Fachhochschule St. Pölten GmbH
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Projektwerkstatt – Praxisbezogene Lehrforschung in der Sozialen Arbeit

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

Die Konzeption des Lehrprojektes war und ist von zwei zentralen Überlegungen geprägt:

Erstens eröffnen die gesellschaftlichen Entwicklungen bzw. der soziale Wandel nicht nur eine Vielzahl aktueller Forschungsfelder erklärungsbedürftiger Phänomene, sondern bedeuten auch die Notwendigkeit einer Anpassung und reflexiven sowie mit Evidenz verknüpften Weiterentwicklung von sozialarbeiterischer Praxis und sozialarbeiterischem Handeln. Zur Bewältigung dieser Erfordernisse trägt die Vermittlung einer sozialarbeitswissenschaftlichen Grundhaltung und der Erwerb sozialarbeitswissenschaftlicher Kompetenzen bei.

Zum Zweiten versucht die sozialarbeitswissenschaftliche Forschung als praxisorientierte Disziplin nah an den Erfordernissen und Problemlagen von Nutzer*innen, Praktiker*innen und Organisationen der Sozialen Arbeit zu forschen. Sie verfolgt dabei den Anspruch, praxisrelevantes Wissen zu generieren und damit zur Professionalisierung und Weiterentwicklung beizutragen. Bachelorprojekte sind daher in enger Kooperation und Abstimmung mit Organisationen und Expert*innen der Praxis zu konzipieren und durchzuführen. Gleichzeitig ist die Akquise finanzieller Mittel für sozialarbeitswissenschaftliche Forschung auch aufgrund ihrer noch jungen Verankerung im Wissenschaftskanon herausfordernd.

Das vorgestellte Lehrprojekt zielt vor diesem Hintergrund auf die Einbettung einer praxisorientierten und sozialarbeitswissenschaftlichen Forschung in das Curriculum der Sozialen Arbeit ab. Die Verbindung von Forschung und Lehre im Fachhochschulkontext ist hierbei nicht nur wichtige Ressource für die Durchführung von Forschungsprojekten und der Weiterentwicklung der Profession selbst, sondern trägt gleichzeitig zum Erwerb von Kompetenzen der Absolvent*innen bei, die für eine moderne Profession in einer von Wandel gekennzeichneten Gesellschaft heute und in Zukunft unverzichtbar sind. Durch die Lehrforschungsprojekte erwerben Absolvent*innen Fähigkeiten und Techniken zur empirischen Erforschung sozialarbeitswissenschaftlicher Fragestellungen, entwickeln eine sozialarbeitswissenschaftliche, auf Evidenz, Reflexion und Argumentation gegründete Grundhaltung, werden für aktuell relevante Themen der Sozialen Arbeit sensibilisiert und tragen selbst zum Erkenntnisgewinn der Profession bei.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Im Bachelorstudiengang Soziale Arbeit werden im dritten Studienjahr Lehrforschungsprojekte mit dem Ziel der Verbindung von Lehre und Forschung durchgeführt. Die Projekte sind mit den Forschungsschwerpunkten des Ilse Arlt Instituts für Soziale Inklusionsforschung verknüpft und können sowohl Pilotprojekte für neue Forschungsaspekte darstellen als auch bereits bearbeitete Themen oder Projekte vertiefen. Projektvorschläge werden jeweils ab Herbst gesammelt. Eine Jury entscheidet anhand eines Kriterienkatalogs über die gesammelten Projektvorschläge.

Die Bachelorprojekte werden von zwei bis drei Forscher*innen konzipiert und geleitet, wobei auf eine diverse Zusammensetzung aus Dozent*innen und externen Praktiker*innen geachtet wird. Jeweils ca. 12 Studierende werden im Rahmen einer Projektwerkstatt bei der Umsetzung des Projektes und bei der Erstellung ihrer Bachelorarbeit begleitet. Kompetenzen in der Projektorganisation, im Einsatz wissenschaftlicher Forschungsmethoden, im Verfassen wissenschaftlicher Publikationen und sonstiger Produkte, sowie Teamarbeit werden erlernt.

Die Dissemination der Ergebnisse und Produkte stellt als Verbindung zur Praxis und Öffentlichkeit ein zentrales Ziel der Projektarbeit dar. Die Outcomes der Projekte können vielgestaltig sein und vom klassischen wissenschaftlichen Projektbericht über Leitfäden, Handbücher, Sammelbände, Videos, Theaterstücke, Tagungen bis zur Methoden- oder Produktentwicklung reichen.

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

Bachelor projects in the third year of the bachelor programme of social work pursue the objective to link teaching and research. The projects range in the thematic area of the key research topics of the department and can focus on pilot projects for new research aspects as well as continuing and deepening topics or projects that have already been worked on. Project proposals are collected following a call in autumn. A jury decides on the collected project proposals based on a catalogue of criteria.

The bachelor projects are designed and lead by two to three lecturers with diverse backgrounds of research and practical experience or interdisciplinary approaches. A project course accompanies approx. 12 students during the project phases and in the writing of their bachelor thesis, which results from the project work. Competences in project organization, in the use of scientific research methods, in writing scientific publications and other products are acquired.

The dissemination of the results and products into practice and public is a central goal of the project. The outcomes of the projects can be diverse and range from research reports to guidelines, manuals, anthologies, videos, plays, conferences to method or product development.

Nähere Beschreibung des Projekts

Bachelorprojekte des Studiums der Sozialen Arbeit beginnen jeweils im Herbst mit einem Call, der sich an die Dozent*innen der Forschungsschwerpunkte und Lehrenden des Departments sowie an interessierte Praktiker*innen richtet, um möglichst vielfältige Projektideen zu sammeln. Im Herbst 2021 wurde erstmals auch ein Workshop für Interessierte angeboten, um das Format der Bachelorprojekte und die Anforderungen an eine Einreichung zu vermitteln und zu diskutieren. Eine Jury aus Studiengangsleitung, Institutsleitung und Forschungsexpert*innen des Departments entscheidet über die Einreichungen und wählt acht thematisch und methodisch möglichst diverse Projekte pro Studienjahr aus. Die Kriterien orientieren sich an der Eignung für Bachelorstudierende, der Aktualität und Relevanz der Thematik, dem Niveau der Einreichung, dem Besetzungsvorschlag, den geplanten Endprodukt(en) und der Öffentlichkeitswirksamkeit, der Anschlussfähigkeit an den Standort und der strategischen Verbindungen zu Organisationen der Praxis.

In einer Präzisierungsphase können die Projekte noch weiterentwickelt und an die organisatorischen und inhaltlichen Anforderungen angepasst werden. Die Leitung der Bachelorprojekte durch zwei bis drei Lehrende ermöglichet die Verbindung von Forschungsschwerpunkten des Departments, wissenschaftlicher Expertise und Erfahrungen und Relevanzsetzungen aus der Praxis der Sozialen Arbeit.

Die acht Projekte werden den Studierenden am Ende des vierten Semesters im Rahmen einer Posterpräsentation vorgestellt. Auf dieser Grundlage entscheiden sich die Studierenden für eines der Projekte, wobei auf die Berücksichtigung der Wünsche der Studierenden und eine möglichst gleichmäßige Verteilung auf die Projekte geachtet wird.

Ca. 12 Studierende, gemischt aus Vollzeit und berufsbegleitend Studierenden werden im Rahmen einer Praxiswerkstatt zwei Semerster lang bei der Umsetzung der Projekte begleitet. Die Praxiswerkstatt bietet den Projekten neben fix im Stundenplan verankerte Projektzeiten ausreichend Raum für projektspezifische Aktivitäten wie Exkursionen, Feldkontakte, Klausuren etc. Die Lehre konzentriert sich im Wintersemester auf die gemeinsame Projektplanung und -durchführung mit den Studierenden im Team, im Sommersemester führen die Studierenden Teile des Projektes individuell als Bachelorarbeit weiter. Die Lehre begleitet sie dabei, sowie bei der Zusammenführung aller Ergebnisse zum gemeinsamen Projektendprodukt und zur geplanten Dissemination.

Die Studierenden erwerben unter anderem im Rahmen der Bachelorprojekte Kompetenzen in projektbezogener Methodik, in Projektmanagement, in der operativen Projektarbeit, bei der Ergebnissicherung sowie in der interdisziplinären Zusammenarbeit. Zudem erwerben sie die Fähigkeit, Verantwortung für Teilaspekte eines Projektes zu übernehmen und diese Erkenntnisse in den Gesamtprozess zurückzuspielen.

Ein Living Document begleitet die Bachelorprojekte vom Beginn bis zum Ende. Es dient sowohl zur Einreichung eines Projektes als auch zur Information der Studierenden über Arbeitsschritte und Termine, zur Dokumentation von Zwischenschritten bis hin zur Abgabe eines Endberichts.

Die inhaltliche Verbindung zu den Forschungsschwerpunkten des Ilse Arlt Instituts für Soziale Inklusionsforschung wird über die Begleitung des Projektes durch Kolleg*innen des Forschungsteams des Departments sichergestellt. Die organisatorische Abstimmung und Vernetzung zwischen den Projekten erfolgt über den*die Modulverantwortliche für Wissenschaft und angewandte Forschung des Bachelorstudiums, v.a. im Rahmen von regelmäßigen Modultreffen aller Lehrenden der Bachelorprojekte. Die administrative Abwicklung der Lehraufträge erfolgt durch das Sekretariat des Bachelorstudienganges bzw. durch die LV-Planung am Department Soziales.

 

Im Nachfolgenden wird ein Lehrforschungsprojekt von 2020/21 vorgestellt, um die mögliche inhaltliche Ausrichtung der Projektwerkstatt zu verdeutlichen.

 

Projekt: Soziale Arbeit mit älteren Menschen und ihren An- und Zugehörigen sichtbar machen

Projektleitung: FH-Prof. Mag. Dr. Johannes Pflegerl, Mag. Dr. Georg Vogt, Reinhold Maxl

 

Bisher durchgeführte Forschungsprojekte am Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung haben deutlich werden lassen, dass sowohl der breiten Öffentlichkeit als auch im Kontext der Betreuung älterer Menschen arbeitenden Professionist*innen nicht bekannt ist, welche Möglichkeiten Soziale Arbeit älteren Menschen und deren An- und Zugehörigen bieten kann. Auch ältere Menschen und ihre An- und Zugehörigen selbst haben kaum eine Vorstellung über die Tätigkeit von Sozialarbeiter*innen und über dessen Nutzen für sie. Gegenüber den wenigen in diesem Praxiskontext bereits bestehenden sozialarbeiterischen Angeboten ist oftmals Zurückhaltung und Ablehnung zu beobachten, weil Wissen darüber fehlt.

Pflegekräfte und andere Professionist*innen, die das Potential der Sozialen Arbeit in diesem Kontext bereits erkannt habe, äußern daher immer wieder den Wunsch, verständliche Darstellungen sozialarbeiterischen Handelns weitergeben zu können.

Um diese Situation zu verbessern, erfolgte in Kooperation mit dem Department für Medien & Digitale Technologien die Erstellung von Kurzfilmen für eine breitere Öffentlichkeit, in denen relevante Tätigkeiten Sozialer Arbeit für ältere Menschen und deren An- und Zugehörige in prägnanter Form näher dargestellt wurden.

Die Studierenden haben folgende Themenstellungen filmisch umgesetzt.

• Selbstbestimmt Leben im Alter: Wie Soziale Arbeit hier unterstützend wirkt, Unterstützungsangebote erklärt und vermittelt, wird in diesem Video gezeigt.

• Begleitung bei Demenz: In diesem Kurzfilm wird aufgezeigt, wie Soziale Arbeit Angehörige Demenzerkrankter unterstützt.

• Selbstbestimmtes & Selbstständiges Wohnen im Alter: Dieser Kurzfilm macht deutlich wie Sozialarbeiter*innen ältere Menschen und deren Angehörige bei der Erarbeitung individueller Lösungen für selbstbestimmtes Wohnen begleitet.

• Leben bis zuletzt - Soziale Arbeit im stationären Hospiz: In diesem Kurzfilm wird die Rolle der Soziale Arbeit im Rahmen des interdisziplinären Hospizteams verdeutlicht.

Zunächst wurden inhaltliche Storyboards entwickelt, die gemeinsam mit Studierenden der Medientechnik pandemiebedingt bis zur filmischen Realisierung immer wieder angepasst werden mussten. Trotz der schwierigen Situation ist es gelungen alle Filmprojekte zu realisieren.

In den Filmen werden vor allem potentielle Einsatzmöglichkeiten Sozialer Arbeit gezeigt, die in dieser Form in der Realität vielfach noch nicht existieren, weil die Profession in diesem Praxiskontext noch kaum vertreten ist. Gerade das Aufzeigen von Einsatzmöglichkeiten kann aber wesentlich dazu beitragen das Handlungspotential Sozialer Arbeit im Kontext der Arbeit mit älteren Menschen und deren An- und Zugehörigen besser verständlich zu machen. Diskussionen mit in diesem Bereich tätigen Sozialarbeiter*innen haben allerdings deutlich werden lassen, dass die Filme nicht kontextlos gezeigt werden sollten, um bei älteren Menschen und ihren An- und Zugehörigen keine falschen Erwartungshaltungen zu wecken, die realiter nicht erfüllt werden können.

Die einzelnen Filme können über die Website des Arlt Instituts abgerufen werden. Bei jedem der Filme ist ein erläuternder Text mit einer Kontexterklärung zu finden. Zudem ist darunter auch die zugehörige Bachelorarbeit angeführt, in jener die jeweilige Entstehung und Realisierung des Films näher beschrieben wird.

 

Abschließend noch ein aktuell laufendes Projekt (entsprechend liegen noch keine Ergebnisse vor):

 

Projekt: Soziale Arbeit in einer Post-Covid19-Ära

Projektleitung: FH-Prof. Mag. Dr. Michaela Moser, Florian Zahorka BA. MA.

 

Die sogenannte "Corona-Krise" liefert für Soziale Arbeit in den unterschiedlichen Arbeitsfeldern und Bereichen vielfältige Herausforderungen, vielfältige Lernerfahrungen und neue Lösungsansätze. Aktuell wird die Forschung zu Corona stark von medizinischen/naturwissenschaftlichen Disziplinen dominiert. Neben den gesundheitlichen Fragestellungen sind aber auch massive gesellschaftliche Herausforderungen sichtbar geworden und eine sozialwissenschaftliche Begleitforschung erscheint unerlässlich. Das vorliegende Bachelorprojekt arbeitet an der Schließung dieser Lücke und geht dabei folgender zentraler Fragestellung nach: Wie lässt sich Soziale Arbeit im Kontext von Covid-19 unter Berücksichtigung der Globalen Agenda 2020-2030 denken und umsetzen? Dazu werden bereits vorhandene Daten aus der Plattform connect-sozial und dem Projekt Soziale Arbeit & Corona-Krise durch weitere Erhebungen ergänzt und in einem kollaborativen Aktionsforschungsprozess mit Akteur*innen aus der Praxis ausgewertet. Aus den gewonnenen Ergebnissen werden konkrete Empfehlungen für Soziale Arbeit in Österreich formuliert.

Nutzen und Mehrwert

Der Mehrwert soll an drei Aspekten verdeutlicht werden:

Erstens wird den Absolvent*innen damit eine sozialarbeitswissenschaftliche Grundhaltung vermittelt, welche als Basis und Ressource für die sich wandelnden Anforderungen in der Praxis der Sozialen Arbeit dienen soll.

Zweitens können damit die finanziell fehlenden Mittel in der Sozialarbeitswissenschaft ein Stück weit ausgeglichen werden.

Drittens wird damit eine Verbindung und Orientierung an der Praxis der Sozialen Arbeit auf Dauer sichergestellt. Aktuell wichtige Themen des Feldes können aufgegriffen und bearbeitet werden.

Nachhaltigkeit

Das Lehrprojekt „Projektwerkstatt– Praxisbezogene Lehrforschung in der Sozialen Arbeit“ bzw. dessen Konzeption und Design kommen seit dem Studienjahr 2017/18 jährlich zur Anwendung und wurden in den letzten Jahren nur leicht adaptiert bzw. um Feedback von Studierenden und Praxis verfeinert. Die Konzeption dürfte sich auf andere Studiengänge der Sozialen Arbeit übertragen lassen, wichtig sind dabei eine gelebte Sozialarbeitsforschung an der Hochschule und eine Anbindung an die Praxis.

Aufwand

Der Aufwand im Vergleich zur normalen Betreuung von Bachelorarbeit kann als nur geringfügig höher beurteilt werden und liegt im etwas höheren koordinativen Aufwand (Abstimmung unter den Forscher*innen, Verbindung von Forschung und Praxis) begründet.

Positionierung des Lehrangebots

In der forschungsorientierten Projektwerkstatt haben Studierende die Gelegenheit, selbst forschend tätig zu sein. In Arbeitsgruppen wird auf Basis bereits erworbenen Fach- und Methodenwissens ein Forschungsprojekt durchgeführt. In diesem Zuge wird nicht nur die Bachelorarbeit erstellt, sondern zum Erkenntnisgewinn für die sozialarbeiterische Praxis beigetragen. Das praxisbezogene Lehrforschungsprojekt ist entsprechend im 3. Studienjahr (5. und 6. Semester) in der Vollzeitform als auch für berufsbegleitend Studierende vorgesehen und endet mit Abgabe der Bachelorarbeit. Um die Heterogenität und damit Lernchancen zu steigern, sind die in der Projektwerkstatt durchgeführten Lehrforschungsprojekte studienformübergreifend angelegt, wodurch berufsbegleitende Student*innen und Vollzeitstudierende kollaborativ arbeiten.

Links zu der/den Projektmitarbeiter/innen
Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2022 nominiert.
Ars Docendi
2022
Kategorie: Forschungsbezogene bzw. kunstgeleitete Lehre
Ansprechperson
Lukas Richter, Dr. MSc. BSc.
Department Soziales
0676847228514
Nominierte Person(en)
Sylvia Supper, FH-Prof. Mag. Dr.
Department Soziales
Themenfelder
  • Curriculagestaltung
  • Forschung/EEK geleitete Lehre
  • Lehr- und Lernkonzepte
  • Wissenschaftliche (Abschluss)Arbeiten
Fachbereiche
  • Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften