischen Gleichgewichts und sozialen Wohlbefindens, Verteilungsfragen und Trends im Zusammenhang mir den SDGs. Dadurch sollen Studierende in der Lage sein, grundlegende soziale und Bevölkerungsfragen im Kontext der SDGs diskutieren zu können. Bekanntlich kann eine zu intensive Konfrontation mit tristen Fakten des Zustands der Welt zu Abstumpfen oder Lethargie führen (Slovic, 2007). Um das zu vermeiden, wurde nun ein direktes Abstimmen mittels Handy im Hörsaal zu herausfordernden Fakten und Daten eingeführt, was die aktive Teilnahme und Lust zur Einschätzung erhöht. Die Studierenden sollen also zuerst raten, und ihre Wissenslücken werden ihnen auf spielerische Weise bewusst. Diese kognitive Investition führte de facto auch zu engagierterer Diskussion.

Später müssen sich die Studierenden an Hand von ausgewählter akademischer Einführungsliteratur mit Theorien zu ökologischen Fragen auseinandersetzen. Geschlossene Modelle neoklassischer Theorie werden offenen Systemen ökologischer Ökonomie gegenübergestellt. Besonderes Augenmerk gilt der Zielorientierung menschlichen Wirtschaftens und den Divergenzen in der Beurteilung. AbsolventInnen des Seminars müssen in der Lage sein, das Bruttoinlandsprodukt als Kriterium für Wohlstand kritisch zu diskutieren und einige alternative Indikatoren und deren Stärken und Schwächen zu beschreiben. Dieses Wissen erarbeiten sie sich in Gruppenarbeit, wobei sich jede Gruppe mit einem anderen Indikator (National Accounts of Wellbeing, Genuine Progress Indicator etc.) auseinandersetzt und kritisch darüber präsentiert. Dieses „peer-to-peer – learning“ in Verbindung mit ersten eigenen Recherchen und einer Präsentation als Gruppe hat sich auch insofern bewährt, als die StudentInnen rückmelden, dass sie dabei mehr Spaß am Lernen haben. Es schult auch die Kritikfähigkeit.

Weitere Einheiten des Seminars befassen sich mit den planetaren Grenzen, mit ökologischen Folgen von Wirtschaftswachstum und der Unmöglichkeit permanenten Wachstums. Dabei kommen verschiedenste Multimediakomponenten zum Einsatz. Die Studierenden berechnen ihren eigenen ökologischen Fußabdruck online und bekommen so ein kritisches Bewusstsein zum eigenen Lebensstil und dessen Komponenten. Verbesserungsansätze werden diskutiert und berechnet.

Weitere Themen sind die Rolle der Technologie, Ungleichheitsforschung im sozialen und gesundheitlichen Kontext. Die Triebkräfte ökonomischen Wachstums werden erkundet, einschließlich des auf Schulden basierenden monetären Systems. Ab nun geht es zunehmend um Lösungsansätze, wobei in der zweiten Gruppenarbeit zunächst einmal die Faktoren analysiert werden, die Nachhaltige Entwicklung behindern oder verhindern. Bei der Auseinandersetzung mit dem anthropogenen Klimawandel wird die Verhandlung eines Klimaabkommens im Rollenspiel fingiert, und ein vom MIT entwickeltes „online tool“ wird zur Berechnung und Darstellung verschiedener Szenarien verwendet (croadsworldclimate.climateinteractive.org/).

Gegen Ende des Semesters stehen praktische Fragen nachhaltigen Wirtschaftens im Vordergrund. Wieder kommt ein Lernspiel, das Fishing Game (Hardin, 1968) zum Einsatz, das die Studierenden die ökologische Dimension und die Grenzen der Nahrungsversorgung spüren lässt. Ein Gastvortragender, der Präsident der Six Sences Resorts, referiert über zahlreiche nachhaltige Praktiken im Hotelwesen. Und schließlich müssen die Studierenden als letzte Gruppenarbeit ein eigenes nachhaltiges Businessmodell entwickeln und präsentieren.

 

4. Beurteilung der Seminarteilnehmer

Abgesehen von den drei Gruppenarbeiten müssen die Teilnehmer wöchentlich, also nach jeder Einheit, ein Lernjournal gemäß dem Protokoll RSQC2 (Angelo und Ross, 1983) online abgeben. Dieses Instrument liefert den Vortragenden erstens Feedback über das Ausmaß eventueller Missverständnisse, die dann in der nächsten Einheit besprochen werden können. Zweitens lässt es auch besonders begabte Studierende rasch identifizieren und gegebenenfalls speziell fördern. Und drittens zeigt es die Interessenslage der Studierenden, die auch in der nächsten Einheit berücksichtigt werden konnte.

Nebenbei: Die Vortragenden würdigten die Organisation von Workshops über Unterrichtsmethodik durch den Dekan.

 

5. Evaluierung des Seminars

Die Evaluierung aller Lehrveranstaltungen durch die Studierenden ist Standard an der MU und erfolgt anonym. In einer Skala von 1 (strongly agree) bis 6 (strongly disagree) wurden Klarheit der Anforderungen und Kompetenz der Vortragenden mit 1.2 bis 1.6 beurteilt. Die allgemeine Zufriedenheit mit dem Seminar lag bei 1.6 bis 1.7.

Weitere Evaluierungen befassten sich mit dem Interesse und der persönlichen Zufriedenheit der Studierenden sowie mit dem fortlaufenden Lernfortschritt. Die Umwelteinstellung der StudentInnen wurde anonym mittels des New Ecological Paradigm Scale (Dunlop, 2000) gemessen. Der Mittelwert von 3.84 lag deutlich über dem Mittelwert von 3.53, der bei der Vergleichsgruppe der Studierenden vor Einführung des Seminars gemessen wurde.

 

ZUSAMMENFASSUNG

Die für alle Bachelor-Studierende der MU verpflichtende Lehrveranstaltung „Sustainability Literacy for Business“ wurde nach systematisch festgestellten Wissensdefiziten bei AbsolventInnen eingeführt.

Die Vermittlung eines auf Forschung basierten Seminarinhalts unter Anwendung einer breiten Palette didaktischer Mittel , um die StudentInnen intellektuell und emotional herauszufordern, brachte die gewünschten kognitiven und affektiven Lernergebnisse und bildet somit eine solide Grundlage im Verständnis von Nachhaltigkeit und Nachhaltiger Entwicklung.

 

Angelo, T. A., & Cross, K. P. (1993). Classroom assessment techniques: A handbook for college teachers. San Francisco: Jossey-Bass Publishers.

Dobson, A. (1999). Fairness and Futurity: Essays on Environmental Sustainability and Social Justice. Oxford University Press.

Dunlap, R., Van Liere, K., Mertig, A., & Jones, R.E. (2000). ‘New Trends in Measuring Environmental Attitudes: Measuring endorsement of the New Ecological Paradigm: A revised NEP scale’. Journal of Social Issues, 56: 425-442.

Hardin, G. (1968). ‘The Tragedy of the Commons’. Science, 162: 1243-1248

Slovic, P. (2007). Psychic Numbing and Genocide. APA Psychological Science Agenda, 21(10).

Positionierung des Lehrangebots

Zielgruppe der Lehrveranstaltung sind alle Bachelor-Studierenden sämtlicher an der Modul University Vienna angebotener Studienprogramme (= 117 Studierende im Wintersemester 2017)

Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2018 nominiert.
Ars Docendi
2018
Kategorie: Forschungs- und kunstgeleitete Lehre, insbesondere die Förderung von kritischem Denken, Dialogorientierung, Methodenkompetenz
Ansprechperson
David Leonard, PhD.
Department of Sustainability, Governance, and Methods
+43 676 408 1240
Nominierte Person(en)
David Leonard, PhD.
Department of Sustainability, Governance, and Methods
Nina Zitz, MSc.
Dr. Klaus Renoldner
Themenfelder
  • Curriculagestaltung
Fachbereiche
  • Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik/Ingenieurwissenschaften
  • Wirtschaft und Recht
  • Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften