Medizinische Universität Wien
Spitalgasse 23, 1090 Wien
Weitere Beispiele der Hochschule

Transformation der Universitären Notfallmedizinischen Lehre in Zeiten einer Pandemie

Ziele/Motive/Ausgangslage/Problemstellung

Am 25. Februar 2020 wurden in Österreich die ersten Fälle von COVID-19 diagnostiziert. In der Folge begann sich die Zahl der neubestätigten Fälle innerhalb der folgenden Tage zu verdoppeln. Als Teil der Bemühungen, die "Kurve abzuflachen" und die Übertragung des Virus zu minimieren, wurde der gesamte Lehrbetrieb der Medizinischen Universität Wien ab 10. März 2020 mit sofortiger Wirkung ausgesetzt.

 

Diese Entscheidung betraf neben Vorlesungen, Seminaren und Praktika auch die klinische Ausbildung der letzten beiden Studienjahre. Studierende im letzten Jahr, dem klinisch-praktischem Jahr, konnten dieses freiwillig fortsetzen. Es wurde festgelegt, dass die Lehre durch „Distance-Learning“ mit Webinaren oder anderen Online-Lehrmedien nach dem Ermessen der zuständigen Kliniken durchgeführt werden soll. Diese Umstellung war zunächst auf zwei Wochen angesetzt, wurde aber schrittweise bis zum Ende des Sommersemesters verlängert.

 

Als Universitätsklinik für Notfallmedizin mussten wir uns zu dieser Zeit vor allem auf neue Herausforderungen in der Patientinnen- und Patientenversorgung vorbereiten. Parallel dazu begann die Planung, wie die bestehenden Kurse der Klinik auf Fernunterricht umgestellt werden könnten. Unsere Klinik ist für die Planung und Durchführung von Kursen in allen Bereichen der Humanmedizin sowie der Zahnmedizin an der Medizinischen Universität Wien verantwortlich. Zu jenem Zeitpunkt im Sommersemester, an dem die Lehre pandemiebedingt eingestellt werden musste, waren bereits mehrere Kurse angelaufen.

 

Es mussten Alternativen gefunden werden, die sowohl den Schutz von Studierenden und Lehrenden sicherstellten, als auch die Fortführung eines großen Teils der Lehre ermöglichten. Zeitgleich mussten ausreichend personelle Ressourcen für die klinischen Herausforderungen im Rahmen der Corona-Pandemie zur Verfügung gestellt werden. Um dies zu erreichen, entschieden wir uns, alle Wahlfächer zu stoppen und unseren Fokus auf die Pflichtelemente des Curriculums zu legen.

Kurzzusammenfassung des Projekts

Die COVID-19-Pandemie führte dazu, dass der gesamte Lehrbetrieb an der Medizinischen Universität Wien bis zum Ende des Sommersemesters ausgesetzt wurde. Als die für die notfallmedizinische Ausbildung verantwortliche Klinik trafen wir Vorkehrungen, um Kurse und Seminare fortzusetzen und den entsprechenden Lernfortschritt aufrechtzuerhalten.

Die Vorlesungen des Notfalltertials wurden aufgezeichnet und den Studierenden als Videos zur Verfügung gestellt. Die Seminare zu Reanimation wurden im Sommersemester komplett auf einen interaktiven Moodle-Kurs und interaktive Webinare in Kleingruppen umgestellt. Für die Ausbildung der Studierenden im klinisch praktischen Jahr wurde eine Einschulung inklusive eines Hygienekonzepts zu Beginn des Praktikums via Webex durchgeführt. Anschließend konnte unter besonderen Schutzmaßnahmen Präsenzlehre stattfinden. Fortbildungen und Fallkonferenzen wurden über Webex online abgehalten. Im Wintersemester wurde eine differenziertere Strategie umgesetzt. Theoretische Inhalte wurden weiterhin mit online Vorlesungen und Moodle-Kursen vermittelt. Die praktischen Inhalte wie Reanimation wurden im Präsenzunterricht mit adpatiertem Sicherheitskonzept vermittelt.

Wir ermöglichten den Studierenden auf diese Art zwar den Erwerb des notwendigen Wissens; in manchen Bereichen konnte jedoch kein ausreichendes Skill-Training durchgeführt werden. Dieses Manko konnte ab dem Wintersemester durch Präsenzlehre ausgeglichen werden. Sowohl das Feedback der Studierenden als auch der Lehrenden war überwiegend positiv.

Kurzzusammenfassung des Projekts in englischer Sprache

The COVID-19 pandemic has resulted in the suspension of the entire teaching program at the Medical University of Vienna till the end of the summer semester. As the department that is responsible for emergency medicine teaching, we adapted the program to continue the courses and maintain the learning progress.

 

The lectures were recorded and made available to the students as videos. The seminars on resuscitation were completely converted to an interactive Moodle course and interactive webinars in small groups in the summer semester. For the clinical training of students in the clinical practical year, a training course including a hygiene concept was conducted via Webex at the beginning of their rotation. Ongoing training and case conferences were held online via Webex. In the winter semester, a more differentiated strategy was implemented. Theoretical content continued to be taught with online lectures and Moodle courses. The practical content, such as resuscitation, was taught in face-to-face classes adapted according to a safety concept.

 

Although sufficient skill training could not be imparted under these circumstances, the aim was to impart sufficient knowledge to enable students to continue their studies. The feedback from both students and teachers was predominantly positive.

Nähere Beschreibung des Projekts

Die Medizinische Universität Wien ist mit etwa 8000 Studierenden die größte medizinische Universität im deutschsprachigen Raum. Die Universitätsklinik für Notfallmedizin (UKNFM) befindet sich im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien, einem Tertiärzentrum mit 1728 Betten. Unsere Klinik gliedert sich in eine Ambulanz, eine Intensivstation mit 7 Positionen und eine Intermediate-Care-Station für 10 Patienten. Der klinische und wissenschaftliche Schwerpunkt liegt auf Patientinnen und Patienten mit Herzstillstand, Herzinfarkt, Herzrhythmusstörungen, Schlaganfall und anderen lebensbedrohlichen Zuständen.

 

Als akademisches Zentrum ist universitäre Lehre eine der Kernaufgaben der UKNFM. Trotz des im Vergleich zu anderen Kliniken geringen Personalstands (25 Ärztinnen und Ärzte) und des großen Patientinnen- und Patientenaufkommens, erfüllen wir einen beachtlichen Teil der universitären Lehraufgaben (3,14%). Im Pro-Kopf-Ranking liegen wir an zweiter Stelle aller klinischen und vorklinischen Abteilungen.

 

Die UKNFM ist für die Ausbildung der Studierenden in den Studiengängen Humanmedizin und Zahnmedizin verantwortlich. Die Ausbildung umfasst Erste Hilfe, Reanimation, Notfall- und Intensivmedizin. Dies reicht vom Erste-Hilfe-Training im ersten Semester über die Basis-und erweiterte Reanimation (Reanimationstraining I und II), bis hin zu Szenarien basierten Reanimationstrainings im weiteren Verlauf des Studiums.

Neben den klinischen Aktivitäten ist ein Team unter der Leitung des Klinikleiters für die Organisation, Durchführung und inhaltliche Gestaltung der Lehre verantwortlich.

 

In der Ausnahmesituation der Covid19-Pandemie wurde ein Kernteam für die notwendigen Anpassungen und die Umstellung auf Distance Learning gebildet. Innerhalb dieses Teams wurden die entsprechenden Änderungen für die kommenden Semester geplant und sie dem Klinikleiter und der Curriculumsdirektion zur Genehmigung vorlegt.

 

Um eine direkte Interaktion mit den Studierenden zu ermöglichen, verwenden wir die Voice-over-IP-Dienste Webex Events® (Cisco Systems, Inc., San Jose, CA, USA) und ZOOM® (Zoom Video Communications, Inc., San Jose, CA, USA). Beide Software-Tools ermöglichen die gemeinsame Nutzung von Präsentationsfolien und die Kommunikation mit Studierenden per Video-Chat.

Außerdem verwenden wir Webex Training® (Cisco Systems, Inc., San Jose, CA, USA), um Multiple-Choice-Fragebögen während einiger Vorlesungen zu implementieren.

Für die Reanimationskurse verwenden wir die Lernplattform und das Kursmanagementsystem Moodle® (M. Dougiamas et al., unter GNU General Public License, www.moodle.org).

 

 

Reanimationsübungen 2

Es wurde ein interaktiver Moodle® -Kurs u.a. mit kurzen Videos zur korrekten Durchführung der kardiopulmonalen Reanimation und der Rhythmuskontrolle sowie zum Einsatz verschiedener Atemwegshilfen erstellt. Außerdem stellten wir Auszüge aus den aktuellen Reanimationsrichtlinien vor, gefolgt von Pflichtfragen, interaktiven Videoclips und Drag-and-Drop-Tests. Obwohl dieser Kurs in erster Linie dazu diente, die Studierenden gut auf die entsprechenden praktischen Trainingseinheiten vorzubereiten, wurde er nun in angepasster Form auch als Ersatz für traditionelle Kurse eingesetzt.

 

Klinisch-praktisches Jahr

Neben den Vorlesungen, Seminaren und Kursen absolvieren laufend Studierende ein Tertial ihres Klinisch Praktischen Jahres (KPJ) an der UKFNM. In diesem 16-wöchigen Praktikum arbeiten die Studierenden als integraler Bestandteil unseres Personals in der Klinik unter direkter Supervision. Neben der praktischen Ausbildung im klinischen Alltag wird das KPJ an unserer Klinik durch exklusive Aus- und Fortbildungen wie auch Fallbesprechungen von Ärztinnen und Ärzten aus unserem Team begleitet. Während des akademischen Jahres betreuen wir drei Rotationen mit je 10 Studierenden.

Jedem Studierenden wird eine eigene Mentorin oder Mentor zugeteilt, der für die Entwicklung seiner praktischen, theoretischen und sozialen Kompetenzen verantwortlich ist. Strukturiertes Feedback wird zu Beginn, zur Halbzeit sowie am Ende des klinisch-praktischen Jahres gegeben.

 

Eine neue Gruppe von Studierenden hatte ihren geplanten Starttermin des KPJ eine Woche nach Beendigung des Präsenzunterrichts an den Universitäten. Aufgrund der dynamischen Situation und zahlreichen Veränderungen in der Notaufnahme (z.B. Einrichtung einer Hygieneschleuse zwischen Sozialbereich und Behandlungsräumen, Hygieneschulung unseres Personals, pandemiebezogenes Raumkonzept) wurde der Unterricht in den ersten drei Wochen mittels täglicher Webinare durchgeführt. Mit dieser Methode schulten wir die Studierenden in unseren abteilungsspezifischen Abläufen, besprachen häufige Konsultationsgründe (z.B. Thoraxschmerz), führten Techniken vor (z.B. Notfallsonographie, extrakorporale Lebenserhaltung) und ermutigten die Studierenden, notfallbezogene Fälle aus früheren Famulaturen zu präsentieren.

 

Um die Sicherheit der Studierenden an der Abteilung zu gewährleisten, schulten wir sie in Kleinstgruppen im Umgang mit der persönlichen Schutzausrüstung. Die Absolvierung der Rotation an die UKNFM war wie von der Universität vorgegeben freiwillig.

 

Der Dienstplan der Studierenden wurde auf ein flexibleres System umgestellt, um die Anzahl der Studentinnen und Studenten, die gleichzeitig an Einschulungen teilnehmen, zu reduzieren und Überschneidungen zwischen verschiedenen Dienstteams zu vermeiden. Drei "COVID-Mentoren" wurden mit der Aufgabe betraut, eine kontinuierliche Betreuung während der Zeit an der UKNFM zu gewährleisten, weitere Webinare zu arrangieren und Unterstützung in dieser psychisch herausfordernden Situation anzubieten.

 

Zahnmedizinisches Curriculum

Alle Kurse wurden über Webinare mit der Möglichkeit der direkten Interaktion zwischen Studierenden und Lehrenden durchgeführt. Für praktische Aspekte in den Kursen wurden flexible Lösungen gefunden (z. B. Training der stabilen Seitenlage mit Personen, die im gleichen Haushalt leben, Herzdruckmassage auf Kissen oder Stofftieren). Verfahren, die Ausrüstung erfordern, wurden anhand von Videoclips demonstriert.

 

Die Rolle der Studierenden während COVID-19

Medizinische Universitäten in verschiedenen Ländern wurden geschlossen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Eines der zentralen Lernziele in der Notfallmedizin ist der Selbstschutz und die persönliche Sicherheit der Helferinnen und Helfer. Das Risiko einer Infektion mit COVID-19 ist insbesondere bei aerosolerzeugenden Verfahren wie Atemwegsmanagement, kardiopulmonaler Reanimation oder nichtinvasiver Beatmung hoch. Dies sind klassische Maßnahmen, die in Notaufnahmen häufig vorkommen. Darüber hinaus ist es unmöglich, alle potentiell infizierten Patientinnen und Patienten bei der Erstbegutachtung zu erkennen, was zu einem hohen Ansteckungsrisiko beim Umgang mit den Patientinnen und Patienten führt. Eigentlich ist eine Notaufnahme dementsprechend der denkbar ungeeignetste Ort für Famulaturen während einer Pandemie.

Umgekehrt war die Motivation der Studierenden hoch, bei der Bekämpfung der bevorstehenden Krise zu helfen. Wir erhielten laufend Angebote von ehemaligen oder aktuell wissenschaftlich tätigen Studentinnen und Studenten unserer Klinik, uns bei den anstehenden Aufgaben zu unterstützen. Ein großer Prozentsatz von ihnen war auch als Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitätern ausgebildet und mit unseren Routinen vertraut, so dass sie bei einer potentiellen Überlastung der Klinik hilfreich sein hätten können.

 

Unter diesen Voraussetzungen diskutierten wir von Beginn an, ob es verantwortungsvoll wäre, Studierende unter diesen Umständen den Zutritt zur Notaufnahme zu gestatten. Aufgrund des weltweiten Mangels an Schutzausrüstung und der hohen Wahrscheinlichkeit einer Virusübertragung entschieden wir uns, die Teilnahme von freiwilligen Studentinnen und Studenten und weitere Famulaturen nicht zuzulassen. Für die jeweils 10 Studierenden im klinisch-praktischen Jahr machten wir aus bestimmten Erwägungen eine Ausnahme. Die meisten der Beschäftigten im Gesundheitswesen haben sich in wenigen spezifischen, aber häufigen Situationen infiziert, darunter auch bei ungeschütztem Kontakt; insbesondere aerosolerzeugende Verfahren und Selbstkontamination beim Ablegen der Schutzausrüstung bergen ein erhöhtes Risiko. Wir legten unser Augenmerk deshalb darauf, dass unsere Studierenden ordnungsgemäß in der Verwendung der Schutzausrüstung insbesondere im Ablegen geschult waren. Sie durften keine aerosolerzeugenden Tätigkeiten durchführen und wurden darüber hinaus angewiesen, bei potentiell aerosolbildenden Maßnahmen ausreichend Abstand zu halten. Zusammen mit der regelmäßigen Nachbesprechung organisatorischer, sozialer und medizinischer Fragen per Videokonferenz mit den COVID-19-Mentoren war eine engmaschige Betreuung gewährleistet, und aufkommende Probleme können frühzeitig abgefangen werden. Durch diese intensive Betreuung ist es bis dato gelungen, dass sich keiner der Studierenden an der Klinik infiziert hat.

 

Distance Learning

Distance Learning fand in den letzten Jahren in der medizinischen Ausbildung eine zunehmende Verbreitung. Die vorhandenen Werkzeuge ermöglichten uns glücklicherweise eine rasche Adaptation.

 

Obwohl Videokonferenzen vor der Pandemie nicht weit verbreitet waren, wurden diese schnell angenommen und wurden zum geeigneten Werkzeug für Vorlesungen und Seminare.

 

Unter normalen Umständen liegt der Schwerpunkt unserer Lehrveranstaltungen auf dem Erwerb praktischer Fähigkeiten (z. B. kardiopulmonale Wiederbelebung, Atemwegsmanagement, Beurteilung von Notfallpatientinnen und -patienten). Fernunterricht kann niemals ein adäquater Ersatz für praktischen Unterricht mit geeigneter Ausrüstung sein. Dennoch haben wir in Ermangelung von Alternativen versucht, unter gegebenen Umständen, uns adäquat anzupassen. Alle praktischen Aspekte werden im Laufe der Kurse mehrmals gelehrt, sodass sichergestellt werden konnte, dass alle Studierenden die Lernziele erreichen. Trotz alledem muss in zukünftig folgenden Kursen ein besonderes Augenmerk auf die korrekte praktische Ausführung gelegt werden.

 

Die Vorlesungen der UKNFM wurden von den Vortragenden im Vorhinein aufgezeichnet und den Studierenden als Videos gemeinsam mit den Vorlesungsunterlagen online zur Verfügung gestellt.

Gerade in Corona-Zeiten wo sich gegenüber dem Regelbetrieb der personelle Schwerpunkt auch an Universitätskliniken deutlich in die klinische Patienteninnen und Patientenversorgung verlagert, bietet das Distance Learning eine Möglichkeit mit weniger personellen Ressourcen einen entsprechenden Lehrbetrieb aufrecht zu erhalten. Die Inhalte und Angebote wurden zum großen Teil vom Kern Team Distance-Learning der UKNFM angefertigt sowie entsprechend aufbereitet und konnten so über das Semester angeboten werden. So konnte eine große Zahl an sonst während des Unibetriebs notwendigen Lehrenden für die klinische Patientinnen- und Patientenversorgung freigespielt werden.

Nutzen und Mehrwert

siehe Projektbeschreibung

Positionierung des Lehrangebots

Diplomstudium Humanmedizin - mehrfach im Curriculum vertreten; Diplomstudium Zahnmedizin

Links zum Projekt
Das Beispiel wurde für den Ars Docendi Staatspreis für exzellente Lehre 2021 nominiert.
Ars Docendi
2021
Kategorie: Digitale Transformation in der Lehre
Ansprechperson
Dr. Florian Ettl
Universitätsklinik für Notfallmedizin, Medizinische Universität Wien
Nominierte Person(en)
Dr. Florian Ettl
Universitätsklinik für Notfallmedizin, Medizinische Universität Wien
Dr. Christoph Schriefl
Universitätsklinik für Notfallmedizin, Medizinische Universität Wien
Dr. Matthias Müller
Universitätsklinik für Notfallmedizin, Medizinische Universität Wien
Themenfelder
  • Digitalisierung
Fachbereiche
  • Medizin und Gesundheitswissenschaften