Medizinische Universität Wien
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SimCom – Das Überbringen schwieriger Nachrichten in der Pädiatrie

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

Schwerwiegende Diagnosen oder lebensbedrohliche Ereignisse, können bei medizinischem Personal ein hohes Maß an Stress hervorrufen. Darüber hinaus werden diese Situationen als weitaus belastender erlebt, wenn Kinder involviert sind. Dies gilt auch für die Kommunikation mit Patient/inn/en sowie ihren An- und Zugehörigen. Angehörigen schlechte Nachrichten zu überbringen ist jedoch ein wesentlicher Bestandteil des ärztlichen Berufes und eine der schwierigsten Aufgaben der Medizin. Es erfordert ausreichend und wiederholte Übung, da es für alle Kommunikationspartner/-innen weitreichende emotionale Konsequenzen birgt.

Zahlreiche Kinder mit lebenslimitierenden Erkrankungen wurden in den letzten Jahrzehnten an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde behandelt. Klare Kommunikation ist für PatientInnen und ihre Familien durchwegs von entscheidender Bedeutung, um mit der Krankheit selbst sowie den Auswirkungen auf ihr weiteres Leben als Individuum, und als Familie umgehen zu lernen.

Kinderärzt/inn/en werden im Rahmen ihrer medizinischen Ausbildung nicht auf Elterngespräche vorbereitet, oder darauf lebenslimitierende zu überbringen. Ohne angemessener Ausbildung in schwieriger Kommunikation führt dies alltäglich zu frustrierenden Situationen für An- und Zugehörige sowie für Ärztinnen und Ärzte selbst.

Simulationstrainings bieten medizinischem Personal die Möglichkeit, sich in einem psychologisch geschützten Rahmen eine Vielzahl an Fertigkeiten für verschiedene schwierige Situationen anzueignen. Diese Schulungen erfreuen sich zunehmender Beliebtheit in der medizinischen Ausbildung und wurden vorwiegend für Reanimationstrainings in das Curriculum vieler Universitäten integriert. Simulationstrainings für Kommunikation finden weltweit weiterhin selten statt und in Österreich gibt es bislang keine verpflichtende Ausbildung für schwierige Kommunikation mit Kindern und Jugendlichen sowie ihren An- und Zugehörigen (auch weltweit ist dies eine Rarität und bislang hauptsächlich im Rahmen von Studien erfolgt).

Durch Simulations-Kommunikationstrainings können nicht nur die Inhalte eines solch schwierig zu führenden Elterngesprächs in einem geschützten Rahmen trainiert, sondern auch evaluiert und dabei gezeigt werden, inwieweit sich ideale Rahmenbedingungen auf ein Gespräch auswirken.

Eine Videoanalyse simulierter Elterngespräche aus drei verschiedenen Perspektiven ermöglicht im anschließenden Evaluierungsgespräch mit einer/einem erfahrenen Kinderärzt/-in eine differenzierte Auseinandersetzung der verbalen und nonverbalen Aspekte der Kommunikation mit Eltern, die von professionellen Schauspieler/inn/en gespielt werden.

Die Erfolge dieser SimCom-Trainings zeigen die Notwendigkeit schwierig zu führende Gespräche mit Familienmitgliedern zu üben.

Ziel ist daher die Etablierung dieser Trainings in der medizinischen Ausbildung, um die Fähigkeit zur schwierigen Kommunikation, auch nach alltäglichen klinischen Stresssituationen zu ermöglichen.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Das Überbringen schwieriger Nachrichten ist ein wesentlicher Bestandteil der ärztlichen Kommunikation. Werden kommunikative Fertigkeiten nicht ausreichend unterrichtet und geübt, kann dies zu schwerwiegenden psychosozialen Folgen für alle Beteiligten führen. Bislang ist diese Ausbildung nicht Teil des medizinischen Curriculums und wird weltweit unzureichend gelehrt.

Bei den SimCom-Trainings erhalten Studierende der Humanmedizin eine Schulung in kommunikativen Fertigkeiten, und üben erstmals das Überbringen schwieriger Nachrichten in der Pädiatrie. Dabei wird im Anschluss an eine simulierte alltägliche klinische Stresssituation, ein schwierig zu führendes Elterngespräch durch eine/n Studierenden geführt.

Die „Eltern“ werden von professionellen SchauspielerInnen gespielt und die jeweiligen Gespräche durch 3 im Raum installierte Kameras aufgezeichnet. Im Hinblick auf einen idealen individuellen Kompetenzerwerb können mithilfe dieser Videoaufnahmen im anschließenden Evaluierungsgespräch mit einer/m erfahrenen Kinderärztin/arzt, sowohl verbale als auch nonverbale Aspekte aus unterschiedlichen Perspektiven besprochen werden. Dabei widmet man sich inhaltlichen Unklarheiten, erlebten Emotionen sowie möglichen Gesprächsalternativen im direkten Austausch.

Eine Selbst- (Studierende) sowie Fremdevaluierung (Schauspieler/-innen) erfolgt mit Hilfe eines QR codierten Fragebogens. Auf diese Weise können Studierende bei weiteren Trainings ihren eigenen Lernerfolg nachvollziehen.

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

Delivering difficult messages is an essential part of medical communication. If communication skills are not sufficiently taught and practiced, this can lead to serious psychosocial consequences for everyone involved. So far, such trainings are not part of the curriculum and are insufficiently taught in medical education worldwide.

At the SimCom courses, medical students receive training in communication skills and practice delivering difficult messages in pediatrics for the first time. Following a simulated everyday clinical stress situation for medical professionals, a difficult-to-conduct conversion with parents is held by a student.

"Parents" are played by professional actresses and actors and the respective conversations are recorded by three cameras installed in the room. Regarding an ideal individual acquisition of skills, both verbal and non-verbal aspects are discussed from different perspectives with the help of these video recordings in the subsequent evaluations with an experienced pediatrician. Content-related ambiguities, experienced emotions as well as possible conversational alternatives are directly exchanged.

A self-evaluation (by students themselves) and external evaluation (by the actresses/actors) is carried out with the help of a QR-coded questionnaire. By this, students can track their own learning success during further trainings.

Nähere Beschreibung des Projekts

Kommunikation ist eine „conditio sine qua non“ der Medizin. Je nachdem, wie wir uns mitteilen, beeinflussen wir die Interpretationsmöglichkeiten des Inhalts durch verbale und nonverbale Aspekte. Wie Ärztinnen und Ärzte Nachrichten überbringen und Patient/inn/en- und / oder Angehörigen-Gespräche führen, hat nicht nur auf viele psychosoziale Aspekte des Lebens von Familien, sondern auch auf verschiedene damit verbundene Entscheidungen einen Effekt. Und obwohl man im Rahmen der medizinischen Ausbildung an einem obligatorischen Seminar „Ärztliche Gesprächsführung“ teilnimmt, gibt es keine Seminare zu Gesprächsführung mit An-und Zugehörigen.

Junge Mediziner/-innen müssen daher Angehörigen oftmals schlechte Nachrichten überbringen, ohne in ihrer Ausbildung ausreichend darin geschult worden zu sein. SimCom ist die erste Lehrveranstaltung, die den Fokus auf diese schwierig zu führenden Angehörigengespräche in der Kinder- und Jugendheilkunde legt.

Exzellente Anatomiekenntnisse sind nicht alles, was man zu einem hervorragenden Chirurgen benötigt. Direkte Erfahrung leistet einen wesentlichen Beitrag zur Kompetenzerweiterung. Indem man eine Situation tatsächlich erlebt, erlebt man auch alle damit verbundenen Emotionen, und verbalen sowie nonverbalen Konsequenzen. Durch den high-fidelity-Charakter der SimCom-Trainings stellen sie eine realistische Belastungssituation dar, und ermöglichen damit Studierenden den bestmöglichen individuellen Lerneffekt für schwierige Kommunikation und Erwerb für soziale Kompetenzen. Durch diese Trainings sind wichtige Aspekte und Komponenten schwieriger Kommunikation in der Pädiatrie direkt erfahrbar. Die eigene verbale und nonverbale Reagibilität kann durch Studierende in einem geschützten Setting erlebt und ausprobiert werden.

SimCom ist ein neuartiges Lehrkonzept bei dem zunächst eine niederschwellige Kommunikationsschulung mit zahlreichen Beispielen aus der klinischen Praxis erfolgt. Studierende werden motiviert ihre Lebensrealitäten, Erfahrungen und Vorwissen zu teilen, um sie so direkt in die Lehre einzubinden und kompetenzorientierte Erfolge für Studierende zu ermöglichen.

Im Anschluss erfolgt ein schwierig zu führendes Gespräch mit Schauspieleltern, in einem Raum, der mit drei Videokameras aus unterschiedlichen Perspektiven ausgestattet ist. Auf diese Weise kann anschließend ein lernzieloptimiertes Evaluierungsgespräch mit einer/einem erfahrenen/m Kinderärztin/-arzt stattfinden, bei dem diverse Aspekte der Artikulation, sowohl der Studierenden als auch der Schauspieleltern gemeinsam mit den Studierenden besprochen werden können. Durch diesen direkten Austausch wird eine lebendige Feedbackkultur gelebt und weitere schwierige Kommunikation geübt.

Für die SimCom-Trainings wurden Selbst- und Fremdevaluierungs-Fragebögen in Anlehnung an klassische Kommunikationskonzepte adaptiert und neu zusammengestellt. Diese Fragebögen werden im Anschluss an die Trainings sowohl von den Studierenden als auch von den Schaupieler/inn/en ausgefüllt. Als Bewertungsinstrumente können sie die Verbesserung der kommunikativen Fertigkeiten aus verschiedenen Perspektiven erfassen und auch in zukünftigen simulationsbasierten Schulungen eingesetzt werden.

SimCom zeigt die Notwendigkeit schwierige Gespräche mit Angehörigen während der gesamten medizinischen Ausbildung zu üben, denn je besser Mediziner/-innen auf schwierig zu führende Gespräche vorbereitet sind, desto adäquater werden Patient/-innen und ihre Angehörigen versorgt und begleitet.

Das SimCom-Projekt konnte zeigen, dass bereits ein einmaliges Kommunikationstraining die Qualität dieser schwierig zu führenden Gespräche in der Pädiatrie signifikant verbessert. Es weist darauf hin, dass simulierte Kommunikationstrainings ein grundlegender Bestandteil der gesamten medizinischen Ausbildung sein sollten, um die bestmögliche Versorgung von pädiatrischen Patient/inn/en und ihren Eltern zu gewährleisten, aber auch um die Zufriedenheit und psychische Gesundheit des Personals zu steigern.

Nutzen und Mehrwert

Durch das SimCom-Projekt gibt es keine Zeitersparnis oder Reduktion des organisatorischen Aufwands für Lehrende. Aber gute Kommunikation ist die Basis von Vertrauen und guten Beziehungen. Der Mehrwert dieses Projekts ist langanhaltender, nachhaltiger und soziokulturell wertvoll durch die Verbesserung der Kommunikation mit An- und Zugehörigen, und der damit einhergehenden stabileren Beziehung zur/m betreuenden/m Ärztin/Arzt. Eine Sensibilisierung der heterogenen Lebensrealitäten und gesellschaftlichen Ungleichheiten, sowohl der Familien als auch Studierenden und zukünftigen Ärzt/inn/en, sind als Basis der Kommunikation im klinischen Alltag zu berücksichtigen.

Durch situationsadaptierte Kommunikation können Mediziner/-innen empathischer auf ihre Patient/inn/en und Angehörige eingehen, sie in ihren soziokulturellen Bedürfnissen besser verstehen und ihnen damit angepasste Versorgung sowie emotionale und psychologische Unterstützung zukommen lassen.

Nachhaltigkeit

Ein aktuelles Nachfolgeprojekt ist die Etablierung der SimCom-Trainings für Studierende des „Klinisch Praktischen Jahrs“ am Comprehensive Center for Pediatrics.

SimCom soll nicht nur längerfristig eingesetzt werden, sondern sich bestenfalls als Lehrveranstaltung des humanmedizinischen Curriculums etablieren, um so allen Studierenden, während ihrer pädiatrischen Ausbildung die Möglichkeit individueller, differenzierter und kompetenzorientier Lehre in schwieriger Kommunikation mit Angehörigen bieten zu können.

Dissemination/Transfer

Das didaktische Angebot des SimCom-Konzepts ist weitgehend auf die verpflichtende Lehrveranstaltung der „Ärztlichen Gesprächsführung“ übertragbar. Durch das aufmerksam machen auf grundlegende zwischenmenschliche Unterschiede und Bedürfnisse in Krisensituationen und der dahingehenden Notwendigkeit einer differenzierten Kommunikation, ist das SimCom-Konzept auch auf diverse andere Lehrsituationen übertragbar, und fördert so fachübergreifende Kompetenzen und deren Austausch.

Das Konzept wird durch einfache, aber zielführende Mittel wie Selbst- und Fremdevaluierung (Fragebögen) sowie Videoaufzeichnungen unterstützt. Durch diese Konzeptionalisierung ist auch eine stete Weiterentwicklung der Simulations-Kommunikationstrainings durch die Lehrenden, aber auch Studierenden selbst möglich.

Die bisherige flexible und individuelle Gestaltung der SimCom-Trainings ermöglichte es studierendenzentrierte Lehre zu betreiben, um so unterschiedliches Vorwissen und Realitäten einzubinden und bestmöglich anwenden zu können.

Nachdem es bislang wenig wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema der schwierigen Kommunikation und dessen Trainierbarkeit in der Kinder- und Jugendheilkunde gibt, sollen zukünftig weitere Forschungsprojekte, durch klinische Erfahrung unterstützt, ausgeführt.

Institutionelle Unterstützung

Das Projekt erhielt im Jahr 2021 Förderungsgelder des Comprehensive Center for Pediatrics (CCP) im Ausmaß von 8.661€. Alle am CCP Starter Grant teilnehmenden Projekte wurden in einem Peer-Review Prozess evaluiert. Dabei erzielte das SimCom-Projekt den 2. Platz.

Durch die Unterstützung dieser Förderungsgelder war es möglich die professionellen Schauspieler/-innen zu engagieren. Weiters erfolgte die Anschaffung von drei GoPro-Kameras mithilfe derer es nun möglich ist die simulierten Elterngespräche aus verschiedenen Perspektiven aufzuzeichnen, um im Anschluss eine bestmögliche Evaluierung der Gespräche gemeinsam mit den Studierenden aus diversen Blickwinkeln durchführen zu können.

Positionierung des Lehrangebots

Grundsätzlich richtet sich das Angebot jährlich an etwa 2000 Studierende der Humanmedizin der Medizinischen Universität Wien. Voraussetzung für die Teilnahme an der Lehrveranstaltung ist der Abschluss des 1. Studienabschnitts (zwei Semester), sowie der Lehrveranstaltung „Ärztliche Gesprächsführung“, um auf einem Grundverständnis der Kommunikation mit PatientInnen aufbauen zu können.

Links zu der/den Projektmitarbeiter/innen
Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2023 nominiert.
Ars Docendi
2023
Kategorie: Qualitätsverbesserung von Lehre und Studierbarkeit
Ansprechperson
Jennifer Bettina Brandt, Dr. med. univ. MSc.
Medizinische Universität Wien, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde Abteilung für Neonatologie, pädiatrische Intensivmedizin und Neuropädiatrie
+43 676 544 63 75
Nominierte Person(en)
Jennifer Bettina Brandt, Dr. med. univ. MSc.
Medizinische Universität Wien, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde Abteilung für Neonatologie, pädiatrische Intensivmedizin und Neuropädiatrie
Themenfelder
  • Diversität und Soziales
  • Erfahrungslernen
  • Infrastruktur/Lehrmaterialien
  • Kooperationen in der Lehre
  • Lehr- und Lernkonzepte
Fachbereiche
  • Medizin und Gesundheitswissenschaften