Interprofessionelle Ausbildungsstation

Würdigung der Jury

Das eigene Fachwissen zielgerichtet und nachvollziehbar kommunizieren zu können, gehört zu den Zielen eines Hochschulstudiums. Dennoch kann dies im späteren Berufsalltag Hürden verursachen. Die Verständigungen über Fächer- und Berufsgrenzen hinweg bereits im Studium zu erlernen, ist daher ein Wunsch, der inzwischen in vielen Studiengängen aktiv verfolgt wird. Das hier gewürdigte Lehrkonzept stellt ein in seiner Struktur und Ausdifferenziertheit überaus bemerkenswertes Beispiel dafür dar, wie ein Studium diesem Wunsch gerecht werden kann, indem es den Wert einer interprofessionellen Zusammenarbeit für Studierende erfahrbar macht.

Studierende der Pflege, der Pharmazie und der Medizin haben an der Salzburger Klinik die außergewöhnliche Gelegenheit, nicht nur getrennt voneinander, sondern auch gemeinsam ein Praktikum zu absolvieren. In einer eigens dafür gestalteten und auf das interprofessionelle Arbeiten ausgerichteten Station können sie lernen, die eigene Expertise zu nutzen und fachspezifische Konzepte gegenüber ihren fachfremden Peers zu erläutern. Das ausgeklügelte didaktische Konzept dieser Praktikumsveranstaltung überzeugt sowohl durch die vielschichtige Kooperation der beteiligten Lehrenden als auch durch die implementierten kooperativen Elemente zur studentischen Lernförderung. Auch dass die Reflexion des gemeinsamen Arbeitens zwischen den Studierenden sowie zwischen den Lehrenden ein fester Bestandteil des Lehrkonzeptes ist, erachtet die Jury als Indikator dafür, dass es sich hierbei um ein ausgezeichnetes Beispiel akademischer Lehre handelt, das zurecht den Anerkennungspreis im Bereich Kooperativer Lehr- und Arbeitsformen erhält.

Dr.in Angelika Thielsch
Georg-August-Universität Göttingen

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

Die Interprofessionalität der Berufsgruppen im Gesundheitswesen wird zunehmend wichtiger, um eine qualitativ hochwertige Patient*innenversorgung zu gewährleisten.

Ziel: Etablierung und Führung einer interprofessionellen Ausbildungsstation mit Studierenden der Pflege, Pharmazie und Medizin in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich in der realen Patient*innenversorgung. Darüber soll bei den teilnehmenden Studierenden eine verbesserte Kommunikation zwischen den Berufsgruppen sowie eine Klarheit über Zuständigkeiten und Rollen im klinischen Alltag der Patient*innenversorgung erreicht werden.

Motive: Es bestand die Wahrnehmung des mangelhaften gegenseitigen Rollenverständnisses der verschiedenen Berufsgruppen im Studium und auch am Beginn der Berufsausübung. Dies führt zu Unsicherheiten im Umgang mit den anderen Berufsgruppen, was über Missverständnisse und Kommunikationsdefizite zu Ineffizienz und einer Risikoerhöhung der Patient*innenversorgung führt. Eine Möglichkeit der kooperativen Betreuung echter Patient*innen soll die Möglichkeit eröffnen, Berufsgruppen übergreifend diese Kommunikationskompetenzen schon im Rahmen ihrer Ausbildung zu erlernen und das gegenseitige Verständnis der Rollenverteilung und Verantwortlichkeiten zu verbessern.

Ausgangslage: Bisher nicht existentes Setting, welches realitätsnahe die Interaktion mit Studierenden anderer Berufsgruppen erlaubt. Studierende von Pflege, Pharmazie und Medizin absolvieren normalerweise Praktika verpflichtend und unabhängig voneinander.

Problemstellung: Eine Umgebung soll etabliert werden, welche diese realistische Interaktion in einer tatsächlichen Arbeitsumgebung erlaubt bzw. diese sogar notwendig macht. Im Alltagssetting einer medizinischen Station sind üblicherweise dafür keine Ressourcen vorhanden. Die Bereitstellung von zusätzlichen Ressourcen erfordert die aktive Unterstützung der Führung des Klinikums in enger Abstimmung mit den beteiligten Berufsgruppen der universitären Ausbildung und der ausführenden Station. Darüber hinaus sind bisher die Lehrpläne und Praktikumszeiten nicht aufeinander abgestimmt, was eine koordinierende Abstimmung der jeweiligen Studiengangsorganisationen erfordert.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Die Interprofessionelle Ausbildungsstation ermöglicht die simultane Ausbildung von zwei Studierenden der Humanmedizin, zwei der Pharmazie und vier der Pflege im Alltag bei möglichst eigenverantwortlichen Tätigkeiten in der Patient*innenversorgung.

Zu diesem Zweck wurde eine dafür gewidmete internistische Station mit 4 Patient*innen etabliert, welche eigene Arbeitsplätze, Besprechungsräume und Stationsbedarf umfasste.

Unter Supervision von berufsspezifischen Lehrverantwortlichen wird der Alltag jeder Berufsgruppe gemäß der Aufgabenstellung mit zielgerichteter gemeinschaftlicher Kommunikation gelebt.

Zweck ist die bestmögliche Patient*innenbetreuung als Tätigkeit der jeweiligen Studierenden. Dazu ist vor der tatsächlichen Arbeit am Patienten ein Kennenlernen und ein gemeinsames Rollenverständnis notwendig. Es werden gemeinsame Aufgaben und Ziele definiert und die berufsgruppenspezifischen Schwierigkeiten und Erfolge in der Erreichung ebendieser täglich miteinander ausgetauscht. Neben dem üblichen Aufgabenspektrum eines klinische Praktikums umfasst die IPSTA damit den gezielten Fokus auf interprofessionelle Kommunikation mit Auszubildenden auf einem vergleichbaren Ausbildungsstand.

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

The interprofessional training ward allows the simultaneous practical training of 2 students in medicine, 2 in pharmacy and 4 nursing students in the real-life setting of a medical ward. For that aim, a specially dedicated 4 beds internal medicine ward was established which encompassed its own computer working places, conference room and nursing and medical equipment.

Under the supervision of respective teachers for each profession, students completed their own daily routine with the additional target of joint communication to achieve optimal and even better patient care together. This means that prior to the commencement of the routine duties a time for mutual acquaintance and basic knowledge of the own and others roles and aims was necessary. Common and specific tasks were defined and professional aims were communicated on a daily basis, as were successes and difficulties in interaction and in obtaining these goals. Thus, the IPSTA contained the targeted focus on interprofessional communication with students of other medical professions on a comparable level of training besides the standard spectrum of professional duties of clinical practice.

Nähere Beschreibung des Projekts

Die Ausbildungsstation in den Salzburger Landeskliniken bezeichnet ein fünfwöchiges gemeinsames Praktikum von Studierenden der Pflege, Pharmazie und Medizin mit starkem Fokus auf interprofessioneller Zusammenarbeit und selbständiges handlungsorientiertes Lernen durch die Etablierung von geplanten Momenten des gegenseitigen Informationsaustausches im Rahmen von Teammeetings und gemeinsamen Visiten sowie der Schaffung von strukturierten Reflexionsmomenten.

Auf diese Weise erhalten die Studierenden einen umfassenden Einblick in die Tätigkeitsfelder und Kompetenzen der jeweiligen Berufsgruppen. Dies soll ein klares Rollenverständnis bereits im Rahmen der praktischen Ausbildung schaffen. Unter der Supervision von Lernbegleiter*innen, die als Facilitator, Motivator, Beobachter, Vorbild, Bewerter und Führung im Hintergrund stehen, soll mit der individuellen Patient*innenbetreuung sowie dem Erarbeiten der Hintergrundinformationen an selbständiges Arbeiten herangeführt werden. Kooperatives Lernen steht hier im Vordergrund, Hierarchiemuster, Machtansprüche, Paternalismus, (Un-)Professionalität und Emotionen werden angesprochen (Sottas et al., 2020).

Folgende Momente prägen die interprofessionelle Zusammenarbeit:

Im Zuge des gemeinsamen Kennenlernens finden Team-Building-Maßnahmen bereits zwei Monate vor Start der Ausbildungsstation statt, um gemeinsame Erwartungshaltungen zu definieren und grundlegende Regeln der Kommunikation festzulegen.

Anhand von Strukturierungshilfen wie ISBAR-Schema (Identify-Situation-Background-Assessment-Recommendation) soll das selbständige Arbeiten gewährleistet werden: Im Rahmen der interprofessionellen Visite werden die zugeteilten Patient*innen strukturiert besprochen – aus den Blickwinkeln der jeweiligen Profession. Daraus werden die interprofessionellen Therapie- und Behandlungsschwerpunkte abgeleitet.

„Peer-Teaching“ als wirksame pädagogische Maßnahme für Studierende der Gesundheitswissenschaften in einem klinisch-praktischen Setting:

Mithilfe von „Peer-teaching“ unterrichten sich Lernende gegenseitig (Secomb, 2008). Für die Lernenden liegt der Vorteil des „Peer-teaching“ darin, dass sie vorbehaltlos Fragen stellen und Fehler machen können, ohne eine Bewertung durch Vorgesetzte befürchten zu müssen. Die Lernenden nehmen beim „Peer-teaching“ selbst die Rolle der Lehrenden ein. Die Zielsetzung kann durch die Lernenden selbst erfolgen und sollte sich an einer konkreten Patientensituation orientieren.

Mittels dem Reflexionsmodell “5-Finger-Feedback” (Entner & Fleischmann, 2017) wird täglich die interprofessionelle Zusammenarbeit durch die Studierenden evaluiert. Zweck ist die Optimierung der Kommunikation unter den drei Berufsgruppen.

Auch „Briefing“ als kurze Einweisung vor einer Aufgabe wird eingesetzt. Elemente des Briefings sind neben der Beschreibung der eigentlichen Tätigkeit auch das Besprechen der Rahmenbedingungen und Besonderheiten sowie möglicher Fallstricke. In Abhängigkeit vom Ausbildungsstand der Lernenden kann es nötig sein, beim Briefing sehr kleinschrittig vorzugehen und den Ablauf in mehrere Sequenzen aufzuteilen. Dies ist insbesondere bei sehr komplexen Tätigkeiten oder bei Risiken für die Patientensicherheit entscheidend.

Am Ende der Woche findet eine Wochenreflexion (Gibbs, 1988) statt, um die interprofessionellen Lernmomente und –möglichkeiten für die Folgewoche zu fixieren.

Das interprofessionelle Spektrum des gemeinsamen Lernens wird durch die Schaffung von individuellen Vernetzungsmomenten abgerundet, welche spontane Einblicke in die Handlungsfelder der anderen Berufsgruppen ermöglichen.

Insgesamt bietet die Interprofessionelle Ausbildungsstation in den Salzburger Landeskliniken, Uniklinikum der PMU Salzburg, den Studierenden der Pflege, Pharmazie und Medizin eine einzigartige Gelegenheit, interprofessionelle Zusammenarbeit und handlungsorientiertes Lernen zu erfahren. Durch die etablierten Momente des gegenseitigen Informationsaustauschs, gemeinsamen Visiten und strukturierten Reflexionsmomenten werden die Studierenden auf ein selbstständiges Arbeiten vorbereitet und erhalten einen umfassenden Einblick in die Tätigkeitsfelder und Kompetenzen der jeweiligen Berufsgruppen. Das kooperative Lernen steht hier im Vordergrund, und Hierarchiemuster, Machtansprüche, Paternalismus, (Un-)Professionalität und Emotionen werden angesprochen. Die vielfältigen Maßnahmen und Tools wie Team-Building-Maßnahmen, ISBAR-Schema, Peer-Teaching, 5-Finger-Feedback, Briefings und Wochenreflexionen sorgen für eine optimale interprofessionelle Zusammenarbeit und ermöglichen den Studierenden eine hohe Lernqualität.

Referenzen:

  • Entner, C., & Fleischmann, A. (2017). Didactic models for teaching small classes. Manuelle Medizin, 55, 355-359.
  • Gibbs, G. (1988). Learning by doing: A guide to teaching and learning methods. Further Education Unit.
  • Secomb, J. (2008). A systematic review of peer teaching and learning in clinical education. Journal of clinical nursing, 17(6), 703-716.
  • Sottas, B. et al. (2020). Handbuch für Lernbegleiter auf interprofessionellen Ausbildungsstationen. Stuttgart: Robert Bosch Stiftung.

Nutzen und Mehrwert

Der zentrale Mehrwert liegt in den Bereichen Kommunikation und Rollenverständnis. Die für ein klinisches Praktikum üblichen Lernziele für jede Gruppe wurden unabhängig verfolgt und mussten erreicht werden. Der dezidierte Fokus auf Kommunikation und Rollenverständnis wurde durch die dafür etablierte Umgebung ermöglicht. Um die Ziele tatsächlich zu erreichen, war allerdings für alle drei Bereiche ein deutlich höherer als üblicher Personalbedarf notwendig. Dadurch konnte der Mehrwert erzielt werden, welcher auch in retrospektiver Evaluierung eine merklich höhere Ressourcenwidmung erfordert. Insbesondere das in Etablierung befindliche Berufsbild der klinischen Pharmazie konnte so in seiner Relevanz den beiden anderen Gruppen bereits im Studium vermittelt werden. Die Möglichkeiten der gegenseitigen Unterstützung der Berufsgruppen wurden gezielt thematisiert und haben über die gemeinsame Überwindung von Herausforderung zu einer merklichen Verbesserung des interprofessionellen Verständnisses und Klimas geführt.

Nachhaltigkeit

Die IPSTA wurde für die beiden Durchgänge grundsätzlich als Pilotversuch konzipiert. Der überwältigende Erfolg und die positive Resonanz haben jedoch dazu geführt, dass eine Etablierung von insgesamt 2 Zyklen jährlich auf der nun eingeführten Station stattfinden wird und vorerst ein weiterer jährlicher Zyklus im zweiten Teil des Universitätsklinikums (UK für Neurologie, Christian-Doppler-Klinik Salzburg). Grundsätzlich wäre eine umfassende Ausrollung wünschenswert, welche allen Studierenden der drei Berufsgruppen einen IPSTA Zyklus erlauben würde. Dies ist allerdings aufgrund der dafür benötigten Ressourcen nicht möglich. Mit den so für das kommende Jahr angepeilten insgesamt 3 Zyklen werden jeweils 6 Studierende der Pharmazie und Humanmedizin sowie 10-12 Auszubildende der Pflege die Möglichkeit einer Teilnahme haben.

Unseres Wissens nach ist die IPSTA in Salzburg die erste ihrer Art in Österreich. Die Idee stammt ursprünglich aus Skandinavien. In Deutschland und der Schweiz gibt es ähnliche Projekte, wobei die Beteiligung der Pharmazie im deutschsprachigen Raum sehr wenig vertreten ist.

Dissemination/Transfer

Das Konzept der IPSTA ist übertragbar auf Ausbildungsstätten der jeweiligen Berufe und könnte theoretisch in der ganzen Klinik ausgerollt werden, um möglichst vielen Studierenden diese Möglichkeit anbieten zu können. Die Institutionen stehen vor der Herausforderung der Bereitstellung der zusätzlichen Ressourcen auf der einen Seite und dem Benefit für alle drei Gruppen auf der anderen Seite. Für die angestrebten Ziele und das Setting ist an unserer Institution keine Möglichkeit der Erweiterung und der Anwendung auf andere Situationen erkennbar bzw. angedacht.

Institutionelle Unterstützung

Das Projekt wurde in der Konzeptionsphase intensiv sowohl von der PMU als auch von der Geschäftsführung und Direktion des Universitätsklinikums sowie der Landesapotheke Salzburg unterstützt. Die Unterstützung ist aufgrund der Allokation von räumlichen und personellen Ressourcen für das Gelingen absolute Voraussetzung. Darüber hinaus gab es keine finanzielle Unterstützung, jedoch waren in der Planung v.a. Ressourcen der Pflege im Einsatz, es wurden notwendige bauliche Maßnahmen zur Einrichtung der Arbeitszimmer aufgrund der intern eingeräumten Priorisierung des Projektes ungewohnt zügig umgesetzt. Insofern ist das Gelingen einem breit vorliegenden Konsens verschiedener Bereiche zuzuschreiben.

Positionierung des Lehrangebots

  • Masterstudium der Pharmazie im Rahmen des Praktikums "Pharmaceutical Care und klinische Pharmazie" mit 8 ECTS-Punkten ab dem 9. Semester;
  • Bachelorstudium Gesundheits- & Krankenpflege, 3. SJ.
  • Humanmedizinstudium, Klinisch-Praktisches Jahr (KPJ im 5. SJ)
Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2023 nominiert.
Ars Docendi
Nominiert 2023
Kategorie: Kooperative Lehr- und Arbeitsformen
Ansprechperson
Mag. Dr. Sebastian Hofbauer
Studiengangsorganisation Pharmazie
+43 662 2420-80250
Nominierte Person(en)
Dr. Christina Dückelmann MSc, aHPh
Institut für Pharmazie
Univ.-Prof. Dr. Elmar Aigner
Fachbereich Humanmedizin
Thomas Wolf, BScN MSc DGKP
Uniklinikum Salzburg
Themenfelder
  • Erfahrungslernen
  • Kooperationen in der Lehre
  • Lehr- und Lernkonzepte
  • Schnittstelle zum Arbeitsmarkt
Fachbereiche
  • Medizin und Gesundheitswissenschaften