Paris-Lodron-Universität Salzburg
Kapitelgasse 4-6, 5020 Salzburg
Weitere Beispiele der Hochschule

Proseminar: “Who’s the Master, Who’s the Slave? Re-Reading African American (Neo-) Slave Narratives“

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

Das Seminar verfolgte zwei Hauptziele: Zum einen wurden die Studierenden im ersten Teil mit kanonischen philosophischen und theoretischen Texten bzw. Ansätzen zum Thema der Sklaverei-Erfahrung, wie Hegels Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft oder bell hooks‘ Konzeptualisierung der schwarzen weiblichen Sklaverei-Erfahrung im amerikanischen Kontext, vertraut gemacht; im Rahmen der Cultural Studies verortet, wurden die Studierenden in der LV zum anderen dazu angeleitet, der „nackten Theorie“ durch die analysebezogene Anwendung neues Leben einzuhauchen. Dementsprechend wendeten wir die verschiedenen philosophischen und theoretischen Ansätze im zweiten Teil auf die Kulturanalyse und kritische Durchdringung von vier unterschiedlichen Primärtexten aus dem breiten Genre der (Neo-) Slave Narratives an: Harriet Jacobs’ „Incidents in the Life of a Slave Girl, written by herself“ (1861); Octavia E. Butlers „Kindred“ (1979); auf den Film „Sankofa“ (1993) von Haile Gerima sowie Colson Whiteheads „The Underground Railroad“ (2016).

Kurzzusammenfassung des Projekts

Im Jahre 1619 wurden die ersten Afrikaner/innen auf den Nordamerikanischen Kontinent verschleppt und das sich bald institutionalisierende Sklavereisystem sollte einer der ausschlaggebenden Faktoren für die ökonomische, politische, soziale und kulturelle Entwicklung des Landes werden. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde die Literaturgattung „slave narrative“ – von vormaligen Sklav/innen erzählte Lebensgeschichten – zu einem Medium sowohl des literarischen Selbstausdrucks als auch der politischen Emanzipation. Kanonische Werke wie Harriet Jacobs’ “Incidents in the Life of a Slave Girl, written by herself” (1861) bildeten die Grundlage für die sog. „neo-slave narratives“ wie beispielsweise Octavia E. Butlers “Kindred” (1979), welche in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Zuge der Afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung entstanden.

Dieser Kurs verfolgt zwei Ziele: zum einen sollen die Studierenden mit klassischen philosophischen und theoretischen Perspektiven auf Sklaverei, wie beispielsweise Hegels Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft oder bell hooks‘ Konzeptualisierung der „black female slave experience“, vertraut gemacht werden; zum anderen werden die Studierenden angeleitet den theoretischen Ansätzen Leben einzuhauchen und sie auf die kritische Analyse von ausgewählten Texten des reichhaltigen Genres der (neo-)slave narratives (aus verschiedenen Medien wie Literatur und Film) anzuwenden.

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

In 1619, the first Africans were brought to the North American continent and the “Peculiar Institution” of Slavery (Stampp 1956) soon became one of the determining factors for the nation’s economical, political, social, and cultural development. In the course of the 19th century, the literary genre of the slave narrative – told by former slaves themselves – became a tool both for literary self-expression and political emancipation. Classical works like Harriet Jacobs’ “Incidents in the Life of a Slave Girl, written by herself” (1861) paved the way for so-called neo-slave narratives, for example Octavia E. Butler’s “Kindred” (1979), emerging in the latter half of the 20th century in the wake of the African American civil rights movement.

This course pursues two goals: On the one hand, it aims at familiarizing students with canonical philosophical and theoretical approaches to slavery like Hegel’s master-slave dialectic or bell hooks’ conceptualization of the black female slave experience. On the other hand, students will be led to breathe life into theory by applying it to the critical analysis of the rich, diverse, and changing genre of (neo-)slave narratives across different media like novels or films.

Nähere Beschreibung des Projekts

Als Lehrender verstehe ich mich als Mentor, um die Studierenden zu aktivieren, damit diese sich die Lehrinhalte nicht nur aneignen können, sondern erlernen, diese kritisch zu be- und zu hinterfragen. Ziel bzw. viel mehr Prozess meiner Lehrphilosophie ist es demnach, als das zentrale Lernergebnis Flexibilität im kritischen Denken anzustoßen, um dadurch die Kompetenz der holistischen und kritischen Perspektiventwicklung anzuregen. Als Kulturwissenschaftler bin ich davon überzeugt die Befähigung zum kritischen Denken und zur holistischen Perspektiventwicklung durch forschungsbasierte und auf die Erschließung der Künste ausgerichtete Lehre zu vermitteln.

Konkret ging es in der LV deshalb darum forschungsorientiert verschiedene Perspektiven auf Sklaverei im Allgemeinen und auf aus dem amerikanischen Kontext stammende (Neo-) Slave Narratives im Speziellen zu entwickeln. Praktisches Ziel war es kritisches Nachdenken über die auch gerade heute noch virulenten Kategorien race und gender zu befähigen, um die Studierenden für gesellschaftliche Ungleichheiten und deren Konsequenzen zu sensibilisieren (Black Lives Matter; #MeToo movement).

Um in einem späteren Schritt eine fundierte Auseinandersetzung mit den Primärtexten zu ermöglichen, war es unerlässlich im Sinne einer holistischen Hochschuldidaktik zunächst einen kompetenten Umgang mit und Zugang zu (theoretischen) Texten in Form von close reading und critical reading einzuüben. Das Erkennen von zentralen Argumentationsmustern und Aussageketten bildete somit die Grundlage des quellenbasierten Lernens, um die fachübergreifende Kompetenz und Qualifikation der kritischen Textarbeit zu vermitteln.

Als mein Lehrkonzept verstand ich hierbei, ein Set an „Werkzeugen“ bereitzustellen, welche diesen Prozess der Wissens- und Welterschließung begleiten und ermöglichen kann. Diese Werkzeuge setzten konkret auf der Grundlage der zu analysierenden Primärtexte an und speisten sich aus scheinbar arbiträren, jedoch komplementären Perspektiven auf Sklaverei(narrative): Hegels Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft, welche er in seiner „Phänomenologie des Geistes“ (1807) entwickelte sowie Perspektiven der Intersektionalitätsforschung bzw. des black feminism, die seit den 1970er Jahren zunehmend akademische Diskurse mitprägen.

Hegel, dieser „schwere Brocken“ wie eine Studierende treffend auf den Punkt brachte, machte uns mit dem Potential von Philosophie als Mittel der Text-und Welterschließung vertraut, um auf abstrakter Ebene darüber zu reflektieren was einen „Herrn“ und was einen „Knecht“ ausmacht und somit zu durchdringen, dass beide Identitätskategorien nur im inneren Zusammenhang und ständiger Instabilität und Dynamik zu verstehen sind.

Die erste Theoriesitzung bestand demgemäß in einer Einführung in und Historisierung von Hegels Ansatz meinerseits, gefolgt vom gemeinsamen Lesen und Diskutieren der Textstelle.

Da das close reading nach dieser Sitzung noch nicht erschöpft war und sowohl die Studierenden als auch ich noch Fragen an Hegel hatten, beschloss ich den syllabus spontan anzupassen und auch noch die nächste Sitzung dieser Perspektive zu widmen, um sowohl eine flexible Rückmeldung zum Lernfortschritt konkret umzusetzen und die Prüfungsinhalte und Beurteilungsformen an den intendierten Lernergebnissen zu orientieren.

In der nächsten Sitzung wurden dann die Lehr- und Lernmethoden folgendermaßen auf die intendierten Lernergebnisse abgestimmt: in breakout-sessions erarbeiteten die Studierenden in kleinen Gruppen in close readings die zentralen Argumentationsmuster und Aussageketten, fixierten die Ergebnisse schriftlich und stellten ihre Ergebnisse danach allen Studierenden im Plenum vor und zur Diskussion.

Im zweiten Theorieblock „zoomten“ wir dann vom abstrakten Nachdenken über Herr/innen und Sklav/innen auf die konkret gelebte Erfahrung und Repräsentation dieses Unterdrückungssystems indem wir zwei Texte aus dem Bereich der Intersektionalitätsforschung bzw. des black feminism lasen und diskutierten: bell hooks‘ grundlegenden Text „Sexism and the Black Female Slave Experience“ sowie Saidiya Hartmans Einleitung aus ihrem „Scenes of Subjection: Terror, Slavery, and Self-making in Nineteenth-century America“.

Die aktive Einbindung der Studierenden und die damit einhergehende Förderung eines aktiven Lernens im Sinne einer Studierendenzentrierung strukturierte die LV von Beginn an. Bereits in der ersten Sitzung war es mir ein Anliegen über die persönliche Vorstellung der Studierenden hinaus ihren Erwartungshorizont an das Seminar abzufragen. Zu diesem Zweck legte auch ich dar, wie das Nachdenken über und Erforschen von race und gender im amerikanischen Kontext meinen akademischen Werdegang geprägt haben.

In einem nächsten Schritt machte ich mein strukturiertes und kompetenzorientiertes Unterrichtskonzept transparent und erläuterte die oben dargelegten Lernziele bzw. Lernergebnisse sowie den workload. Demgemäß präsentierte ich die beiden Theorieperspektiven sowie die drei von mir ausgewählten Primärquellen (welche sowohl den Zeitraum von Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart als auch verschiedene Genres der (Neo-) Slave Narratives abdeckten) und stellte den Studierenden anschließend fünf Romane und Filme als möglichen vierten Primärtext zur Abstimmung – die Studierenden waren somit von Anfang an an der konkreten Konzeption und Durchführung der LV aktiv beteiligt.

Die reziproke Einbindung der Studierenden setzte sich im zweiten Teil der LV, welcher sich der theoriegeleiteten Analyse der Primärtexte widmen sollte, fort: in der jeweils ersten Sitzung zu einem der (Neo-) Slave Narratives fanden zwei Studierendenpräsentationen statt.

Durch diesen Schritt wurden die Studierenden befähigt das zuvor eingeübte kritische Lesen zu kontextualisieren und zu historisieren, um den Lehrinhalt über die Ebene des „nackten“ Textes heraus erfassen zu können. So widmete sich jeweils eine Präsentation dem „Historical Zeitgeist“ – also dem Entstehungszeitraum des Primärtextes – bevor die zweite Präsentation wiederum konkret in „Life, Work, Literary (or Filmic) Context“ der jeweiligen Autor/in hineinzoomte.

In der jeweils zweiten und abschließenden Sitzung widmeten wir uns wieder einem close reading von zentralen Textpassagen bzw. Filmszenen, welches wieder in breakout-sessions und gemeinsamen Plenumsdiskussionen stattfand.

Den Höhepunkt fand die LV in der letzten Sitzung, in welcher wir die erworbenen Kompetenzen kritischer Welt-und Texterfahrung einem konkreten Wirklichkeitstest unterziehen – und uns darüber hinaus in persona treffen – konnten: wir besuchten die Ausstellung “This World is White No Longer. Ansichten einer dezentrierten Welt” im Museum der Moderne, um den Wissenstransfer auf internationale Erkenntnisse und Entwicklungen vorzunehmen und den Blick über den Tellerrand der USA hinaus zu fördern ((Post-)Kolonialismus; hiesiger Rassismus). Es war beeindruckend zu erleben, wie sich die Studierenden in die Diskussion einbrachten (ich hatte eine Ausstellungsführung gebucht) und somit das interdisziplinäre und internationale Forschungsprojekt dieser Ausstellung nicht nur erfahren, sondern es selbst diskursiv durchdringen und somit im Moment des Besuchs aktiv mitgestalten konnten.

 

Die didaktisch innovative Bereitstellung von Inhalten erfolgte v. a. auf einer Ebene: die Ergebnisse der oben genannten breakout-sessions, in welchen die Studierenden in Gruppen die zentralen Argumentationsmuster der Texte erarbeiteten, wurden unmittelbar in einem von mir zur Verfügung gestellten Dokument online festgehalten. Nach den jeweiligen Sitzungen brachte ich die Frucht ihrer Gruppenarbeit in eine kohärente Form und stellte sie den Studierenden als Textexegese auf unserem eLearning-Tool zur Verfügung. So wurden nicht nur die Ergebnisse retrospektiv gesichert, die von den Studierenden erstellten Dokumente dienten darüber hinaus als konkrete Basis für den Fortgang der Analysen und Diskussionen in den folgenden Sitzungen.

Die regelmäßige Kommunikation mit den Studierenden stellte ich zum einen durch schnellstmögliche und unkomplizierte Rückmeldung auf E-Mails sicher; zum anderen machte ich von Anfang der LV an deutlich, dass es mir um ein barrierefreies, inklusives und gemeines Erforschen geht und nicht um eine hierarchisierte Wissensweitergabe von „oben nach unten“.

Mein wiederholtes Einladen von Fragen zeitigte bald den erwünschten Effekt, d. h. das aktive Intervenieren von Seiten der Studierenden in Form von Nachfragen und Kommentaren. Die gemeinsame Ergebnissicherung am Ende jeder Stunde sowie die Rückschau auf die jeweils vorgängige Unterrichtseinheit am Anfang schufen rasch einen safe space für gemeinsame Reflexionen und eine fruchtbare und vertraute Kommunikation.

Die gute Betreuung der Studierenden lag mir sehr am Herzen, was sich neben der Bereitstellung weiterführender Informationen (so beispielsweise Aufbereitungen der Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft in youtube-Videos) besonders in meiner Hausarbeitsbetreuung zeigte. In ihrer Arbeit konnten sich die Studierenden nach Absprache mit mir der theoretisch-philosophisch informierten Analyse eines frei zu wählenden (Neo-) Slave Narratives widmen und einen Bezug zur Gegenwart herstellen.

Die Studierenden sollten mir dazu bis zur vorletzten Sitzung ein term paper draft in Form eines abstracts, einer vorläufigen Gliederung sowie einer annotierten Bibliographie schicken – detaillierte Rückmeldung erhielten sie dann in online-Sprechstunden, in welchen wir die jeweiligen Ansätze, Perspektiven und zu untersuchenden Werke en detail und auf Augenhöhe diskutierten, um den individuellen Kompetenzerwerb zu fördern. Darüber hinaus stand ich ihnen in der Vorbereitung der Präsentationen mit individuellem feedback zur Verfügung: die Präsentierenden schickten mir vorab ihr Thesenpapier, welches ich kommentierte, bevor sie es als Grundlage ihrer Präsentation, und der daran anschließenden Diskussion im Plenum, an alle verschickten.

Nutzen und Mehrwert

Der Mehrwert der LV ergibt sich in erster Linie aus der Vermittlung der fachübergreifenden Kompetenz und Qualifikation der kritischen Textarbeit: das Erkennen von zentralen Argumentationsmustern und Aussageketten im Sinne eines close und critical readings bildete die Grundlage des quellenbasierten Lernens (siehe „Nähere Beschreibung des Projekts“).

Nachhaltigkeit

Das Konzept der theoriefundierten- und geleiteten Analyse kultureller Artefakte ist überaus geeignet auf andere Lehrveranstaltungen im Bereich der Kulturwissenschaften übertragen zu werden und wird von mir längerfristig eingesetzt und in der Lehre konstant weiterentwickelt.

Positionierung des Lehrangebots

Das auf Englisch und online über webex abgehaltene Proseminar “Who’s the Master, Who’s the Slave? Re-Reading African American (Neo-) Slave Narratives” konnte im Sommersemester 2021 sowohl im Bachelorstudium „Anglistik und Amerikanistik“, im Masterstudium „Literatur- und Kulturwissenschaft“, als auch in fakultätsübergreifender Lehre belegt werden. Entsprechend der interdisziplinären Stellung im Studienplan war das Seminar einer Vielzahl von Modulen zugeordnet, für Studierende ab dem 5. Semester empfohlen und mit 5 ECTS bewertet.

Links zu der/den Projektmitarbeiter/innen
Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2022 nominiert.
Ars Docendi
2022
Kategorie: Forschungsbezogene bzw. kunstgeleitete Lehre
Ansprechperson
Dr. Robert A. Winkler
Fachbereich Anglistik & Amerikanistik
+43 (0) 662 / 8044-4412
Nominierte Person(en)
Dr. Robert A. Winkler
Fachbereich Anglistik & Amerikanistik
Themenfelder
  • Digitalisierung
  • Forschung/EEK geleitete Lehre
  • Lehr- und Lernkonzepte
  • Sonstiges
Fachbereiche
  • Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften