Subjektive Theorien menschlicher Entwicklung: Veränderung erforschen – Zukunft generieren [Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie I]

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

Ausgangslage und Zielsetzung(en):

Die Generierung und Weitergabe akademischen Wissens in Gestalt von Forschung und Lehre ist stets eingebettet in einen historisch-gesellschaftlichen Kontext. Wie können universitäre Lehrveranstaltungen zur Entwicklungspsychologie diesem Umstand Rechnung tragen, dass die akademische Vermittlung entwicklungspsychologischen Wissens sowohl gesellschaftlich relevante Bildung als auch Persönlichkeitsressourcen generiert.

In einer Zeit weltumfassender Krisen und historischer Umbrüche stellt das Lehrprojekt „Subjektive Theorien menschlicher Entwicklung: Veränderung erforschen – Zukunft generieren“ einen höchst aktuellen Zugang dar, im Zuge einer aktiv praktizierten Transformation entwicklungspsychologischen Wissens profundes Handlungspotential zur Bewältigung gesellschaftlicher und persönlicher Entwicklungsherausforderungen aufzubauen.

Zielsetzungen im „Detail“:

Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie stellen Kerndisziplinen der akademischen Psychologie dar und sind durch eine Vielfalt an Inhalten und Methoden gekennzeichnet. Mit der Zielsetzung, die Vermittlung akademischen Wissens in erkenntnis- und handlungsleitende Lernprozesse zu integrieren, korrespondieren Anforderungen an eine exzellente Didaktik, die eine Übersetzung evaluierter Wissensbestände in handlungsleitende Strategien ermöglicht.

Die erste übergeordnete Zielsetzung richtet sich auf:

I. Vermittlung von Inhalten und forschungsbezogenen Schlüsselkompetenzen:

Gegenstand und Positionierung der Entwicklungspsychologie im Kontext der Psychologie als empirischer Wissenschaft

Die zweite übergeordnete Zielsetzung richtet sich auf:

II. Bewusstsein akademischer Werte, kritische Reflexion von Wissenschaftsprodukten und daraus resultierende Identifikation mit der Fachdisziplin als Zugang zu Bereichen persönlich relevanter Entwicklung.

Beide Ziele sind bedingen sich gegenseitig: Die Förderung wissenschaftlicher Schlüsselkompetenzen und der Aufbau von Persönlichkeitspotentialen begründen als rekursiver Prozess ein gesellschaftlich tragfähiges und zukunftsgerichtetes Bildungssystem.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Das Lehrangebot zur Entwicklungspsychologie umfasst 3 Semesterwochenstunden und findet im Format einer integrierten Lehrveranstaltung statt d.h. als enge Verbindung zwischen Vorlesungs- und Übungsinhalten. Eine Konzeption dieser Art ermöglicht variable didaktisch-methodische Strategien zur Erweiterung und Vernetzung von Kenntnissen sowie zur diskursiven Reflexion – eingebettet in Lernsettings, die eine hohe Diversität an situativen und sozialen Gestaltungsmöglichkeiten zulassen.

Der Anspruch einer forschungsorientierten Lehre kann auf der Basis einer solchen Lehr-Lern-Kultur eingelöst werden. Ein Beispiel der Konkretisierung wird anhand der Konzeption und Durchführung des Lehrforschungsprojekts „Subjektive Theorien menschlicher Entwicklung: Veränderung erforschen – Zukunft generieren“ aufgezeigt. Bereits der Titel verweist auf die Forschungsintention: ‚Theorien menschlicher Entwicklung‘ – (zunächst) wissenschaftliche ‚Erklärungsinstrumente‘ per se – eröffnen im Zuge einer subjektiven Mentalisierung Zugänge zum Verstehen und Erklären der persönlichen Entwicklung.

Fazit zur Theorie-Praxis-Transformation: Reflexionen zur Retrospektive können prospektive Ziele und handlungsleitende Pläne generieren – andererseits können Unvereinbarkeiten zwischen ‚klassischen‘ Theorien und aktuellen Erfahrungen der Lebenspraxis neue Fragen und Forschungsideen anstoßen.

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

The course in developmental psychology comprises 3 semester hours per week and takes place in the format of an integrated course, i.e. as a close connection between the lecture and exercise content. This conception enables flexible didactic-methodical strategies for the expansion and networking of knowledge as well as for discursive reflection. Further, the course is embedded in learning settings that allow a high diversity of situational and social design possibilities.

The overall goal of a research-oriented teaching is facilitated on the basis of such a teaching and learning culture. An example of the concretization is shown on the basis of the conception and implementation of the teaching research project "Subjective theories of human development: researching change - generating the future"

The title already refers to the research intention: 'theories of human development' – as scientific 'explanatory instruments' - opening up approaches to understanding and explaining personal development in the course of a subjective mentalization.

On theory-practice transformation: retrospective reflections can generate prospective goals and action-guiding plans.

Conclusion, incompatibilities between 'classic' theories and current experiences of life practice can trigger new questions and research ideas.

Nähere Beschreibung des Projekts

Curricularer Bezug und methodologische Konzepte

Als Formen der Vermittlung wird im eingereichten Lehrprojekt auf unterschiedliche Formate zurückgegriffen, die aufeinander abgestimmt sind.

Grundbegriffe und Basiskonzepte der Entwicklungspsychologie werden in Form eines klassischen Vorlesungsformates vermittelt und mit interaktiven Elementen gemeinsam mit den Studierenden vertieft. Nach jeder Vorlesungseinheit bearbeiten die Studierenden in vier digitalen Arbeitsgruppen Fragenkataloge zu Texten, deren eigenständige Bearbeitung die Vorlesungsinhalte thematisch ergänzen und vertiefen.

Diese Arbeitsform dient auch der Stärkung selbstregulierter Organisationskompetenzen der Studierenden. Die vier Gruppen stellen die Resultate ihrer gemeinsamen Bearbeitung in selbst gewählten Präsentationsformen im Plenum vor und erläutern ihre Arbeitsprozesse.

In der Evaluation der Resultate wird der Diversität der Denk- und Argumentationsstrategien Rechnung getragen. Das Feedback der übrigen Studierenden und Dozent*innen stellt die Grundlage für weitere Diskussionen im Plenum dar. In Zuge dieser Auseinandersetzung werden die Konzepte selbst differenziert, variable Aneignungs- und Bearbeitungsformen der Studierenden reflektiert und durch teils inspirierende Rückfragen forciert.

Die Inhalte der Lehrveranstaltung umfassen sowohl theoretische Konzepte der Entwicklungspsychologie der Lebensspanne als auch empirische Forschungsmethoden. Der Aufbau von Kompetenzen zu Forschungsmethoden wird stets in themenbezogene Aufgabenstellungen und Überlegungen zu forschungsrelevanten Konsequenzen eingebunden. Im Zuge dieses Vorgehens wird jede Thematik des entwicklungspsychologischen Curriculums vor dem Hintergrund akademischer Forschung zu beleuchtet, um Wechselwirkungen von Theorie und empirischer Forschung sichtbar zu machen. Der individuelle Erkenntnistransfer findet im Fokus von Diskussionen statt, die das Spannungsfeld zwischen eigenen Erfahrungen und wissenschaftlichen Befunden sichtbar machen. Die Studierenden sind explizit dazu eingeladen, die Diversität ihrer Entwicklungskontexte und biographischen Erfahrungen in die Betrachtung und Diskussion einfließen zu lassen.

Forschungsorientierten Lehre: Methodologische Konzeption und didaktische Struktur der empirischen Partizipation

Den Ausgangspunkt des Forschungsprojekts mit dem Themenschwerpunkt ‚subjektive Theorien der Entwicklung‘ bilden wissenschaftlich begründete Entwicklungstheorien und Entwicklungsmodelle. Der Wissensbestand zum gesamten Theoriespektrum repräsentiert diverse Konzepte und Prozesse der Veränderung (z.B. alterskorrelierte Entwicklungsaufgaben, biographische Übergänge), externale Einflussgrößen (förderlicher und hemmender Art) sowie internale Komponenten, die den aktiven Anteil der Entwicklungsregulation begründen.

Das erklärte Forschungsziel besteht in der Analyse sogenannter subjektiver Entwicklungstheorien. Diese basieren auf Vorstellungen über die eigene Entwicklung, welche aus Erfahrungen, Ereignissen und Aufgaben jeweiliger Lebensphasen markieren. Generell begründen ‚Subjektive Theorien‘ Erklärungen zu Ursachen, Bedingungen, Wirkweisen im persönlichen Erfahrungsraum. Im speziellen Fall treffen ‚Subjektive Theorien der Entwicklung‘ auf Veränderungen innerhalb der individuellen Biographie. Die Genese subjektiver Entwicklungstheorien basieren auf Verdichtung, Generalisierung sowie der Abstraktion von entwicklungsrelevanten Erfahrungen, repräsentiert als biographisches Wissen.

Ausgehend von Komponenten und Faktoren klassischer Entwicklungstheorien besteht die methodologische Konzeption des empirischen Vorgehens im Versuch einer Spiegelung subjektiver Auffassungen im Lichte wissenschaftlicher Entwicklungskonzepte. Die methodische Umsetzung erfolgt durch eine Operationalisierung wissenschaftlicher Erklärungskonzepte im Format von entwicklungsbezogenen Aussagen (Item-Ebene). So kann beispielsweise die Anlage-/Umwelt-Thematik in folgendem Item erfasst sein: „Die Entwicklung eines Menschen hängt in nur geringem Maß von seinen Anlagen ab“; im Forschungsvorgehen wird eine solche entwicklungsbezogene Aussage als ‚Gegenstand‘ der Beurteilung vorgelegt. Methodischer Bestandteil des Forschungsprojekts ist ein entwicklungsbezogener Aussagenkatalog zu einschlägigen Veränderungskonzepten, die per skalierter Beurteilung (Zustimmung und Ablehnung) bearbeitet werden.

Kennzeichnung der Durchführung der Lehrforschungseinheiten

Die Studierenden erhalten einen Link, der zu einer Online-Befragung führt, im Rahmen derer entwicklungsbezogene Aussagen im Hinblick auf deren Zustimmung bzw. Ablehnung beurteilt werden mussten. Die Teilnahme geschah auf freiwilliger Basis und unter Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen.

Der nächste Arbeitsschritt bestand darin, dass den Studierenden die Ergebnisse der Befragung präsentiert wurde. Die Studierenden erhielten darüber hinaus konkrete Arbeitsaufträge anhand derer sie sich mit ausgewählten Befunden auseinandersetzen sollten. Interessant sind hierzu beispielsweise jene Items, die hinsichtlich der Zustimmung/Ablehnung nahezu balanciert sind.

Zur Bearbeitung dieser Ergebniskonstellation wurden in den Gruppe Arbeitsaufträge ausgeschrieben worden, die zunächst die Diskussion der Inhalte betraf, die abgelehnt bzw. befürwortet wurden. Im Weitern sollten die die Studierenden Pro- und Kontraargumente anführen, die für bzw. gegen die jeweilige Aussage sprechen.

Der Vollzug dieser Arbeitsschritte – basierend auf aktuell erhobenen Urteilmustern der Studierenden - belegt eindrucksvolle reflexive Erkenntnisse dergestalt, dass hinter divergierenden Entwicklungseinschätzungen, unterschiedliche Haltungen und übergeordnete Wertorientierungen stehen.

Die späteren Arbeitsaufträge greifen ihrerseits Ergebnisse der vorherigen Arbeitsaufträge wieder auf und fordern dazu auf, diesen vertiefend nachzugehen. Hohes Interesse fand das Faktum, dass die Aussage: „Manchmal wiederholen sich bei einer Person einzelne Entwicklungsphasen“ eine Zustimmungsrate von 91% der Studierenden aufwies und die Coronapandemie als zentraler Erklärungsfaktor für dieses Ergebnis angeführt wurde.

Das Ergebnis bezüglich der empfundenen Bedeutung der Coronapandemie gab Anlass für einen weiteren Arbeitsauftrag, der gleichzeitig ein innovatives und kreatives Moment einer Forschungsstrategie tangiert: die Studierenden wurden aufgerufen, eigene Items zu generieren, die eine aktualisierte Operationalisierung für gegenwärtige Entwicklungslagen und -kontexte leisten können und gleichzeitig die Brücke zwischen aktiver Forschung und Methodenpraxis dokumentiert.

Das Forschungsprojekt hat neben dem hohen didaktischen Nutzen v.a. auch einen wissenschaftlichen Wert. Die quantitativen Daten ebenso wie die verschriftlichen Antworten werden systematisch ausgewertet, um das Themenfeld der subjektiven Theorien als Reflektion generationalen Wandels in Krisenzeiten zu erschließen. Die diesbezüglichen Auswertungspläne werden gegenüber den Studierenden kommuniziert und diskutiert. Die geplanten unterschiedlichen Veröffentlichungsformate (Kongressbeitrag/Poster/ Journal-Paper) werden den Studierenden ebenfalls vor diesem Hintergrund nahegebracht.

In der abschließenden Evaluation wird das gesamte Vorgehen und die forcierten didaktischen Effekte mit den Studierenden reflektiert. Gemeinsam wird im Plenum festgehalten, v.a. welchen persönlichen Nutzen die Studierenden aus dieser Auseinandersetzung mit eigenen Entwicklungsvorstellungen ziehen konnten. Wie beeinflusst meine subjektive Vorstellung von Entwicklung meine Entwicklung? Welche Rolle spielt dabei mein persönlicher, sozio-historischer Lebenskontext ? Und schließlich, wie kann ich mein, im universitären Kontext erworbenes Wissen als Ressource der aktiven Gestaltung meiner persönlichen Entwicklungspraxis nutzen, um aktuelle Entwicklungsaufgaben und zukünftige Herausforderungen zu bewältigen?

Nutzen und Mehrwert

Ein Mehrwert des forschungsorientierten Lehrprojektes besteht darin, dass im Rahmen der Lehrveranstaltung Forschungsdaten erhoben werden, die in weiterer Folge für facheinschlägige Veröffentlichungen verwendet werden. Es besteht ein Synergieeffekt, der Lehr- und Forschungstätigkeit von Dozent*innen optimal und effizient verbindet. Außerdem werden Querverbindungen zu anderen Lehrveranstaltungen (siehe Absatz zur Nachhaltigkeit) hergestellt und generierte Daten unter einem anderen Gesichtspunkt (z.B. Fragebogenvalidierung) untersucht.

Nachhaltigkeit

Das Lehrprojekt findet eine Fortsetzung in der Folgeveranstaltung "Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie II". Der Umgang mit Forschungsdaten wird hier vertiefend -anhand des Projektes- weitergeführt. Die Studierenden begleiten beispielsweise den Publikationsprozess. Darüber hinaus resultieren aus der Auseinandersetzung Themen und Forschungsfragen für mögliche Bachelorarbeiten der Studierenden.

Außerdem werden die generierten Rohdaten im Rahmen der Lehrveranstaltung "Einführung in die quantitativen Methoden der Erhebung: Testtheorie" eingesetzt, um beispielsweise Aspekte einer Fragebogenvalidierung anhand von Originaldaten demonstrieren zu können bzw. die Studierenden diese selbst durchführen zu lassen.

Dissemination/Transfer

Dieses Lehrforschungsprojekt nimmt derzeit innerhalb der Fakultät einen innovativen Rang ein. Überlegungen zum Transfer in andere Teildisziplinen werden bereits vorgenommen.

Institutionelle Unterstützung

Die Sigmund Freud PrivatUniversität unterstützte das Projekt durch die Bereitstellung technischen Equipments und durch die Nutzung der digitalen Infrastruktur.

Positionierung des Lehrangebots

Das Lehrangebot ist im dritten Semester des Bachelorstudienganges Psychologie positioniert.

Links zu der/den Projektmitarbeiter/innen
Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2023 nominiert.
Ars Docendi
2023
Kategorie: Forschungsbezogene bzw. kunstgeleitete Lehre
Ansprechperson
Jan Aden, Dr.
Sigmund Freud PrivatUniversität Wien , Fakultät für Psychologie
0043 6604014187
Nominierte Person(en)
Jan Aden, Dr.
Sigmund Freud PrivatUniversität Wien , Fakultät für Psychologie
Themenfelder
  • Lehr- und Lernkonzepte
  • Erfahrungslernen
Fachbereiche
  • Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften