Johannes Kepler Universität Linz
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Neue Medien und Arbeitstechniken - Einführung in Digital History

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

Die Lehrveranstaltung (LVA) „Neue Medien und Arbeitstechniken: Einführung in Digital History“ ist Teil des Grundstudiums und wird regelmäßig unterrichtet. Die LVA mit einem Aufwand von 3 ETCS zielt darauf ab, komplexe Grundlagen der Geschichtswissenschaft wie historische Theorien und Methoden im Umgang mit neuen Medien mit Studienanfänger_innen des ersten Semesters erarbeiten. Die Lernziele im Einzelnen sind: Die Studierenden können den Ansatz der Digital History (DH) definieren. Sie können die Potenziale und Probleme, die sich damit verbinden, einordnen. Und sie können Verfahren der DH selbstständig anwenden und interpretativ auswerten. Während die Ziele des Seminars festgelegt sind, ist die jeweilige Umsetzung den Dozierenden überlassen. Die Gruppe der Studierenden ist recht heterogen, denn es gibt Studierende, die in Vollzeit studieren und andere, die bereits in ihrem Beruf arbeiten (Lehramt). Zudem ist das Lehramtstudium Geschichte im Oberösterreich als Cluster-Studiengang auf diverse Hochschulen verteilt (min. 4), d.h. die Studierenden kennen sich untereinander kaum. Obwohl das Seminar eine spezifische Einführung ist, muss es darüber hinaus berücksichtigen, dass viele der Studierenden neben den konkreten Inhalten auch noch wenige Vorstellungen insgesamt davon haben, was geschichtswissenschaftliches Arbeiten im Allgemeinen ist. Es muss daher eine grundlegende und spezifische Einführung zugleich sein. Für Studierende sind die in der LVA erarbeiteten Kompetenzen zentral, denn neue Medien begleiten sie durch ihr gesamtes Studium und Medienkompetenzen werden immer wichtiger.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Die LVA reagierte auf diese Herausforderung, indem sie die Inhalte nicht abstrakt diskutierte, sondern an einem konkreten Thema, nämlich am Beispiel historischer Perspektiven auf den Klimawandel. Der Schwerpunkt lag darauf, neben Theorietexten auch deren Umsetzung zu beleuchten. Dazu dienten die zugeschalteten Expert_innen, die zusätzliche Informationen lieferten und einen Perspektivenwechsel bedeuteten. Die LVA war so konzipiert, dass die Methoden und Arbeitsweisen der Digital History (DH) nicht nur an der Arbeit anderer diskutiert wurden, sondern auch selbst geübt werden konnten. Die Teilnehmenden wandten selbst Methoden der DH an. Die Ergebnisse wurden in Form eines Blogbeitrages gesichert und einer breiteren Öffentlichkeit langfristig zur Verfügung gestellt. Die LVA war darauf ausgelegt, die Studierenden in Gruppen arbeiten zu lassen, um Ängsten vor Überforderung gerade in frühen Theorieseminaren entgegen zu wirken. Der Heterogenität der Teilnehmenden wurde dadurch Rechnung getragen, dass viel Zeit in die Evaluierung des Vorwissens und seiner Erweiterung investiert wurde. Die Arbeitsgruppen organisierten sich selbst, sie wurden aber in jeweils 30-minütigen Gruppenkonsultationen intensiv vor ihren Präsentationen beraten. Nach den Referaten gab es ein konstruktives Feedback im Seminar. Da erst die Schriftform des Referates benotet wurde, ergab sich so eine mehrstufige Anleitung zu wissenschaftlichem Arbeiten am Beispiel eines gesellschaftlich hochrelevanten Themas.

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

The seminar responded to these challenges by discussing the content not in the abstract but within a concrete topic, namely the example of historical perspectives on climate change. The focus was not only on theoretical texts but also on their implementation. For this purpose, the experts were called in to provide additional information and a change of perspective. The course was designed so that the methods and operations of digital history (DH) were not only discussed based on the work of others but could also be practised by the participants themselves. The participants applied DH methods themselves. The results were saved in a blog post and were made available to the broader public in the long term. The seminar was designed to let the students work in groups to counteract fears of being overwhelmed, especially in early theory seminars. The heterogeneity of the participants was taken into account by investing a substantial amount of time in the evaluation of prior knowledge and its expansion. The working groups organized themselves, but they were given intensive advice in 30-minute group consultations before their presentations. After the presentations, there was constructive feedback in the seminar. Since only the written form of the presentation was graded, this resulted in multi-level instruction on scientific work using the example of a highly relevant topic in a social sense.

Nähere Beschreibung des Projekts

Die LVA „Neue Medien und Arbeitstechniken: Einführung in Digital History“ fand pandemiebedingt online über Zoom statt und wurde als Blockveranstaltung abgehalten. Um eine facettenreiche und kompetenzorientierte Einführung zu gestalten, waren die 14 Lehreinheiten fünf inhaltlichen Teilen zu geordnet.

-- Als erstes fand eine Einführung statt (2 Lehreinheiten), in der die Lehr- und Lernziele, Prüfungsleistungen und Bewertungsgrundlagen erörtert wurden. Die Prüfungsleistungen bestanden aus einer Bibliographie zu historischer Literatur zum Klimawandel und aus der Präsentation der Ergebnisse einer Forschungsaufgabe, bei der Zeitungsartikel aus einer Online-Datenbank recherchiert und interpretiert werden sollten, die den Klimawandel zwischen 1800 und 1950 thematisieren. Um das vorzubereiten fand in diesem ersten Teil auch ein Workshop zur Recherche in Online-Datenbanken statt, für den Berit Breiner von der Universitätsbibliothek der JKU zugeschaltet war, die dort für die Vermittlung von Informationskompetenz zuständig ist.

-- Im zweiten Teil (4 Lehreinheiten) ging es um die Theorie, Kritik, Grundlagen und Quellen der Digital History (DH), die anhand von Forschungsliteratur erarbeitet und diskutiert wurde.

-- Im dritten Teil (4 Lehreinheiten) stand den Praxisformen der Digital History im Mittelpunkt: Wie Geschichte etwa auf Twitter geschrieben werden kann, hat die zugeschalte Historikerin Levke Harders (damals Bielefeld, jetzt Innsbruck) anhand ihres Projektes verdeutlicht. Die aus Wien zugeschalteten Mitarbeiter der Österreichischen Nationalbibliothek, Philip Kubinger und Volker Haider, haben den Studierenden einen Einblick in die Online-Zeitungsdatenbank ANNO zu österreichischen Zeitungen gegeben. Außerdem haben wir uns über Forschungstexte zentrale Ergebnisse der DH-Forschung zum historischen Klimawandel angesehen. Dabei haben wir eine Liste mit historischen Semantiken und Begriffen erstellt, mit denen in historischen Quellen nach der Thematisierung des Klimawandels gesucht werden kann, denn der Terminus „Klimawandel“ ist neueren Datums, sodass er nicht als Suchbegriff für den Zeitraum 1800-1950 geeignet ist.

-- Viertens gab es danach halbstündige Gruppenkonsultationen mit jeder der drei Arbeitsgruppen, um sie in ihrer eigenständigen Arbeit mit der ANNO-Datenbank zu beraten und zu unterstützen.

-- Im fünften Teil (4 Lehreinheiten) standen schließlich die Präsentationen der Gruppen im Mittelpunkt, die im Plenum diskutiert wurden. Außerdem wurden noch Bilder als historische Quellen und der Umgang mit Zeitzeugen auf der Grundlage von Forschungstexten diskutiert. Beides sind Themen, die nach einer standortübergreifenden Vereinbarung Teil dieser LVA sein sollen. Wir haben Sie auf die gefundenen Quellen aus den Zeitungen bezogen, weil die Präsentationen der Studieren dafür reichlich Anlass boten (Bilder in Zeitungen, Bericht über Zeitzeugen). Die Abschlussdiskussion drehte sich um die Frage nach den Chancen und Problemen der DH und den konkreten Einsatzgebieten in Studium und Schule.

 

Mit dieser Konzeption der LVA reagierte ich auf inhaltlicher, didaktischer, sozialer und medialer Ebene auf die beschriebene schwierige Ausgangslage. Im Einzelnen betraf das folgende Punkte:

(1) Arbeiten am konkreten Beispiel: Im Seminar wurden die Inhalte nicht abstrakt diskutiert, sondern an einem konkreten Thema. Dafür habe ich historische Perspektiven auf den Klimawandel ausgewählt, weil es die historische Lehre mit Gegenwartsrelevanz kombiniert und das Interesse der Studierenden weckt. Außerdem konnte die LVA damit gezielt fachübergreifende Kompetenzen vermitteln, denn Digitalisierung und Klimawandel sind für die Geschichte relevant, weisen aber auch über sie hinaus. Die in dieser LVA erworbenen Kenntnisse sind auf jedes andere Fach und Thema transferierbar.

(2) Anwendungsorientierung: Der Schwerpunkt lag darauf, neben Theorietexten auch Umsetzungsbeispiele zu diskutieren. Dazu dienten die zugeschalteten Expert_innen, die zusätzliche Informationen lieferten und einen Perspektivenwechsel bedeuteten. Die Studierenden wurde dabei gezielt eingebunden, denn sie sollten sich im Vorfeld Fragen überlegen und kamen im Rahmen der Übungen mit den Expert_innen ausführlich ins Gespräch. Die so etablierten Kontakte können für die weitere Arbeit am Thema vertieft werden. Die Gastvorträge wurden in der Evaluation der LVA entsprechend mehrfach als positives Element benannt (s. Anhang).

(3) Forschendes Lernen: Die LVA war so konzipiert, dass die Methoden und Arbeitsweisen nicht nur an der Arbeit anderer diskutiert wurden, sondern auch ihre Umsetzung in die Praxis geübt werden konnte (siehe dazu Huber/Reinmann 2019). Die Teilnehmenden wandten also selbst Methoden der DH an. So bestand die wesentliche Prüfungsleistung bewusst darin, die in den ersten drei Teilen erworbenen Kenntnisse selbst aktiv anzuwenden. In Gruppen sollten aus der digitalen Quellensammlung, die zuvor vorgestellt wurde (ANNO), Quellen zum Klimawandel zwischen 1800 und 1950 recherchiert werden. Dabei waren die erarbeiteten Suchstrategien und historischen Semantiken aktiv und kreativ anzuwenden, um Ergebnisse in der Datenbank zu erzielen und sinnvoll einzuschränken. Der Arbeitsauftrag war herausfordernd, weil die klimahistorische Forschung zur Untersuchungsperiode sehr dünn ist und kaum solche Quellen bekannt sind. Er bot daher Innovationspotenzial, was die Studierenden motiviert hat.

(4) Ergebnissicherung: Nach den Präsentationen, die allesamt mit „sehr gut“ bewertet werden konnten, habe ich den drei Gruppen angeboten, ihre Funde im Rahmen eines Beitrages für den wissenschaftlichen Blog zur oberösterreichischen Geschichte, den ich zeitgleich ins Leben rief, zu präsentieren und so die Ergebnisse des Seminars der Öffentlichkeit langfristig zur Verfügung zu stellen. Blogs sind niedrigschwellige Informationsquellen und adressieren gleichermaßen die Öffentlichkeit wie die wissenschaftliche Fachcommunity, weshalb sie sich für die Ergebnissicherung des Seminars anbieten (siehe dazu Totter 2018). Damit schloss sich zudem der Kreis des Seminars von der Diskussion des Wandels historischer Darstellungen in neuen Medien zur praktischen Selbstumsetzung. Die Umarbeitung zum Blogpost war ein freiwilliges Angebot und aufgrund der aktuellen familiären und zeitlichen Belastungen durch die Corona-Pandemie waren nicht alle Studierenden in der Lage dazu. Eine Gruppe hat das Angebot aber angenommen und nach intensiver Beratung und meinem Lektorat einen Blogpost veröffentlicht (s. Link zum Blog).

(5) Inklusion: Die LVA trug der Heterogenität der Teilnehmenden Rechnung, indem sie viel Zeit in die Evaluierung des Vorwissens und seiner Erweiterung investierte (siehe dazu Behrend 2000). Gleichzeitig wurden im zweiten Teil gezielt vorhandene Kenntnisse aktiviert und mit dem Thema der LVA verknüpft. Dem Ausgleich heterogener Voraussetzungen diente auch das Seminarmaterial. Der detaillierte Seminarplan enthielt neben der zu lesenden Literatur immer auch Leitfragen für die Lektüre und definierte Lernziele für jede Sitzung, um eine optimale Vorbereitung zu ermöglichen und anzuleiten. Außerdem sollten die Studierenden Fragen an die Text während der Lektüre sammeln, die dann im Zentrum des Seminargesprächs standen.

(6) Arbeit in Gruppen: Die LVA war darauf ausgelegt, die Studierenden in Gruppen arbeiten zu lassen, um Ängsten vor Überforderung gerade in frühen Theorieseminaren entgegen zu wirken und eine soziale Eingebundenheit zu ermöglichen (Ryan/Deci 2000). Solche Ängste (z.B. vor ersten Referaten an der Universität) sind mir in Sprechstunden und früheren LVA-Evaluationen immer wieder berichtet worden sind. Die Gruppenarbeit diente damit dazu, das wissenschaftliche Arbeiten zusammen einzuüben und auch dazu, die sozialen Kontakte während des Online-Semesters so weit wie möglich zu fördern. Das Feedback der Studierenden, das die Gruppenarbeiten explizit positiv hervorhebt (s. Anhang), zeigt, dass dieser Aspekt zentral war.

(7) Intensive Betreuung: Die Gruppen organisierten sich selbst, sie wurden aber in eigens eingeplanten jeweils 30-minütigen Gruppenkonsultationen intensiv vor ihren Präsentationen beraten. Nach den Referaten gab es ein konstruktives Feedback von mir im Seminar. Da erst die Schriftform des Referates benotet wurde, ergab sich so eine mehrstufige Anleitung zu wissenschaftlichem Arbeiten.

 

Literatur

-- Berendt, Brigitte: Was ist gute Hochschullehre? In: Andreas Helmke, Walter Hornstein u. Ewald Terhart (Hg.): Qualität und Qualitätssicherung im Bildungsbereich. Schule, Sozialpädagogik, Hochschule. Weinheim 2000. 247-260.

-- Huber, Ludwig u. Gabi Reinmann: Vom forschungsnahen zum forschenden Lernen an Hochschulen. Wege der Bildung durch Wissenschaft. Wiesbaden 2019.

-- Ryan, R. M., u. Deci, E. L.: Self-determination theory and the facilitation of intrinsic motivation, social development, and well-being. In: American Psychologist 55 (2000): 68-78.

-- Schneider, M., u. Preckel, F.: Variables Associated With Achievement in Higher Education: A Systematic Review of Meta-Analyses. In: Psychological Bulletin 143 (2017): 565-600.

-- Totter, Alexandra: Weblogs in der Hochschullehre. Chancen und Herausforderungen. Eine systematische Literaturanalyse des verpflichtenden und freiwilligen studentischen Einsatzes von Weblogs. In: MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie Und Praxis Der Medienbildung 2018 (Occasional Papers): 81-117.

Nutzen und Mehrwert

Die LVA hat inhaltlichen und didaktischen Mehrwert auf mehreren Ebenen:

(1) Sie liefert zugleich eine inhaltlich-historische Einführung und leitet deren praktische Anwendung an;

(2) sie vermittelt DH-Kompetenzen für fachübergreifendes Arbeiten und übt diese ein;

(3) sie bietet Studierenden Anleitung zum wissenschaftlichen Schreiben;

(4) sie hilft dabei, eine erste kleine Publikation für Studierende auf dem Blog zu erarbeiten;

(5) sie sensibilisiert die Studierenden für die Kommunikation wissenschaftlicher Ergebnisse an verschiedene Zielgruppen;

(6) sie ermöglicht Studierenden die Erforschung des gesamtgesellschaftlich und besonders ihre Generation relevanten Themas Klimawandel;

(7) sie leistet das, was die Aufgabe verantwortungsvoller Wissenschaft ist: die Kommunikation politisch wichtiger Forschungsergebnisse in die Öffentlichkeit und ermöglicht einen Austausch darüber, denn die Blogbeiträge haben eine Kommentarfunktion (um die Studierenden gleichzeitig nicht der Gefahr von hate speech im Netz auszusetzen, werden alle Kommentare moderiert, um einen geschützten Raum zu bieten).

Nachhaltigkeit

Eine hohe Übertragbarkeit ist gegebenen. Der Blog wird weitergeführt und im aktuellen Semester biete ich diese LVA erneut an.

Aufwand

Etwas mehr Zeitaufwand für den Blog, aber das hielt sich im Rahmen. Wenn das eingerichtet ist, entsteht kein Mehraufwand.

Positionierung des Lehrangebots

Bachelor Lehramt, erster Studienabschnitt: Basismodul (1. Semester), aber auch andere

Links zum Projekt
Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2022 nominiert.
Ars Docendi
2022
Kategorie: Forschungsbezogene bzw. kunstgeleitete Lehre
Ansprechperson
Dr. Falko Schnicke
Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte
0049-15237996824
Nominierte Person(en)
Dr. Falko Schnicke
Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte
Themenfelder
  • Curriculagestaltung
  • Digitalisierung
  • Flexibel Studieren
  • Forschung/EEK geleitete Lehre
  • Lehr- und Lernkonzepte
  • Rund ums Prüfen
  • Sonstiges
  • Vor dem Studium/Beginn des Studiums
  • Wissenschaftliche (Abschluss)Arbeiten
Fachbereiche
  • Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften