Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
Innrain 52, 6020 Innsbruck
Weitere Beispiele der Hochschule

VU „Brückenkurs Mathematik“

Würdigung der Jury

Studienerfolg und -misserfolg sind gerade in MINT-Fächern stark davon abhängig, wie gut der Studieneinstieg gelingt – und damit davon, wie realistisch die Selbsteinschätzung der angehenden Studierenden ist und wie präzise man auf ihren Vorkenntnissen aufbauen kann. Das mit dem Ars Docendi-Preis in der Kategorie „Lernergebnisorientierte Lehr- und Prüfungskultur“ 2023 ausgezeichnete Lehrprojekt von Dipl.-Ing. Tobias Hell mit seinem Team geht von der so klaren wie ernüchternden Analyse aus, dass MINT-Studierende in überproportionalem Maß ihr Studium wieder abbrechen. Diese Abbruchquoten, so die Analyse, sind besorgniserregend, und sie sind es umso mehr, als sie teilweise nicht auf unzureichende Eignung, sondern auf mangelnde Vorbereitung und Einführung zurückzuführen sind. Mathematik, die immer selektionierend ist, spielt dabei eine zentrale Rolle.

So baut der zweiwöchige Brückenkurs Mathematik des Teams auf einem automatisierten Online-Selbst-Assessment auf, das fortlaufend differenziert und individualisiert wird. Das Feedback daraus dient der individuellen Wahl von Workshops, die entweder eher theorie- oder eher praxisorientiert sind. Diese Workshops werden ergänzt durch interdisziplinäre Vorträge, in denen die Relevanz der Mathematik in verschiedenen Forschungsbereichen nachvollziehbar wird. Als Leistungsbeurteilung wird ein Lernjournal geführt, das es ermöglicht, die heterogenen Voraussetzungen der Studierenden bei der Einschätzung des Kompetenzfortschritts zu berücksichtigen. So werden die Ziele Kompetenzorientierung, Individualisierung, Interdisziplinarität und Forschungsorientierung bereits in der ganz frühen Phase des Studiums organisch verbunden.

Doch prägen weitere Raffinessen dieses Konzept. Die Aufgaben des Assessments beruhen auf der Auswertung von Bachelorarbeiten, und die Evaluierung des Kurses selbst wird durch ein Forschungsprojekt begleitet, das die Resultate mit demographischen Daten der Teilnehmenden korreliert. Erkenntnisse daraus wurden bereits mehrfach vorgestellt. Eine Übertragung auf andere Fächer wäre durchaus möglich, und auch Folgeprojekte für die Schule sind bereits angedacht.

Nicht zuletzt gelang es, wie die hohen Teilnehmendenzahlen zeigen, einen äußerst beliebten Kurs aufzubauen, der ersten Erkenntnissen gemäß einen signifikant positiven Einfluss auf den Studienerfolg hat. Auf vorbildliche Weise wird damit ein präzise erkanntes Kompetenzziel erfolgreich adressiert und mit gut variierten Mitteln studierendenzentriert umgesetzt.

Univ.-Prof. Dr. Thomas Grob
Universität Basel

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

Universitäten sind mit überdurchschnittlich hohen Abbruchquoten bei MINT-Studierenden konfrontiert (Müller et al., 2018). Während im Jahr 2014 insgesamt 33% der Studierenden an deutschen Universitäten ihr Studium abbrachen, waren es 51% unter den Mathematikstudierenden, 45% unter den Informatikstudierenden, 42% unter den Chemiestudierenden, 41% unter den Physikstudierenden und 32% unter der Studierenden der Ingenieurwissenschaften (Lumpe, 2019). Diese hohen Abbruchquoten sind aus gesellschaftlicher Perspektive besorgniserregend, da die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften im MINT-Bereich groß ist und das vorhandene Angebot zum Teil übersteigt (Bünning, 2020). Der anhaltende Wandel hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft hat zudem dazu geführt, dass internationale Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliches Wachstum stark von der MINT-Branche abhängen (Leszczensky et al., 2009). Vor allem Überforderung und defizitäres mathematisches Vorwissen spielen eine große Rolle beim Abbruch eines MINT-Studiums (Müller et al., 2018). An dieser Stelle greift der „Brückenkurs Mathematik“ ein, um MINT-Studierende beim Studieneinstieg zu unterstützen. Im Sinne des SDG 4 „Quality Education“ soll durch dieses kostenlose und niederschwellige Angebot interessierten Studierenden verschiedener Fächer, Fakultäten und Hintergründe die Möglichkeit auf einen gelungenen Studieneinstieg geboten und damit inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gefördert werden. Daran angelehnt ist auch das Aktionsfeld „Student-Life-Cycle“ der Universität Innsbruck, welches betont, dass es vor allem in der Phase „VorBildung“ wesentlich ist, Studienanfänger*innen beim Einstieg in ein Studium zu unterstützen und Anforderungen transparent zu kommunizieren. Konkretes Ziel des Mathematik Brückenkurses ist es, einen kritischen Reflexionsprozess bezüglich des mathematischen Vorwissens bei den Studierenden zu initiieren, mögliche mathematische Kompetenzlücken noch vor Semesterbeginn zu detektieren und diese gezielt zu schließen. Daneben wird im Brückenkurs Mathematik ein interdisziplinärer Ausblick ins Studium gewährt, um eine realistische Einschätzung und Erwartungshaltung in Bezug auf die Studienwahl anzuregen.

  • Bünning, F. (2020). Fachkräftemangel und Handlungsfelder für die technische Bildung. wbv Media.
  • Leszczensky, M., Frietsch, R., Gehrke, B. & Helmrich, R. (2009). Bildung und Qualifikation als Grundlage der technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands: Bericht des Konsortiums „Bildungsindikatoren und technologische Leistungsfähigkeit“.
  • Lumpe, M. (2019). Studienabbruch in den MINT-Fächern. Fallstudien an der Universität Potsdam und mögliche Folgerungen. Universitätsverlag Potsdam.
  • Müller, J., Stender, A., Fleischer, J., Borowski, A., Dammann, E., Lang, M. & Fischer, H. E. (2018). Mathematisches Wissen von Studienanfängern und Studienerfolg. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 24(1), 183–199.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Der zweiwöchige „Brückenkurs Mathematik“ soll den Studieneinstieg in ein MINT-Studium durch Reflexion und Angleichung des mathematischen Kompetenzstands erleichtern. Die drei Säulen der Lehrveranstaltung sind das Self-Assessment, die mathematischen Workshops sowie Fachvorträge.

Das etwa 130 Aufgaben umfassende mathematische Assessment ist als Selbsttest mit automatisiertem Feedback konzipiert und bildet die Entscheidungsgrundlage für die individuelle Gestaltung des weiteren Kursverlaufs.

Auf Basis dieser Kompetenzerhebung können mathematische Workshops belegt werden. Die Workshops sind zweispurig konzipiert: Es besteht die Möglichkeit, dem Theorie- oder dem Praxis-Workshop beizuwohnen. Neben themengebundenen Workshops werden auch Workshops angeboten, deren Inhalte von den Studierenden bestimmt werden.

Zudem werden vier Vorträge aus den Fachbereichen Mathematik, Informatik und Physik angeboten. Diese haben das Ziel, die Relevanz der behandelten mathematischen Themen in verschiedenen (universitären) MINT-Bereichen zu verdeutlichen.

Die Leistungsbeurteilung erfolgt formativ. Die Studierenden fertigen zu jeder Einheit ein Lernjournal an. Diese Bewertungsmethode bietet die Möglichkeit, individuelle Lernfortschritte einzelner Teilnehmer*innen zu erfassen, ohne Studierende mit nachteiliger Vorbildung zu diskriminieren.

Neben der bereits angesprochenen Kompetenzorientierung, Individualisierung und Interdisziplinarität ist uns auch die Forschungsorientierung ein großes Anliegen.

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

The two-week mathematics bridging course is designed to facilitate the entry into a STEM degree program by reflecting on and raising the level of mathematical competence. The three pillars of the mathematics bridging course are a self-assessment test, mathematical workshops and subject-specific lectures.

The mathematical self-assessment, comprising about 130 tasks, is designed as a self-test with automated feedback and forms the basis for the individual course design.

Based on the self-assessment results, mathematical workshops can be attended. The workshops follow a two-way design: It is possible to attend a theory-focused workshop or an exercise-focused workshop. Additionally to topic-bound workshops, workshops whose content is determined by the students are offered.

Furthermore, four lectures from the departments of mathematics, computer science and physics are offered. These aim to illustrate the relevance of mathematical topics in various (university) STEM fields.

Performance assessment and grading are realized in a formative manner. Students complete a learning journal for each lecture or workshop unit. This assessment method offers the possibility to track individual learning progress without discriminating against students with disadvantageous previous education.

In addition to the already mentioned competence orientation, individualization and multidisciplinarity, research orientation is also a major concern in the conception of the mathematics bridging course.

Nähere Beschreibung des Projekts

Der „Brückenkurs Mathematik“ wurde in dieser Form erstmals im Wintersemester 2019/20 als einwöchige VU (Vorlesung mit Übung) bzw. seit dem Wintersemester 2020/21 als zweiwöchige VU an der Universität Innsbruck angeboten, um den Studieneinstieg für MINT-Studienanfänger*innen zu erleichtern. Der Kurs findet in der zweiten Septemberhälfte statt und wird dem eigentlichen Semesterstart vorgestellt. Teilnehmende Studierende, im Wintersemester 2022/23 etwa 120, entstammen vor allem den Bachelorstudiengängen Mathematik, Informatik und Physik, aber auch Lehramtsstudierende mit mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächerschwerpunkten, Studierende der Wirtschaftswissenschaften und anderer Fächer sind vertreten. Dadurch sollen sich Studierende von Anfang an als Subjekte eines interdisziplinären Spannungsfeldes wahrnehmen, anstatt diverse Fachbereiche abgetrennt voneinander zu betrachten.

Zu Beginn der Lehrveranstaltung werden die Ziele, Abläufe und Anforderungen der Lehrveranstaltung explizit kommuniziert und die Motivation hinter dem Kurs erklärt. Zusätzlich werden die betreffenden Informationen schriftlich über OpenOLAT, dem Lernmanagementsystem der Universität Innsbruck, zur Verfügung gestellt. Die drei wesentlichen konzeptionellen Säulen der Lehrveranstaltung sind das Self-Assessment, die mathematischen Workshops sowie Fachvorträge in Mathematik, Informatik und Physik. Diese Säulen werden nun genauer erläutert.

Das Self-Assessment, konzipiert als online-Test, dient dazu, den Studienanfänger*innen Feedback zu ihrem individuellen mathematischen Kompetenzstand zu geben und bildet die persönliche Entscheidungsgrundlage für die zielgerichtete Gestaltung des weiteren Kursverlaufs. Der Einsatz dieses Tools ist zum einen eine Reaktion auf die in der Literatur geäußerte Kritik, dass viele mathematische Brückenkurse kein gezieltes Diagnosetool einsetzen, um der heterogenen Natur der Studierendenpopulation gerecht zu werden. Zum anderen wird durch das Self-Assessment, dessen Resultate nicht bewertet, sondern einzig zur Selbsteinschätzung herangezogen werden, der Fokus auf den Kompetenzerwerb gelegt. Das etwa 130 Aufgaben umfassende mathematische Self-Assessment ist das Ergebnis von 13 Bachelorarbeiten und orientiert sich am „Mindestanforderungskatalog Mathematik“ der cosh-Gruppe sowie am MaLeMINT Projekt von Irene Neumann und Kolleg*innen. Die Übungen des Self-Assessments sind dabei in acht inhaltliche Kapitel unterteilt (z.B. „Zahlen und Funktionen“). Digitalisiert wurde das Self-Assessment mit Hilfe des R-Pakets „exams“ und kann somit über verschiedene Lernplattformen flexibel zugänglich gemacht werden. Den Studierenden wird das Self-Assessment an den ersten beiden Kurstagen über OpenOLAT als Lernpfad zur Verfügung gestellt. Sie bearbeiten den Selbsttest kapitelweise und erhalten nach Abschluss eines jeden Kapitels eine automatisierte Rückmeldung über die von ihnen korrekt bzw. fehlerhaft bearbeiteten Aufgaben sowie dazugehörige Lösungsvorschläge, damit sie ihren Kompetenzstand besser einschätzen können.

Auf Basis dieser Einordnung der eigenen Kompetenzen haben die Studierenden die Möglichkeit, mathematische Workshops zu den einzelnen Kapiteln des Self-Assessments zu belegen. Die Workshops sind zweispurig konzipiert: Die Studierenden haben stets die freie Wahl, entweder dem Theorie- oder dem Praxis-Workshop beizuwohnen. Im Praxis-Workshop werden den Studierenden Aufgaben zum jeweiligen Kapitel gestellt, die in Gruppen oder auch eigenständig bearbeitet werden können. Die Workshopleiter*innen stehen für Fragen jederzeit zur Verfügung und sind bei Bedarf unterstützend tätig. Die Theorie-Workshops bestehen aus Inputs zu den betreffenden mathematischen Themenfeldern, die durch das Tool frag.jetzt interaktiv gestaltet werden: Fragen werden anonym gestellt und können von den Studierenden gereiht werden. Dies ermöglicht es bereits während des Inputs die tatsächlich relevanten Fragen zu identifizieren und auf diese unmittelbar einzugehen. Im Anschluss an die Theorie-Inputs haben die Studierenden die Möglichkeit, sich in Gruppen zusammenzufinden und gemeinsam Aufgaben zu bearbeiten. Die Unterlagen der Theorie-Inputs werden den Studierenden über OpenOLAT zur Verfügung gestellt und können somit bei Bedarf auch eigenständig nachbereitet werden. Durch diese zweispurige Konzeption ist es möglich, den verschiedenen Bedürfnissen, Interessen und Hintergründen der sehr heterogenen Gruppe an Studienanfänger*innen in individualisierter Weise gerecht zu werden. Zudem hat sich dieses flexible Konzept auch in Pandemiezeiten bewährt, da es auch problemlos online durchgeführt werden kann.

Im Anschluss an die themengebundenen Workshops, die sich an den Inhalten des Self-Assessments orientieren, wird den Studierenden die Möglichkeit geboten, Themen für drei Wunsch-Workshops über eine OpenOLAT-Umfrage zu bestimmen. Die Wunsch-Workshops werden individuell auf die Wünsche der Teilnehmer*innen abgestimmt, indem sowohl Wiederholungen einzelner Fach- oder Workshop-Inputs als auch Erweiterungen bzw. Vertiefungen spezieller Themengebiete zur Auswahl gestellt werden. Die Studienanfänger*innen haben selbstverständlich auch die Möglichkeit, eigene Ideen und Wünsche über die OLAT-Umfrage zu äußern und einzubringen. Wie die themengebundenen Workshops, werden auch die Wunsch-Workshops zweispurig konzipiert. Bei der Brückenkurs-Durchführung im September 2021 waren die vorab nicht geplanten Themen der Wunsch-Workshops verschiedene Beweismethoden, Partialbruchzerlegung und Konfidenzintervalle.

Zwischen die Workshop-Einheiten mischen sich vier Fachvorträge aus den Fachbereichen Mathematik (zwei), Informatik und Physik. Diese haben das Ziel, die Relevanz der behandelten mathematischen Grundlagen in verschiedenen MINT-Bereichen zu verdeutlichen und einen Brückenschlag zu universitären Inhalten zu schaffen. So wird die wesentliche Rolle der Mathematik in einem interdisziplinären Forschungs- und Arbeitsfeld als non-subject-related skill verdeutlicht.

Die Leistungsbeurteilung erfolgt formativ über mehrere Teilschritte. Constructive Alignment wird dadurch gewährleistet, dass die Inhalte der Leistungsbeurteilung mit den Inhalten der Workshops und den kompetenzorientierten Zielen der Lehrveranstaltung übereinstimmen. Auch die Leistungsbeurteilung soll nämlich den Menschen in seiner Individualität in den Fokus stellen und zur Reflexion und Weiterentwicklung des Kompetenzstandes beitragen.

In Anbetracht der großen Heterogenität der Zielgruppe und der kurzen Kurszeitspanne erscheint es unrealistisch, eine summative Beurteilungsvariante anzuwenden. Neben dem Self-Assessment, das bearbeitet werden muss (das erhobene Leistungsniveau selbst wird nicht bewertet), fertigen die Teilnehmer*innen zu jeder Workshop- oder Vorlesungseinheit ein sogenanntes Lernjournal an, das über einen OpenOLAT-Lernpfad einzureichen ist. Im Lernjournal halten die Studierenden individuell fest, welche neuen Inhalte sie im jeweiligen Kursbaustein gelernt haben, welche Fragen beantwortet oder aufgeworfen wurden, die Behandlung welcher Themen sie sich noch gewünscht hätten oder was unklar geblieben ist. Auf diese Weise sollen die Teilnehmer*innen zur inhaltlichen Reflexion und Diskussion ihres Kompetenzstandes angeregt werden, was wiederum in einer besseren Selbstwahrnehmung resultieren soll. Diese Bewertungsmethode bietet somit die Möglichkeit, die individuellen Lernfortschritte der einzelnen Teilnehmer*innen zu erfassen und zu würdigen, ohne Studierende mit nachteiliger Vorbildung zu diskriminieren. Studierende, die die eben beschriebenen Anforderungen erfüllen, erhalten am Ende des Kurses die Bewertung „Mit Erfolg teilgenommen“.

Als Bewertung für die Lehrenden wird über OpenOLAT ein Feedback-Baustein eingefügt, über den die Studierenden Feedback zur Lehrveranstaltung geben können. Spontanes Feedback kann auch während der Workshops und Vorlesungen anonym (frag.jetzt) oder persönlich rückgemeldet werden.

Neben der bereits angesprochenen Kompetenzorientierung, Individualisierung und Interdisziplinarität ist uns auch die Forschungsorientierung ein großes Anliegen. Die Entwicklung des Self-Assessments wurde neben der bereits genannten theoretischen Fundierung auch vom Referat III/6f des BMBWF, das für die Konzipierung der AHS-Zentralmatura im Fach Mathematik zuständig ist, begleitet und unterstützt. Doch nicht nur die Entwicklung des Mathematik Brückenkurses, sondern auch die Evaluierung desselben erfolgt auf wissenschaftlicher Basis. Da das Self-Assessment von den Studienanfänger*innen über OpenOLAT bearbeitet wird, werden wertvolle Daten über den mathematischen Kompetenzstand von Studienanfänger*innen erhoben. Diese Daten werden bereits seit dem Wintersemester 2019 jährlich gesammelt und durch demographische Daten ergänzt, die von den Studierenden auf freiwilliger Basis für Forschungszwecke bereitgestellt werden. Eine PhD-Stelle zur wissenschaftlichen Befassung wurde vom BMBWF ab dem Sommersemester 2022 akquiriert. Bereits gewonnene Erkenntnisse konnten der Fachcommunity präsentiert werden, z.B. im Februar 2021 beim „Tag der Mathematik“ in Graz oder bei der „GDM Tagung“ 2022 in Frankfurt. Noch unveröffentlichte Arbeiten werden der Einreichung vertraulich beigelegt.

Innovative Hochschuldidaktik sehen wir im Brückenkurs Mathematik vor allem durch die eben beschriebene enge Verknüpfung zwischen Forschung und Lehre realisiert. Wir reagieren mit unserem Konzept auf ein hochrelevantes gesellschaftliches Problem (Studienabbruch im MINT-Bereich), indem wir auf Basis von bereits durchgeführten (Forschungs-)Arbeiten (MaLeMINT, Mindestanforderungskatalog cosh) und in Zusammenarbeit mit externen Institutionen (Referat III/6f des BMBWF) ein digitales und flexibel einsetzbares (Realisierung im „exams“ R-Paket) Werkzeug, nämlich das Self-Assessment, entwickeln, welches in automatisierter Weise eine kritische Reflexion in Bezug auf den eigenen Kompetenzstand initiiert. Das Werkzeug selbst dient wiederum als Grundlage für weitere Forschungsarbeiten (akquirierte PhD-Stelle), welche zum Ziel haben, den Übergang zwischen Schule und Hochschule zu untersuchen und zu optimieren.

Studierendenzentrierung erreichen wir trotz der großen Heterogenität und Teilnehmer*innenzahl durch die geschickte Einbindung digitaler Tools (Self-Assessment, OpenOLAT, frag.jetzt) und aufs Individuum ausgerichtete Lehr- und Bewertungsmethoden (Self-Assessment, formative Leistungsbeurteilung, zweispurige Konzipierung von Workshops, Wunschthemen).

Die Kompetenzorientierung zieht sich durch die gesamte Konzeption des Brückenkurses, da keine summative Leistung, sondern individueller Kompetenzzuwachs im Vordergrund steht. Wie im vorangegangenen Absatz bereits erläutert, gehen wir vom Individuum und seiner Vielschichtigkeit aus, indem wir das Self-Assessment als Selbstreflexionstool der eigenen mathematischen Kompetenzen zur Verfügung stellen. Dies dient zur bestmöglichen Entscheidungsfindung in Bezug auf die weitere Lehrveranstaltungsgestaltung, um den Kompetenzzuwachs effizient zu ermöglichen, ohne Gleichschaltung zu betreiben. Besonders die zweispurig konzipierten Workshops dienen dem Kompetenzaufbau, während die zur formativen Leistungsbeurteilung eingesetzten Lernjournale Kompetenzreflexion in den Fokus rücken, um eigenständig sinnvolle Schritte zum weiterführenden Kompetenzerwerb setzen zu können.

Der Blick über den Tellerrand wird zum einen durch die interdisziplinäre Vernetzung im Leitungsteam, der Fachvorträge und der heterogenen Studierendenpopulation realisiert, zum anderen durch Folgeprojekte des Mathematik Brückenkurses, die außerhalb der Universität inmitten der Gesellschaft umgesetzt werden. So wird seit dem Wintersemester 2021/22 ein Mathematik Brückenkurs für Schüler*innen ab der 10. Schulstufe aus ganz Tirol von einem Teammitglied angeboten. Die Einbettung dieses Projektes und weiterer Folgeprogramme in ein größeres Konzept wird derzeit angestrebt. Erste richtungsweisende Gespräche haben stattgefunden.

Nutzen und Mehrwert

Der große Mehrwert des Projektes ist jener, dass den Studierenden die Möglichkeit geboten wird, ihren mathematischen Kompetenzstand noch vor Semesterbeginn zu reflektieren und gegebenenfalls anzupassen. Dies erleichtert den Studieneinstieg und kann auch langfristige Vorteile, wie etwa mehr ECTS-Punkten pro Semester oder weniger Studienabbrüche mit sich bringen, wie unsere Folgeforschung zeigt.

Des Weiteren haben wir mit dem Self-Assessment ein Werkzeug entwickelt, dessen Lösehäufigkeit nach unserem Erkenntnisstand einen signifikanten Einfluss auf den späteren Studienerfolg hat. Wir arbeiten an der Weiterentwicklung dieses Self-Assessments und haben es teilweise bereits randomisiert. Randomisiert bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Aufgaben des Self-Assessments in verschiedenen Varianten und mit angepassten Lösungsvorschlägen automatisiert generiert werden, um vielfältige Übungsmöglichkeiten zu bieten. In dieser Form könnte das Self-Assessment auch Studierenden als Hilfsangebot zur Verfügung gestellt werden, welche nicht am Brückenkurs teilnehmen.

Selbstverständlich bietet der Kurs, wie bereits implizit angedeutet, auch einen großen Mehrwert für die Forschung an der Universität Innsbruck. Gesammelte Daten geben wertvolle Einblicke in die Zusammensetzung und den Kompetenzstand der Studienanfänger*innen und bieten die Möglichkeit zahlreicher Analysen und Anlässe zur Weiterentwicklung der Lehre.

Natürlich generiert auch das Folgeprojekt des Mathematik Brückenkurses für Schüler*innen aus ganz Tirol einen gesellschaftlichen Mehrwert außerhalb der Universität.

Nachhaltigkeit

Als Vorprojekte zum Mathematik Brückenkurs sind die 13 Bachelorarbeiten anzusehen, welche das Self-Assessment unter Einbezug von Literatur und Expert*innenfeedbacks hervorgebracht haben. Seit dem Wintersemester 2019/20 wird der Brückenkurs jährlich umgesetzt und ein Folgeprojekt ist daraus bereits entstanden. Auf Initiative von Tobias Hell und Andreas Knapp konnte von Pia Tscholl ein jahrgangsstufen- und schulübergreifender Mathematik Brückenkurs für Schüler*innen ab der 10. Schulstufe aus ganz Tirol realisiert werden. Dieser wird als zweistündige, unverbindliche Übung seit dem Schuljahr 2021/22 wöchentlich und für die Schüler*innen unentgeltlich angeboten. Die Einbettung dieses Angebots in ein größeres Konzept mit weiteren Folgeprojekten ist aktuell in Planung. Diesbezüglich haben bereits erste Gespräche und Konzeptplanungen stattgefunden. Zudem konnte vom BMBWF eine PhD-Stelle zur Aufarbeitung der im Brückenkurs gesammelten Daten eingerichtet werden, welche seit März 2022 von Pia Tscholl besetzt ist.

Dissemination/Transfer

Vor allem das Self-Assessment ist vielseitig und flexibel einsetzbar, auch unabhängig vom Brückenkurs Mathematik. So könnte es, wie bereits angemerkt, in randomisierter Form und mit automatisiertem Feedback in Zukunft allen interessierten Studienanfänger*innen der Universität Innsbruck zur Verfügung gestellt werden. Durch die Realisierung des Self-Assessments mittels des R-Pakets „exams“ ist es außerdem für verschiedenste Lernmanagementsysteme (auch außerhalb der Universität Innsbruck) exportierbar.

Aber auch für andere Lehrveranstaltungen wäre die Idee einer anfänglichen Diagnose des Kompetenzstandes einsetzbar, um den weiteren Verlauf der Lehrveranstaltung effizient und evidenzbasiert planen zu können.

Jene Inhalte und Aufgaben, welche sich im universitären Brückenkurs bewährt haben, werden zudem im Folgeprojekt (Mathematik Brückenkurs für Schüler*innen aus ganz Tirol) weiterverwendet.

Institutionelle Unterstützung

Das Projekt wird durch die Aufnahme der VU „Brückenkurs Mathematik“ in den Lehrveranstaltungskatalog sowie durch die Übernahme der damit verbundenen personellen Kosten von der Universität Innsbruck unterstützt.

Positionierung des Lehrangebots

Studieneinstiegsphase Mathematik-intensiver Bachelorstudiengänge bzw. MINT-Bachelorstudiengänge

Links zum Projekt
Links zu der/den Projektmitarbeiter/innen
Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2023 nominiert.
Ars Docendi
Gewinner 2023
Kategorie: Lernergebnisorientierte Lehr- und Prüfungskultur
Ansprechperson
Pia Tscholl, MEd
Institut für Fachdidaktik, Universität Innsbruck
+43 512 507 43104
Nominierte Person(en)
Tobias Hell, Dipl.-Ing., BSc PhD
Institut für Mathematik, Universität Innsbruck
Pia Tscholl, MEd
Institut für Fachdidaktik, Universität Innsbruck
Elisabeth Hell, Mag.
Institut für Mathematik, Universität Innsbruck
Lisa Schlosser, PhD
Institut für Mathematik, Universität Innsbruck
Themenfelder
  • Forschung/EEK geleitete Lehre
  • Kooperationen in der Lehre
  • Lehr- und Lernkonzepte
  • Vor dem Studium/Beginn des Studiums
  • Diversität und Soziales
  • Digitalisierung
  • Rund ums Evaluieren der Lehre
Fachbereiche
  • Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik/Ingenieurwissenschaften